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Der Schutz menschlicher Embryonen darf nicht eingeschränkt werden

Erklärung des Rates der EKD zur aktuellen bioethischen Debatte
 

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) begrüßt die verstärkte öffentliche Debatte über die neueren Entwicklungen in Biologie und Medizin. In ihr stehen sich nicht, wie es manchmal irreführend dargestellt wird, wissenschaftliche oder wirtschaftliche Interessen auf der einen und ethische Positionen auf der anderen Seite gegenüber. Die ethischen Maßstäbe und Argumente selbst sind es, die strittig geworden sind. Auch unter evangelischen Christen und in den Fachbeiträgen der evangelischen Ethik wird dies spürbar. Die Diskussion in der evangelischen Kirche ist noch nicht abgeschlossen. Aber angesichts der gegenwärtigen Situation hält es der Rat für geboten, seine Position in diesem Streit klar zu benennen: als Angebot ethischer Orientierung und als Einladung zum Gespräch.

Mit Dank nimmt der Rat die jüngste Berliner Rede des Bundespräsidenten auf, in der dieser "für einen Fortschritt nach menschlichem Maß" plädiert. Beides muss zu seinem Recht kommen: die Anerkennung und Förderung wissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Möglichkeiten und die Verständigung auf Maßstäbe und Grenzen. Ausdrücklich stimmt der Rat dem Bundespräsidenten darin zu, "dass es Dinge gibt, die wir um keines tatsächlichen oder vermeintlichen Vorteiles willen tun dürfen. Tabus sind keine Relikte vormoderner Gesellschaften, keine Zeichen von Irrationalität. Ja, Tabus anzuerkennen, das kann ein Ergebnis aufgeklärten Denkens und Handelns sein."

Das im Jahr 1990 verabschiedete Embryonenschutzgesetz hat für die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland eine solche Grenzziehung vorgenommen. Der Rat tritt dafür ein, den Schutz menschlicher Embryonen auch weiterhin uneingeschränkt zu gewährleisten. Die Herstellung menschlicher embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken, die Freigabe der Herstellung embryonaler Stammzellen aus überzähligen Embryonen, aber auch die Präimplantationsdiagnostik sind damit nicht vereinbar. Der Rat bekräftigt die Aussagen, die er 1989 zusammen mit den anderen christlichen Kirchen in der Erklärung "Gott ist ein Freund des Lebens" gemacht hat:

Gezielte Eingriffe an menschlichen Embryonen, "die ihre Schädigung oder Vernichtung in Kauf nehmen, sind nicht zu verantworten – und seien die Forschungsziele noch so hochrangig ... Die Würde des menschlichen Lebens verbietet es, dass es bloß als Material und Mittel zu anderen Zwecken genutzt und - erst recht - gar nur erzeugt wird. Diesem Grundsatz muss auch im Blick auf die In-Vitro-Fertilisation Geltung verschafft werden ... Schon die kleinste Bewegung in Richtung auf die Zulassung 'verbrauchender' Forschung an Embryonen überschreitet eine wesentliche Grenze. Es geht hier um den Schutz oberster Rechtsgüter, letzten Endes um die Achtung vor der Würde des Menschen und seines Rechtes auf Leben, die in Art. 1 und 2 des Grundgesetzes verankert sind."

In jüngster Zeit mehren sich die Anzeichen für politische Bestrebungen, das Embryonenschutzgesetz zu ändern und abzuschwächen: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat in ihren am 3. Mai 2001 veröffentlichten "Empfehlungen zur Forschung mit menschlichen Stammzellen" einen Stufenplan vorgelegt, der jedenfalls für seine weitergehenden Schritte auf eine Änderung des Embryonenschutzgesetzes angewiesen ist. Der Bundeskanzler hat am selben Tage das Embryonenschutzgesetz zwar als "ein gutes Gesetz" gewürdigt, aber mit dem Votum, "es zunächst einmal so zu belassen, wie es ist", alle zukünftigen Optionen offen gehalten. In einem Beschluss ihres Bundesparteitags vom 4. bis 6. Mai 2001 befürwortet die FDP "in engen Grenzen eine Änderung des zehn Jahre alten Embryonenschutzgesetzes, um die Stammzellenforschung zu ermöglichen".

