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Im Folgenden ist der Text eines Interviews wiedergegeben, das am 28.10.2011 in der Kirchenzeitung der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens „Der Sonntag“ abgedruckt wurde.

 

Den Text des von Prof. Szibor verfassten „Memorandums zur Verantwortung der Kirchen hinsichtlich des Themenkreises Grüne Gentechnik“ finden Sie hier als PDF-Datei: KLICK

 

Wenn Sie sich mit Herrn Prof. Szibor direkt in Verbindung setzen möchten – hier die Daten:
Prof. Dr. Reinhard Szibor, Stählfeldstr. 14, 39175 Biederitz, Tel.
039292-2522, E-Mail: reinhard.szibor@med.ovgu.de

 

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Grüne Gentechnik:

Brauchen wir gentechnisch veränderte Pflanzen?

Im Gespräch mit Professor Reinhard Szibor

 

Gentechnik und Kirche:

"Angstdebatte mit vielfach widerlegten Behauptungen"

 

"Gendreck weg", lautet ein in Deutschland vielfach zu hörender Spruch. Der Magdeburger Naturwissenschaftler Reinhard Szibor hält dagegen. Für ihn ist die Ablehnung der Grünen Gentechnik ein unverantwortlicher Fehler. Harald Krille sprach mit dem bekennenden Protestanten.

 

Herr Professor Szibor, die überwiegende Mehrheit der Deutschen hat Angst vor der Grünen Gentechnik. Sie nicht?

 

Szibor: Ich habe keine Angst, sondern die Sorge, dass man sie nicht nutzt. Man muss festhalten, dass es ein unglaubliches Unwissen über Züchtung überhaupt und die Grünen Gentechnik im Besondern gibt. Viele wissen gar nicht, dass die große Mehrheit der Pflanzen, die wir essen, Ergebnisse ungerichteter Mutationen sind. Veränderungen in der konventionellen Züchtung werden oft dadurch erzeugt, dass man Pflanzen mit radioaktiven Strahlen und mit chemischen Mutagenen behandelt und eine Fülle von unkontrollierten Veränderungen erhält. Diese sind meist nachteilig, die wenigen erwünschten sucht man dann heraus. Eine Prüfung oder institutionelle Überwachung gab es dabei überhaupt nicht. Manches davon war gesundheitsschädlich und musste wieder vom Markt genommen werden.

 

Und das ist bei der Gentechnik anders?

 

Szibor: Bei der gentechnischen Veränderung einer Pflanze gibt es einen gezielten Eingriff an nur einer Stelle und dort wird eine gut analysierte Gensequenz eingebaut. Das wirkliche Alleinstellungsmerkmal der Grünen Gentechnik ist, dass alles dort Produzierte einer Sicherheitskontrolle unterworfen ist: Es wird genau geprüft, ob es Gefahren für die Umwelt oder die Gesundheit von Mensch und Tier gibt. Erst dann kommen solche Pflanzen auf den Markt.

 

Auch die Atomphysiker und Kraftwerksingenieure haben uns versprochen, dass Kernenergie eine saubere und beherrschbare Sache sei. Heute weiß man, dass die Risiken und Nebenwirkungen kaum beherrschbar sind.

 

Szibor: Ich bin kein Verfechter der Kernenergie. Aber: Wenn Sie mal die Toten und gesundheitlich Geschädigten durch Unfälle und Katastrophen in Atomanlagen zusammenzählen, dann sind das wenige Prozent von der Anzahl der Opfer, die früher im gleichen Zeitraum durch die Nutzung der Kohle zu beklagen waren. So schlimm Tschernobyl und Fukushima auch sind, man muss die Realitäten und die Relationen sehen. Um die enormen Probleme unserer Welt zu lösen, brauchen wir auch neue Technologien!

 

Ist das Misstrauen gegenüber neuen Technologien nicht verständlich wenn man bedenkt, wie oft die Heilsversprechen nicht eingehalten wurden?

 

Szibor: Das Problem ist, dass sich alles, was schief gegangen ist, fester in unser Gedächtnis einprägt als die Vieltausend guten Ergebnisse. Man hört zum Beispiel immer die Klagen über die Antibiotika-Therapien, dass es dadurch Resistenzen gibt und so weiter. Aber man vergisst, wie viele Millionen und Abermillionen Menschen durch diese Therapien gerettet wurden.

 

Wir müssen also mit Risiken leben?

 

Szibor: Es gibt kein Nullrisiko. Wir müssen immer die Vorteile einer Technologie realistisch abwägen gegen ihre zweifellos bestehenden Risiken und gegen die Risiken, die sich aus dem Verzicht darauf ergeben. Bei der Grünen Gentechnik sind die Risiken durch zugelassene Pflanzen nahe Null, die Chancen groß und ein Verzicht verschärft die bestehenden Probleme.

 

Und warum sollen wir uns den Chancen und Risiken der Grünen Gentechnik aussetzen?

