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Gut leben statt viel haben
© Joachim Krause 2005
Gut
leben statt viel haben
Das Thema klingt für manchen wahrscheinlich verwirrend oder ist
sogar ärgerlich. Unsere Sprichworte und Erziehungsmaximen lehren doch anderes,
wenn es da zum Beispiel heißt: „Haste was, biste was!“
Wir wollen nachdenken über die Frage nach dem „guten Leben“ in
Gottes guter Schöpfung.
In einer ersten Runde soll das Thema umkreist werden. Wir werden dabei
verschiedene Facetten entdecken. Es geht um Lebensstil-Fragen - um meine ganz
persönliche Art zu leben, aber auch um den Lebensstil unserer Gesellschaft.
Im zweiten Teil wollen wir noch etwas konkreter fragen, wie es
denn aussehen könnte, das gute Leben: dabei wird es um handfeste Beispiele aus
dem Alltag gehen.
1. Was
braucht der Mensch?
Der erste Teil unserer Überschrift heißt: „gut leben“.
Dahinter steht eine wichtige Frage, die sich Menschen immer wieder gestellt
haben, das Fragen danach, was das heißt und wie man das hinbekommt: gut zu
leben.
Menschen sind auf der Suche nach dem guten, gelungenen Leben.
Wenn wir die Frage näher an uns heranlassen, zeigt sich: wir alle
bringen konkrete Vorstellungen mit vom „guten Leben", Erfahrungen, die
wir machen durften, vielleicht fallen uns auch Wünsche ein, die unerfüllt
geblieben sind ...
Ich
habe neulich in eine Gesprächsrunde hinein gefragt: "Was macht für mich
eigentlich ein gutes Leben, ein erfülltes Dasein aus?" Schnell sprudelten
Stichworte: Familie, Gesundheit, Glaube, Zufriedenheit, Ruhe,
für-andere-da-sein-können, Frieden, Arbeit haben, Freunde, Geld, Essen und
Trinken ...
Wir machten die Entdeckung: wenn man sich selbst und andere nach den Maßstäben
für Lebensglück fragt ("Was brauche ich, um glücklich zu sein?"),
dann begegnen uns – wenn wir ehrlich antworten – ganz selbstverständlich auch
materielle Wünsche, es geht um Besitz, die Kategorie des Habens. Wir sollten
Materielles nicht zu gering schätzen, nur weil vieles für uns
selbstverständlich ist. Wir Reichen (wir leben auch heute noch in einem der
wirtschaftlich erfolgreichsten und damit reichsten Länder der Welt!) vergessen
schnell, wie wichtig es ist, dass die materiellen Grundlagen des Lebens
gesichert sind, dass wir unsere elementaren Grundbedürfnisse befriedigen
können (Wohnen, Ernährung, Kleidung, Bildung, Gesundheit, Arbeit).
Interessant ist aber vor allem, dass bei der Frage nach Glück zuerst und vor
allem nicht-materielle Qualitäten benannt werden: wir sehnen uns nach
Gesundheit und Frieden, einem guten mitmenschlichen Klima (Freunde), suchen Geborgenheit,
Gerechtigkeit, Ruhe/Zeit/Muße, Phantasie/Kreativität ...
Wir blicken fünfhundert Jahre zurück. Martin Luther dachte damals
in seinem „Kleinen Katechismus“ nach über die vierte Bitte im Vaterunser:
„Unser tägliches Brot gib uns heute!“. Er machte deutlich, dass sich hinter der
– damals durchaus nicht nur symbolisch verstandenen, sondern sehr realen -
Bitte um das „tägliche Brot“ ein viel weiterer Betrachtungshorizont auftat. Es
ging um die Frage, was der Mensch für sein Leben braucht, damit es ein gutes
Leben sein kann.
Aus dem
Kleinen Katechismus von MARTIN LUTHER
Die vierte Bitte im Vaterunser: „Unser tägliches Brot gib
uns heute“
Alles, was
not tut für Leib und Leben, wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof,
Acker, Vieh, Geld, Gut, fromme Eheleute, fromme Kinder, fromme Gehilfen, fromme
und treue Oberherren, gute Regierung, gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht,
Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen.“
Und da begegnen – über die Jahrhunderte hinweg – Stichworte, die
denen aus unseren Tagen sehr ähneln (siehe oben). Da gibt es lebensnotwendige
Dinge, die wir selbst herstellen oder gegen Geld erwerben können. Aber bei vielem
sind wir darauf angewiesen, dass es uns geschenkt wird: dass andere Menschen
Gemeinschaft mit uns suchen, dass wir gesund sind, dass die Ernte des nächsten
Jahres in gedeihlichem „gutem Wetter“ reifen kann ...
Es geht um die Bedürfnisse des Menschen. Und damit eröffnet sich
ein weites Spektrum - von grundlegendem, lebenswichtigem Bedarf über Ansprüche
bis hin zu Luxus.
Was braucht der Mensch? Sicher ist die Befriedigung der
elementaren Bedürfnisse (unten in der folgenden Darstellung) unverzichtbar.
Aber sind es nicht gerade auch die – im engeren Sinne nicht lebensnotwendigen
- „Luxusbedürfnisse“ (ganz oben im Kasten aufgeführt), die den Menschen erst
zum Menschen machen?
Bedarf à Bedürfnisse à Ansprüche ?
Kunst, Philosophie,
Religion, „Bedürfnisse der Seele“
Sicherheit
(Vorräte, Mauern), Besitz, Rang, Bequemlichkeit, Komfort, Unterhaltung, „Spaß“
Mobilität,
Kommunikation, Infrastruktur (Versorgung, Organisation)
emotionale und soziale
Bedürfnisse:
Beziehungen, Geborgenheit, Verstehen und Verstandenwerden, Arbeit, Bildung
Wohnraum,
Kleidung, Energie (Heizung), Gesundheitsfürsorge
existenziell
wichtig, unmittelbar lebensnotwendig:
Luft, Wasser, Nahrung, Schlaf, Fortpflanzung (?)
