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(Leserbrief an verschiedene Tageszeitungen im Herbst 2009)

 

Joachim Krause

Hauptstr. 46

08393 Schönberg

Tel. 03764-3140

Mailto: krause.schoenberg@t-online.de

 

 

Zum Ursprung der Parole „Wir sind ein Volk!“ im Herbst 1989

 

Die meisten von uns haben in Erinnerung, dass aus der Parole „Wir sind das Volk !“, die Demonstranten in Leipzig und anderswo im Herbst 1989 der Staatsmacht entgegen riefen, sehr bald die Parole „Wir sind ein Volk!“ wurde, mit der neuen Zielrichtung hin auf die deutsche Wiedervereinigung.
Wenn man den Quellen nachspürt, findet sich beim ersten Auftauchen dieses Satzes eine ganz andere Motivation und Zielrichtung.
Am 9. Oktober 1989 stand im Vorfeld er zu erwartenden Montagsdemonstration die Entwicklung auf Messers Schneide: Die Gefahr war sehr real, dass der Aufbruch der Mutigen in Gewalt und Blut enden würde. In dieser kritischen Situation gab es zum einen den Aufruf der Gruppe um Kurt Masur mit der Aufforderung zur Besonnenheit an alle Seiten - manchmal wird vergessen, dass drei der sechs Unterzeichner dieses Aufrufs von der „Gegenseite“, aus der Bezirksleitung der SED kamen.

Am gleichen Tag wurde in Leipzig ein zweiter Aufruf geschrieben, vervielfältigt und in etwa 30.000 Exemplaren verbreitet. Unterzeichner des Flugblattes waren der Arbeitskreis Gerechtigkeit, die Arbeitsgruppe Menschenrechte und die Arbeitsgruppe Umweltschutz, kritische kirchliche Akteure aus dem Umfeld von Pfarrer Christoph Wonneberger. Sie richteten einen Appell an die Demonstranten und an die Einsatzkräfte der Staatsmacht mit der Bitte, sich jeder Art von Gewalt zu enthalten. Und in diesem Aufruf taucht zum ersten Mal im Herbst 1989 die Formulierung auf „Wir sind ein Volk!“. Diese Mahnung wird hier eindeutig DDR-intern verstanden. Demonstranten auf der einen Seite und die ihnen gegenüber stehenden Mitglieder von Kampfgruppen, Polizisten, Stasimitarbeiter und Parteifunktionäre werden daran erinnert, dass es um die gemeinsame bessere Zukunft dieses Landes DDR geht. Das Wahrnehmen von Verantwortung wird von beiden Seiten erwartet und ihnen auch zugetraut! In diesen Tagen hatte der Staat DDR durchaus noch die Möglichkeit, den Aufbruch in Blut zu ertränken. Dass es dazu nicht kam, ist beiden Seiten zu verdanken – der Besonnenheit und Hartnäckigkeit der Demonstranten mit ihren Kerzen, aber auch vielen, die auf der anderen Seite standen, die aber auf den Einsatz ihrer Machtmittel verzichteten.

 

Joachim Krause

 

 

 

 


(Dokumentation:
Wortlaut des Aufrufs in Leipzig am 9. Oktober 1989)

 

 

In den letzten Wochen ist es mehrfach und in verschiedenen Städten der DDR zu Demonstrationen gekommen, die in Gewalt mündeten: Pflastersteinwürfe, zerschlagene Scheiben, ausgebrannte Autos, Gummiknüppel- und Wasserwerfereinsatz. Es gab eine unbekannte Zahl Verletzter, von Toten ist die Rede.

Auch der letzte Montag in Leipzig endete mit Gewalt. Wir haben Angst. Angst um uns selbst, Angst um unsere Freunde, um den Menschen neben uns und Angst um den, der uns da in Uniform gegenübersteht. Wir haben Angst um die Zukunft unseres Landes. Gewalt schafft immer nur Gewalt. Gewalt löst keine Probleme. Gewalt ist unmenschlich. Gewalt kann nicht das Zeichen einer neuen, besseren Gesellschaft sein.

 

Wir bitten alle:
- Enthaltet Euch jeder Gewalt !

- Durchbrecht keine Polizeiketten, haltet Abstand zu Absperrungen !

- Greift keine Personen oder Fahrzeuge an !

- Entwendet keine Kleidungs- oder Ausrüstungsgegenstände der Einsatzkräfte !

- Werft keine Gegenstände und enthaltet Euch gewalttätiger Parolen !

- Seid solidarisch und unterbindet Provokationen !

- Greift zu friedlichen und phantasievollen Formen des Protestes !

 

An die Einsatzkräfte appellieren wir:

- Enthaltet Euch der Gewalt !

- Reagiert auf Friedfertigkeit nicht mit Gewalt !

 

                                  W i r  s i n d  e i n  V o l k  !

                Gewalt unter uns hinterläßt ewig blutende Wunden !

 

Partei und Regierung müssen vor allem für die entstandene ernste Situation verantwortlich gemacht werden. Aber auch  h e u t e  ist es an uns, eine weitere Eskalation der Gewalt zu verhindern. Davon hängt unsere Zukunft ab !

 

                                          Arbeitskreis Gerechtigkeit

                                          Arbeitsgruppe Menschenrechte

                                          Arbeitsgruppe Umweltschutz