 

Szibor: Weil alle sechs Sekunden auf der Welt ein Mensch an Hunger stirbt. Und weil die konventionelle Züchtung ausgereizt ist und kaum noch einen Zuwachs an Erträgen und an Ertragssicherheit bringt. Wir brauchen jetzt im Blick auf den Klimawandel dringend Pflanzen, die gegen Trockenheit resistent sind. Frau Käßmann hat es auf dem Dresdener Kirchentag auf den Punkt gebracht. Sie fragte, was wohl wäre, wenn jährlich 2,2 Millionen Kinder in Westeuropa an Mangel- und Unterernährung stürben? Dann wären wir alle sehr aufgeregt und würden nichts unversucht lassen, die Situation zu ändern.

 

Die Gentechnik also als Wunderwaffe gegen den Hunger in der Welt?

 

Szibor: Gentechnik allein kann die vielschichtigen Probleme nicht lösen. Aber gentechnisch veränderte Pflanzen sind wichtig im Ensemble der Möglichkeiten. In vielen Ländern müssen daneben politische Verhältnisse verändert, muss in Bildung investiert und eine moderne Form der Landwirtschaft entwickelt werden.

 

"Brot für die Welt" und andere Organisationen fordern vehement den Erhalt kleinbäuerlicher Strukturen mit konventioneller Landwirtschaft in den Entwicklungsländern ...

 

Szibor: Gegen kleinbäuerliche Strukturen ist nichts einzuwenden. Sie sind aber nur gut, wenn die Bauern auch ertragsfähige Sorten, moderne Pflanzen- und Bodenschutzmöglichkeiten und Wissen vermittelt bekommen. Sonst erwirtschaften sie nur einen Bruchteil des Ertrages, der möglich wäre! Aber davon abgesehen: Derzeit steigt der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen gerade bei Kleinbauern in Entwicklungsländern jährlich um etwa sechs Prozent. Die machen das doch nicht aus Jux und Tollerei oder nur um Firmen wie "Monsanto" und "BASF" einen Gefallen zu tun. Auch diese Bauern können rechnen. Höheren Kosten für das Saatgut stehen höhere Erträge gegenüber. Gerade die Kleinbauern profitieren überdimensional von dieser Technologie. Zu den höheren Erträgen kommen weitere Effekte: So fällt etwa durch Schädlingsresistenzen der Einsatz von Giften weg, der neben Kosten vor allem viele Umwelt- und Gesundheitsprobleme mit sich bringt.

 

Aber letztlich verdienen vor allem die Großkonzerne, die die Grüne Gentechnik auf den Markt bringen ...

 

Und genau das ist mein Vorwurf an diverse Umweltorganisationen und auch die Kirchen. Sie behindern die gentechnische Forschung in öffentlicher Hand! Wissenschaftler werden geradezu aus Deutschland vertrieben. Die gehen zu "Monsanto" und ähnlichen Firmen nach Amerika. Dort reibt man sich die Hände, hat das gesamte Wissen und kann diktieren, wie hoch die Lizenzgebühren sind. Wir müssen die Forschung und die Produktion von gentechnisch veränderten Pflanzen in die öffentliche Hand legen! Dann könnten die Politiker auch sagen, wir geben den Bauern in Afrika dieses Saatgut unter besonders günstigen Bedingungen.

 

Aber besteht nicht die Gefahr, dass sich gentechnisch veränderte Pflanzen unkontrolliert mit anderen Pflanzen kreuzen - mit unvorhersehbaren Folgen?

 

Szibor: Das Auskreuzungsproblem ist ein reales, aber es wird total überzogen dargestellt, zumal es bisher kein belegtes Beispiel dafür gibt. Aber: Aus Gründen der biologischen Schädlingsbekämpfung wurde beispielsweise der asiatische Marienkäfer bei uns eingeführt - der ist nicht rückholbar und frisst nicht nur Blattläuse, sondern gefährdet unsere heimischen Marienkäfer und andere Nutzinsekten. Die größte Umweltkatastrophe der letzen 20 Jahre, die uns ausgerechnet der biologische Landbau beschert hat! Darüber redet niemand, aber die hypothetische Frage, ob möglicherweise gentechnisch veränderte Pflanzen auswildern, wird zu einem riesigen Problem hochstilisiert. Aber auch dieses Problem steht im Focus der Sicherheitsprüfung.

 

Sie schrieben kürzlich, ausgerechnet die Kirche der Reformation drohe "aus Sicht vieler Biowissenschaftler in einen wissenschaftlichkeitsfeindlichen Zustand zu verfallen, wie wir ihn aus Zeiten kennen, als man Darwin noch einen Ketzer nannte". Was wünschen Sie sich von Ihrer Kirche?

 

Ich bin davon überzeugt, dass zur Lösung der größten Probleme der Zukunft - Ernährung und Energie - der Einsatz von Biotechnologien unumgänglich ist. Deshalb brauchen wir eine sachliche Diskussion mit wissenschaftlichen und ethischen Argumenten. Kirchenleute sollten sich von Wissenschaftlern mit nachgewiesener Kompetenz beraten lassen. Derzeit führen wir auch in den Kirchen weithin eine Angstdebatte mit vielfach widerlegten Behauptungen. Ich habe deshalb ein Memorandum zur Verantwortung der Kirchen verfasst, dass zu einer sachlichen Diskussion auffordert. Es ist im Internet abrufbar (www.gruenevernunft.de - Rubrik Publikationen)