zur startseite

zurück zur schulbuchanalyse

weitere infos glaube naturwissenschaft

 

 

Auszug aus der Schulbuchanalyse „Wenn es in der Schule um Schöpfung, Evolution und Urknall geht …“

 

2.2.3     Die Auseinandersetzung um das kopernikanische
             Weltbild

 

2.2.3.1 Exkurs: Ein Konflikt wird aufgebaut

 

Mit dem Ringen um die Durchsetzung des Kopernikanischen Weltbildes sind die Schü­ler schon ein paar Jahre früher, in Klasse 7, in Berührung gekommen, und zwar im Fach Geschichte.
Vielleicht haben sie damals in ihrem Lehrbuch folgendes gelesen (es handelt sich um eine fiktive Collage aus mehreren Lehrbüchern):

Um 1400 dachten die meisten Menschen in Europa, die Erde sei eine Scheibe … Das Befahren des Ozeans galt als unheimlich. ... Auch … Kopernikus … war davon über­zeugt, dass sich die Erde als flache Scheibe im Mittelpunkt des Weltalls befinde; um sie drehen sich alle anderen Planeten und die Sonne. So lehrte es die Kirche … Seine Beobachtungen und Berechnungen … ergaben ganz eindeutig, dass die Erde und die Planeten sich um die Sonne drehen. Die Lehre der Kirche von der Erde als Zentrum des Weltalls musste also falsch sein. Dreißig Jahre lang hielt Kopernikus die Ergeb­nisse in seinem Schreibtisch verschlossen. Erst kurz vor seinem Tod gab er die Erlaub­nis zum Druck seines Buches, das den Titel trug: „Über die Umlaufbahnen der Him­melskörper“. Von der Kirche wurde das Buch sofort verboten. …

Der Italiener Giordano Bruno (1548-1600) wurde für sein Bekenntnis zur helio­zentri­schen Hypothese von der römischen Inquisition als Ketzer auf dem Scheiter­haufen ver­brannt. …

… war die Autorität der Kirche herausgefordert. Das bekam Galileo Galilei zu spüren, als er die Richtigkeit des kopernikanischen Systems zu beweisen suchte. Da er nicht auf dem Scheiterhaufen enden wollte, gab er vor, sich geirrt zu haben, und kam mit lebenslangem Hausarrest davon. Seine Schriften wurden verbrannt. …

 

Damit ergibt sich ein „Stimmungs“-Bild, das sich unauslöschlich in vielen Köpfen einge­prägt hat.

Die im folgenden in den ausführlichen Zitaten angebrachten Fußnoten zu einzelnen An­gaben verweisen auf manche Ungereimtheiten.


 

(Quelle: G3 CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Entdecken und verstehen 7, Cornelsen Verlag Berlin, 2005, S.7ff.)
„Um 1400 dachten die meisten Menschen in Europa, die Erde sei eine Scheibe, die auf dem Wasser, dem Ozean, schwimme. Kein Mensch könne auf der anderen Seite der Erde mit dem „Kopf nach unten“ leben. Das Befahren des Ozeans galt als unheimlich.[1] ... Auch der polnische Priester und Astronom Kopernikus … war davon überzeugt, dass sich die Erde als flache Scheibe im Mittelpunkt des Weltalls befinde[2]; um sie drehen sich alle anderen Planeten und die Sonne (Abb.2). So lehrte es die Kirche[3] … Seine Beobachtungen und Berechnungen … ergaben ganz eindeutig[4], dass die Erde und die Plane­ten sich um die Sonne drehen. Die Lehre der Kirche von der Erde als Zentrum des Weltalls musste also falsch sein. Dreißig Jahre lang hielt Kopernikus die Ergebnisse in seinem Schreibtisch verschlossen. Erst kurz vor seinem Tod gab er die Erlaubnis zum Druck seines Buches, das den Titel trug: „Über die Umlaufbahnen der Himmelskörper[5]. Von der Kirche wurde das Buch sofort verboten[6].“

 

(Quelle: G1 C.C. BUCHNER; Buchners Kolleg Geschichte – Ausgabe C, Die Herausbildung des modernen Europa; C.C. Buchners Verlag, Bamberg 1995, S.70)

 

 

„Der Italiener Giordano Bruno (1548-1600) wurde für sein Bekenntnis zur heliozentrischen Hypothese von der römischen Inquisition als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt.“ [7]

 

(Quelle: G7 Klett, Geschichte und Geschehen, 3, Sachsen, Sekundarstufe I, Ernst Klett Schul­buchverlag, Leipzig 2006, S.14, fast wortgleich G8, S.14)

 

 

„Damit war die Autorität der Kirche herausgefordert. Das bekam Galileo Galilei zu spüren, als er die Rich­tigkeit des kopernikanischen Systems zu beweisen suchte. Da er nicht auf dem Scheiterhaufen enden wollte, gab er vor, sich geirrt zu haben, und kam mit lebenslangem Hausarrest davon. Seine Schriften wurden verbrannt[8]. So bestimmte das geozentrische Weltbild noch lange Zeit das Bewusstsein der meisten Menschen. Im 18. Jahrhundert begann sich das heliozentrische Weltbild durchzusetzen.“

 

Die Kommentare in den Fußnoten machen vielleicht deutlich, an wie vielen Stellen hier nicht sachgemäß informiert wird. Die verkürzte Darstellung – auf der einen Seite mutige Naturwissenschaftler mit untrüglichen Beweisen, als ihr Gegenspieler eine nicht lern­fähige Kirche mit ideologischen Scheuklappen, die gewaltsam ihren Einfluss verteidigt – stimmt nicht mit dem tatsächlichen Verlauf der Auseinandersetzung überein.

