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Klone - Traum oder Albtraum?
Wir wollen keine Menschen kopieren: Die Wissenschaft findet andere Lösungen
Von Peter Gruss (Präsident der Max-Planck-Gesellschaft)
(Frankfurter Allgemeine Zeitung, Mittwoch, 14. Mai 2003, Nr. 111, Seite N1)

Am heutigen Mittwoch beginnt in Berlin eine von der Bundesregierung veranstaltete internationale Konferenz zum Klonen von Mensch und Tier. Die Regierung verspricht sich von den Fachleuten Aufklärung über die wissenschaftlichen Möglichkeiten, aber auch über die Grenzen und Risiken. Politisch werden von ihr bald Entscheidungen gefordert. In diesem Beitrag bezieht der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, Peter Gruss, zum ersten Mal zum Klonen von Menschen - auch zum therapeutischen Klonen - Stellung. Gruss ist ausgewiesener Fachmann. Er gilt als einer der weltweit profiliertesten Entwicklungsbiologen. F.A.Z
"Ein Ei - ein Embryo - ein erwachsener Mensch: das Natürliche. Ein bokanowskysiertes Ei dagegen knospt und sprosst und teilt sich. Acht bis sechsundneunzig Knospen - und jede Knospe entwickelt sich zu einem voll ausgebildeten Embryo, jeder Embryo zu einem voll entwickelten Menschen. Sechsundneunzig Menschenleben entstehen zu lassen, wo früher nur eines entstand: Fortschritt", so steht es in Aldous Huxleys "Schöne neue Welt" geschrieben. Huxley lässt mit Hilfe eines fiktiven Verfahrens, heute würde man sagen: des Klonens, eine scheinbar paradiesische Gesellschaft entstehen, ohne Krankheiten, Kriege, Arbeitslosigkeit und Armut. Traum oder Albtraum?
Was für Huxley noch Fiktion war, könnte durch die neuen Techniken der Reproduktionsbiologie heute zum Faktum werden. Warum wehrt sich weltweit die überwältigende Mehrheit der Menschen, warum wehren sich in inniger Verbundenheit Wissenschaftler der unterschiedlichsten Disziplinen - Naturforscher genauso wie Philosophen, Theologen und Juristen? Eine Vielzahl überzeugender Gründe sprechen gegen die Produktion (oder die prätendierte Herstellung) menschlicher Klone.
Zuerst die naturwissenschaftlichen Gründe: Klone, also genetisch identische Exemplare einer Spezies, sind nicht durch den Fortschritt der modernen Wissenschaft begründet, sondern durch eine in der Natur gängige ungeschlechtliche . Vermehrungsform, die beispielsweise bei Bakterien, Hefen, Algen, Würmern und Hohltieren vorkommt. Selbst bei uns Menschen sind Klone keine Seltenheit, denn weltweit werden im Durchschnitt jährlich etwa 0,3 Prozent eineiige Zwillinge geboren.
Der Mensch hat Klonierungstechniken seit Jahrhunderten zur Pflanzenvermehrung verwendet. In der Tierzucht werden durch Nachahmung der Zwillingsbildung mit Hilfe mikrochirurgischer Eingriffe, des Embryosplitting, genidentische Mehrlinge von wertvollen Nutztieren hergestellt. Der entscheidende Unterschied zur Klonierungstechnik à la Dolly, dem berühmten Klonschaf, liegt darin, dass die Erbmasse des Klons mit dem eines einzigen Elternteils identisch ist. Während bei der geschlechtlichen Vermehrung durch die Verschmelzung der mütterlichen Ei- und der väterlichen Samenzelle ein genetisch einmaliges Individuum entsteht, gleicht das Erbgut von Dolly "aufs Haar" dem Erbgut ausschließlich eines Elternteils.
