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biomedizin
Im Geist der Liebe mit dem
Leben umgehen
Argumentationshilfe für
aktuelle medizin- und bioethische Fragen,
EKD-Texte 71, August 2002
(Auszug - kompletter Text hier)
3. Konkrete Probleme am Anfang und am Ende
menschlichen Lebens
3.1 Lebensanfang
Die christlichen Kirchen haben sich stets für den besonderen Schutz
eingesetzt, dessen das vorgeburtliche menschliche Leben bedarf.
Mit den neuen biologischen und medizinischen Möglichkeiten ist
eine enorme Ausweitung der Eingriffsmöglichkeiten in den Prozess
der Entstehung menschlichen Lebens verbunden. Dies macht es
notwendig, Schutzbereich und Schutzniveau heutigen Kenntnissen
entsprechend zu präzisieren.
Aus christlicher Sicht kann die schöpferische Liebe Gottes, der alle
Menschen sich verdanken, nicht beschränkt werden auf bestimmte
Entwicklungsformen und Reifungsgrade des menschlichen Lebens
(12), noch kann die Tatsache ignoriert werden, dass werdende
Eltern (aber auch andere Angehörige wie Geschwister und
Großeltern) oft schon vom ersten Anfang an eine intensive
personale Beziehung zu dem sich entwickelnden Kind aufnehmen,
was schon lange vor den ersten spürbaren Kindesbewegungen im
Mutterleib z. B. durch Ultraschall-Aufnahmen auch sinnlich
wahrnehmbare Formen annimmt.
Von daher besteht in der Kammer Einmütigkeit darüber, dass die
Menschenwürde und der Lebensschutz, der dem Menschen fraglos
zukommt, bis in die allerersten Anfänge des Menschseins reicht
und einen ethischen Schutzanspruch begründet. Uneinigkeit
besteht jedoch darüber, ob alle menschlichen Embryonen als
Menschen zu verstehen sind und ihnen deshalb Würde und
Lebensschutz in vollem Umfang zukommt.
Der gemeinsame Ausgangspunkt für alle Überlegungen zu dieser
Problematik liegt in der Tatsache, dass in christlicher Sicht das
menschliche Leben schutzwürdig ist als Leben eines einzelnen
Menschen und als Teil der Menschheit. Damit wird die Frage
wesentlich, ob man im Blick auf das vorgeburtliche Leben in seinen
verschiedenen Phasen in diesem Sinne von einem Menschen
sprechen kann. Das betrifft in besonderer Weise das embryonale
Stadium an dessen Beginn.
Die entscheidende Frage ist, ob im Blick auf den menschlichen
Embryo in jedem Fall unterstellt werden kann bzw. unterstellt
werden muss, dass er Mensch ist. Aus der hier dargelegten Perspektive
des christlichen Glaubens ist es am angemessensten, im Blick auf den
Embryo von einem sich (zur Geburt hin) entwickelnden Menschen (13)
bzw., für den Fall der Mehrlingsbildung, von sich entwickelnden
Menschen zu sprechen. Diese Formulierung vermeidet eine
Festlegung bezüglich des Zeitpunkts, von dem an von der
individuellen Existenz eines Menschen auszugehen ist, und bezieht
gleichwohl das gesamte embryonale Stadium in den Schutzbereich
ein.
Von diesem gemeinsamen Ausgangspunkt her lassen sich
unterschiedliche Schlussfolgerungen ziehen. Die Differenzen lassen
sich auf dem Hintergrund der veränderten Wahrnehmung (14)
vorgeburtlichen Lebens begreiflich machen, welche mit den
heutigen Reproduktionstechniken eingetreten ist. Bevor es diese
Techniken gab, trat die Existenz eines neuen, sich entwickelnden
Menschen mit der Schwangerschaft ins Blickfeld, d. h. in einer
Phase, in der die Bedingungen für eine Entwicklung bis zur Geburt
in der Regel gegeben waren. Der Status des Embryos war hier
gleichsam durch den natürlichen Prozess vorgegeben. Das
verändert sich mit der Anwendung der Reproduktionstechniken. Mit
diesen rücken die Bedingungen dafür, ob ein Embryo sich zu einem
vollentwickelten Menschen ausbilden kann, in den
Entscheidungsbereich von Menschen, die die dafür erforderlichen
Voraussetzungen schaffen oder vorenthalten können.
In dieser Situation stehen sich zwei Auffassungen gegenüber. Die
eine hält entschieden daran fest, dass der menschliche Embryo
menschlicher Verfügung entzogen und allem Entscheiden und
Handeln verbindlich vorgegeben ist. Ihr zufolge handelt es sich bei
jedem Embryo um einen sich entwickelnden Menschen, unabhängig
von dessen tatsächlichen Entwicklungsmöglichkeiten. Vom
Zeitpunkt der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle an ist
demnach von der Entwicklung eines Menschen auszugehen. Diesem
kommt, wie einem jeden Menschen, als einem Geschöpf der Liebe
Gottes Gottebenbildlichkeit und Menschenwürde zu. Das
entscheidende Argument für diese Auffassung ist, dass es in der
Entwicklung von der Keimzellenverschmelzung bis zum Ende der
irdischen Existenz eines Menschen keine andere Zäsur gibt, die sich
mit guten Gründen als Beginn des Menschseins verstehen ließe. Die
einzigen dafür theoretisch in Frage kommenden und auch
gegenwärtig diskutierten Einschnitte in der menschlichen
Entwicklung, die Geburt und die Einnistung in die Gebärmutter,
bilden nicht den Beginn des Menschseins, sondern sind nur
Einschnitte innerhalb der Entwicklung als Mensch. Im Blick auf die
Geburt ist dies offensichtlich durch die in der Regel schon
bestehende biologische Lebensfähigkeit des Fötus unabhängig von
der Mutter. Im Blick auf die Nidation ergibt es sich daraus, dass
zwischen Zeugung und Einnistung zwar die Entscheidung über die
Anzahl sich entwickelnder menschlicher Individuen und über die
Chancen des Überlebens und der Entwicklung fällt, nicht jedoch
über das Menschsein. Aufgrund seiner Teilhabe an der
Menschenwürde darf der mit der Keimzellenverschmelzung
entstehende, sich entwickelnde Mensch nie zum bloßen Objekt
gemacht werden, sondern muss immer auch Selbstzweck bleiben.