Was brauche ich? Wir alle wissen, wie das mit Wünschen und
Bedürfnissen ist: wenn ein Bedürfnis erfüllt ist, dann sind wir in der Regel
nicht zufrieden. Schnell tauchen fünf neue Bedürfnisse auf – das Wachstum bei
Bedürfnissen ist offenbar unbegrenzt ...
Geldwert des Glücks
Folgende
Faktoren verändern die Lebenszufriedenheit im gleichen Maß wie der monatliche
Gewinn oder Verlust eines Geldbetrags (nach Berechnungen des britischen
Ökonomen Andrew Oswald, DER SPIEGEL 14/3003 S.116)
Ehe + 9000 €
Kinder + 0 €
Trennung vom
Partner – 16500 €
Tod des
Partners – 21000 €
Arbeitslosigkeit
–34500 €
schwere
Erkrankung –61500 €
Schlechte Laune im Schlaraffenland
In den westlichen
Industrieländern hat sich der materielle Lebensstandard in den letzten fünfzig
Jahren verdoppelt bis verdreifacht (inflationsbereinigt). Nicht nur die
gesteigerte Kaufkraft spricht für die allgemeine Verbesserung der
Lebensbedingungen. Auch der Gesundheitszustand, die Lebenserwartung, die
Bildungschancen, die soziale und physische Mobilität sowie die Sicherheit des
durchschnittlichen Menschen der westlichen Welt sind auf einem historischen
Höchststand. Das Goldene Zeitalter, von dem frühere Generationen träumten,
ist hier und jetzt. Doch seit fünf Jahrzehnten hat der Anteil der Bevölkerung,
der sich als glücklich beschreibt, nicht weiter zugenommen
...
Die meisten Menschen
beurteilen ihre Lage nicht nach dem Stand der Dinge, sondern auf der Grundlage
ihrer Hoffnungen oder Ängste. Nicht, was er hat, sondern was er zu kriegen
glaubt, versetzt den Menschen in gute Stimmung ...
Das Glück ist mit den
Unzufriedenen, die allerdings mit Gereiztheit und Gestresstheit für ihre
Erfolge bezahlen müssen ...
Vergleichsstress ist
einer der wichtigsten Gründe für eine Entkopplung von (tatsächlichem) Wohlstand
und (empfundenem) Wohlergehen. Vergleichen macht unglücklicher, weil man sich
fast immer mit denen vergleicht, denen es besser geht, und nur selten mit
denen, denen es schlechter geht ...
Die Glücksforschung
will uns auch Tipps geben, wie wir glücklichere Menschen werden können: mehr
Zeit mit der Familie oder mit Freunden verbringen, weniger Fernsehen,
Dankbarkeit für die Segnungen des Alltags entwickeln, (sich selbst) vergeben
lernen, Freunden etwas Gutes tun. Verheiratete sind durchschnittlich
glücklicher als Singles, Religiosität ist eine ziemlich wirkungsvolle Zutat
fürs Wohlbefinden ...
(Nach: Die Zeit
28.4.05 S.62)
2. Gut
Leben
Wir wollen dem ersten Teil unseres Themas etwas weiter nachsinnen:
“Gut leben“ - was heißt das eigentlich in der Tradition des christlichen
Glaubens?
Es geht bei unserem Thema um's Leben! Ich erfahre Leben, auch mein Leben, als
Geschenk, als Leben in Gottes guter Schöpfung.
Es geht um die Welt, die unsere Heimat ist,
unsere Um-Welt, die uns umgibt, die Welt, auf der und von der wir leben.
Seit einigen Jahren erst können wir unseren blauen Planeten mit Abstand
betrachten. Für mich ist das immer von neuem ein großartiger Anblick, diese
zarte, zerbrechliche Kugel, die in der Weite des Weltalls ihre Bahn zieht. Und
sie ist der einzige uns bekannte Ort im Universum, auf dem es Leben gibt, das
damit auch kostbares, gefährdetes Leben ist.
Herr, wie zahlreich sind deine Werke! Mit Weisheit hast du sie alle
gemacht, die Erde ist voll von deinen Geschöpfen.
Sendest du deinen Geist aus, so werden sie alle erschaffen, und du erneuerst
das Antlitz der Erde.
Gibst du ihnen, dann ... werden sie satt an Gutem. Nimmst du ihnen den Atem, so
... kehren sie zurück zum Staub der Erde.
Du lässt die Quellen hervorsprudeln in den Tälern ... allen Tieren des Feldes
spenden sie Trank.
Im Schutz der Bäume bauen die Vögel ihr Nest ... die hohen Berge gehören dem
Steinbock.
Du lässt Gras wachsen für das Vieh, auch Pflanzen für den Menschen, damit er Brot
gewinnt von der Erde.
Sehe ich den Himmel, das Werk deiner Hände, den Mond und die Sterne ... was ist
der Mensch, dass du seiner gedenkst ? Du hast den
Menschen mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt, hast ihn als Herrscher eingesetzt
über das Werk deiner Schöpfung, du hast ihm alles zu Füßen gelegt: all die
Schafe, Ziegen und Rinder, auch die wilden Tiere, die Vögel des Himmels und die
Fische im Meer ...
Ewig währe die Herrlichkeit des Herrn; der Herr freue sich seiner Werke.
(Die Bibel, aus den Psalmen 8 und 104)
Die Bibel erzählt im 1. Kapitel vom Ursprung
der Welt. Gott sah seine Werke an, die er ins Dasein gerufen hatte, und kam zu
dem Urteil, dass alles „sehr gut“ sei. Für mich steht dieses Prädikat nicht nur
für eine heile Welt in ferner Vergangenheit. „Sehr gut“ – ich denke, das gilt
auch heute noch weiter.