Dolly war deshalb so bemerkenswert, weil sie letztlich aus einer Zelle des erwachsenen Schafes (einer Euterzelle) abstammt - was viele bis dato für unmöglich, hielten. Warum war die Fachwelt überrascht, stammen wir doch alle von nur einer einzigen Zelle ab? Während der Entwicklung und Differenzierung der Vielzahl von Zellen, die unseren Körper bilden, wird ihr Leistungspotential nach und nach eingeschränkt. Obgleich die Zellen etwa des Gehirns oder der Leber das gleiche Erbgut wie die ursprünglich befruchtete Eizelle besitzen, realisieren sie ein hochspezifisches, für jeden Zelltyp eigenes genetisches Programm. Das jeweilige Programm vermittelt den entsprechenden Zellen ihren besonderen Charakter und ermöglicht die Vielfalt unterschiedlicher Funktionen in unserem Körper. Die Annahme in der Prä-Dolly-Ära war, dass die während der Differenzierung ablaufenden Programmierungsschritte unumkehrbar seien. Dolly war der lebende Beweis, der diese Annahme widerlegt. Der Kern einer Euterzelle wurde durch die Zellflüssigkeit einer Eizelle so reprogrammiert, dass ein vollständiger Organismus entstehen konnte. Die Körperzelle konnte in den Zustand der größten Potentialität, der Totipotenz, zurückgeführt werden. Vergleichbare Methoden wurden eingesetzt, um Mäuse, Kaninchen, Ziegen, Schweine und Kühe zu klonen. Wissenschaftlich von größtem Interesse ist dabei der Befund, dass die Zellflüssigkeit der Eizelle alle molekularen Substanzen besitzen muss, die für diese Reprogrammierung nötig sind. Dass diese Reprogrammierung jedoch nur in Ausnahmefällen vollständig und ausreichend gelingt, zeigt die geringe Erfolgsrate bei diesen Klonierungsversuchen. Das Spektrum der Schäden reicht vom "Large Offspring Syndrom", einer Übergröße bei Embryonen oder Föten, bis zu Lungenentzündung, Kreislaufkollaps, Fettsucht, Arthritis, Krebs und Lebernekrose bei den geborenen Tieren. Auch die Veröffentlichungen des amerikanischen Unternehmens Advanced Cell Technologies belegen, dass alle mit Hilfe der Dolly-Methode hergestellten menschlichen Embryonen noch in der Präimplantationsphase, also in einem Stadium, in dem nur wenige Zellen sich neu gebildet hatten, abstarben. Gerald Schatten und sein Team von der Universität Pittsburgh konnten unlängst mit ihren Klonexperimenten an Primaten molekulare Besonderheiten dieser hochentwickelten Säuger aufzeigen, welche höchstwahrscheinlich auch auf menschliche Eizellen zutreffen. Danach führt der Zellkernaustausch von Ei- und Körperzelle beim Klonen zum Verlust von Zellkomponenten der Eizelle. Als Folge tritt eine Ungleichverteilung der Chromosomen bei den anschließenden Zellteilungen auf, welche zum Absterben der Zellen führt. Diese biologischen Besonderheiten schließen das erfolgreiche Klonen von Primaten und Menschen nach der Dolly-Methode aus. Somit ist schon aus wissenschaftlicher Sicht der Versuch der Anwendung am Menschen nicht vertretbar. Im übrigen gelten die gleichen Argumente für das "therapeutische Klonen", das heißt auch für die Anwendung der Klonierungstechnik zur Erzeugung von menschlichen Geweben und Organen zu medizinischen Zwecken. Bevor die delikaten Steuerprozesse nicht bekannt sind, die den Körperzellkern umprogrammieren, können schädliche Effekte, die durch eine fehlerhafte genetische Kontrolle ausgelöst werden, auch beim "therapeutischen Klonen" nicht ausgeschlossen werden.
Bereits aus rein naturwissenschaftlichen Fakten also ergeben sich unmittelbar ethische Ablehnungsgründe, da das Klonen sowohl für die Mutter als auch für das Kind (Klon) unzumutbare gesundheitliche Schäden und Gefahren birgt. Natürlich gibt es auch bei geschlechtlicher Vermehrung kein
Recht oder keine Sicherheit auf ein gesundes Kind, aber das verbleibende Risiko ist naturgebunden und nicht menschlich verursacht.