D.h. auch: Er ist Güterabwägungen zugunsten fremdnütziger Ziele
entzogen.
Die andere Auffassung betont demgegenüber die konstitutive
Bedeutung der Entwicklungsmöglichkeiten. Nach dieser Auffassung
kann von einem sich entwickelnden Menschen nur gesprochen
werden, wenn die äußeren Umstände für eine Entwicklung gegeben
sind. Das vorgeburtliche Menschsein ist hiernach nicht bereits mit
der Existenz des Embryos gegeben, sondern es stellt einen
Entwicklungsprozess dar, für den die Interaktion des Embryos mit
einer entsprechenden Umgebung konstitutiv ist, die dafür
vorhanden sein muss. Nach dieser Auffassung verbinden wir
gleichsam vom vorweggenommenen Ende dieses Prozesses her mit
dem Embryo die an diesem selbst nicht aufweisbare Person, die im
Verlauf der Schwangerschaft und dann definitiv mit der Geburt in
Erscheinung treten wird. Voraussetzung hierfür ist, dass dieses Ende
erwartbar ist, wenn auch diese Erwartung durch ein vorzeitiges
Lebensende enttäuscht werden kann. Bei der Mehrzahl der
Embryonen, die verschwenderisch auf natürlichem oder gezielt auf
künstlichem Wege entstehen, kann davon nicht die Rede sein, weil
die äußeren Bedingungen für eine Entwicklung, insbesondere die
Einnistung in die Gebärmutter einer Frau, nicht gegeben sind. Im
Blick auf alle diese Embryonen kann aus faktisch-empirischen
Gründen nicht von sich entwickelnden Menschen gesprochen
werden.
Während also für die erste Auffassung der Status als sich
entwickelnder Mensch mit dem inhärenten Entwicklungsprozess des
Embryos gegeben ist, macht die zweite Auffassung diesen Status
von den äußeren Entwicklungsmöglichkeiten abhängig. Während es
im ersten Fall das Datum der Verschmelzung von Ei- und
Samenzelle ist, von dem ab mit dem Gegenüber eines neuen, sich
entwickelnden Menschen zu rechnen ist, ist es im zweiten Fall die
von äußeren Bedingungen abhängige Entwicklung, die auf die
Geburt dieses Menschen zuläuft und in deren Verlauf er in den
gemeinsamen Lebenszusammenhang eintritt.
Beide Auffassungen haben ersichtlich ihre Probleme und fordern zu
Rückfragen heraus. Im Blick auf die erste stellt sich die Frage, ob
es wirklich plausibel ist, alle Embryonen, auch jene, bei denen es
niemals zur Einnistung gekommen ist oder kommen wird, als sich
entwickelnde Menschen mit Gottebenbildlichkeit und
Menschenwürde zu betrachten. Sie muss sich weiterhin fragen
lassen, ob sie bereit ist, die praktischen Konsequenzen zu ziehen,
die sich aus dieser Sicht zu ergeben scheinen: Zurückhaltung
gegenüber nidationshemmenden Verhütungsmethoden sowie
gegenüber der In-vitro-Fertilisation wegen derer Folgeprobleme;
Lebensschutz für Embryonen von der Befruchtung an.
Die zweite Auffassung muss sich fragen lassen, ob sie nicht
ungewollt einer fast unbegrenzten Verfügbarmachung und
Verdinglichung menschlichen Lebens für technologische Zwecke
Vorschub leistet. Wenn die technischen Arrangements so getroffen
sind, dass kein Mensch entstehen kann; wenn also der schützende
Status eines sich entwickelnden Menschen gezielt ausgeschlossen
wird: Was spricht dann gegen die Erzeugung von Embryonen in vitro
für die medizinische Forschung? Kommt auch im Blick auf die
Embryonen, aus denen keine voll entwickelten Menschen
entstehen, die theologische Einsicht zur Geltung, dass der Mensch
sein Sein als Person der vorbehaltlosen Anerkennung durch Gott
verdankt? Besteht hier nicht die Gefahr, dass von menschlicher
Entscheidung abhängig gemacht wird, welche Embryonen als sich
entwickelnde Menschen anerkannt werden und welche nicht?
Die Kammer ist sich einig in der dargestellten Diagnose des
Problems, aber sie hat sich nicht auf eine gemeinsame Position in
dieser Frage verständigen können. Die unterschiedlichen
Sichtweisen kommen daher auch in den folgenden Erörterungen
medizinethischer Einzelfragen zum Tragen.
Um das Gemeinsame noch einmal zu unterstreichen: Dieses liegt
in der Intention, die Würde und das Leben eines jeden Menschen
zu achten und zu schützen. Die Differenzen beziehen sich auf die
Frage, unter welchen Voraussetzungen im Blick auf den
menschlichen Embryo von einem sich entwickelnden Menschen
gesprochen werden kann. Aus der gemeinsamen Prämisse, dass
jeder Mensch sein Sein als Person und seine darin liegende Würde
der Anerkennung durch Gott verdankt, lässt sich offenbar nicht mit
letztlich zwingenden und jedermann überzeugenden Gründen
ableiten, ab wann und unter welchen Voraussetzungen im Blick auf
den Lebensbeginn vom Leben eines Menschen gesprochen werden
kann. Wohl aber besteht Einmütigkeit darüber, dass in der
rückblickenden Betrachtung auf den Lebensanfang stets der
personalen Würde des Menschen Rechnung zu tragen ist und dass
alle Formen menschlichen Lebens, auch die frühesten, im Licht der
schöpferischen Liebe Gottes wahrzunehmen sind. Schon der
Umgang mit diesen Lebensformen erfordert daher den Geist der
Liebe.
3.1.1 Vorgeburtliche Diagnostik
3.1.1.1 Pränataldiagnostik (PND)
Vorgeburtliches menschliches Leben ist zu einem für die Medizin
diagnostizierbaren und teilweise therapierbaren Gut geworden. Die
seit einigen Jahrzehnten im klinischen Alltag verankerte
vorgeburtliche Diagnostik wendet verschiedene Techniken an
(nicht-invasiv: Ultraschall; invasiv: Fruchtwasseruntersuchung,
Chorionzottenbiopsie; zusätzlich Hormonuntersuchungen im Blut).