 

(Quelle: Q58 GEO kompakt 14, Die 100 größten Forscher aller Zeiten, 2008

 

 

„Es gehört zum Mythos der modernen Naturwissenschaft, dass ihre frühen Entdeckungen die Menschen wie selbstverständlich überzeugt hätten, allein durch die Macht ihrer Wahrheit. Und dass nur verstockte Ewiggestrige wie die kirchlichen Inquisitoren sich deren Evidenz verweigert hätten.
Aber so ist es nicht gewesen.

 

Differenziertere Darstellungen finden sich in Lehrbüchern für das Fach Astronomie, auf die in diesem Kapitel noch eingegangen wird:

·        Quelle: P21 PAETEC; Astronomie, Gymnasiale Oberstufe, Paetec, Berlin 2001

·        Quelle: P23 PAETEC; Dieter B. Herrmann; Faszinierende Astronomie; Paetec, Berlin, 2000
(entsprechende Zitate aus beiden Lehrbüchern werden in Auszügen wiedergegeben in diesem Kapitel weiter unten)

sowie in weiteren Quellen:

·        Quelle: Q58 GEO kompakt 14, Die 100 größten Forscher aller Zeiten, 2008

·        Quelle: Q70 WIKIPEDIA; zu „Kopernikus“, „Galilei“ und „Religion und heliozentri­sches Weltbild“; gelesen 16.12.08
(ausführliche Zitate aus diesen beiden Quellen werden in Auszügen wiedergegeben in Teilband 4 = Kapitel 4.2).

Eine weitere gute und differenzierte Darstellung des Konfliktes findet sich auch bei:

·        Quelle: Q81 Drake, Stillman: Galilei, Herder/Spektrum, Freiburg o.J. (nach 1999, ISBN: 3-926642-38-6)

 

 

 

2.2.3.2  Die Auseinandersetzung um das kopernikanische
             Weltbild
             Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach
             PHYSIK für die Sekundarstufe 1

 

In den Physik- und Astronomie-Lehrbüchern der Sekundarstufe 1 wird das Thema durchgängig etwas differenzierter dargestellt, enthält aber oft dennoch Unklarheiten.

 

Zunächst zwei Stimmen aus dem Hause „Volk und Wissen“:

(Quelle: P1 CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Physik plus Gymnasium 10, Sachsen, Cornelsen, Berlin, 2006, S.68;
wortgleich P2 CORNELSEN / VOLK UND WISSEN; Physik Mittelschule 9/10, Sachsen, Cornelsen, Berlin, 2006, S.56)

 

 


KOPERNIKUS arbeitete dieses heliozentrische System detailliert mathematisch aus. Da sein Sys­tem aber nicht nur der Anschauung, sondern auch der Lehrmeinung der katholischen Kirche wider­sprach, ließ er offen, ob er sein System als besonders einfache Rechenmethode vorschlug oder ob er es als Modell für die Wirklichkeit verstanden wissen wollte. …
Als JOHANNES KEPLER herausfand, dass sich die Planetenbahnen mit Ellipsen viel genauer beschrei­ben lassen als mit Kreisen, zerstörte er die Vorstellung, Gottes Wirken äußere sich in perfekten Kreis­bewegungen.
[9]

P1 S.69:
(Beobachtungen des GALILEI: Jupitermonde, Venusphasen)
Diese Beobachtungen stützten zwar das heliozentrische System. Sie bewiesen aber nicht, dass die Erde die Sonne umläuft. Die Behauptung, die Erde bewege sich, widersprach jedoch der katholi­schen Glau­benslehre. GALILEI …

 

P2 S.57:
(Beobachtungen des GALILEI: Jupitermonde, Venusphasen)
Diese Beobachtungen stützten zwar das heliozentrische System. Sie bewiesen es aber für die katholi­sche Kirche nicht.
[10] [11]GALILEI …

 

Ein anderes Lehrbuch weist zunächst darauf hin, dass das Weltbild des Ptolemäus eine wichtige Geistesleistung darstellte:

 

(Quelle: P3 DUDEN / PAETEC; Physik Sek I, Duden Paetec, Berlin, 2005, S.12).

 

 

CLAUDIUS PTOLEMÄUS fasste die Ergebnisse zusammen. Dieses Weltbild war eine großartige Leis­tung der antiken Wissenschaft, denn man konnte die Bewegung von Sonne und Mond vorausberechnen. So blieb dieses Weltbild viele Jahrhunderte lang erhalten …

 

Auch das nächste Lehrbuch weiß das:

 

(Quelle: P4 DUDEN / PAETEC; Physik, Gymnasium 10, Sachsen, Duden Paetec, Berlin, 2007)

 

 

S.74
Fast 1500 Jahre lang hielten die meisten Gelehrten das geozentrische Weltbild für die richtige Beschrei­bung des Alls. Erst Anfang des 16. Jahrhunderts zog NIKOLAUS KOPERNIKUS in Betracht, dass sich die Erde um die Sonne bewegen könnte. …
KOPERNIKUS hielt noch an der alten Vorstellung der Kreisbahnen fest. Deshalb waren die von ihm be­rechneten Positionen der Planeten nicht genauer als diejenigen, welche man im geo­zentrischen Weltbild ermittelt hatte
[12]

S.75
Die Menschheit benötigte über 100 Jahre, um sich vom geozentrischen Weltbild zu lösen. Die ver­meint­liche Mittelpunktstellung der Erde war mit vielen religiösen und philosophischen Vorstellungen verknüpft, von denen man sich nicht trennen wollte. …

 

Um eine noch klarere Darstellung bemüht sich ein Lehrbuch für die Sekundarstufe 2 (Quelle P14; s. im anschließenden Kapitel 2.2.3.3).