Damit nähern wir uns dem eigentlichen ethischen Ablehnungsgrund. Jeder Mensch ist in seiner genetischen Anlage zufällig entstanden. Das trifft auch für eineiige Zwillinge zu. Niemand hat bisher einen Menschen in seiner genetischen Anlage vorbestimmt. Daraus erwächst unser menschliches Selbstverständnis von Einzigartigkeit und Selbstbestimmung. Durch das Klonen würde eine beispiellose Kontrolle über die genetische Disposition eines anderen Individuums ausgeübt. Diese Kontrolle unterscheidet sich maßgeblich von der Kontrolle, die Eltern ausüben, wenn sie geschlechtlich ein Kind zeugen, denn die genetische Zusammensetzung des Erbgutes des Kindes ist nicht vorhersehbar.
Durch das Klonen werden letztlich zwei Individuen instrumentalisiert: der Klon, der fremdbestimmt ein definiertes Erbgut erhält, sowie der auserwählte Erbgut-Spender. Es braucht nicht viel Vorstellungskraft, um unterschiedliche Interessenslagen bei dieser Auswahl aufzuzeigen: sei es der Ersatz eines verstorbenen Kindes, Kinderlosigkeit, die Vermehrung besonderer Typen im Sinne der "Schönen neuen Welt".
Neben der Auswahl des gewollten genetischen Profils des Kindes werden aufgrund des "Wiederholungseffektes" dieses menschlichen Lebens nicht vorhersehbare Verhaltensvorgaben der Eltern zum Ausdruck kommen. Während natürliche Eltern verständliche Erwartungen bezüglich der Vererbung
eigener Talente und Neigungen an ihre Kinder richten, sind bei Klon-Eltern klare Vorgaben aufgrund des bereits gelebten Vorbildes zu erwarten. Die psychologische Belastung für das Klonkind, in jedem Moment von der eigenen Mutter mit ihr selbst als Kind verglichen zu werden, ist nicht zu ermessen. Wie mag ein Mensch darauf reagieren, eigentlich nur eine Kopie von Mutter oder Vater oder dem verstorbenen Geschwisterkind zu sein? Wird ihm nicht die Einzigartigkeit abgesprochen, etwas ganz Besonderes zu sein und selbstbestimmt sein Leben zu bestreiten7 Welcher Mensch kann sich anmaßen, eine solche psychologische Last und Vorabbestimmung seinem Kind zuzumuten?
Nebenbei bemerkt: Viele Klonkinder würden die Erwartungen ihrer Erzeuger von wunschgemäßem Verhalten, Talent und Neigung schlichtweg enttäuschen. Denn die Ausprägung der individuellen Persönlichkeit ist eben nicht nur genetisch bedingt, sondern entsteht als Produkt von genetischen Grundlagen und einer lebenslangen Wechselwirkung mit der Umwelt. Wer eineiige Zwillinge kennt, weiß, dass trotz des identischen Erbguts jeder Zwilling eine eigene Persönlichkeit entwickelt. Man spricht von einer epigenetischen Kontrolle, das heißt Kontrollmechanismen von zum Teil unbekannter Art, die die Genausprägung beeinflussen. Tatsächlich wurde vor kurzem auch bei klonierten Schweinen nachgewiesen, dass trotz der Identität des Genoms Merkmale wie der Blutzuckerspiegel, das Gewicht, aber auch das Verhalten einzelner Klon-Schweine im Wurf sich deutlich unterschieden. Auch bei einer Herde von klonierten Rindern zeigte es sich, dass sich Hierarchien entwickeln. Vergleichbares gilt auch für den Menschen: Er ist glücklicherweise mehr als die Summe seiner Gene.
