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GENE - GENETIK - GENTECHNIK
was ist das eigentlich ?

 

Dem Geheimnis des Lebens auf der Spur

 

(Joachim Krause)   Bestellung als Broschüre HIER

© Joachim Krause 2004

 

 

1. „Papa, was ist das eigentlich - GENTECHNIK?“

 

Urlaub. Hitze. Eisdiele. Das 11-jährige Töchterchen saugt nach­denklich an seinem Trinkhalm und fragt so nebenbei: „Papa, was ist das eigentlich - Gentechnik?“.
Ein bisschen schwergewichtig, diese Frage, und hier in versandeter Badekleidung nicht angemes­sen zu klären. Aber 14 Tage später, zu Hause auf dem Sofa, versu­chen wir beide es doch. Wir blät­tern in Bü­chern, Skiz­zen werden ge­kritzelt. Wir staunen über die Einsichten von Wissen­schaftlern, die in den letzten hundert Jah­ren das Geheimnis des Lebens Stück für Stück enträtselt haben. Auf dem Weg von der Zelle über die Chromo­somen zur Molekülstruktur der Erb­substanz begegnen uns die „Gene“, Bauan­leitungen zur Her­stellung von Stoffen, die für den Aufbau und den Stoffwechsel eines Organismus benötigt werden. Durch diese tiefen Einblicke der Biologie in das Naturgesche­hen er­öff­neten sich atem-berau­bende Mög­lich­keiten: nun ziel­genau in Lebensprozesse einzu­greifen, sie zum Wohle des Men­schen tech­nisch verfügbar zu machen, zu nut­zen und zu verän­dern. „Gen­technik" ist eine Werkzeugkiste - damit könnte man zum Beispiel ein „fehlerhaf­tes“ Stück aus der Perlen­kette der Erbsub­stanz ausschneiden oder an an­derer Stelle ein „frem­des“ Gen mit neuen erwünschten Eigenschaften zu­sätzlich ein­fügen.
„Ist das gefährlich?“, fragt die Toch­ter. Eine einfache Antwort finden wir nicht. Wir spre­chen über einen schwer zucker­kranken Jungen aus ihrer Klasse, der sich mehr­mals täg­lich IN­SULIN spritzt, ein lebensret­tendes Medika­ment, hergestellt mit Hilfe von gentech­nisch veränderten Bakte­rien. Wir lesen in der Zeitung, dass es Nahrungs­mittel zu kaufen gibt, deren Erb­anla­gen „verbessert“ wurde - da ist uns beiden auf dem Sofa doch ziem­lich bange zumute.
Zwi­schen Chancen und Gefahren beim Umgang mit den neuen Tech­niken un­serer Zeit werden wir ler­nen müssen, uns in Verant­wortung zu­recht zu finden. Es geht im­merhin um Le­bens-Fra­gen.

 

Für mich waren die Sofa-Gespräche mit meiner Tochter Anlass, einmal aufzuschreiben, was das nun ist, ein „Gen“, wie die elementaren Lebensprozesse in der Na­tur funktionie­ren („Genetik“), und wie die „Gentechnik“ sich solche Ein­sichten zu Nutze macht.

 

2. Dem Geheimnis des Lebens auf der Spur

 

Was hinter dem steckt, was uns als „Leben“ begegnet – dieses Geheimnis hat Menschen schon immer neugierig ge­macht.

In der Natur treffen wir auf eine ungeheure Vielfalt an Lebensäuße­rungen, uns begegnen Millionen von verschiedenen Arten – Pflanzen, Tiere, Bakterien. Aber wir wissen auch: Jede Art ist unverwechselbar, hat ihre typischen Eigen­schaften, auch wenn es da einen gewissen Spielraum für Variationen gibt. Aus einem kleinen Samen­korn wächst im­mer ein ganz bestimmter Baum, arttypisch seine Größe, seine Gestalt, die Form seiner Blätter. Wir wissen das auch von uns Menschen: Kinder ähneln – mehr oder weniger – ihren Eltern.