Die invasive Diagnostik wurde anfangs nur Schwangeren im Alter
von mehr als 35 Jahren oder bei speziellen Indikationen
angeboten. Es ist jedoch derzeit zu beobachten, dass das
Spektrum vorgeburtlicher Untersuchungstechniken immer breiter
wird und fast allen Frauen angeboten wird. Bei entsprechenden
Befunden fällt die Entscheidung auf Grund der individuellen
Möglichkeiten und Bedürfnisse der Schwangeren.
Die Techniken selbst können zunehmend früher im Verlauf der
Schwangerschaft angewendet werden und sie liefern schneller ein
Ergebnis. Mit diesen Möglichkeiten wird es für Schwangere und
werdende Eltern immer schwerer, selbstbestimmt über die
Inanspruchnahme der PND zu entscheiden oder auf dem Recht auf
Nicht-Wissen zu bestehen. Werden die zukünftigen vorgeburtlichen
Diagnosetechniken in den Leistungskatalog der Krankenkassen
übernommen, wird sich über das Angebot auch die Nachfrage
erhöhen. Haftungsrechtliche Probleme, ökonomische Interessen
und Sicherheitsbedürfnisse der Schwangeren spielen bei dieser
Tendenz auf Mengenausweitung eng zusammen.
Aus christlicher Sicht kann es keinen Zweifel daran geben, dass das
behinderte menschliche Leben denselben Anspruch auf Leben,
Fürsorge und Zuwendung hat wie das nicht-behinderte. Deshalb
darf die Geburt eines behinderten Kindes auch niemals ein (den
Eltern) vorwerfbarer Sachverhalt sein oder werden. Auch diejenigen,
die aus christlicher Sicht für die Einführung der PND plädieren,
stimmen dem Gedanken zu, dass die Gottebenbildlichkeit und die
personale Bezogenheit auf Gott einem jeden Menschen
zukommen, unabhängig von seinen Eigenschaften und
Fähigkeiten. Dies gilt uneingeschränkt auch im Hinblick auf
behinderte Menschen.
Insofern ist die Tatsache, dass die vorgeburtliche Diagnose einer
Behinderung sehr häufig einen Schwangerschaftsabbruch nach sich
zieht, als äußerst problematisch zu betrachten. Die gemeinsame
Erklärung „Gott ist ein Freund des Lebens“ stellte daher fest, dass
die vorgeburtliche Diagnostik nur unter folgenden Bedingungen
vertretbar ist: „Die Diagnose darf keine Routinemaßnahme werden.
Sie darf nur auf Wunsch der Schwangeren durchgeführt und ihr nicht
vom Arzt aufgedrängt werden. Sie ist nur berechtigt, wenn eine
starke Beunruhigung der Schwangeren auf andere Weise nicht
behoben werden kann.“ (15) Faktisch ist es allerdings inzwischen
so, dass die vorgeburtliche Diagnostik durchaus zu einer
Routinemaßnahme geworden ist. Insbesondere die anderen,
zusätzlich genannten Bedingungen sind damit keineswegs
aufgehoben, sondern verdienen es erst recht, beachtet zu werden.
Werdende Eltern können sich durch die Vorstellung, ein behindertes
Kind zu bekommen, überfordert fühlen und glauben, die innere
Freiheit dazu nicht aufzubringen. Dies kann sie in einen schweren
inneren Konflikt stürzen. Eine genetische und psychosoziale
Beratung im Rahmen einer vorgeburtlichen Diagnostik bietet die
Möglichkeit, sich über eigene Einstellungen eine gewisse Klarheit zu
verschaffen und zu einer tragbaren Entscheidung zu kommen. Es
gehört aber auch zu den Erfahrungen, die Eltern behinderter Kinder
machen können, dass das Schockierende, das der Vorstellung einer
Behinderung des eigenen Kindes anhaften kann, sich mit der
Zuwendung zu dem behinderten Kind verliert. Eltern bei dieser
Bewältigung zu helfen und sie zu unterstützen gehört zu den
vorrangigen Aufgaben kirchlicher Seelsorge und Diakonie. Überdies
stehen Kirche und Diakonie vor der Herausforderung, den Umgang
mit der vorgeburtlichen Untersuchung innerhalb ihrer eigenen
Einrichtungen kritisch zu reflektieren und sich ihrer besonderen
Verantwortung bewusst zu sein.
Die Feststellung einer genetisch bedingten Erkrankung kann für
sich genommen kein Rechtfertigungsgrund für einen
Schwangerschaftsabbruch sein. In der Öffentlichkeit wird
demgegenüber häufig behauptet, eine durch PND festgestellte
Behinderung des Embryos (oder Fötus) stelle nach geltendem
Recht eine legale und damit auch gesellschaftlich anerkannte
Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch dar. Wenn dies aber
für den Embryo im Mutterleib gelte, müsse es auch für den Embryo
in der Petrischale gelten; denn es könne nicht angehen, dass der
Embryo in utero besser geschützt sei als der in vitro.
Demgegenüber ist zunächst daran zu erinnern, dass die
ursprünglich vom Gesetzgeber vorgesehene embryopathische
Indikation insbesondere aufgrund der Stellungnahmen von
Behindertenverbänden gestrichen wurde. Eine legale Abtreibung von
genetisch erkrankten Embryonen oder Föten ist nicht möglich
wegen deren zu erwartender Behinderung, sondern nur auf Grund
einer Gefahr für das Leben oder den Gesundheitszustand der
Schwangeren.
Die Erinnerung an diesen wichtigen Unterschied ist auch nötig im
Blick auf die immer wieder anzutreffende Behauptung, der
Schwangerschaftsabbruch werde auf Grund der derzeitigen
Rechtslage in den ersten 12 Wochen ohne jede Indikation rechtlich
akzeptiert. Tatsache ist vielmehr, dass ein solcher
Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig – also gerade nicht akzeptiert
– ist, aber um des insgesamt erhofften besseren Lebensschutzes
für Embryonen willen unter bestimmten Voraussetzungen straffrei
bleibt.
Wenn die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs bei schwerer
Behinderung des Ungeborenen durch die Rechtsordnung
eingeräumt wird, dann einzig im Hinblick auf die Tatsache, dass
eine solche Schwangerschaft oder Geburt für die Mutter des
behinderten Kindes eine schwere Beeinträchtigung oder Gefährdung
ihrer physischen oder psychischen Gesundheit darstellen würde. Die
Tatsache, dass werdende Eltern sich nicht im Stande sehen, ein
behindertes Kind anzunehmen und aufzuziehen, rechtfertigt den
Schwangerschaftsabbruch ethisch nicht, sondern qualifiziert ihn als
eine Handlung in einer Dilemmasituation, die hinter dem eigentlich
Aufgegebenen zurückbleibt.