Als Ausdruck dieser ethischen Grundüberzeugungen verbietet das Embryonenschutzgesetz das Klonen ausnahmslos und stellt jedes künstliche Erzeugen eines menschlichen Embryos unter Strafe. Paragraph 6 untersagt ausdrücklich die Herstellung eines "menschlichen Embryos mit der gleichen Erbinformation wie ein anderer Embryo, ein Fötus, ein Mensch oder ein Verstorbener". Die Weltgesundheitsorganisation hat 1997 eine Resolution verabschiedet, die das Klonen zur Replikation menschlicher Individuen als ethisch nicht akzeptabel erklärt. Es stehe im Widerspruch zur menschlichen Integrität und Moralität. Auch die Unesco fordert ein Verbot. Im Klon-Zusatzprotokoll zum Menschenrechtsübereinkommen zur Biomedizin des Europarats wird das Klonen von menschlichen Lebewesen verboten. Doch während Klonen in den Gesellschaften mit abendländisch-christlicher Tradition auf strikte Ablehnung stößt, sind etwa in den buddhistisch geprägten Gesellschaften keine erkennbaren Kontroversen auszumachen. Ein weltweiter Konsens über den Umgang mit dem Klonen erfordert daher eine kulturübergreifende Diskussion. Gemeinsam mit Frankreich wurde durch die Bundesregierung Ende 2002 ein Versuch bei den Vereinten Nationen unternommen, das "Kopieren" von Menschen weltweit zu ächten. Dieser Versuch scheiterte, weil damit auch das "therapeutische Klonen" ausgeschlossen worden wäre. Dieses ist in einer Reihe von Staaten wie in Großbritannien zugelassen. Trotzdem strebt eine breite Mehrheit im Bundestag ein "weltweites Verbot jeglichen Klonens mit menschlichen Embryonen" an. Die Gruppe des deutschen Forschers Hans Schöler hat jetzt in den Vereinigten Staaten Ergebnisse erzielt, die möglicherweise Bewegung in die Diskussion um das therapeutische Klonen bringen. Schöler und seine Mitarbeiterin Karin Hübner konnten zeigen, dass embryonale Stammzellen der Maus sich in unbefruchteten Eizellen entwickeln können. Damit wird das Spektrum der Differenzierungsmöglichkeiten von embryonalen Stammzellen maßgeblich um Zellen der Keimbahn erweitert. Ob diese Eizellen tatsächlich alle Eigenschaften natürlich entstandener Eizellen besitzen, müssen zukünftige Experimente belegen. Diese neuen Erkenntnisse eröffnen jedenfalls alternative Wege, um das Differenzierungspotential von Zellen zu erweitern.
Weitere Forschungsanstrengung ist gefordert, um individualisierte Stammzellen zur Gewebstherapie erzeugen zu können. Ein grundsätzliches Verständnis der molekularen Differenzierungsprozesse in der frühen Entwicklung wird uns neue therapeutische Interventionsmöglichkeiten eröffnen, ohne beim Menschen die Klontechnik à la Dolly einsetzen zu müssen.
Einmütig stehen die Wissenschaftler mit der überwältigenden Mehrheit in der Ächtung des Menschenklonens zusammen. Keine vernünftigen Argumente sprechen für die Anwendung der Forschungsergebnisse, die an Tieren gewonnen wurden, auf den Menschen. Im Gegenteil: Alle Daten sprechen für eine Ablehnung. Obgleich aus populationsgenetischer Sicht ein Klon gewertet werden müsste wie ein eineiiger Zwilling und bei Einzelfällen keinen messbaren Einfluss auf den "Genpool" der Menschheit haben wird und damit auch keine Rede sein kann von der "schönen neuen Welt", so besteht doch Einigkeit, dass beim Kopieren von Menschen eine fundamentale ethische Grenze erreicht wird, die unter keinen Umständen überschritten werden darf. Gesetzliche Regelungen in Deutschland und vielen anderen Ländern schließen dies heute schon aus. Gewollt ist also nicht Uniformität, sondern die Einzigartigkeit der Individuen, und zwar so, wie es der Wilde in Huxleys Werk fordert: "Ich brauche keine Bequemlichkeiten. Ich will Gott, ich will Poesie, ich will wirkliche Gefahren und Freiheit und Tugend. Ich will Sünde . . .. All diese Rechte fordere ich!"