Da wird etwas ver-erbt. Modern gesagt: Informationen werden weitergegeben (wir sprechen auch von Erbinformatio­nen), und diese Informationen prägen sich dann in Eigenschaften und Merkmalen aus. Menschen haben schon immer gestaunt, dass im kleinen Samenkorn einer Pflanze ein umfassen­des Programm steckt, dass in einem Apfelkern schon der ganze spätere Baum, sein Bau, sein Stoffwech­sel vorgegeben sind. Wissenschaftler haben danach gefragt, wo das Programm steckt. Heute wissen wir: Es befindet sich in jeder einzelnen Zelle eines Lebewe­sens, noch ge­nauer: im Zellkern. Dort ist die ge­samte Erbinformation eines Lebewesens gespeichert.

Die Wissenschaft, die sich mit Vererbungsvorgängen beschäftigt, ist die GENETIK. Da steckt das Wort GEN drin. Wir werden auf den nächsten Seiten auf diese GENE (= Erbanlagen) stoßen. GENE gibt es nicht erst, seit die GEN­TECHNIK sich mit ihnen beschäftigt – sie waren schon immer in allen Lebewe­sen vorhanden. Wir werden uns damit beschäftigen, wie der Bauplan des Lebens, der in den Genen steckt, entschlüsselt, gelesen und umgesetzt wird.

Wir wollen uns in drei Anläufen dem Thema nähern:

1. Wo sind die Gene zu finden?

2. Was bewirken die Erbanlagen in einer Zelle, im „Haus des Lebens“?

3. Wie machen sich Gentechniker die neuen Einsichten der Biologie zu nutze?

 

 

3. Spurensuche - wo stecken die GENE ?

 

Wo finden wir die GENE, wie ist die Erbsubstanz materiell aufgebaut?

Die Biologie ist in den letzten 140 Jahren immer tiefer in die Geheimnisse des Lebens eingedrungen – von der Be­schreibung ganzer Organismen bis hin zur Ebene der chemischen Grundbausteine des Lebens, bis zur Entschlüsse­lung des „genetischen Codes“. Im folgenden Bild ist der Bauplan des Lebens dargestellt, wie ihn Wis­senschaftler in den letzten hundert Jahren Schritt um Schritt aufgeklärt und immer bes­ser verstan­den haben (siehe Abb.). Wir kom­men gewissermaßen von au­ßen her und nehmen ein immer stärke­res Vergrößerungsglas, um immer fei­nere Einzel­heiten im Bauplan des Le­bens in den Blick zu bekommen.

 

Ebene 1: der komplette Organismus

Wir haben zunächst einen kompletten Organismus mit seinen Merkmalen und Eigenschaften vor uns, hier einen Men­schen (siehe 1). Da aber die Art, wie die Erbinformationen festgelegt sind und wie sie wirken, grundsätzlich für alle Lebewesen gleich ist, könnte der weitere Weg genauso am Beispiel ei­ner Maus oder einer Tomatenpflanze darge­stellt werden.

 

Ebene 2: Zellen

Der Körper des Menschen besteht - wie der jedes Lebe­we­sens - aus ZELLEN. Bei der Bakte­rie ist das eine Zelle, bei einem erwachse­nen Menschen sind es etwa 100 Billio­nen (siehe 2). Das ist eine eigent­lich nicht vorstellbar große Zahl, in Zif­fern geschrie­ben eine 100 mit 12 weiteren Nullen dahin­ter. Diese un­geheure Zahl von Zellen bil­det sich in­nerhalb von wenigen Jah­ren durch fortwährende Teilung aus ei­ner ein­zigen Zelle, aus der be­fruchteten Eizelle, mit der jedes menschliche Leben seinen Anfang nimmt und die halb vom Vater und halb von der Mutter stammt. Und auch jede der daraus ent­stehenden Zel­len enthält dieses „Erbe“, die biologi­schen „Erb“-Eigen­schaften von Vater und Mutter. Durch sie wird bestimmt, welche Körpergröße jemand er­reicht, wel­che Augen­farbe er hat, da­durch wird reguliert, wann und wie eine Zelle sich teilt und damit das Gewebe verjüngt, durch sie ist fest­gelegt, wel­che Stoffe eine Zelle herstellt, wann sie das tut, in welcher Menge, und was damit im Stoffwechsel bewirkt wird.