Letztlich geht es um die Frage, ob Eltern ein behindertes Kind als
eine ihnen hier und jetzt zugedachte Aufgabe verstehen und
annehmen können: es im Rahmen seiner Möglichkeiten zu fördern,
es zu begleiten, ihm sein Leben so gut wie möglich zu gestalten. Es
geht hier aus christlicher Sicht um mehr als nur um die Frage des
Status des vorgeburtlichen Lebens. Es geht um die Art und Weise,
wie wir unser eigenes Leben sehen: ob als etwas, das wir in jeder
Hinsicht selbstbestimmt führen, in Absicherung gegen
unvorhergesehene Risiken, die nicht zum eigenen Lebensplan
passen; oder als etwas, worin wir uns auch führen lassen im
Vertrauen darauf, dass auch das Unvorhergesehene, auch das
zunächst vielleicht Bestürzende und Belastende, einen Sinn und
positive Lebensperspektiven für uns bereithalten kann.
3.1.1.2 Präimplantationsdiagnostik (PID)
Voraussetzung für die PID ist die Durchführung einer künstlichen
Befruchtung. Mit der Technik der PID werden in vitro befruchtete
Eizellen nach den ersten Zellteilungen und vor dem Einsetzen in die
Gebärmutter auf bestimmte genetische Erkrankungen untersucht.
Liegt eine entsprechende Veränderung vor, werden betroffene
Embryonen nicht übertragen, sondern nur diejenigen, bei denen die
gesuchte Veränderung nicht gefunden wurde. Die PID gilt jedoch
technisch als noch nicht verlässlich genug, so dass im Verlauf der
individuellen Schwangerschaft in der Regel weitere vorgeburtliche
Untersuchungstechniken angewendet werden. (17)
Eine diagnostische Variante und ethische Alternative zur PID, die
Polkörperdiagnostik, untersucht sog. Polkörper, die bei zwei
asymmetrischen Reifeteilungen einer Eizelle – vor und nach der
Befruchtung - entstehen. Diese enthalten dasselbe genetische
Material wie die Eizelle. Während in Deutschland die rechtliche
Zulässigkeit der PID umstritten ist und sie derzeit nicht
durchgeführt wird, ist die Polkörperdiagnostik rechtlich zulässig und
wird vereinzelt im Rahmen von klinischen Studien angewendet.
Gestritten wird über die Frage, ob nicht dort, wo ein Paar aufgrund
schwer wiegender genetischer Risikofaktoren sich nicht in der Lage
sieht, ohne vorherige Diagnose eine Schwangerschaft einzugehen,
zumindest in bestimmten Fällen die PID einer Diagnose während
einer bereits bestehenden Schwangerschaft vorzuziehen ist. Das
scheint sich vor allem dort nahe zu legen, wo eine
prognostizierbare Wahrscheinlichkeit für eine erbliche Erkrankung
gegeben ist und möglicherweise bereits ein Kind mit einer
genetischen Erkrankung geboren wurde.
Für eine PID scheint auch zu sprechen, dass auf diese Weise
möglicherweise ein Schwangerschaftskonflikt mit nachfolgendem
Schwangerschaftsabbruch vermieden werden kann.
Gleichwohl erheben sich gegen die PID jedenfalls in der
gegenwärtigen Situation schwer wiegende ethische Bedenken. Sie
beziehen sich aber auch auf die Frage der Vergleichbarkeit einer
Verwerfung des in-vitro erzeugten Embryos aufgrund einer PID und
eines Schwangerschaftsabbruchs. Mehrere Kammermitglieder sehen
eine solche Vergleichbarkeit nicht gegeben, da die Möglichkeit des
Schwangerschaftsabbruchs nur zu begründen ist mit der
besonderen Konfliktlage, in der die Schwangere sich aufgrund der
leiblichen und seelischen Verbindung mit dem sich entwickelnden
menschlichen Wesen befindet, eine Verbindung, die andererseits
dazu führen könnte, das Kind doch auszutragen. Diese besondere
Konfliktlage ist im Falle der PID aber so nicht gegeben.
Andere Kammermitglieder sind demgegenüber der Auffassung, es
gebe hier möglicherweise doch eine vergleichbare Konfliktlage, die
daraus resultiert, dass zwar keine Schwangerschaft besteht, wohl
aber eine „Mutterschaft“ bzw. „Elternschaft“ (18) in einem
extrakorporalen Frühstadium. Die Unfähigkeit, ein behindertes Kind
zu akzeptieren, wäre also das Vergleichsmoment zum
Schwangerschaftskonflikt, mit dem die Verwerfung eines Embryos
aufgrund der PID allenfalls gerechtfertigt werden könnte. Dabei
könnte es sich dann aber keinesfalls um die Analogie zu einem
sog. „rechtswidrigen, aber straffreien Schwangerschaftsabbruch“
nach § 218 a Abs. 1 StGB handeln, sondern nur zu einem
Schwangerschaftsabbruch nach § 218 a Abs. 2 StGB, also aufgrund
einer Gefahr bzw. schweren Beeinträchtigung für Leben oder
Gesundheit der Schwangeren.
Würde die Gesetzgebung die PID zulassen, so müsste sie zugleich
erlauben, eine über die heute geltenden Regelungen
hinausgehende Zahl von Embryonen künstlich zu erzeugen und
unter diesen nur diejenigen auszuwählen, die sich nach ihrer
Untersuchung als „gesund“ - also frei von dem Risiko bestimmter
genetisch bedingter Erkrankungen - erweisen, die anderen aber zu
vernichten oder auf unbestimmte Dauer aufzubewahren. Somit
würde der Schutz des beginnenden menschlichen Lebens von
vornherein auf „gesundes“ Leben beschränkt. Damit würde nicht
nur, wie bei dem Schwangerschaftsabbruch aufgrund medizinischer
Indikation, eine der Mutter nicht zumutbare körperliche Notlage
oder eine von ihr psychisch nicht zu bewältigende Konfliktlage
anerkannt, sondern zugleich ein Recht eingeräumt auf Auswahl von
Leben, das entweder als „lebenswert“ oder als „nicht lebenswert“
eingeschätzt würde. Dies wäre mit der gebotenen Achtung der
Würde des Menschen - so wie dies oben dargelegt worden ist -
unvereinbar.
