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Der Spiegel, Heft 21-2011, 23.05.2011, S.26ff.

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-78602537.html

 

 

SPIEGEL-GESPRÄCH

Eine Frage der Nächstenliebe

 

Von Schwägerl, Christian und Elger, Katrin

 

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder, 33, über ihr Ja zu den umstrittenen Erbguttests an Embryonen und die bevorstehende Entscheidung des Bundestags in der Biopolitik

 

SPIEGEL: Frau Ministerin, wir haben drei Kardinäle und einen Erzbischof für ein Streitgespräch mit Ihnen zur Präimplantationsdiagnostik, der PID, angefragt. Bei keinem hat es geklappt. Haben die Kirchenvertreter Angst vor Ihnen?

 

Schröder: Das würde mich wundern. Ich kann bei diesem schwierigen Thema andere Haltungen ja auch gut nachvollziehen. Und an der intellektuellen Brillanz der Kirchenvertreter fehlt es ebenfalls nicht.

 

SPIEGEL: Vielleicht kommt es daher: Einerseits gelten Sie als Zögling des konservativen Unionsflügels. Andererseits wollen Sie Paaren erlauben, im Rahmen einer künstlichen Befruchtung Embryonen nach genetischen Kriterien auszuwählen, um beim Nachwuchs Krankheiten zu verhindern.

 

Schröder: Meine Position ist das Ergebnis eines längeren Abwägungsprozesses. Noch vor Jahren hätte ich anders geantwortet. Da war ich fest davon überzeugt, dass jede befruchtete Eizelle bereits ein vollwertiger Mensch ist. Das würde eine PID ausschließen, denn dabei werden mehrere befruchtete Eizellen erzeugt, aber nur wenige tatsächlich der Mutter eingesetzt.

 

SPIEGEL: Was hat Sie umgestimmt?

 

Schröder: Hauptsächlich ein inzwischen schon klassisches Gedankenexperiment des Harvard-Philosophen Michael Sandel. Dabei geht es um die Frage, ob man aus einem brennenden Krankenhaus entweder 20 Embryonen in Petrischalen oder einen einzigen Säugling retten würde. Nicht immer liegt man mit seiner Intuition richtig, aber wer befruchtete Eizellen für vollwertige Menschenleben hält, der müsste die Auffassung vertreten, dass es ethisch richtig wäre, den Säugling liegen zu lassen und die befruchteten Eizellen zu retten.

 

SPIEGEL: Wie würden Sie dann Embryonen definieren?

 

Schröder: Beim Wort Embryo sehen viele vor ihrem geistigen Auge wahrscheinlich einen Embryo in der zwölften Schwangerschaftswoche. Wir reden bei der PID aber über Achtzeller. Das muss man sich einfach klarmachen. Diese Achtzeller haben zwar das Potential zur Menschwerdung - tatsächlich ein Mensch können sie aber nur werden, wenn sie sich in eine Gebärmutter einnisten. Wenn man sie bereits als Mensch ansieht, müsste man auch die Spirale und die Pille danach verbieten - denn auch die verhindern die Einnistung. Und das wäre meiner Ansicht nach ebenfalls falsch.

 

SPIEGEL: Viele Christen, ob evangelisch wie Sie oder katholisch, haben hier eine dezidiert andere Meinung. Ist es für Sie schwierig, Ihre Haltung mit Ihrem Glauben zu vereinbaren?

 

Schröder: Für mich ist das überhaupt kein Widerspruch. Ich bin überzeugte Christin, aber aus der Bibel können wir im Alltag nicht genau ableiten, wie wir uns in welcher speziellen Frage verhalten sollen, zumal bei einem Verfahren wie der PID, das erst seit kurzem zur Verfügung steht. Die Frage, ob jetzt menschliches Leben vor oder nach der Einnistung in die Gebärmutter beginnt, kann man auch als Christ so oder so beantworten. Für mich ist es eine Frage der Nächstenliebe, den Paaren zu helfen, die sich ein Kind wünschen, aber in deren Familien es schwere Erbkrankheiten gibt.

 

SPIEGEL: Was ist für Sie der klassische Fall, der eine PID rechtfertigen würde?

 

Schröder: Ein Beispiel ist eine Frau, die schon mehrfach Totgeburten erleben musste. Das gehört wohl zum Grauenvollsten, was einem Menschen passieren kann. Wenn klar ist, dass eine genetische Disposition vorliegt und im Rahmen einer künstlichen Befruchtung Embryonen so ausgewählt werden könnten, genau das zu verhindern, dann halte ich es für richtig, das zu machen.

 

SPIEGEL: Aber wenn das komplette Wissen von Genforschern in der PID angewandt wird, könnte das doch Erbguttests aller Art Tür und Tor öffnen?