Menschen haben zu allen Zeiten die Welt als
gute Heimat, als Geschenk erfahren dürfen. Das alte Volk Israel, später auch
die Christen haben gestaunt über die Größe und
Vielfalt der Werke Gottes, über das Große (den Kosmos) wie über das Kleine (die
zarte Knospe, die sich schon unter den letzten Schneeresten entfaltet hat). Sie
haben in Gebeten und mit Liedern ihren Schöpfer gelobt, ihren Dank zum
Ausdruck gebracht dafür, dass ihnen auf dieser Erde eine Heimat geschenkt ist,
dass diese Welt „zum Wohnen gemacht“ ist.
Solche guten Erfahrungen sind schon in alten
Liedern in der Bibel aufbewahrt. Wenn ich Sätze aus den Psalmen lese, dann sind
das Erfahrungen, die auch ich ganz aktuell mache, hier und heute: Dass ich
leben darf inmitten von ungezählten Arten von anderem Leben. Dass es in dieser
Welt all das gibt, was ich zum Leben brauche - saubere Luft zum Atmen, klares
Wasser zum Trinken, fruchtbare Erde, auf der das tägliche Brot wächst, dazu den
Duft von Frühlingsblumen oder den fröhlichen Gesang einer Amsel im Garten.
Der Auftrag Gottes an den Menschen:
„Und Gott
segnete die Menschen und sprach zu ihnen:
Seid
fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und
herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über
das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“
(1. Buch
Mose 1,28)
Der Mensch im Garten Gottes:
„Und Gott der
HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, damit er ihn bebauen
und bewahren sollte“.
(1. Buch
Mose 2,15)
Christen
werden in der Bibel auch daran erinnert, dass ihnen mit dem Geschenk ihres
Daseins in dieser Welt auch Verantwortung aufgetragen ist, dass sie Haushalter
sind, als Verwalter der Schätze dieser Erde eingesetzt im Auftrag Gottes. Die
Welt ist dem Menschen anvertraut zu fürsorglicher Herrschaft (nur so kann das
„Untertan-Machen“ im 1. Kapitel der Bibel verstanden werden). Wir Menschen
sollen einen „Garten bebauen und bewahren“. Wir dürfen unsere Begabungen
nutzen, die Welt entdecken und zu unserem Wohle umgestalten. Aber bei aller
Umgestaltung und Nutzung gilt: die Welt soll ein Garten bleiben und nicht
unter unserer Hand zur Wüste werden. Lebensraum, in dem ein gutes Leben möglich
ist – auch für alle, die mit mir leben oder die nach mir kommen.
Wie gelingt uns Menschen der Umgang mit
dieser Welt?
Die Bibel erzählt immer wieder davon, wie das Leben von Menschen gelingen kann,
oder wie sie das Ziel ihres Daseins verfehlen. Kategorien des (Viel-)Habens
spielen dabei manchmal eine wichtige Rolle.
3.
Einwände – von Realisten und Propheten
Mancher meint jetzt vielleicht: „Die Bibel schildert da wahrhaft
paradiesische Zustände, aber ist das nicht alles ein schöner Traum, fern von
jeder Realität? Ist unser Thema nicht falsch formuliert, wenn es da heißt: gut
leben statt viel haben? Muss das nicht anders heißen, nämlich:
Gut leben = viel haben?
Sagt das nicht auch der gesunde Menschenverstand in Sprichworten
wie “Viel hilft viel“ oder „Haste was, biste was“?
Viel zu haben – das ist doch für viele von uns gleichbedeutend mit
gutem Leben!
Lebt nicht auch unsere hochtourige, reiche und erfolgreiche Marktwirtschaft
in der westlichen Welt gerade von einem ewigen Wettlauf, in dem es darum geht,
jeden Tag neue Bestmarken zu erreichen? Auch da heißen die Parolen doch - wie
im Sport -: Immer schneller, immer weiter, immer mehr!
Ziehen Sie aufs Land.
Dann haben Sie es weiter in die Stadt.
(Werbung für den Audi TT)
Und der Zeitgeist mit Wettbewerb und Börsen-Boom lehrt uns:
Wachstum muss sein! Alle Kurven für positive Entwicklung müssen nach oben
zeigen. Unsere Gesellschaft muss immer mehr produzieren, ich als Konsument muss
bereit sein, immer mehr verbrauchen.
Diese Weltsicht spiegelt sich in den Weltbildern der Werbung, die oft
Zerrbilder der Wirklichkeit sind. „Immer mehr“ – so lauten die Verlockungen
der Werbung. Da erscheint in einer großen Wirtschaftszeitschrift das Bild der
gezackten Gipfelkette eines Alpen-Panoramas mit der Unterschrift „Wer hier eine
Umsatzkurve sieht, denkt ein bisschen wie wir.“ Diese Weltsicht kann die
Wirklichkeit der Welt nur noch als Wachstumskurve wahrnehmen. Oder: Das Auto
dient nicht mehr vorrangig als Mittel, damit ich mich – um sinnvolle Ziele zu
erreichen - von hier nach da bewegen kann; das Kilometer-Herunterspulen wird
zum Zweck in sich.
Manchmal
besteht wohl die Gefahr, dass das "VIEL HABEN" zum Selbstzweck wird, dass wir vergessen, was wir eigentlich wollten in unserem
Leben, welche Ziele uns wichtig waren. Und das dem, was wir „haben“, dabei
immer nur dienende Funktion zukommt, als Mittel, um diese Ziele zu erreichen.