Viele sehen in einer Ausweitung der vorgeburtlichen Diagnostik hin
zur PID einen gefährlichen Schritt zur eugenischen Selektion
menschlichen Lebens. Gerade in Deutschland wird diese Gefahr
sehr stark empfunden. Das hat mit den nationalsozialistischen
Unrechtstaten zu tun, die zu einer besonderen Sensibilität im
Hinblick auf die Problematik der Eugenik geführt haben.
Bei der PID hat die Verpflichtung des Gesetzgebers, die Folgen
dieser Methode zu erwägen, eine besondere Bedeutung. Die Frage,
welche Erkrankungen die Verwerfung der hiervon betroffenen
Embryonen rechtfertigen sollen, ist äußerst umstritten. Sie umfasst
monogen vererbbare und chromosomale Störungen mit sehr
unterschiedlichem Schweregrad und Symptomen unterschiedlicher
körperlicher oder geistiger Behinderung. Die Gefahr liegt nahe,
dass sich die Indikationen zur PID immer weiter ausdehnen werden
und aller Voraussicht nach nicht auf schwer wiegende Erkrankungen
beschränkt werden können.
Die PID hätte heute noch nicht abschließend einzuschätzende, aber
jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Würde des
Menschen sehr ernstzunehmende Folgen. Hierzu gehört vor allem
das Bedenken, dass menschliches Leben nur „auf Probe“ erzeugt
und vor der Entscheidung, ob es sich entwickeln darf, einer
Qualitätsprüfung unterzogen würde. Die Entwicklung könnte – so
wird gelegentlich argumentiert – dazu führen, dass künftig die
Geburt kranker und behinderter Kinder als vermeidbares Übel
angesehen würde. Das darf keinesfalls geschehen.
Besteht bei einem Paar die erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass ein
krankes oder behindertes Kind geboren würde, so bleibt die
Möglichkeit, dass das betroffene Paar auf ein eigenes leibliches
Kind verzichtet. Dies erscheint als eine harte Konsequenz, und sie
führt zu einem menschlich schmerzhaften Verzicht. Diese
Möglichkeit wäre aber gegenüber einem Schwangerschaftsabbruch
oder einer Vernichtung des Embryos, der durch Befruchtung in vitro
entstanden ist, ethisch eindeutig vorzugswürdig. Die Erzeugung von
Embryonen „auf Probe“ und die Vernichtung von Embryonen mit
einer nachgewiesenen genetischen Erkrankung steht in klarer
Spannung zur christlichen Wahrnehmung des vorgeburtlichen
menschlichen Lebens.
3.1.2 Nutzung embryonaler Stammzellen
Menschliche Stammzellen sind Zellen auf einer frühen Stufe der
Entwicklung, d.h. in einem noch kaum differenzierten und nur wenig
spezialisierten Stadium der Entwicklung. Sie können sich in
verschiedene menschliche Gewebe und Organe weiterentwickeln.
Der embryonale Entwicklungsprozess beginnt im Stadium der
Totipotenz, in dem die sich teilenden Zellen sich jeweils noch zu
einem eigenen Menschen entwickeln könnten. Nach heutigen
Kenntnissen sind die Zellen etwa ab dem 8-Zell-Stadium nicht mehr
totipotent, d.h. sie beginnen sich auszudifferenzieren, um später in
den einzelnen Organen des menschlichen Körpers spezielle
Funktionen zu übernehmen.
Aus Stammzellen können Zelllinien gebildet werden, die eine
unbegrenzte Vermehrung dieser Zellen ermöglichen. Man steht
aber erst am Anfang der Charakterisierung der Stammzellen.
Deshalb gibt es noch keine verbindliche Systematik. Derzeit werden
unterschieden: Stammzellen, die auch noch in bereits
ausgebildeten menschlichen Organen einschließlich dem
Nabelschnurblut vorhanden sind (sog. adulte Stammzellen), von
Stammzellen, die im Labor aus einer Blastozyste, d.h. aus einer
einige Tage alten befruchteten Eizelle, gewonnen werden können
(sog. embryonale Stammzellen). Dazwischen gibt es
Übergangsstadien, deren Differenzierungsgrade derzeit
wissenschaftlich untersucht und systematisiert werden.
Adulte Stammzellen hat man in den letzten Jahren in fast allen
menschlichen Organen gefunden. Deren Funktion, Potentialität und
evtl. therapeutischer Einsatz sind Gegenstand intensiver
Forschungen. Besonderes Interesse haben jedoch die embryonalen
Stammzellen gefunden. Man erhofft sich von ihrer Erforschung ein
besseres Verständnis der zellulären Differenzierungs- und
Entwicklungsprozesse. Möglicherweise ergeben sich daraus neue
therapeutische Ansätze für bisher schlecht behandelbare oder
unheilbare Erkrankungen.
3.1.2.1 Nutzung „überzähliger“ Embryonen (19) aus der
In-vitro-Fertilisation
Die Gewinnung von Stammzellen aus so genannten „überzähligen“
Embryonen ist in ethischer Hinsicht besonders umstritten. Auf der
einen Seite stehen hochrangige therapeutische Ziele, deren
Realisierbarkeit freilich beim jetzigen Stand der Forschung schwer
einzuschätzen ist. Dem steht auf der anderen Seite das schwer
wiegende Bedenken gegenüber, ob menschliche Embryonen als
bloße Mittel für fremde Zwecke verbraucht und in diesem Sinne
instrumentalisiert werden dürfen.
Wer der Auffassung ist, dass alle Embryonen unabhängig von ihren
Entwicklungsmöglichkeiten als sich entwickelnde Menschen, die mit
Gottebenbildlichkeit und Menschenwürde begabt sind, anzusehen
und zu behandeln sind, muss die verbrauchende Nutzung von
Embryonen für die Gewinnung von Stammzellen ablehnen. Da nach
dieser Auffassung allen Embryonen gegenüber eine Pflicht zur
Lebenserhaltung besteht, ist zu erwägen, „überzählige“ Embryonen
aus der In-vitro-Fertilisation zur Adoption freizugeben. (20) Das gilt
allerdings nicht für solche Embryonen, die - z. B. aufgrund langer
Aufbewahrung - geschädigt sind und daher aus medizinischen
Gründen nicht für eine Implantation in Betracht kommen. Doch
dürfen auch diese Embryonen nicht zu bloßen Objekten gemacht
werden. Dies entzieht sie jeglicher Güterabwägung zugunsten
fremdnütziger Ziele. Es erlaubt aber, solche Embryonen absterben
zu lassen.