 

Schröder: Ich verstehe diese Bedenken. Deswegen versucht eine andere Gruppe von Abgeordneten ja auch, den Bundestag zu einer Grenze zu bewegen, nach der PID nur bei Krankheiten zulässig ist, die im ersten Lebensjahr zum Tod führen. Nur frage ich mich da, warum man nicht fünf Lebensjahre wählt oder eine andere Zahl. Ein Jahr Lebenserwartung halte ich für sehr willkürlich. Die Gruppe, der ich angehöre, will die Entscheidung einer kompetenten Ethikkommission überantworten, die jeden Einzelfall nach ganz strengen Regeln bewertet.

 

SPIEGEL: Wer soll in solchen Kommissionen mitarbeiten?

 

Schröder: Das ist noch nicht abschließend geregelt. Die Kommissionen sollten auf jeden Fall nicht nur mit Medizinern besetzt sein, sondern auch mit Psychologen und Experten aus anderen relevanten Disziplinen. Ich würde es auch sehr begrüßen, wenn sich die Kirchen an den PID-Kommissionen beteiligen würden.

 

SPIEGEL: Es gibt viele erblich beeinflusste Krankheiten, die erst später im Leben auftreten, etwa bestimmte Formen von Brustkrebs. Sollte die PID auch Familien möglich sein, die davon betroffen sind?

 

Schröder: Nein, meiner Ansicht nach nicht, zumal es gegen Brustkrebs auch therapeutische Maßnahmen gibt und das keine Krankheit ist, die automatisch zum Tod führt. Trotzdem könnte es sein, dass eine Ethikkommission in einem solchen Einzelfall zu einer Entscheidung käme, die ich für falsch hielte. Das wäre für mich aber kein Argument, deswegen die gesamte Technik zu verbieten.

 

SPIEGEL: Die PID ist für viele Krankheiten denkbar, die zu Behinderungen, aber nicht zum vorzeitigen Tod führen. Ist eine Embryonenauswahl nicht eine Beleidigung für Menschen, die mit solchen Behinderungen leben, und für ihre Eltern?

 

Schröder: Ich habe mit vielen Eltern behinderter Kinder die Erfahrung gemacht, dass sie mit unglaublicher Liebe und bis an die Grenzen ihrer physischen und psychischen Belastbarkeit ihr Kind pflegen, aber eigentlich nie andere Eltern verdammen, die sagen, dass sie eine solche Situation nicht ertragen könnten.

 

SPIEGEL: Macht es Ihnen als Familienministerin keine Angst, dass Erbguttests an Embryonen zur Norm werden könnten?

 

Schröder: Nein, denn eine künstliche Befruchtung ist und bleibt ein extrem belastendes Verfahren. Kein Paar wird das auf sich nehmen, nur um die Haarfarbe seines Kindes aussuchen zu können - was sowieso weiterhin verboten wäre.

 

SPIEGEL: Viele medizinische Verfahren haben mit Einzelfällen angefangen, um dann breit eingesetzt zu werden.

 

Schröder: Weltweit 600 000 künstlichen Befruchtungen standen im Jahr 2006 rund 1800 PID-Verfahren gegenüber. In den vielen Ländern, in denen die Gentests erlaubt sind, hat es also auch keinen Dammbruch gegeben. Es geht bisher darum, sicherzustellen, dass Embryos, die der Mutter eingepflanzt werden, eine bestimmte Erbkrankheit nicht aufweisen. Wir sprechen hier von einigen wenigen hundert Fällen in Deutschland.

 

SPIEGEL: Könnte es künftig zu einer ethischen Pflicht werden, eine PID durchführen zu lassen, zum Beispiel wenn klar ist, dass ein Kind später unheilbar krank wird und leiden muss?

 

Schröder: Es kann ganz klar nicht unethisch sein, ein Kind zur Welt zu bringen. Niemals.

 

SPIEGEL: Trotzdem könnte es sein, dass sich die Eltern später Vorwürfe anhören müssen, nach dem Motto: Ihr wusstet, was auf mich zukommen würde. Warum habt ihr es nicht verhindert?

 

Schröder: Es gibt Eltern, die ertragen einen solchen Konflikt. Die sagen sogar, ich habe bereits ein krankes Kind und gehe das Risiko sehenden Auges wieder ein. Davor habe ich höchsten Respekt. Es gibt aber auch Eltern, die würden mit einer solchen Situation nicht zurechtkommen. Daran knüpfen wir an. In diesen Fällen muss eine Ethikkommission entscheiden.

 

SPIEGEL: Das Wissen von Genetikern und Biomedizinern über den Zusammenhang von Erbanlagen und Krankheiten nimmt ständig zu. Wie groß ist die Versuchung, den Embryo nicht nur auf eine genetisch determinierte Krankheit zu testen, sondern auch auf ganz andere Sachen? Das Risiko zur Alzheimer-Krankheit etwa?

 

Schröder: Auch das ist durch unseren Antrag ausgeschlossen. Darin ist glasklar geregelt, dass die Ärzte nur diejenigen Krankheiten testen dürfen, für die eine genetische Disposition der Eltern festgestellt wurde. Ein verdachtsunabhängiges Screening ist nicht möglich. Wir wollen ja gerade keinen Embryonen-TÜV.

