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Mythen und Legenden (Teil 3):
Anbau von gentechnisch veränderter Baumwolle in Indien und Selbstmorde
indischer Bauern
(Originalquelle:
http://gute-gene-schlechte-gene.de/mythen-und-legenden-teil-3/#more-486
11. August 2011 von Stefan Rauschen;
dort Original-LINKS)
…
Da aktuell der (Des)Informationsdienst Gentechnik über landesweite
Proteste in Indien berichtet, nehme ich mich heute des Themas “Bt-Baumwolle
in Indien” an: funktioniert Bt-Baumwolle in Indien, oder doch nicht? Bringen
sich tatsächlich so viele Landwirte wegen Bt-Baumwolle um, wie von Dr. Vandana
Shiva häufig behauptet (hier ganz aktuell,
oder hier, vor
einigen Jahren in Deutschland, auf der Webseite
von Arte)?
Was ist dran an diesen Behauptungen?
Baumwolle ist ein wichtiges landwirtschaftliches Produkt.
Die daraus hergestellten Textilien kleiden uns (oder sie verunstalten, je nach
Geschmack), und es lässt sich jede Menge Geld mit ihnen verdienen (zumindest
sind die Preise für manche Waren horrend). Produziert und gehandelt wird sie
weltweit in großen Mengen. Zahlen dazu liefert zum Beispiel die Statistikstelle
der Food and Agriculture Organisation der UN:
(Quelle: http://faostat.fao.org/site/342/default.aspx)
Die aktuellen Zahlen reichen zwar nur bis 2008, aber immerhin. Es ist
erkennbar, dass Indien auf Platz 3 der größten Baumwollproduzenten steht, hinter
Brasilien und den USA. Und das gilt sowohl in Bezug auf die reine Menge in
Tonnen, als auch für den Weltmarktwert in USD.
Weltweit liegt dabei der Flächenanteil von gentechnisch veränderten (GV)
Baumwollsorten bei über 60%.
In den USA, Brasilien und Indien liegt dabei der Anteil teilweise bei über 90%.
Die GV Baumwolle scheint dabei so gut anzukommen, dass sie sogar schonmal unter Bio-Baumwolle untergeschummelt wird (die Nachfrage
nach Bio-Baumwolle ist vielleicht auch so groß, dass sie durch Bio-Bauern
allein nicht gedeckt werden kann, so dass Betrügereien natürlich verführerisch
sind). Die GV-Baumwolle ist dabei resistent gegenüber Schädlingen, in dem sie
Proteine aus Bacillus
thuringiensis exprimiert.
Sie wird daher auch Bt-Baumwolle genannt.
Jetzt gibt es aber noch die andere Version der Geschichte: alle 30 Minuten soll sich
angeblich ein Landwirt wegen Bt-Baumwolle umbringen, schreibt GMWatch, eine
Gentechnik ablehnende Webseite aus England. Ein Albtraum spiele sich in Indien wegen dieser
Baumwolle ab, schreibt das Institute of Science in Society, eine non-profit
NGO. Die Erträge seien niedrig, fielen teilweise sogar ganz aus, es müsse mehr
gespritzt, bewässert und gedüngt werden, das Saatgut sei teurer. Das alles
treibe Bauern in die Verschuldung und zwinge sie zum Selbstmord als letzten
Ausweg.
Dabei gibt es wiederum Studien, die zeigen, dass Bauern materiell vom
Anbau der GV-Baumwolle profitieren konnten – wenn auch nicht alle gleich
viel und auf die gleiche Weise (was bei einem so großen und heterogenen Land
wie Indien nicht überraschen kann).
Dass sich Landwirte wegen der GV-Baumwolle umbringen wird
auch bezweifelt, eine neue Studie zeigt klar, dass sie zumindest nicht der alleinige oder ein
hinreichender Grund für die Selbstmorde war oder ist. Vielmehr geht es um
kontextuelle Probleme bei der Einführung der GV-Baumwolle, die in einigen
Teilen von Indien bereits existierende Trends verstärkt haben könnten. Zudem
scheint der verringerte Einsatz von gefährlichen Insektiziden in der
GV-Baumwolle dazu zu führen, dass weniger
Kleinbauern an Vergiftungen sterben: die Kollegen Shazad Kouser und Matin
Qaim können zeigen (nachdem sie jahrelang Kleinbauern befragt und anschließend
ihre Daten analysiert haben), dass mehrere Millionen von Vergiftungsfällen bei
Kleinbauern ausbleiben, weil diese in der GV-Baumwolle weniger spritzen müssen.