Zu einem anderen Urteil gelangt man, wenn man der Auffassung
ist, dass erst bei einer tatsächlich stattfindenden Entwicklung, d. h.
unter der Voraussetzung entsprechender Entwicklungsmöglichkeiten
von einem sich entwickelnden Menschen gesprochen werden kann.
Nach dieser Sicht sind Prädikate wie Gottebenbildlichkeit oder
Menschenwürde auf solche Embryonen nicht übertragbar, da es sich
nicht um sich entwickelnde Menschen handelt. Daher stehen in
dieser Sicht der Verwendung solcher Embryonen für die Gewinnung
von Stammzellen keine unüberwindlichen Hindernisse entgegen.
Das gilt insbesondere für diejenigen Embryonen, die aus
medizinischen Gründen für eine Implantation nicht in Betracht
kommen.
Die Kammer hat sich in dieser Frage nicht auf eine gemeinsame
Position verständigen können. Einigkeit besteht jedoch darin, dass
die Herstellung von Embryonen in vitro für Zwecke der Forschung
und Therapie strikt untersagt bleiben muss. Diese Forderung ergibt
sich unmittelbar aus der ersten Auffassung, nach der ein Embryo
nicht als bloßes Mittel für fremde Zwecke gebraucht werden darf.
Aber auch die zweite Auffassung bedeutet nicht einen Freibrief für
den Umgang mit Embryonen. Zwar ist mit den Möglichkeiten der
Reproduktionsmedizin die „natürliche“ Entstehungsweise
menschlichen Lebens in den Bereich menschlicher Verfügung
gerückt. Doch bedeutet das nicht, dass auch die Ziele, die dabei
verfolgt werden, menschlicher Verfügung freigestellt sind.
Diesbezüglich ist die Perspektive wesentlich, unter welcher der
Vorgang der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle betrachtet
wird. Man kann diesen Vorgang in einer rein biologischen
Perspektive betrachten als Entstehung menschlichen Lebens. Man
kann ihn aber auch als den natürlichen Beginn des Menschen
betrachten, als Anfang jenes Werdeprozesses, mit dem ein Mensch
ins Dasein tritt. Im zweiten Fall rückt der Vorgang in eine personale
Perspektive, auch wenn dabei das Gegenüber unbestimmt und im
Verborgenen bleibt. Wird der Vorgang in dieser Perspektive
betrachtet, als Anfang des Werdeprozesses des Menschen, dann
kann eine Verfügbarmachung für andere Zwecke als allein den,
einem Menschen zur Existenz zu verhelfen, nicht in Betracht
kommen. Die Erzeugung von menschlichen Embryonen in vitro für
Zwecke der Forschung und Therapie scheidet wegen der einseitig
biologischen Betrachtungsweise, die dabei leitend ist, als mögliche
Option aus. Denn eine solche Reduktion der vorgeburtlichen
Lebensprozesse auf deren rein biologische Aspekte enthielte ein
Gefährdungspotential im Blick auf den Gedanken der
Menschenwürde und ist deshalb nicht zustimmungsfähig.
3.1.2.2 Das reproduktive und das so genannte therapeutische
Klonen (21)
Als ein weiterer Weg zur Gewinnung embryonaler Stammzellen als
Zell- oder Gewebeersatz wird das so genannte therapeutische
Klonen diskutiert. Bei diesem Verfahren wird – nach der
„Dolly-Methode“ – der Kern einer körpereigenen Zelle des
Patienten in eine entkernte Eizelle eingeführt und zum Wachstum
stimuliert. Sofern dies gelingt, entsteht ein menschlicher Embryo,
der dann in einer sehr frühen Entwicklungsphase für die Gewinnung
von pluripotenten Stammzellen genutzt werden kann. Der große
Vorteil dieser Gewinnungsmethode könnte darin bestehen, dass
keine Verträglichkeits- bzw. Abstoßungsprobleme auftauchen, da es
sich um körpereigene Zellen des Patienten handelt.
Die Klonierungstechnik ist jedoch, wie Tierversuche belegen, mit
Risiken behaftet. Die physiologischen Mechanismen innerhalb des
sich entwickelnden Organismus sind noch weithin unverstanden.
Daher ist auch nicht mit einer klinischen Anwendung in absehbarer
Zeit zu rechnen.
Die Klonierungstechnik hat das Bild biologischer Prozesse
grundlegend verändert. Galt lange Zeit der Prozess der Entwicklung
und Ausdifferenzierung als unumkehrbar, so wurde mit dem Klonen
gezeigt, dass die Entwicklungsprozesse umkehrbar bzw.
reprogrammierbar sind. Damit werden Abgrenzungen von
Totipotenz und Pluripotenz unscharf. Die Technik des Klonens
ermöglicht es, Prozesse der Entstehung von Leben zu stimulieren,
ohne dass eine Verschmelzung von Ei- und Samenzelle nötig ist.
Die Klonierungstechnik kann zu verschiedenen Zwecken eingesetzt
werden. Diese unterschiedlichen Zielsetzungen haben zur
Unterscheidung von reproduktivem und therapeutischem Klonen
geführt. Reproduktives Klonen zielt auf die Entstehung eines
Menschen. Als therapeutisches Klonen wird eine Anwendung der
Technik bezeichnet, die auf die Gewinnung von Zellen zielt, die zu
medizinischen Zwecken (Gewebeersatz) dienen. In beiden Fällen
handelt es sich jedoch um dieselbe Technik.