 

Ebene 3: Zellkern

In fast jeder Zelle befindet sich ein ZELLKERN (siehe 3). Zum Beispiel haben Bakterien-Zellen kei­nen Zellkern (bei diesen „Prokaryo(n)ten“ hält sich das Erbmaterial ohne besondere Organisation in der Zellflüssigkeit auf). Alle anderen Lebewe­sen („Eukaryo(n)ten“) wie Hefen, Pflanzen, Tiere und Men­schen haben in allen ihren Zellen einen Zellkern. Normaler­weise jedenfalls; auch in unserem Körper gibt es Ausnahmen: die Blut­körperchen, die nur wenige Tage oder Wochen „le­ben“, besitzen keinen Zellkern.

 

Ebene 4: Chromosomen

Wir sind immer noch auf der Suche nach der Erbsubstanz. Sie befindet sich im Zellkern. Dort ist sie dicht zusam­men­gepackt. In bestimmten Etappen der Zellent­wicklung kann man die „Erbgut-Pakete“ sichtbar machen. Sie werden CHROMOSO­MEN ge­nannt (siehe 4). Der Name kommt daher, dass man diese Körperchen einfärben kann, wodurch sie gut ihre ge­streifte Struktur zu erkennen geben („chroma“ ist im Grie­chi­schen das Wort für Farbe, „soma“ für Kör­per). Chromosomen kommen bei höheren Lebewesen fast immer in Paaren vor; dabei stammt jeweils eines von je­dem Paar vom Vater und das andere von der Mutter.

 

 

 

Anzahl der Chromosomen in den Zellen verschiedener Lebewesen

 

Art                                    Anzahl der Chromosomen

-----------------------------------------------------------------

Pferdespulwurm          2

Fruchtfliege                   8

Weizen                           42

Mensch                          46

Schimpanse                 48

Karpfen                          104

Natternzunge                480

 

 

Die Gene sind in den Chromosomen verpackt. Jedes Chromosom enthält nur einen Teil der Erb­anlagen, erst alle Chromosomen einer Zelle zusammen bilden ge­meinsam das vollständige Erb­gut eines Men­schen (sein „Genom“).

 

Ebene 5: DNS

Die Chromosomen sehen ein bisschen wie Spindeln aus, auf denen ein Faden aufgewi­ckelt ist. Und sie las­sen sich tatsächlich aufdröseln. Wenn sich die Spindel abwickelt, wird ein langer Faden sichtbar. Die Chemiker sagen zu die­sem zusammenhängenden Fa­den „Mole­kül“, und sie benutzen für dieses besondere Molekül im Zellkern den Namen DESOXYRIBO­NUKLEINSÄURE (siehe 5).

 

Desoxyribonukleinsäure (DNS) ist chemisch eine Säure, die sich im Zellkern (Kern = lat. Nukleus) befin­det, und bei der ein wesentlicher Bestandteil der Zucker Desoxyribose ist.

Die DNS ist der materielle Träger der Erbinformationen. Das fadenförmige Molekül ist im Zellkern auf engstem Raum gepackt und vielfach verknäuelt. In Wirklichkeit liegt die DNS nicht in einem Molekül vor, sondern sie ist auf die 46 Chromosomen des Menschen verteilt. Die DNS aus einem einzigen Zellkern des Menschen (Durchmesser: ein Hundertstel Millimeter) wäre gestreckt ein etwa 1,70 Meter langer Faden. Wenn man sich alle Maße um den Faktor 100000 vergrößert vorstellt, dann wäre ein Mensch 170 Kilometer groß (so lang wie das Land Sachsen in West-Ost-Ausdehnung), eine Zelle hätte einen Durchmesser von 2 Metern, das DNS-Molekül wäre 170 Kilometer lang, aber auch in dieser Vergrößerung nur 0,3 Millimeter „dick“!

 

Ebene 6: Gene

Der DNS-Faden trägt den Bauplan des Lebens. Er ent­hält wie ein Schriftband hintereinander aufgereiht die „Bau­an­leitungen“ (oder „Kochrezepte“) für die Herstellung aller Stoffe, die eine Zelle und der ganze Organismus benötigen. Beim Menschen schätzt man, dass es etwa 22.000 verschiedene Bauanleitungen sind.