2.2.3.3  Die Auseinandersetzung um das kopernikanische
             Weltbild
             Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach
             PHYSIK für die Sekundarstufe 2

 

Das Lehrbuch P14 führt unter anderem aus:

(Quelle: P14 SCHROEDEL; Dorn / Bader: Physik Sek II; Schroedel, Hannover, 2000, S.126)

 

 

Vom Mythos zur Wissenschaft
Die Grundvorstellung der griechischen Kosmologie war folgende: Die Erde ruht im Zentrum der Welt und von hier aus steigt man auf zu immer höheren Sphären, bis man die Fixsternsphäre, als oberste und voll­kommenste, erreicht. Diese Sphären in Kugelform [13]wurden als ideale Gestalten mit vollendeter Symmetrie betrachtet. Aufgabe der Himmelsmechanik war es, die Bewegung der Gestirne auf gleich­mä­ßige Kreisbewegungen zurückzuführen. Um die Bewegung der Sonne, des Mondes, der Planeten und der Fixsterne durch Bewegung auf Kreisen zu beschreiben, brauchte EUDOXOS, ein Schüler PLATOS, allerdings schon 27 ineinander gelagerte Hohlkugeln. …

Die kopernikanische Wende
NIKOLAUS KOPERNIKUS (1473-1543), Domherr [14] von Frauenburg in Ostpreußen, gab in seinem be­rühmten Werk De revolutionibus orbium coelestium (Über die Umdrehung der Himmelskreise) den geo­zentrischen Standpunkt auf. Er beließ aber noch die Kreisbahnen. Sein heliozentrischer Standpunkt war für die meisten Gelehrten und Theologen unannehmbar. …
Doch die Einwendungen gegen KOPERNIKUS waren groß und scheinbar berechtigt. Ein Gegen­argu­ment des genauen Beobachters Tycho BRAHE war: Wenn die Erde um die Sonne läuft, so müssen wir die Fixsterne im Abstand von einem halben Jahr von zwei weit entfernten Stellungen gegeneinander ver­schoben sehen. Diese Parallaxe konnte jedoch wegen der großen Entfernung der Fixsterne erst im 19. Jahrhundert gemessen werden. Zu Zeiten von KOPERNIKUS aber fand man keine Fixsternparallaxe und hielt das heliozentrische Weltbild damit für widerlegt.
[15]

 

Die klarsten Darstellungen zum Konflikt über das kopernikanische Weltbild und die be­teiligten Akteure liefern Lehrbücher zum Fach Astronomie (siehe das folgende Kapitel 2.2.3.4).

 


2.2.3.4  Die Auseinandersetzung um das kopernikanische
             Weltbild
             Darstellung in Lehrbüchern für das Unterrichtsfach
             ASTRONOMIE

 

 

Hier ein erstes Beispiel:

(Quelle: P21 PAETEC; Astronomie, Gymnasiale Oberstufe, Paetec, Berlin 2001)

 

 

S.5
Vom Dunkel der Vorzeit zur Wissenschaft Astronomie
Oft sind die himmelskundlichen Kenntnisse in stark symbolhafte mythologische Gewänder gekleidet und müssen erst entschlüsselt werden. Hieraus ergibt sich eine der großen Schwierig­keiten der Paläo­astronomie, zumal ein beträchtlicher Interpretationsspielraum entsteht, der oft zu wissenschaftlichen Kontroversen über die Aussagekraft der „Dokumente“ führt.
Verständlicherweise können Astronomen oder Astronomiehistoriker allein diese Forschungen nicht betreiben. Hier bedarf es der engen interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen Astronomen, Archäo­lo­gen, Ethnologen, Kunst- und Religionswissenschaftlern sowie Philologen.
[16]

S.13f.
Die philosophisch-religiöse These von der Göttlichkeit der Gestirne hat PTOLEMÄUS seiner Theo­rie be­wusst zugrunde gelegt
[17], wie er selbst schreibt:
“Wenn wir uns die Aufgabe gestellt haben, auch für die fünf Wandelsterne … den Nachweis zu füh­ren, dass ihre scheinbaren Anomalien alle vermöge gleichförmiger Bewegungen in Kreisen zum Ausdruck gelangen, weil nur diese Bewegungen der Natur der göttlichen Wesen entsprechen, während Regellosig­keit und Ungleichförmigkeit ihnen fremd sind …“
Das geozentrische Weltsystem des PTOLEMÄUS befand sich im Einklang mit dem Augenschein, mit den anerkannten philosophischen Prämissen seiner Zeit und mit der Physik des ARISTOTE­LES. …
Die allseitige Übereinstimmung der ptolemäischen Theorie mit Physik, Augenschein und „Zeitgeist“ sicherte ihr hohe Anerkennung und lieferte zugleich stichhaltige Argumente gegen all ihre Kritiker. …
[18]