Das reproduktive Klonen ist mit einer Fülle von medizinischen
Unwägbarkeiten und Risiken verbunden. So entstehen beim
jetzigen Stand der Technik im Versuchsstadium eine große Zahl
fehlgebildeter Embryonen und Föten, bevor auch nur einer
lebensfähig und gesund ist. Im Blick auf die Erzeugung
menschlicher Klone ist das eine inakzeptable Vorstellung. Sodann
gibt es Indizien dafür, dass geklonte Lebewesen deutlich schneller
altern als andere. Auch das müsste schon für sich genommen eine
Klonierung von Menschen verbieten. Schließlich sprechen aber auch
andere gravierende ethische Gründe gegen das reproduktive
Klonen bei Menschen: Der Abkömmling ist zugleich Kind und
genetischer Zwilling eines seiner beiden Elternteile, während er mit
dem anderen Elternteil biologisch nicht verwandt ist. Was besagt
das für das Selbstverständnis und die soziale Rolle eines so
entstandenen Kindes – zumal dann, wenn hinter der Klonierung der
Wunsch steht, genau ein solches Kind (mit diesen Erbanlagen) zu
bekommen? Dies alles spricht eindeutig gegen die Möglichkeit des
reproduktiven Klonens.
Während weitestgehende Einigkeit hinsichtlich der ethischen
Verwerflichkeit des reproduktiven Klonens besteht, gehen die
Auffassungen hinsichtlich der ethischen Verantwortbarkeit der
Gewinnung von embryonalen Stammzellen durch Klonierung
auseinander. Unstrittig ist zwar, dass z. B. nach deutschem (anders
als nach englischem) Recht das sog. therapeutische Klonen
verboten ist, aber es ist strittig, ob es dafür hinreichende ethische
Gründe gibt.
Ist man der Auffassung, dass jeder Embryo ein sich entwickelnder
Mensch ist, so spricht gegen das sog. therapeutische Klonen, dass
es sich dabei um die Erzeugung von Embryonen handelt, die
ausschließlich fremdnützigen Forschungs- und Therapiezielen
dienen, d. h. um die Erzeugung von Embryonen zu
Forschungszwecken, die lediglich als Mittel zum Zweck behandelt
werden. Das verstößt gegen den Grundsatz der Menschenwürde;
denn Embryonen, die durch Klonierung erzeugt werden, haben –
wenn auch nur für kurze Zeit – den Status von sich entwickelnden
Menschen. Dieser Status verliert nicht dadurch seine moralische
Bedeutung, dass von Anfang an die Absicht besteht, aus diesen
Embryonen keine voll entwickelten Menschen werden zu lassen,
sondern sie nach kurzer Zeit zu Forschungszwecken oder zu
therapeutischen Zwecken zu verbrauchen. Würde man die
Schutzwürdigkeit und den Würdestatus von dieser Absicht abhängig
machen, so hinge auch hier die Zuerkennung der Menschenwürde
von menschlicher Entscheidung ab. Aus der Perspektive des
christlichen Glaubens ist das eine inakzeptable Vorstellung.
Gegen das sog. therapeutische Klonen bestünden freilich dann
keine ethischen Bedenken, wenn es ein Verfahren gäbe, bei dem
nicht zunächst ein sich entwickelnder Mensch entsteht, sondern von
vorneherein ein lediglich pluripotentes Zellgebilde, das geeignet ist,
autologen Gewebeersatz hervorzubringen.
Anders stellt sich die Problematik des sog. therapeutischen Klonens
dar, wenn man der Auffassung ist, dass nicht jeder Embryo
unabhängig von seinen Entwicklungsmöglichkeiten den Status eines
sich entwickelnden Menschen hat. Nach dieser Auffassung liegt die
ethische Herausforderung sowohl der Reproduktionsmedizin als
auch des sog. therapeutischen Klonens gerade darin, dass es von
menschlichen Entscheidungen abhängig geworden ist, ob ein
Embryo die Chance entsprechender Entwicklungsmöglichkeiten
erhält oder nicht. Eben deshalb bedarf es der Begrenzung der
menschlichen Verfügungsmöglichkeiten durch klare ethische
Vorgaben.
Während die Erzeugung von Embryonen durch Befruchtung in vitro
nur mit dem Ziel einer Herbeiführung einer Schwangerschaft ethisch
legitim ist, darf nach dieser Auffassung die Erzeugung von
totipotenten Zellen durch Klonierung gerade nicht mit dem Ziel der
Hervorbringung eines Menschen praktiziert werden, sondern nur zu
therapeutischen Zwecken. Das sog. therapeutische Klonen wirft
freilich auch in der Perspektive dieser Auffassung eine Reihe von
offenen Fragen medizinischer und ethischer Art auf. Doch greift der
Einwand eines Verstoßes gegen die Menschenwürde hier nicht, da
beim sog. therapeutischen Klonen dieser Auffassung zufolge kein
sich entwickelnder Mensch erzeugt wird.
3.2 Lebensende (22)
Die demographische Entwicklung zeigt einen wachsenden Anteil
älterer Menschen in unserer Gesellschaft. Auch die durchschnittliche
Lebenserwartung wird voraussichtlich weiter ansteigen. Dadurch wird
die Zahl der Demenzkranken, der chronisch Kranken und der
Pflegebedürftigen weiter zunehmen. Die Etablierung von
Pflegediensten in kirchlicher, öffentlicher und privater Trägerschaft
sollte dieses Problem auffangen. In der Praxis zeigt es sich jedoch,
dass auf diesem rasch wachsenden Sektor des Gesundheitswesens
neue Konzepte entwickelt werden müssen, Finanzierungsfragen zu
klären sind und Qualitätssicherung gewährleistet sein muss.
Die Medizin kann heutzutage verschiedene lebensverlängernde
Maßnahmen auch bei schwerster Pflegedürftigkeit zur Verfügung
stellen und anwenden. Technische Unterstützungen und
medikamentöse Therapien bieten älteren Menschen, chronisch
Schwerstkranken und Pflegebedürftigen einerseits eine Hilfe in der
Bewältigung ihrer Schwierigkeiten und eine Verbesserung der
Lebensqualität auch im hohen Alter. Andererseits können diese
Unterstützungen aber auch dazu beitragen, die Begrenzung des
Lebens und damit das Sterben hinauszuzögern, ohne dass hierin
irgendein Sinn erkennbar ist.
Wenn medizinische Therapien versagen, so dass eine Heilung oder
Abwendung des Sterbens nicht mehr möglich erscheint, sollte unter
Änderung des Therapieziels eine palliative, d.h. an Versorgung und
Schmerzlinderung orientierte, Behandlung einsetzen. Die vielen
Hospizinitiativen, die häufig in direkter Anbindung an kirchliche
Gemeinden stehen, nehmen ihrerseits das Bedürfnis auf, im
Sterbeprozess Hilfestellung, Begleitung und Geborgenheit zu
erfahren.