Wir strampeln uns ab, eingesperrt in ein Laufrad, das angetrieben wird von
(äußeren) Sachzwängen und dem (inneren) Druck unbefriedigter Bedürfnisse - und
kommen dem Ziel nicht näher.
„Geld macht glücklich!“ heißt es. Eine Umfrage in der deutschen
Bevölkerung, die seit Jahrzehnten durchgeführt wird, zeigt Interessantes: Der
materielle Wohlstand in Deutschland (gemessen am erwirtschafteten
Bruttosozialprodukt) ist heute drei Mal so hoch wie vor 50 Jahren. Aber der
Anteil der Menschen, die sagen, dass sie „glücklich“ sind, ist mit etwa 30
Prozent über all die Jahre konstant geblieben.
Neulich haben Wissenschaftler statistisch erfasst, was Menschen
ganz konkret zum Leben „brauchen“. In einer einfachen Gesellschaft von Indianern
in Nordamerika wurden in einem Familienhaushalt exakt 246 Gegenstände gezählt,
die für das Überleben nötig waren. Im Kontrast dazu wurde auch ermittelt, wie
viele Gegenstände zu einem durchschnittlichen deutschen Familienhaushalt
zählen. Es sind (natürlich wird dabei jede Gabel und jedes Buch und jedes
Kleidungsstück einzeln gezählt) etwa 10.000! Schnell wird deutlich, dass auch
„viel haben“ belastend sein kann, Lebensenergie frisst: all diese Gegenstände
wurden erst begehrt, dann erworben, nun müssen sie auch gezeigt, gepflegt und
genutzt werden – das kann einen ganz schön in Atem halten!
Es geht aber nicht nur um Fragen zu unserem ganz privaten
Lebensstil, es ergeben sich auch Anfragen an die „große“ Politik.
Ich will an dieser Stelle zwei unverdächtige Zeitzeugen zu Wort
kommen lassen, die unser dauerndes Streben nach immer mehr Wohlstand (materiell
verstanden) in Frage stellen.
Da ist zum ersten
der „Vater des (west-)deutschen Wirtschaftswunders“, der Ökonomie-Professor und
spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard. Er hatte 1957 einen Traum:
Ludwig Erhard, der „Vater des (west-)deutschen
Wirtschaftswunders“ – ein Träumer?
„Je besser es uns gelingt, den Wohlstand zu mehren, um so
seltener werden die Menschen in einer nur materiellen Lebensführung und
Gesinnung versinken.
Nach
einer Phase der Wohlstandsmehrung werden sich die Menschen die Frage stellen,
ob es noch immer richtig und nützlich ist, mehr Güter, mehr materiellen
Wohlstand zu erzeugen, oder ob es nicht sinnvoller ist, unter
„Verzichtsleistung“ auf diesen Fortschritt mehr Freizeit, mehr Besinnung,
mehr Muße und mehr Erholung zu gewinnen.“
(Ludwig Ehrhard: Wohlstand für alle,
1957, S.222)
Hing er einer Illusion an? Geht es uns auch 50 Jahre später noch
nicht gut genug, dass wir uns auf die eigentlich wichtigeren Dinge im Leben
besinnen? Oder sind wir Menschen eben doch anders „gestrickt“, als er dachte?
Ein anderer Wirtschaftsprofessor und CDU-Politiker geht 50 Jahre
später (2004) noch viel kritischer auf die selbstverständliche Alltagspolitik
los. Was er sagt, klingt nach Systemveränderung, fast schon nach Revolution!
Kurt Biedenkopf kommentierte aus konkretem Anlass ein Papier seiner Partei,
der CDU, aber seine System-Kritik richtete sich viel umfassender an die
Wachstumskonzepte aller Politiker in den westlichen Industriegesellschaften.
Kurt Biedenkopf, Ministerpräsident a.D. -
ein Revoluzzer?
18.
Bundesparteitag der CDU Dezember 2004
Aus dem
Antrag des Bundesvorstandes:
„... Bruttoinlandsprodukt (BIP) als entscheidender
und gültiger Indikator für den Erfolg des Landes: ein steigendes BIP bezeugt
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt sowie materiellen
Wohlstand; geringes Wachstum führt zu wirtschaftlichem und gesellschaftlichem
Abstieg und Rückschritt.“
Wachstum
gilt (in den westlichen Industriegesellschaften)
als Voraussetzung für Beschäftigung, Wohlstand und den Erhalt des sozialen Friedens ...
In
einer endlichen Welt ist ständiges Wachstum nicht
möglich.
Von dieser Illusion
müssen wir uns trennen.
Seit Jahren muss das Wachstum durch staatliche und private Schulden
gestützt werden. Der Ressourcenverbrauch steigt und mit ihm die Belastung
der Umwelt (durch Abfälle unseres Wirtschaftssystems). Die Belastungen
der Lebenschancen kommender Generationen nehmen Dimensionen an, die
jene zurückliegender Kriege übersteigen.
Eine
Politik, welche die Zukunftsfähigkeit des Landes von dauerhaftem Wachstum
abhängig macht, kann keine lebenswerte Zukunft bieten.
Eine dramatische Wende ist gefordert – hin zu den Kräften, deren
Wachstum weder zeitlichen noch räumlichen Grenzen unterliegt: auf die geistigen,
kulturellen, wissenschaftlichen und religiösen Kräfte.
(Kurt
Biedenkopf, Die Zeit 25.11.04 S.8)
Wir wissen es eigentlich alle: Unser Leben in dieser Welt hinterlässt
tiefe Spuren. Einmal im sozialen Gefüge: wo die einen sich zu viel nehmen von
den Schätzen dieser Welt, bleibt für andere nichts übrig, da muss es auch Arme
geben. Zum anderen hinterlassen wir tiefe Spuren in der Umwelt (die Schätze der
Erde werden geplündert, die Abfallberge wachsen – in einer endlichen Welt ist
das nicht unbegrenzt möglich). Das Suchen, immer mehr haben zu wollen, kann zur
Sucht werden, und die zerstört die Lebens-Grundlagen, bringt das angestrebte
„gute Leben“ in Gefahr.