In der Diskussion zur Stammzellforschung und zum Schutz menschlicher Embryonen sind einige Argumente im Spiel, die einer gesonderten Betrachtung bedürfen:
Eine der wesentlichen Antriebskräfte für die medizinische und gentechnische Forschung ist die Aussicht auf die Entwicklung neuer Therapien. Aus christlicher Sicht ist dieses Ziel ethisch ebenso legitim wie erstrebenswert. Denn das Gebot der Nächstenliebe zielt darauf, Menschen in Not zu helfen, das heißt hier: Krankheit zu heilen und Leid zu mindern. Aber auch ein hochrangiges Ziel darf nicht um jeden Preis verfolgt werden. Die Mittel, die eingesetzt werden, um das Ziel zu erreichen, müssen ethisch vertretbar sein. Darüber hinaus kommt es darauf an, alle Therapieversprechungen nüchtern zu prüfen und mit ihnen nicht die Illusion einer leidfreien Welt zu nähren.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft vertritt den Standpunkt, dass in der Frage der Verwendung frühen menschlichen Lebens für Forschungszwecke "der Rubikon ... mit der Einführung der künstlichen Befruchtung überschritten wurde und dass es unrealistisch wäre, zu glauben, unsere Gesellschaft könne in einem Umfeld bereits bestehender Entscheidungen zum Lebensrecht des Embryos ... zum status quo ante zurückkehren". Die Etablierung der In-Vitro-Fertilisation war in der Tat eine entscheidende Weichenstellung. Die EKD hat früh davon abgeraten, sie in Anspruch zu nehmen. Bedenklich und unnötig ist es allerdings, wenn die Deutsche Forschungsgemeinschaft bestimmte technische Entwicklungen als unumkehrbar ansieht. Die politische und ethische Gestaltungskraft wird sich vielmehr gerade daran erweisen müssen, ob einmal eingeschlagene Pfade der Entwicklung aufgrund neuer Einsichten auch wieder beendet werden können.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft plädiert ferner in ihren "Empfehlungen" für einen "Abwägungsprozeß zwischen dem verfassungsrechtlichen Lebensschutz des Embryos einerseits und der ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Forschungsfreiheit andererseits". Weil dem menschlichen Embryo der in den Grundrechten gewährleistete Schutz der Würde des Menschen und seines Lebens zukommt, kann es jedoch eine solche Abwägung gar nicht geben. Die Freiheit der Forschung findet ihre Grenze an der von Art. 1 des Grundgesetzes geschützten Menschenwürde. Sie verwirklicht sich auch in der Selbstbeschränkung, zumal wo ethische Grenzen berührt werden. Der Bundespräsident hat zu Recht festgestellt, "dass wir unendlich viel Gutes erreichen können, ohne dass Forschung und Wissenschaft sich auf ethisch bedenkliche Felder begeben müssen. Es ist viel Raum diesseits des Rubikon."

Es wäre in der Tat doppelbödig, ethisch bedenkliche Forschungsarbeiten im Ausland durchführen zu lassen, gleichzeitig aber den Nutzen dieser Technologie in Deutschland in Anspruch nehmen zu wollen. Das Nein zur Forschung an embryonalen Stammzellen bleibt aber glaubwürdig, wenn es damit einhergeht, in der internationalen Diskussion für die strengen Maßstäbe des deutschen Embryonenschutzgesetzes einzutreten.

Den Befürwortern eines uneingeschränkten Schutzes menschlicher Embryonen wird kritisch entgegengehalten, diese Position befinde sich in einem Wertungswiderspruch mit der rechtlichen Regelung und zumal der Praxis des Schwangerschaftsabbruchs. Richtig ist: Der Schutz des Embryo in vitro und der Schutz des Embryo in vivo stehen ethisch in einem unauflöslichen Zusammenhang. Man muss aber unterscheiden zwischen einer im Verlauf einer Schwangerschaft unvorhersehbar eintretenden Konfliktsituation und einer sehenden Auges herbeigeführten und von vornherein vorentschiedenen Handlungsalternative im Labor. In den straffrei gestellten Fällen des Schwangerschaftsabbruchs handelt es sich nicht um eine prinzipielle Einschränkung des Schutzes für das ungeborene menschliche Leben, sondern um das notwendig unvollkommene Bemühen, nicht auflösbaren Konfliktsituationen Rechnung zu tragen. Im übrigen ist es eine wünschenswerte Folge der neueren bioethischen Debatte, wenn die ethische Sensibilität in den Fragen des Schwangerschaftsabbruchs wächst und die Bereitschaft zur Annahme des ungeborenen Lebens gestärkt wird.

Hannover, 22. Mai 2001