Die öffentliche Diskussion um menschenwürdiges Sterben wird
zunehmend intensiver geführt. Eine besondere Bedeutung wird
dabei Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten zuerkannt.
Wo Patientenverfügungen vorliegen, beziehen sie behandelnde
Ärzte bei Entscheidungen am Lebensende oder bei
Einwilligungsunfähigkeit zunehmend ein. Die Christliche
Patientenverfügung ist seit ihrem Erscheinen im Herbst 1999 auf
einen großen Bedarf und positive Resonanz gestoßen. Dabei sind
allerdings auch die Grenzen solcher Verfügungen deutlich
geworden. Gleichwohl sollte jeder/jede prüfen, ob er/sie eine solche
Verfügung aufsetzt, weil sie für Ärzte und Angehörige eine große
Entscheidungshilfe sein kann.
In der Debatte um die Sterbebegleitung in Deutschland werden von
verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen strukturelle und
finanzielle Voraussetzungen für eine angemessene
Sterbebegleitung gefordert. Von indirekter Sterbehilfe, bei der eine
Lebensverkürzung durch die Verabreichung von Schmerzmitteln
zwar nicht intendiert, aber in Kauf genommen wird, ist im
medizinischen Alltag auszugehen. Sie ist auch in ethischer Hinsicht
grundsätzlich zu bejahen. Die aktive Sterbehilfe wird hingegen
kontrovers diskutiert. Sie stößt zwar in der Gesellschaft bei vielen
Menschen auf positive Resonanz (23), in der ethischen Diskussion
hingegen bislang überwiegend auf Ablehnung.
Aus christlicher Sicht ist der Tod eines Menschen etwas, das
abgewartet werden muss und nicht herbeigeführt werden darf (24).
Diese Sicht hat die Einstellung unserer Kultur zu Sterben und Tod
wesentlich geprägt. Sie schlägt sich nieder in der Unterscheidung
zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe. Passive Sterbehilfe ist
dadurch charakterisiert, dass bei ihr in allem, was einerseits an
medizinischen Maßnahmen zur Lebensverlängerung unterlassen
oder abgebrochen und andererseits an Maßnahmen zur Begleitung
und Erleichterung des Sterbens unternommen wird, die Situation
des Wartens auf den Tod gewahrt wird. Aktive Sterbehilfe ist
demgegenüber dadurch charakterisiert, dass sie diese Situation
beendet oder ihr sogar in einer Phase zuvorkommt, in der der
Sterbeprozess nicht begonnen hat. Die Konkretisierung dieser
Unterscheidung ist von Fall zu Fall zu vollziehen. Entscheidend ist
jedoch, dass an ihr festgehalten wird.
Gerade bei der Frage der Sterbehilfe zeigt sich in besonderer Weise
die Konflikthaftigkeit menschlichen Lebens. Es ist nicht
auszuschließen, dass es in dieser Frage für den Arzt
Grenzsituationen geben kann. Die öffentlich geführte
Auseinandersetzung dreht sich darum, ob man solche
Grenzsituationen rechtlich regeln soll. Dafür scheint zu sprechen,
dass dies die Transparenz und Kontrolle des ärztlichen Handelns
erhöht. Doch erhebt sich dagegen das schwer wiegende Bedenken,
dass jede Regelung des Ausnahmefalls die Gefahr in sich birgt, aus
diesem einen Regelfall zu machen. Sie könnte eine Dynamik in
Gang setzen, die die Einstellung zum Sterben grundlegend
verändert und erhebliche Auswirkungen auch auf das ärztliche Ethos
hat. Die intuitive Wahrnehmung des Sterbens als etwas, das
abgewartet werden muss und nicht herbeigeführt werden darf,
könnte dabei verloren gehen.
Die Forderung nach einer rechtlichen Liberalisierung der aktiven
Sterbehilfe wird häufig mit dem Recht auf Selbstbestimmung über
den eigenen Tod begründet. Ohne Zweifel verdient die
Selbstbestimmung eines Menschen unsere Achtung. Das gilt
insbesondere für die Selbstbestimmung dessen, der anders denkt
als wir selbst. Doch hat die Selbstbestimmung dort ihre Grenze, wo
sie mit Folgen verbunden ist, durch die eine Person selbst oder
andere in ihrer Integrität und Selbstbestimmung beeinträchtigt
werden.
Solche Folgen sind zu befürchten, wenn die aktive Sterbehilfe zu
einer durch das Recht akzeptierten Praxis würde. Es ist zumindest
nicht auszuschließen, dass dadurch neue Zwänge entstehen in
Gestalt des sozialen oder psychischen Drucks, anderen nicht zur
Last zu fallen und daher das eigene Leben zu beenden bzw. um
dessen Beendigung zu bitten. Der Selbstbestimmung des Einzelnen
wäre damit gerade nicht gedient. Nicht auszuschließen ist auch,
dass die Hemmschwelle gegenüber der Tötung eines Menschen
gesenkt werden könnte, mit Auswirkungen auch auf die Gruppe
einwilligungsunfähiger Personen, bei denen von Selbstbestimmung
keine Rede sein kann. Denn wenn das Ziel der Freigabe der
aktiven Sterbehilfe die Ermöglichung eines „humanen Sterbens“ ist,
mit welchem Recht enthält man dann dieser Gruppe ein solches
Sterben vor? (25)
Hinter der Forderung nach Zulassung der aktiven Sterbehilfe steht
wohl zumeist die Angst vor einem schweren und möglicherweise
auch einsamen Sterben. Diese Angst sollte dahingehend ernst
genommen werden, dass die Anstrengungen im Bereich der
Palliativmedizin verstärkt werden. Dies gehört auch zu den
zentralen Forderungen, die gegenwärtig im Hinblick auf eine
Neuorientierung der Medizin erhoben werden. (26) Außerdem ist
noch einmal auf die große und wachsende Bedeutung der
Hospizbewegung zu verweisen, die - neben und zusammen mit der
Palliativmedizin - eine dem christlichen Glauben und seinem vom
Geist der Liebe bestimmten Menschenbild angemessene Antwort
auf die Angst vor dem schweren, einsamen Sterben darstellt.