S.16f.
Obwohl COPERNICUS nach Beendigung seiner Studien „hauptberuflich" im Dienste der Kirche stand, seinen Onkel bei dessen Tätigkeit als Bischof des Ermlandes unterstützte und sogar selbst einer der Domherrn von Frauenburg wurde, beschäftigte er sich in seinen Mußestunden immer in­tensiver mit der Astronomie. ...
Allerdings hält COPERNICUS an der Kreisbahn der Himmelskörper fest. Zwar beruft er sich dabei nicht mehr auf die Göttlichkeit der Gestirne, sondern auf das geometrische Argument, dass die Himmelskörper kugelförmig seien und die ihnen gemäßen Bahnen daher kreisförmig. Dennoch hat dieses Postulat schwerwiegende Folgen: COPERNICUS ist gezwungen, das antike Rüstzeug der Epizykel und Deferen­ten weiterhin zu verwenden, um die beobachteten Bewegungen beschreiben zu können. ...
So stellt das Hauptwerk des COPERNICUS eine seltsam widersprüchliche Mischung aus Elemen­ten der antiken Astronomie und einer wahrhaft revolutionären Abkehr vom Kerngedanken des ptolemäischen Weltsystems, der Mittelpunktstellung der Erde, dar.
Die Hoffnung, dass auf der Grundlage der Hypothese des COPERNICUS bessere Tafeln zu be­rechnen wären, die zur völligen Übereinstimmung zwischen Prognose und Realität führen, erfüllte sich nicht. Die „Prutenischen Tafeln", die ERASMUS REINHOLD (1511-1553) aus den kopernika­nischen Daten berech­net hatte, wichen von den tatsächlichen Positionen der Planeten deutlich ab.
Ein entscheidendes Argument gegen COPERNICUS ergab sich daraus, dass keine Fixstern­parallaxen festzustellen waren: Wenn sich die Erde tatsächlich um die Sonne bewegt, hätte sich diese Bewegung in einer mit Jahresperiode schwankenden Position der Fixsterne widerspiegeln müssen. Davon war jedoch nichts zu bemerken.
Wie bereits COPERNICUS behauptete, war dies eine Folge der Kleinheit des Effekts, der mit den dama­ligen Messmethoden nicht festzustellen war. Es dauerte immerhin etwa 300 Jahre, bis die ersten Fix­sternparallaxen tatsächlich messtechnisch erfasst werden konnten.
[19]

S.18f.
Auf dem Erkenntnisweg von COPERNICUS zu NEWTON kam es zu einer der dramatischsten Ausein­an­dersetzungen zwischen Geist und Macht, zwischen Naturwissenschaft und Kirche. An dem Konflikt wird exemplarisch deutlich, wie tief die althergebrachte geozentrische Weltvorstellung zum Bestandteil einer für verbindlich erklärten Weltsicht geworden war, zu einer ideologischen Hülle des katholischen Chris­tentums - ein Vorgang, der in der Geschichte keineswegs einmalig ist. …
Zu Lebzeiten des COPERNICUS gab es noch keinen Konflikt zwischen der katholischen Kirche und den Verfechtern des heliozentrischen Weltsystems. …
Durch die erheblichen Abweichungen zwischen dem gebräuchlichen julianischen Kalender und den Posi­tionen der Sonne war eine Unordnung in das Kalendersystem gekommen, die der Kirche ernsthafte Sor­gen bereitete. Die Ursache lag in der unzutreffenden Annahme über die Länge des Jahres von 365,25 Tagen, wie sie dem julianischen Kalender zugrunde lag. Zur Lebenszeit des COPERNICUS klaffte zwi­schen dem kalendarischen Frühlingsanfang und dem astronomischen Frühlingsanfang bereits eine Lücke von ca. 10 Tagen. …
Da die beweglichen Feste im Kirchenkalender (Ostern und Pfingsten) direkt an das Datum des Frühlings­anfangs angeschlossen sind (Ostern ist z. B. der erste Sonntag nach dem ersten Voll­mond nach Früh­lingsanfang), wusste man nicht mehr, wann eigentlich wirklich Ostern war.
Daher nahm die Kirche jede Bemühung um eine Reform der Astronomie mit großem Interesse auf. Ein prinzipieller Widerspruch zwischen kirchlichen Lehren und astronomischen Thesen war damals nicht zu erkennen. Es gab aber vereinzelt auch Äußerungen aus kirchlichen Kreisen, in denen auf die Unverein­barkeit von (wörtlich ausgelegten) Bibelstellen mit der Lehre des COPERNICUS hin­gewiesen wurde.

(Quelle: P21 PAETEC; Astronomie, Gymnasiale Oberstufe, Paetec, Berlin 2001)


weiter aus (Quelle: P21 PAETEC; Astronomie, Gymnasiale Oberstufe, Paetec, Berlin 2001)

 