Summa summarum wird konstatiert, dass also eher weniger Kleinbauern sterben
bzw. sich umbringen, seit dem die Bt-Baumwolle in Indien angebaut wird.
Da der Anbau von Bt-Pflanzen auch regional dazu führt, dass die
Populationsdichten der kontrollierten Schädlinge heruntergehen (Baumwolle,
Mais), kann dies auch zu einem
Benefit für solche Landwirte führen, die selbst keine Bt-Pflanzen anbauen. Und das gilt sogar für andere Pflanzen, in denen
die Schädlinge sekundär vorkommen.
Ich habe mit Zahlen der FAO einfach mal geschaut, wie sich der Anbau und die
Produktion von Baumwolle in Indien über die letzten Jahre entwickelt hat:
(Quelle: http://faostat.fao.org/site/567/DesktopDefault.aspx?PageID=567#ancor,
eigene Darstellung)
Während die Gesamtanbaufläche (blau) über den Zeitraum nur leicht zunahm, hat
die produzierte Menge (rot) deutlich zugelegt. Einfach, weil der Ertrag pro
Flächeneinheit (grün) sich von 560 bis 675 kg auf 1,18 bis 1,40 Tonnen in den
letzten Jahren erhöht hat (also grob verdoppelt). Das bedeutet letztlich, dass
Indien von einem Netto-Importeur von Baumwolle zum wie eingangs erwähnten
Netto-Exporteur mit 3. Platzierung auf der Welt aufgestiegen ist:
(Quelle: http://faostat.fao.org/site/535/DesktopDefault.aspx?PageID=535#ancor,
eigene Darstellung)
Statt eines Handelsdefizits von rund $277 Millionen im Jahr 1999 wurde so im
Jahr 2007 ein Überschuss von $1,9 Milliarden erwirtschaftet, der im Jahr 2008
auf Grund geringerer Exporte und höherer Importe auf $257 Millionen sank.
In diesem Zeitraum stieg der Anteil von GV-Baumwolle von Null auf rund oder
über 90%.
Von einem Versagen der Bt-Baumwolle kann da nicht wirklich die Rede sein. Es
ist wohl nicht so, dass die Ertragssteigerungen allein auf die Eigenschaft der
GV-Baumwolle zurückgehen. Sicherlich spielen andere Faktoren da auch eine Rolle
(Genetik der Sorten, besseres Management im Anbau, Ausbau von Bewässerung).
Aber das entkräftet nicht das Argument.
Es ist sogar der entscheidende Punkt: es kommt doch immer darauf an, wie man
eine Technik/Technologie/Anbaumaßnahme einführt und einsetzt. Man kann mit
einem Porsche, weil es technisch möglich ist, die ganze Zeit 200 Sachen fahren.
Aber nur, weil er es kann, muss man das noch lange nicht tun.
Grüne Gentechnik muss daher nicht zwangsläufig in Patentisierung, “Ausbeutung
und Versklavung” enden, oder im “agricultural
deskilling” (also dem Verlust von Wissen bei Landwirten auf Grund der
Vereinfachungen, die neue Technologien mit sich bringen). Man kann, wenn man
denn will, die Initiative auch in die Hand nehmen und Chancen gestalten. Aber
das ist natürlich immer komplizierter und anspruchsvoller, als einfach von
Anfang an “Nein!” zu sagen.
Es gibt eine ganze Reihe von öffentlichen Projekten im Bereich der grünen
Gentechnik, die für Kleinbauern in Entwicklungsländern oder auch für
Nischenprodukte in den entwickelten Ländern hochgradig interessant sind. Und
leider sind es gerade diese Projekte, die unter der Fundamentalopposition
gegenüber der Pflanzenbiotechnologie leiden müssen – mit der fatalen
Konsequenz, dass wir die Möglichkeiten, die diese Technologie bietet, genau nur
den großen Konzernen überlassen. Mit allen Folgen, die wiederum so gerne
kritisiert werden. Ein Teufelskreis.
Die Frage bleibt, warum die Geschichte mit den Selbstmorden immer noch
bei uns ist, wie Ron Horring von der Universität in Cornell schreibt. Er
hat sich damit eingehend auseinandergesetzt. Es bleibt festzuhalten, dass Daten auch immer soziale
Konstrukte sind, und es somit auf den Kontext ankommt, in dem sie
generiert und kommuniziert werden, und auch von wem. Und solange es Leute gibt,
die viel
Geld mit der Fundamentalopposition verdienen, wird sich an der Gesamtsituation
wohl nicht viel ändern.