 

SPIEGEL: In Großbritannien darf die PID auch angewendet werden, um ältere Geschwisterkinder zu retten. Per Test wird ein Embryo ausgewählt, der etwa als Knochenmarkspender für das erkrankte ältere Kind geeignet ist. Wie finden Sie das?

 

Schröder: Bei diesem Thema geht es um unglaubliches Leiden, das ist gar nicht die Frage. Nur wird quasi ein Kind für das andere Kind instrumentalisiert. Deshalb werden die sogenannten Retterkinder in unserem Gesetzentwurf ausgeschlossen.

 

SPIEGEL: Was soll mit den überzähligen Embryonen passieren, wenn sie im Zuge der PID aussortiert werden? Wären die für die Stammzellforschung interessant?

 

Schröder: Das würde dem deutschen Stammzellgesetz widersprechen. Im Moment käme das also gar nicht in Frage.

 

SPIEGEL: Man kann Gesetze aber auch ändern. Mit diesen Embryonen stünden der Forschung hochinteressante Modelle von seltenen Erbkrankheiten zur Verfügung.

 

Schröder: Ich weiß, dass man darüber diskutieren kann, ob man den Eltern die Möglichkeit gibt, die befruchteten Eizellen der Forschung spenden zu dürfen. Ich bin selbst ja auch der Stammzellforschung gegenüber aufgeschlossen. Aber darum geht es nicht in der aktuellen Debatte.

 

SPIEGEL: Hätten Sie die PID denn für sich in Erwägung gezogen, wenn bei Ihrem Nachwuchs ein Risiko bestanden hätte?

 

Schröder: Das ist eine sehr intime Frage, die ich nur so beantworten will, dass man nicht alles tun muss, was der Gesetzgeber möglich macht. Das eigene private Wert-

 

urteil kann sich von dem unterscheiden, was erlaubt ist.

 

SPIEGEL: Hat Sie die Frage beschäftigt, wie weit Sie selbst bei der vorgeburtlichen Diagnostik gehen würden? Was Sie wissen wollen und was nicht?

 

Schröder: Bei der Entscheidung, ob man diese diagnostischen Verfahren nutzt, muss man sich klarmachen, wie weitreichend die Aussagekraft solcher Verfahren ist, wie man mit dem Wissen umgehen würde und dass man oft statt einer klaren Aussage lediglich eine gewisse Wahrscheinlichkeit mitgeteilt bekommt.

 

SPIEGEL: Werden Sie für Ihre Position pro PID angefeindet?

 

Schröder: Es gibt viel Zustimmung, aber ich habe auch sehr böse Briefe bekommen. Manchmal von Menschen, die selbst das Glück hatten, zwei oder drei gesunde Kinder zu haben. Von ihnen zu hören, dass Paare auf Kinder verzichten sollten, wenn das Risiko einer Erbkrankheit besteht, kommt mir manchmal doch sehr unbarmherzig vor.

 

SPIEGEL: Die Beratungen im Bundestag über die Zulassung der PID gehen in die entscheidende Phase. Am 25. Mai findet die Anhörung statt, noch vor der Sommerpause soll es eine Entscheidung geben. Glauben Sie, dass die PID-Befürworter sich durchsetzen werden?

 

Schröder: Ich bin optimistisch und denke, dass es uns gelingen wird, noch Abgeordnete zu gewinnen, deren Antrag auf eine begrenztere Zulassung der PID zielt. Diese Abgeordneten müssten ansonsten einem Komplettverbot zustimmen, und das kann für sie nicht die bessere Wahl sein.

 

SPIEGEL: Waren Sie erstaunt darüber, dass sich die Kanzlerin für ein bedingungsloses Verbot ausgesprochen hat?

 

Schröder: Ich hatte jedenfalls nicht damit gerechnet.

 

SPIEGEL: Warum?

 

Schröder: Bei der Stammzelldebatte etwa waren wir nah beieinander, als es um die begrenzte Zulassung der Forschung an embryonalen Stammzellen ging. Aber ich kann sehr gut verstehen, dass man in der Frage der PID ethisch zu einer anderen Antwort kommt.

 

SPIEGEL: Müssen Sie befürchten, dass die Union ihrer Kernwählerschaft zu viel zumutet, wenn Ihr PID-Antrag durchkommt?

 

Schröder: Konservativ sein heißt ja nicht, einfach auf seinen Positionen zu verharren, sondern es heißt, auch Dinge zu verändern, um Werte zu erhalten. Der Wunsch von Eltern, lebensfähige Kinder bekommen zu können, das ist eines der konservativsten Anliegen überhaupt.

 

SPIEGEL: Frau Ministerin, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

(*) Christian Schwägerl und Katrin Elger.

 

DER SPIEGEL 21/2011

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