Ein Fünftel der Weltbevölkerung (in den reichen Ländern
des Nordens) beansprucht vier Fünftel der Schätze dieser Erde.
Wenn alle heute lebenden Menschen (6,4 Milliarden) mit
solchen Ansprüchen leben wollten, wären drei zusätzliche Planeten vom TYP ERDE
erforderlich ...
Die beiden großen Sozialphilosophien
des 20. Jahrhunderts, der demokratische Kapitalismus und der kommunistische
Sozialismus, hatten grundsätzlich den gleichen Ansatz: Beide Theorien
bewerteten Personen materialistisch auf der Basis dessen, was sie produzieren
und konsumieren. Und mehr davon zu haben, verhieß nach beiden Ansätzen, ein
besseres Leben führen zu können.
Stellt
sich heute neu die System-Frage?
Biedenkopf sagt: Das kapitalistische Wirtschaftsmodell auf Dauer nicht logisch (weil
es von den Begrenzungen der Welt absieht), es lebt vom Schuldenmachen (zu
Lasten späterer Generationen), es ist unsozial (zumindest ein Teil der Menschen
wird zu Verlierern) und es ist nicht umweltverträglich (plündert die Ressourcen).
Aber: Kapitalismus funktioniert nach den klassischen ökonomischen Theorien
nicht ohne (ständiges) Wachstum ...
Karikaturisten zeichnen heute zwiespältige Bilder von unserer Welt
– Übertreibung oder nüchterne Bestandsaufnahme?
Wie sehen meine Weltbilder aus, wie blicke ich in die Zukunft?
Überwiegen da Hoffnung und Zuversicht, oder schlagen stärker Bedenklichkeit,
vielleicht sogar Angst zu Buche?
Gibt es hoffnungsvolle Schritte hin zu einem guten Leben?
DER TRAUM
VOM RETTENDEN WACHSTUM – KATZENJAMMER INKLUSIVE
„Wirtschaftliches
Wachstum muss sein, damit wir Probleme wie Staatsverschuldung, leere Kranken-
und Rentenkassen oder Arbeitslosigkeit lösen können!“
Mit diesem
Ansatz prophezeit die Politik erst zwei Prozent Wachstum für das nächste Jahr,
erstellt auf der Basis dieser Annahme ihren Haushalt (mit rechnerisch
gefüllten und ausgeglichenen Kassen), dann aber bleibt das Wachstum aus, die
Politik muss die Erwartungen schließlich reduzieren, nun aber sind neue
„Löcher“ entstanden, die Kassen sind leerer als erwartet, soziale Leistungen
müssen gestrichen werden, Krisenstimmung macht sich breit ...
ABER
Unsere
opulent begüterte Gesellschaft hat sich einem materiellen Wohlstandsniveau
genähert, das nennenswertes Mengenwachstum schlicht und einfach nicht mehr
zulässt. Zumindest nicht dauerhaft.
Die globalen
Rohstoffvorräte setzen uns Grenzen. Unsere Welt ist keine (unbegrenzte)
Scheibe, sondern eine Kugel (begrenzte Oberfläche, begrenzte Schätze)! Zudem
möchten immer mehr Menschen die Rohstoffe nutzen (Bevölkerungswachstum,
Nachholebedarf der unterentwickelten Länder). Die Knappheit zeigt sich bereits
in steigenden Preisen für Erdöl und andere wichtige Rohstoffe auf den
Weltmärkten.
Längst
bremsen auch Sättigungseffekte das Wachstum unserer Wirtschaft. In einer
reichen Gesellschaft – noch dazu in einer mit abnehmenden Bevölkerung – besteht
einfach kein Neubaubedarf mehr (logisch also der Rückgang im Bausektor). Auch
bei langlebigen Konsumgütern wird in Zukunft nur noch der Ersatzbedarf zu
decken sein.
Die – für
Politiker und Medien unvorstellbare - Schreckensvision vom NULL-Wachstum
bedeutet schlicht, dass im Lande genauso viel erwirtschaftet wird wie im Jahr
zuvor. Und das ist in unserer reichen und hochproduktiven Gesellschaft eine
ganze Menge. Die Wirtschaft der Bundesrepublik ist zwischen 1950 und 1972 um
das Siebenfache gewachsen und seit 1972 noch einmal um das Doppelte. Da wird es
immer schwerer, (hohe) Wachstumsraten zu erreichen.
WAS NUN?
Notwendig
ist eine neue ökonomische Strategie, ein Konzept, das uns auch ohne
nennenswertes quantitatives Wachstum einen soliden Sozialstaat und
durchfinanzierte Haushalte ermöglicht.
Grundlage
ist die Einsicht, dass wir einen schonenden Umgang mit Ressourcen
pflegen sollten, und dass langfristige Stabilität nur in Systemen möglich ist,
die auf dem Prinzip der Nachhaltigkeit beruhen (Grundsatz: es darf nur
so viel verbraucht werden, wie im gleichen Zeitraum nachwächst). Das verlangt
das gerechte Teilen von Lebenschancen (z.B. durch ein gesichertes
Grundeinkommen für jeden, Arbeit als Teilzeitarbeit für alle – ohne vollen
Lohnausgleich!).
(nach: Die Tageszeitung 26./27.4.2005)
„Es geht
mir gut genug.“
Könnte ich einen solchen Satz sagen? Dankbar zur Kenntnis nehmen,
dass ich satt bin, genug habe? Könnte ich zufrieden sein auf dem erreichten
hohen Niveau?
4.