So bezog sich z.B. MARTIN LUTHER (1483-1546) auf das Buch Josua im Alten Testament der Bibel (Josua 10, 12-13), wo es heißt, dass Josua die Sonne stillstehen hieß und sie „beinahe einen ganzen Tag" später unterging als gewöhnlich. Josua konnte aber der Sonne nur befehlen stillzu­stehen, wenn sie sich vorher bewegt hatte, argumentierte LUTHER. Und COPERNICUS wird von ihm als „Narr" bezeich­net, der die „ganze Kunst Astronomie umkehren“ wolle.[20] Die Auslegung der Bibel in ihrem buchstaben­getreuen Sinn stieß aber auf den Widerstand namhafter Naturforscher, so z.B. auch KEPLERS, der ausdrücklich hervorhob: „In der Theologie gilt das Gewicht der Autori­täten, in der Philoso­phie aber das der Vernunftgründe." Und an anderer Stelle: „Heilig ist zwar Laktanz, der die Kugelgestalt der Erde leugnete, heilig Augustinus, der die Kugelgestalt zugab, aber Antipoden leugnete, heilig das Offizium unserer Tage, das die Kleinheit der Erde zugibt, aber ihre Bewegungen leugnet. Aber heiliger ist mir die Wahrheit, wenn ich, bei aller Ehrfurcht vor den Kirchlehrern, aus der Philosophie beweise, dass die Erde rund, ringsum von Antipoden bewohnt, ganz unbedeutend und klein ist und auch durch die Ge­stirne hineilt".
Hier deutete sich bereits ein Konflikt zwischen Kirche und Naturwissenschaft an, der sich rasch drama­tisch zuspitzen sollte und im Urteil der römischen Inquisition gegen GALILEI (1564 bis 1642) einen histo­rischen Gipfelpunkt erreichte. Der eigentliche Kernpunkt bestand allerdings weniger darin, wie man die Bibel richtig auslegen sollte und welche Kompetenz der Wissenschaft überhaupt zukommt, sondern in dem grundsätzlichen Angriff auf das christlich-aristotelische Weltbild. Die Stellung des Menschen im „Welttheater" erfuhr eine durchgreifende  Änderung: Der Mensch sollte sich künftig nicht mehr im Zen­trum der Welt befinden (folglich übrigens auch der Papst nicht mehr) und die Reiche von „unten" und „oben" gerieten in Gefahr. Oben - das war die Welt der Seligen, die in Gottes Nähe wohnten. Unten - das war die Welt der Menschen, ferner von Gott, wenn auch seinem sorgenden Auge ausgesetzt und auf Er­lösung hoffend.
Diese sittliche Weltordnung der Kirche war es, die gefährdet schien durch die Anerkennung der helio­zentrischen Lehre des COPERNICUS und deshalb entbrannte der Konflikt. ...
Erst 1992 - im 350. Todesjahr GALILEIS – wurde der Gelehrte durch Papst Johannes Paul II. rehabilitiert.
[21]
Ein für alle Mal erklärte der Papst in diesem Zusammenhang, aus der Bibel könne man nicht die Einzel­heiten der physikalischen Welt entnehmen, deren Kenntnis sei „der Erfahrung und dem Nachdenken des Menschen anvertraut"
. Vielmehr gäbe es zwei Bereiche des Wissens: „Der eine hat seine Quelle in der Offenbarung, der andere aber kann von der Vernunft mit ihren eigenen Kräften entdeckt werden".
Die Auseinandersetzungen um die heliozentrische Lehre haben den Fortgang der Wissenschaft insge­samt wenig beeinflusst, obwohl das Hauptwerk des COPERNICUS seit dem Jahre 1616 praktisch ver­boten war, weil die dort geäußerten Meinungen „nicht zum Verderben der katholi­schen Wahrheit weiter um sich" greifen sollten.

 

(Quelle: P21 PAETEC; Astronomie, Gymnasiale Oberstufe, Paetec, Berlin 2001)

 

Zitate aus einem weiteren Astronomie-Lehrbuch ergänzen die vorstehenden Ausfüh­rungen:

 

(Quelle: P23 PAETEC; Dieter B. Herrmann; Faszinierende Astronomie; Paetec, Berlin, 2000)

 

 

S.12f.
Das griechische Weltsystem entsteht …
Einen bedeutsamen Einfluss auf die Herausbildung des griechischen Weltsystems übte die Lehre von PLATON (427-347 v.Chr.) aus. Für ihn waren die Sterne und die Planeten Lichter, in denen das Denken der „Weltseele“ zum Ausdruck kommt. Deshalb konnten sich die Sterne nur auf der vollkommensten denkbaren geometrischen Bahn, dem Kreis, bewegen.
Daraus ergab sich für die Astronomen die Zielstellung, alle beobachteten Bewegungen auf Kreis­bewe­gungen zurückzuführen. …
Mit dem geozentrischen Weltbild wurde eine Vorstellung vom Aufbau des Weltalls entwickelt, die eine der großartigsten Leistungen der antiken Wissenschaft war. Mit seiner Hilfe gelang es, die Positionen der Wandelsterne im Voraus zu bestimmen. Das war zugleich ein überzeugendes Argument für die Richtig­keit des Weltbildes.
Ein weiterer Vorzug des geozentrischen Weltbildes war seine Übereinstimmung mit der damals fort­ge­schrittensten Physik, (der) des ARISTOTELES (384-322 v.Chr.). Nach ARISTOTELES haben alle Kör­per die Eigenschaft, sich zu ihrem „natürlichen Ort“ zu bewegen. Der „natürliche Ort“ der schweren Kör­per sollte die Weltmitte sein. Da die Erde zweifellos ein schwerer Körper ist, musste sie sich nach der Theorie vom „natürlichen Ort“ in der Weltmitte befinden.

S.15
Bereits im Jahre 1502 begann der bedeutende Forscher NIKOLAUS KOPERNIKUS mit der Aus­arbeitung eines Weltbildes, bei dem nicht die Erde, sondern die Sonne im Zentrum steht.
Von diesem Gedanken ausgehend, arbeitete KOPERNIKUS fast 30 Jahre lang daran, das helio­zentri­sche Weltbild mathematisch so zu entwickeln, dass es dem geozentrischen System des PTOLEMÄUS zumindest ebenbürtig war.
[22] Dabei hielt er auch an der Auffassung fest, dass sich alle Planeten auf Kreis­bahnen bewegen. Seine Erkenntnisse fasste KOPERNIKUS in einem Werk zusammen, das 1543 unter dem Titel „Über die Umschwünge der himmlischen Kreise“ (De revolu­tionibus orbium coelestium) erschien.
Beweise für die Hypothese von der Mittelpunktstellung der Sonne hatte KOPERNIKUS nicht.

