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Albert Schweitzer – weniger Protestant, sondern eher Unitarier

 

100 Jahre nach der Gründung des legendären "Urwaldhospitals" im afrikanischen Lambarene: Was bleibt vom Idol Albert Schweitzer, vom Orgelspieler, Bach-Forscher, Philosophen und Theologen?;

 

Schon schwieriger fällt das Urteil über den Theologen. Gewiss, das Buch über die Leben-Jesu-Forschung und über die Mystik des Apostels Paulus sind nach wie vor mit Gewinn zu lesen. Doch am Ende wird man die Abneigung der Straßburger Fakultät, ihrem Privatdozenten einen Ruf auf einen Lehrstuhl zu erteilen, ebenso nachvollziehen können wie die Entscheidung der Missionsgesellschaft, Schweitzer nur als beginnenden Arzt und bleibenden Musiker (das Tropenklavier!) nach Lambarene zu schicken, ihm ansonsten aber wegen seiner heterodoxen Ansichten ein Predigtverbot aufzuerlegen. Man wird sich hüten, Schweitzers tiefe Frömmigkeit und fromme Vorbildlichkeit in Zweifel zu ziehen. Aber das theologische Problem lässt sich damit nicht aus der Welt schaffen, wie sich gerade an der Frage nach dem historischen Jesus zeigt. Schweitzers Buch gibt eine gute Übersicht über die Problemgeschichte, mündet dann aber in ein Bild des frommen Juden Jesus von Nazareth, der sich über den unmittelbaren Anbruch des Reiches Gottes schlicht getäuscht und deswegen nur eine "Interimsethik" verkündet hatte. Wenn man Schweitzers "Theologie" ganz hart abklopft, bleibt von einer protestantischen Konfession oder gar Lehre nicht viel übrig außer einer Person, die eine einzigartige Liebesethik vertreten hat.

Um es zuzuspitzen: Keine christliche Theologie, welcher Konfession auch immer, kommt um das Konzil von Chalcedon des Jahrs 451 n. Chr. herum, auf dem von Jesus Christus gesagt wurde: wahrer Mensch und wahrer Gott. Verkürzt man dieses orthodoxe Paradox entweder nach der einen oder nach der anderen Seite, in Richtung auf eine bloß außermenschliche Geistfigur oder auf einen bloß empirischen, wenngleich "hochstehenden" Menschen, fällt man aus der christlichen Theologie heraus.;

 

Es ist jedenfalls nicht ohne innere Logik, dass Schweitzer in der protestantischen Kirche und Lehre keine amtliche Heimat gefunden hat – dafür aber von den Unitariern, einer pantheistischen religiösen Vereinigung ohne theologisches Lehr- und Leitbild, zu den ihren gerechnet wird. 1963, zwei Jahre vor seinem Tod, hat er sogar die Schirmherrschaft über die Unitarische Kirche in Berlin übernommen.;

 

Schweitzer findet seinen archimedischen Punkt in dem Topos "Ehrfurcht vor dem Leben": "Gut ist: Leben erhalten, Leben fördern, entwicklungsfähiges Leben auf seinen höchsten Wert bringen. Böse ist: Leben vernichten, Leben schädigen, entwickelbares Leben niederhalten." Ob sich jedoch aus diesem emphatischen Appell eine schlüssige und widerstandsfähige Ethik entwickeln lässt, muss nach wie vor zweifelhaft bleiben.

Anekdotisch zeigt sich dies in einer kleinen Lambarener Szene: Da zog man unter den Augen des "Doktors" das Wildschwein Josephine auf – als es aber anfing, Hühner zu fressen, wurde es auf Schweitzers Anordnung hin getötet. In einem Brief, in dem es um den Pazifismus in der Schweiz ging, war es Karl Barth mit Blick auf Josephines Schicksal "ein gewisser Trost", dass "zuletzt auch Albert Schweitzer es nicht unterlassen konnte, nach der ultima ratio zu greifen". Systematischer gefasst: Gewiss ist das Leben schlechthin das Feld, auf dem sich alle Ethik zu bewähren hat, aber das Leben als solches kann dafür nicht die ethischen Normen liefern; alles andere wäre ein naturalistischer, vitalistischer Zirkelschluss. Das wird besonders deutlich an dem Selbstzeugnis Schweitzers: "Ich bin Leben, das leben will in mitten von Leben, das leben will.";


(Die Zeit 11.4.2013 S.17 - http://www.zeit.de/2013/16/albert-schweitzer )

 

Unitarier siehe HIER