Schritte zum guten Leben
Wie könnten konkrete Schritte aussehen, hin zu einem Lebensstil,
der vom „Immer-mehr-haben-und-verbrauchen“ wegführt?
Ich möchte das an einigen Beispiel aus unserem
Lebensalltag konkreter machen.
Es soll daran erinnert werden, wo Konflikte auftauchen zwischen dem Bestreben,
immer mehr zu haben und der Sehnsucht nach dem guten Leben.
Und es soll nach Lösungen gefragt werden, welche (kleinen und größeren)
Schritte möglich sind.
4.1.
Unser Umgang mit den Schätzen dieser Erde am Beispiel der Nutzung von Energie
Wir überheizen unsere Wohnungen. Wir fahren Autos, die 10 oder
gar 12 Liter Benzin auf hundert Kilometern verbrauchen. Wir kaufen Fernsehgeräte,
die man gar nicht mehr richtig ausschalten kann. „Macht euch die Erde untertan“ ...?
Zunächst sei daran erinnert: Energie dient dem Leben. Energie macht Leben
überhaupt erst möglich. In der Natur (das gilt für die Lebenssysteme auf der
ganzen Erde auch heute) ist die Haupt-Energiequelle die Wärme und die
Strahlung, die von der Sonne stammen – von einer Energiequelle, die seit
undenklichen Zeiten Energie nie im Überfluss, aber stets ausreichend für alles
Leben bereitgestellt hat.
Der Mensch hat sich schon vor Jahrhunderten nicht mehr mit dem Angebot der
Sonne begnügt und hat sich zusätzliche Energiequellen verfügbar gemacht. Mit
Kohle, Erdöl, Erdgas und Uran werden einmalige Schätze in Anspruch genommen,
die seit langer Zeit in den Tiefen der Erde ruhten. Technisch genutzte Energie
hat den Menschen mächtig gemacht. Sie treibt die Prozesse unserer Wirtschaft
an, sie macht unser Leben komfortabel (Heizung, Beleuchtung), sie erleichtert
uns die körperliche Arbeit (Maschinen) und sie schafft neue Freiräume
(Mobilität - Auto).
Aber wir haben auch lernen müssen, dass die Nutzung von immer mehr
Energie Lebenschancen zerstört. Unser Umgang mit Energie hat Folgen.
Probleme begegnen uns zum einen bei der Gewinnung der Rohstoffe.
Am Beispiel von Braunkohle wird das deutlich: der Abbau reißt tiefe Wunden in
die Landschaft, Menschen verlieren Ackerland und ihre Heimat. Und Braunkohle
ist – wie alle „fossilen“ (das heißt in der Erdgeschichte abgelagerten)
Rohstoffe erschöpfbar, steht nur für einen begrenzten Zeitraum in der
Menschheitsgeschichte zur Verfügung.
Zusätzlich ergeben sich Probleme mit den „Abfällen“, zu denen vor
allem auch die Gase gehören, die bei der Verbrennung entstehen. Immer mehr
Anzeichen deuten darauf hin, dass die Erdatmosphäre durch die zunehmende
Konzentration solcher Gase zum „Treibhaus“ wird und sich erwärmt. Befürchtet
werden im Gefolge zum Beispiel die Zunahme von Wetterextremen, Verschiebung der
Klimazonen, Anstieg des Meeresspiegels. Wissenschaftler empfehlen als Ausweg,
in 50 Jahren in den Industrieländern nur noch ein Fünftel der heutigen Menge
an klassischen Energieträgern einzusetzen.
Wir heute lebenden
Menschen verbrauchen in einer Generation (zwischen 1990 und 2020) so viel
fossile Energieträger (Kohle, Erdöl, Erdgas) wie die gesamte Menschheit in
ihrer davor liegenden vieltausendjährigen Geschichte.
Aber auch, wenn wir die Zeichen der Zeit wahrnehmen und unseren
(verschwenderischen) Umgang mit Energie als Ursache zur Kenntnis nehmen. Was
ist zu tun? Heißt nun die wenig anheimelnde Perspektive, eines Tages im Dunklen
zu sitzen und zu frieren?
Der Resignation und Ohnmacht ist ein klares Nein entgegenzuhalten!
Es gibt Schritte, die möglich (und zumutbar) sind.
Es geht dabei zunächst nicht um Verzicht, sondern um Vernunft. Wir sollten erst
einmal das tun, was gar nicht oder wenig weh tut. Das sind erste Schritte -
weitere werden nötig sein. Und anfangen können wir selbst in unserem eigenen
Alltag. Hier ein paar Beispiele zur Erinnerung:
Es gibt völlig unnützen Stromverbrauch – da hilft es nur, die
Geräte wirklich richtig auszuschalten. Bei der Beleuchtung kann man genau so
gut leben wie bisher und 80% des Stroms einsparen - durch Nutzung von
Energiesparlampen. Eine richtig dimensionierte Pumpe in der Warmwasserheizung
hilft Energie (und Geld) zu sparen. Und wenn schon Autofahren sein muss – dann
wenigstens mit Augenmaß! Auch durch Material kann Energie eingespart werden.
Unterm Strich heißt das: Wir können gut leben, auch wenn wir weniger
verbrauchen!
Einfach
abschalten! Leerlaufverluste bei Elektrogeräten:
Viele Geräte in den
Haushalten verbrauchen im Bereitschaftsbetrieb („stand-by“) ständig rund um die
Uhr Strom, ohne Nutzen zu bringen. Kennzeichen: irgendwo brennt ein rotes
Lämpchen, flimmern grüne Ziffern oder ein Transformator brummt leise im Gerät.