S.16f.
Streit um das Weltbild
Das Werk des KOPERNIKUS führte wenige Jahrzehnte nach dem Tod seines Verfassers zu einer stür­mischen Debatte, die sowohl mit rein fachlichen Argumenten als auch zunehmend mit Blick auf die christ­liche Lehre geführt wurde.
Zunächst wurde behauptet, die Hypothese des heliozentrischen Weltbildes stehe im Widerspruch zur Bibel. Doch bald ging es um mehr als nur um Bibelzitate. Die Einmaligkeit der Offenbarung, die Berichte vom Sündenfall und von der Erlösung passten nicht zu einer Lehre, deren Kernpunkt in der Behauptung bestand, die Erde sei nur ein Planet unter anderen.
GIORDANO BRUNO (1548-1600) vertrat, ausgehend von der Lehre des KOPERNIKUS, die Auf­fassung, dass es unzählige Planeten im Universum gäbe, die ebenso von denkenden Wesen be­wohnt seien wie die Erde …
Etwa ab 1616 wurde die Lehre des KOPERNIKUS zu einer Glaubenssache der Kirche. Die Aus­einander­setzungen der Inquisition mit den Auffassungen GALILEIS führten zu seiner formalen Verurteilung. Die Beschäftigung mit dem Fall GALILEI hat seither niemals aufgehört.
Unter Papst JOHANNES PAUL II. wurde eine Überprüfung des Falls GALILEI eingeleitet, die 1992 – im 350. Todesjahr des Gelehrten – zu dessen Rehabilitation durch die Kirche führte.
Der Papst erklärte in diesem Zusammenhang vor der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, der Fall GALILEI könne der Kirche die bleibend aktuelle Lehre für ähnliche Situationen sein: „Galilei, der praktisch die experimentelle Methode erfunden hat, hat dank seiner genialen Vorstel­lungskraft als Physiker und auf verschiedene Gründe gestützt verstanden, dass nur die Sonne als Zentrum der Welt, wie sie damals be­kannt war, ... infrage kam. Der Irrtum der Theologen von damals bestand dagegen am Festhalten an der Zentralstellung der Erde in der Vorstellung, unsere Kenntnis der Strukturen der physischen Welt wäre irgendwie vom Wortsinn der Heiligen Schrift gefordert. ... Tatsächlich beschäftigt sich die Bibel nicht mit den Einzelheiten der physischen Welt, deren Kenntnis der Erfahrung und dem Nachdenken des Men­schen anvertraut wird."

 

(Quelle: P23 PAETEC; Dieter B. Herrmann; Faszinierende Astronomie; Paetec, Berlin, 2000)

 

 


 



[1] Etwa zur gleichen Zeit stach Kolumbus in See, westwärts, um auf dem Weg um die Erde herum das im Osten gele­gene Indien zu erreichen; er und viele seiner (gebildeten) Zeitgenossen waren also fest von der Kugelgestalt der Erde überzeugt!
Die Erde eine Scheibe? ..
Gelehrte des alten Griechenlands fanden vor mehr als zwei Jahrtausenden heraus, dass der Schein trügt. Sie frag­ten, warum sich dem nach Süden Reisenden neue, vorher nie beobachtete Sternbilder zeigen. Sie wussten, dass bei einer Mondfinsternis der Mond durch den Erdschatten wandert, und fragten, warum dieser Schatten auf dem Mond stets eine kreisförmige Begrenzung zeigt. Wäre die Erde eine Scheibe, müsste sie bei Mondfinsternissen meist als Ellipse, bei Sonnenauf- und untergang gar als Strich abgebildet werden. Man erkannte schon damals die Kugel als einzig mögliche Körperform, die unabhängig von der Beleuchtungsrichtung stets einen kreisförmigen Schatten wirft. Folglich kann die Erde nur eine solche sein. … Eratosthenes von Kyrene gelang es … den Erdumfang zu ermitteln … mit einer Abweichung von nur 5 Prozent zum heutigen Wert.
(Q80 Clausnitzer, Lutz: Was der Himmel über die Erde erzählt, Freie Presse Chemnitz 27.3.09, S. A8)

[2] Gibt es wirklich einen Beleg dafür, dass Kopernikus davon ausging, dass die Erde eine Scheibe sei?

[3] Innerhalb der Kirche gab es keine einheitliche Meinung, erst recht keine verbindliche Lehr-Meinung, die sich auf eine bestimmte Gestalt der Erde festlegte:
„Die katholische Unterstützung des geozentrischen Systems sollte nicht mit der Idee von einer flachen Erde ver­wechselt werden, welche die katholische Kirche nie stützte.“
(Q70 Wikipedia: Religion und heliozentrisches Weltbild, 16.12.08)

[4] Kopernikus … zögerte lange mit der Veröffentlichung seiner astronomischen Arbeiten, möglicherweise weil seine teilweise letztlich falschen, auf Aristoteles' Annahmen als Kreis als idealharmonisch-vollkommenem mathemati­schen Gebilde beruhenden Berechnungen der Planetenbahnen in Kreisumläufen um die Sonne nicht durch Be­obachtungen gestützt werden konnten und deshalb eine Ablehnung durch das wissenschaftliche oder kirchliche Es­tablishment zu befürchten war. Wegen der falschen Annahme der Kreisbahnen konnte Kopernikus seine Kritiker letztlich nicht zwingend widerlegen.
(Q70 Wikipedia, Kopernikus, 16.12.08)
.

Johannes Kepler machte sich in seinem Werk „Astronomia Nova“ (1609- also mehr als 60 Jahre nach dem Tod des Kopernikus) an den Nachweis, dass sich sowohl nach dem ehrwürdigen geozentrischen System des Ptolemäus als auch nach dem neuen heliozentrischen System des Kopernikus die einigermaßen sicheren Positionen der Planeten errechnen lassen. Auch wenn man beide Systeme kombiniert, wie es Tycho Brahe getan hat, kommt man zu vernünf­tigen Ergebnissen. Alle drei Systeme sind geometrisch und mathematisch miteinander kompatibel. Die bloße Be­obachtung und die Beschreibung der Phänomene bringt also keine Entscheidung über falsch oder richtig.