Jede neunte Kilowattstunde, die in den Haushalten bezahlt wird (das sind 60
bis 130 Euro im Jahr für einen durchschnittlichen Haushalt!), verschwindet so
im Leerlauf. Das ist deutschlandweit mehr Strom, als in Sachsen oder in Berlin
zur gleichen Zeit sinnvoll verbraucht wird. Und der deutschlandweite
Leerlaufverlust entspricht der Leistung von zwei Atomkraftwerken. Da hilft nur
Abschalten!
Mir
geht ein Licht auf:
Eine
Energiesparlampe (20 Watt) verbraucht nur ein Fünftel der bisherigen Strommenge
bei gleicher Lichtleistung und lebt 8x so lange wie eine normale Glühlampe
(100 Watt). Damit erspart der Wechsel einer Lampe der Umwelt und dem
Klima die Verbrennung von 14 Zentnern Braunkohle und dem Portemonnaie eines
Privathaushalts Stromkosten in Höhe von 80 Euro! Wenn jeder Haushalt in
Deutschland eine normale Glühlampe durch eine Sparlampe ersetzt, werden zwei
Großkraftwerke überflüssig.
Wieviel
Strom (?) verbraucht meine Ölheizung?
Auch jede
Ölheizung hat eine elektrisch betriebene Umwälz-Pumpe, die das erwärmte Wasser
zu den Heizkörpern transportiert. Meine hat vier Leistungsstufen. Auch die
niedrigste erwies sich als ausreichend. Also Umschalten von 120 auf 50 Watt
Verbrauch; bei 4000 Betriebsstunden im Jahr beträgt die Differenz 280
Kilowattstunden; das bedeutete Mehrkosten für die Kirchgemeinde in Höhe von 80
Euro pro Jahr. Welche Pumpleistung ist wirklich notwendig? Das Soll berechnet
sich überschlagsmäßig als: Wohnfläche in Quadratmeter geteilt durch 5. Im
Durchschnitt ist in Deutschlands Heizanlagen die doppelte Leistung
installiert.
Versteckte Energie
Um ein Blatt
(!) weißes Papier (5 Gramm) herzustellen, ist eine Energiemenge erforderlich,
die 5,5 Gramm Erdöl (oder 26 Gramm Braunkohle oder 0,06 kWh) entspricht.
Diese Energiemenge reicht aus, um eine 60-Watt-Glühlampe eine Stunde lang zum
Leuchten zu bringen.
So
kann jeder Autofahrer seinen Spritverbrauch um 15 bis 20 Prozent senken:
frühzeitig
hochschalten (ab 2000 Umdrehungen), niedertourig fahren (immer im
höchstmöglichen Gang, bei 30 km/h im 3., bei 40 im 4., bei 50 im 5.),
vorausschauend fahren (wenig bremsen und beschleunigen), Motor auch bei
kürzeren Stillstandszeiten abstellen, höheren Reifendruck einstellen (Wert für
volle Beladung, siehe Tankklappe).
Natürlich kann es nicht nur um einen veränderten Lebensstil
einzelner Menschen gehen!
Notwendig ist beim
Umgang mit Energie eine regelrechte Effizienz-Revolution
(vernünftiger, sparsamer Umgang mit Energie: bei Erzeugung, Umwandlung und
Verbrauch). Die Umstellung auf alternative Energieträger kann den Druck auf die
herkömmlichen endlichen Ressourcen mildern und erneuerbare Energiequellen zum
Schwerpunkt zukünftiger Energieversorgung machen. Hier ist „Steuerung“ durch die
Politik unverzichtbar (Rahmenbedingungen
so gestalten, dass effizienter Umgang mit Energie sich lohnt, Verschwendung
„bestraft“ wird, und zukunftsfähige Energieträger sich durchsetzen). Für Wissenschaft und Wirtschaft ergibt sich hier ein weites Feld zur Entwicklung
sparsamer Energietechnologien, und auch sie sollten/müssen ihre Verantwortung
gezielt als Aufgabe für eine lebenswerte Zukunft wahrnehmen.
4.2.
Unser Verhältnis zu unseren Mitgeschöpfen
Albert Schweitzer hat einmal den Satz gesagt, der die Stellung des
Menschen in der Natur beschreibt: "Ich bin Leben, das leben will, inmitten
von Leben, das leben will". Das meint: wir Menschen sind Geschöpfe unter
Millionen von anderen Arten. Wir sind nur eine Faser im Netz des Lebens, Leben
ist auf gegenseitiges Geben und Nehmen angewiesen.
Die Frage nach dem „guten Leben“ heißt
auch: gutes Leben für alle Lebewesen.
Ein Problem zeigt sich aber darin, dass der Mensch immer mehr Lebensraum für
sich beansprucht. Als Konsequenz sterben immer mehr Arten aus (Farbtupfer,
Puzzlesteine der Schöpfung, die es nie mehr geben wird!). Schätzungen gehen
davon aus, dass derzeit weltweit zwei Arten in jeder Stunde verloren gehen (an
einem Tag 50). Wer nimmt im Konfliktfall die Interessen der Mitgeschöpfe wahr?
Bei NATURSCHUTZ sollten wir nicht nur an tropische Regenwälder oder an
Korallenriffe denken. Wir können vor unserer eigenen Haustür/Kirchentür
anfangen. Wir können entdecken (mit Kindern!), welchen Reichtum wir haben (obwohl
wir das oft zunächst als Last empfinden): unsere Gärten, Friedhöfe, alte
Scheunen, Kirchen und Mauern. Unsere Grundstücke und Gebäude sind Lebensraum,
dort wohnen „Gäste“ und „Untermieter“, für die wir konkret etwas tun können:
+ naturnahe Bewirtschaftung (Schaf-Leasing auf der Streuobstwiese)
+ „wilde Ecken“ im Garten erhalten
+ die Wiese mit der Sense statt mit dem Rasenmäher kurz halten (Schnitt erst
dann, wenn die Blumen verblüht sind)
+ Fassaden begrünen (schadet bei gutem Untergrund dem Putz nicht)
+ Nisthilfen (Eulen, Falken, Fledermäuse, Mauersegler)
+ Gewässer (Randstreifen pflegen, Bachbett renaturieren)
+ „Patenschaften“ für Bäume übernehmen
Es gibt beim Umgang mit unserer Umwelt durchaus hoffnungsvolle
Signale:
So ist der Trinkwasserverbrauch in den letzten Jahre ständig gesunken.