(Q63 bild der wissenschaft Heft 2/2009 S.54ff.)

[5] Der lateinische Titel des Werkes von Kopernikus „De Revolutionibus Orbium Coelestium“ heißt genau(er) über­setzt: „Über die Umdrehungen der himmlischen Kreise“. Er bezieht sich auf die (doppelt falsche) Vorstellung, von der Kopernikus ausging, dass
a) der Mond und die Planeten auf den himmlischen Sphären befestigt waren und von diesen auf ihrer Bewegung mitgeführt wurden (das sind die „himmlischen Kreise“!), und dass
b) es sich um (ideale) Kreisbahnen handle - was schwierige Zusatzannahmen in seinen Theorien nötig machte.

In Band I Kapitel X seines Hauptwerkes schreibt er: „Die erste und oberste von allen Sphären ist die der Fixsterne, die sich selbst und alles andere enthält …“
(Q70 Wikipedia: Kopernikus, 16.12.08)

Erst Kepler korrigierte die Kreise zu den tatsächlichen Ellipsen-Bahnen. Und selbst „… Galilei hatte Keplers „Astronomia Nova“ wohl nicht gelesen, jedenfalls erwähnt er nichts davon. Noch 1632 schrieb er in seinem „Dia­log“ unbeirrt von Kreisen und nicht von Ellipsen, auf denen die Planeten um die Sonne laufen.

(Q63 bild der wissenschaft Heft 2/2009 S.54ff.)

[6] Erst 1616 – siebzig Jahre nach dem Tod des Kopernikus! - wurden in einem Prozess gegen Foscarini auch „ei­nige nichttheologische Schriften über Kopernikanische Astronomie, darunter auch ein Werk von Johannes Kepler, auf den Index gesetzt. Das Hauptwerk des Kopernikus, De Revolutionibus Orbium Coelestium, in dessen Todesjahr 1543 erschienen, wurde nicht verboten, sondern „suspendiert“: Es durfte fortan bis 1822 im Einflussbereich der Römischen Inquisition nur noch in Bearbeitungen erscheinen, die betonten, dass das heliozentrische System ein blo­ßes mathematisches Modell sei.
(Q70 Wikipedia: Galilei, 16.12.08;
so auch: Q81 Drake, Stillman: Galilei, Herder/Spektrum, Freiburg o.J. (nach 1999, ISBN: 3-926642-38-6), S.110)

[7] Hier wird an Giordano Bruno erinnert, der von der Inquisition auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Die Be­gründung für seinen gewaltsamen Tod, die hier gegeben wird, stimmt aber nicht:

Er proklamierte die Unendlichkeit des Weltalls im Gegensatz zur Fixsternsphäre. Da die Sterne nach seiner Mei­nung  relativ regelmäßig im unendlichen Raum verteilt sind, ist auch ihre Zahl unendlich. Sie sind alle Sonnen, von Planeten umkreist, auf denen Lebewesen vorhanden sind wie auf unserer Erde. Der Gedanke der unbegrenzten Fülle von Lebensformen im unendlichen All ist der Kerngedanke der Brunoschen Weltvorstellung, die mehr philo­sophisch als naturwissenschaftlich begründet ist. Bruno war kein Atheist. Er wollte den unendlichen Gott mit einer unendlichen Schöpfung verherrlichen. Es sei Gottes unwürdig, nur eine endliche Welt geschaffen zu haben, hat er einmal gesagt. …
Giordano Bruno wurde nicht wegen seiner weltbildhaften Vorstellungen oder seines Eintretens für Kopernikus, sondern wegen seiner Leugnung der Trinität Gottes verurteilt. Diese Leugnung war allerdings eine Konsequenz sei­ner Unendlichkeitshypothese. …“

(Q52 stud. christ. Spezialfernkurs; Naturwissenschaft – eine Herausforderung des Glaubens; Kirchentagskon­gress der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, 1978, Lehrbrief 2, S.15)

Giordano Bruno hatte die Glaubenshüter mit dem Entwurf eines pantheistisch beseelten Universums provoziert, in dem unendlich viele Sonnen Mittelpunkte gleichfalls unzähliger Planetensysteme bilden. Zum Flammentod verurteilt wurde er 1600 jedoch nur, weil er hartnäckig das Kirchendogma der Trinität, der Heiligen Dreieinigkeit, leugnete.
(Q74 Der Spiegel 23/1998 S.90)

[8] Woher stammt die Information über eine Verbrennung von seinen Büchern?

[9] Die Vorstellung, dass die himmlischen Körper sich auf perfekten idealen Kreisbahnen bewe­gen mussten, stammt nicht aus der Bibel und bezieht sich nicht auf den jüdisch-christlichen Gott, sondern hier handelt es sich um eine Vorstellung (Vorgabe) aus der antiken griechischen Philosophie und dort gehegten Welt- und Götterbildern. Die Götterwelt der Griechen war eine andere als die des Judentums. Die Griechen glaubten an das Wirken einer ganzen „Götterfamilie“, während das Judentum als streng monotheistische Religion nur an einen Gott glaubte.

[10] Die Gedanken des Kopernikus wurden nicht von Anfang an als der Lehrmeinung der katholi­schen Kirche widerspre­chend erfahren (erst 1616  – im Zuge der Auseinandersetzung mit Galilei - wurde das Buch des Koperni­kus auf den Index gesetzt).