ABER zugleich klagt die Stiftung Warentest, dass die meisten Leute die falschen
Waschmittel nehmen und damit mehr an Chemikalien einsetzen, als notwendig wäre.
Der Anfall an Hausmüll ist in Ostdeutschland (nachdem wir zwischendurch
das „Westniveau“ deutlich überboten hatten) erfreulich rückläufig. ABER: ein
wunder Punkt ist nicht nur die weiterhin viel zu große Menge an unnötigem Verpackungsmüll,
sondern auch die Tatsache, dass in den „gelben Säcken“ ein Viertel des Inhalts
Fehlwürfe sind (volle Konservendosen, tote Katzen, Windeln usw.).
Hier, im konkreten Handeln im Alltag, liegt Zündstoff, aber hier
liegen auch Möglichkeiten!
Mehr
leben statt mehr haben
Zeit-Wohlstand
statt Güter-Reichtum
Nutzen statt
Besitzen
....
5. Leben
nach dem rechten Maß
Es geht um das gute
Leben, Leben nach dem rechten Maß.
Dazu sei noch an ein bildhaftes Gleichnis aus der Bibel erinnert, die
Geschichte vom „Turmbau zu Babel“ (1. Buch Mose, Kapitel 11). Dort wird
erzählt, dass Menschen mit tollen Begabungen ausgestattet sind. (verstanden als
Geschenke Gottes, die wir auch nutzen dürfen!). Ihnen ist es möglich geworden,
feste Ziegel zu brennen und sie so zu verbinden, dass hohe Bauwerke errichtet
werden können. Sie wollen einen Turm bauen, der „bis an den Himmel reicht“.
Selbstbewusst wollen sie ihren Nachbarn (und auch Gott) zeigen, wie toll sie
sind! Der Zeichner macht in der oberen Darstellung deutlich, ein welch mühsames
Geschäft das Türme-Bauen damals wohl war: mühsam musste das Baumaterial
gewonnen und dann in Säcken und auf Leitern transportiert werden. Das mittlere
Bild erinnert daran, dass in den späteren Jahrhunderten die Türme des
Fortschritts (nicht nur Bauwerke) immer weiter in den Himmel gewachsen sind.
Menschen haben gelernt, zusätzliche Rohstoffe zu nutzen und Technik
einzusetzen, die ihre Arbeit erleichtert. Das letzte Bild erinnert vielleicht
an unsere Situation heute. Nie hat der Fortschritt Menschen weiter hinauf
geführt! Vielleicht stehen wir auf der Spitze des Bauwerkes und sind zunächst
stolz, dass im Wettbewerb die Nachbarn rechts und links zurück geblieben sind.
Aber dann lässt uns vielleicht ein Blick nach unten erschrecken: Zwar haben
die Bauleute die Rohstoffe sehr effektiv direkt neben dem Turm gewonnen;
dadurch aber ist das Fundament nicht mehr stabil. Nun muss sicher nicht gleich
nach dem Abriss des Turmes gerufen werden (zurück in die Steinzeit). Aber es
erscheint doch wohl angebracht, sich zunächst den wichtigeren Dingen zu widmen,
erst einmal das Fundament (des Turms, des Lebens) zu stabilisieren – und danach
in aller Ruhe zu überlegen, ob oben wirklich noch ein weiteres Stockwerk
aufgesetzt werden soll. Menschliches Leben wird hier verstanden als Balance-Akt
auf der Suche nach dem rechten Maß.
Die Bibel erzählt in diesem und anderen
Beispielen davon, wie menschliches Leben gelingen kann und wie Menschen ihr
Leben verfehlen – manchmal auch in der Gier, immer mehr haben zu wollen.
Auch die Weisheit des Volkes kennt diese Fragestellung und
versucht, Erfahrungen und Einsichten in tiefsinnigen Geschichten von
Generation zu Generation zu vermitteln. Denken Sie beispielsweise an Märchen
wie "Hans im Glück" (dem immer wohler wird, je mehr von der Bürde
seines Wohlstands er los wird). Oder lassen Sie sich
erinnern an die Erzählung vom "Fischer und siner Fru". Zunächst lebt
das ältere Paar in einigermaßen erträglichen Verhältnissen – wir erfahren von
einer windschiefen Hütte mit undichtem Dach, die aber die alten Leutchen schon
ein ganzes Leben lang beherbergt hat. Aber indem die Frau plötzlich neue
Bedürfnisse entdeckt, immer mehr will und auch bekommt (ein richtiges Haus,
eine Villa, ein Schloss usw.), wird der Ton zwischen den Eheleuten immer
gereizter und die Welt drumherum immer beängstigender. Am Ende sind beide froh,
als sie sich in ihrer Kate wiederfinden ...
Es war immer wichtige Aufgabe für die ältere Generation, mit ihren Erfahrungen,
ihrer Lebensklugheit den Nachwachsenden beim Suchen auf dem rechten Weg durchs
Leben zur Seite zu stehen. Welche Geschichten erzählen wir heute unseren
Kindern und Enkeln?
Was hat mich glücklich gemacht? Wie weit ist auch ein gewisses Maß an Wohlstand
lebens-not-wendig, aber wo besteht auch die Gefahr, dass ich in der Sucht nach
Immer-mehr am guten Leben vorbei lebe ...?