[11] Verwiesen sei hier auch auf den „feinen“ Unterschied im Text der beiden vorstehend zitierten Bücher, dass die Beob­achtungen des Galilei, „nicht bewiesen“ / „für die katholische Kirche nicht bewiesen“, dass die Erde die Sonne umläuft. Die erste Aussage trifft wohl eher zu, weil Kopernikus eben auch viele Astronomen und Philosophen seiner Zeit nicht von der Richtigkeit seiner Ideen überzeugen konnte.

[12] Auch das neue Weltbild des Kopernikus ging also zum Teil von falschen Vorstellungen aus. Er nahm nicht nur an, dass die Erde, der Mond und die Planeten die Sonne auf idealen Kreisbahnen umrundeten, sondern er ging auch weiter von der Existenz von „Sphä­ren“ aus, Kugelschalen, auf denen die Planeten befestigt waren und die sich mit ihnen gemeinsam bewegten:

„Es sind weder bei Aristoteles noch bei Kopernikus oder bei Kepler die Planeten oder andere Himmelskörper, die sich bewegen; es sind vielmehr die Sphären, die sich drehen und die zu ihnen gehörenden Objekte mit sich führen.“
(Q14 Fischer, E.P.: Die andere Bildung – was man von den Naturwissenschaften wissen sollte, Ullstein, 2003, S.110)

Und vor allem lieferten die Berechnungen der Planetenbahnen durch Kopernikus keine genaueren Ergebnisse als die nach dem Modell des Ptolemäus.

[13] Die Vorstellung von perfekten Kreisen, auf denen sich die Himmelskörper bewegten, stammte also nicht aus der Bibel, sondern aus der Kosmologie griechischer Philosophen.

[14] Kopernikus war im „Hauptberuf“ Domherr, arbeitete also nicht gegen die Kirche, sondern stellte seine Überlegun­gen als christlicher Naturforscher an.

[15] Kopernikus´ Überlegungen waren vor allem für seine Gelehrten-Kollegen nicht überzeugend. Beweise, die sich aus seiner Theorie grundsätzlich ableiten ließen, waren – wegen der damals nicht möglichen Genauigkeit der Mes­sungen – nicht zu erbringen.

[16] Es ist interessant (und angemessen), dass, um frühere Natur- und Weltvorstellungen recht deuten zu können, die interdisziplinäre Zusammenarbeit unter anderem von Astronomen und Religionswissen­schaftlern für unverzichtbar gehalten wird.

[17] Die Vorstellung, dass sich Planeten und andere Himmelskörper – gottgewollt - auf perfekten Kreisen bewegen müs­sen, stammt also von Ptolemäus (bzw. Platon: siehe in diesem Kapitel weiter unten bei Quelle P23, dort zu S.12) und nicht aus der Bibel.

[18] Das geozentrische Weltbild war so überzeugend (nicht nur für die Kirche, sondern auch für (Natur-)Philoso­phen), weil der Umlauf von Sonne, Mond und Sternen um die Erde dem Augenschein im Alltag entsprach, von der Autorität des Aristoteles „physika­lisch abgesegnet“ war und mit den philosophischen Denkmodellen seiner Zeit übereinstimmte.

[19] Dem kopernikanischen Modell fehlte schlicht die Überzeugungskraft (es ermöglichte keine genaueren Berechnun­gen der Planetenbahnen; exakte Beweise für die Bewegung der Erde um die Sonne waren damals mess­technisch noch nicht nicht zu erbringen) – s. auch weiter unten Quelle P24 zu S.99f..
Der direkte Nachweis für den Umlauf der Erde um die Sonne gelang erst 1838, als FRIEDRICH WILHELM BESSEL die erste Fixsternparallaxe maß  - s. weiter unten Quelle P22 zu S.53.

[20] Ein Konflikt zwischen dem neuen Weltmodell und der Kirche zeigte sich nicht sofort. Wenn Kopernikus (und spä­ter Galilei) bereit gewesen wären, das helio­zentrische Modell nur als theoretisch-mathematische Hypothese zu vertreten – hätte die katholische Kirche das wohl akzeptiert. Der theologische Widerstand gegen die Ideen des Ko­pernikus kam zunächst weniger von der katholischen Kirche als von protestantischer Seite. Martin Luther war Zeit­genosse von Kopernikus, und er wehrte sich sofort und vehement gegen die Ideen dieses „Narren“ – und er tat es mit biblischen Argumenten, die er wörtlich auslegte! Der Protestantismus mit seiner Tendenz zur buchstaben­ge­treuen Auslegung der Bibel zeigte sich also in dieser Frage viel empfindlicher. Dass Luther ein Anhänger des Pto­lemäus war, zeigte sich zum Beispiel daran, dass das erste Bild in seiner gedruckten Bibel von 1534 dessen Weltbild darstellt
(Q32 Martin Luther: Biblia das ist die gantze Heilige Schrifft Deudsch (aus dem Jahre 1534), Band 1, Facsimile-Druck bei Reclam Leipzig 1983):

[21] Kürzlich wurde mitgeteilt, dass im Jahre 2009 eine Skulptur Galileis in den Vatikanischen Gär­ten aufgestellt wer­den soll! (Q33 die tageszeitung Berlin, 10.3.08 S.2)

[22] Wie hier noch einmal bestätigt wird, war der Hauptgrund für das Zögern des Kopernikus, sein Werk zu veröffentli­chen, weniger die Angst vor der Reaktion der Kirche als die auch aus seiner Sicht nicht befriedigende wissenschaftliche Überzeugungskraft.