Und jeweils einen Abschnitt des DNS-Fadens, der eine solche Bauanleitung enthält, nennt man ein GEN (= Erban­lage; siehe 6). Und ein Gen ist (im Normalfall) jeweils zu­stän­dig für die Herstel­lung eines ganz bestimmten Eiweiß­stoffes, eines PROTEINS.

 

Ebene 7: „Doppelhelix“ und „genetischer Code“

Wenn man sich die DNS-Faden ansieht, handelt es sich zunächst um ein fadenförmiges Molekül. Bei genauerer Be­trachtung liegen sich zwei einzelne Stränge gegenüber. Diese sind durch eine Art „Brücken“ oder „Sprossen“ mitein­ander verbunden. Das Ganze sieht aus wie eine ver­drehte Strickleiter („Doppelhelix“ = schneckenartig verdrehter Doppelstrang). Und die Sprossen dieser Strickleiter werden von vier Bausteinen gebildet, von denen jeweils zwei zu­einander passen, sich verhaken und eine feste Brücke bilden. Die Bausteine der Leitersprossen werden meist nur mit ihren Abkürzungen benannt: A und T liegen einander immer gegenüber, genau so tun das G und C.

Und in der Reihenfolge, in der diese vier Bausteine A, T, G und C in der DNS aneinandergereiht sind, ist der „Text des Lebens“ festgelegt. Das Schriftband der DNS enthält alle „Kochrezepte“ und „Bauanleitungen“, die ein Lebewesen für seine Körperfunktionen benötigt. Die Informationen sind (in einer Art (Geheim-)Schrift) „verschlüsselt“. Dieser so ge­nannte „genetische Code“ kommt mit den genannten vier „Buchstaben“ aus, von denen jeweils drei ein „Wort“ bilden, das die Zelle „übersetzen“ kann.
(vgl. hierzu auch Kap.6.1.)

 

 

4. Was ist und was tut ein GEN ?

 

Wir wissen jetzt, wo sich die Gene befinden.

Nun kommt die spannende zweite Frage: Wie wird die Information, die Idee, die in dem Bauplan steht, von der Zelle in lebenswichtige Stoffe umgesetzt?

 

4.1. Die Zelle als das „Haus des Lebens“

 

Wir wollen versuchen, uns das Geschehen zunächst an ei­nem Bild aus dem Alltag deutlich zu machen. Wir stellen uns vor, dass eine Zelle das „Haus des Lebens“ ist.

In diesem Haus gibt es verschiedene Räume.
Für uns besonders wichtig ist einmal die „Bibliothek“. In ihr wird das Geheim­nis des Lebens aufbe­wahrt.
Der zweite wichtige Raum ist eine Art „Küche“ oder „Werkstatt“, in der die Stoffe herge­stellt werden, die fürs Leben benötigt wer­den. Wir nennen diese Stoffe zu­nächst einmal einfach „Lebens-Mittel“ und meinen damit die Sub­stanzen, aus denen der Körper eines Lebewe­sens aufgebaut ist, die seinen Stoffwechsel regeln, sein Verhalten steuern usw.
Außer diesen beiden Räumen hat die Zelle noch wei­tere - zum Beispiel ein kleines Kraftwerk zur Energie­versorgung oder ein Rohrpostsystem zur Ver­teilung der Stoffe an die richtige Stelle oder Vorratskammern, in denen Stoffe gespei­chert werden.

 

 

 

 

4.2. Die Bibliothek -
das Ge­heimnis des Lebens wird gehütet

 

Wir betreten nun die „Bibliothek“. Eine solche (komplette!) Biblio­thek befindet sich im Zellkern jeder Zelle des Körpers.

Im weiteren verwenden wir die uns vertraute Vorstellung, dass Infor­mationen gedruckt in Form von Büchern vorliegen (in der Wirklichkeit einer Zelle wäre mehr an ein endlos langes Schrift-Band zu denken). Wenn die Erb-Informationen, die im Zellkern ei­ner menschlichen Zelle zusammengepackt sind, in der für uns gewohnten Druck­schrift in Büchern nie­derge­schrie­ben würden, wären etwa 1000 Bücher mit jeweils 1000 Seiten erforderlich. In unserer gedachten Bib­liothek stehen genau 46 Regale und Bü­cher­schränke, vollge­stellt mit mehr als 2000 Büchern. Die 46 Re­gale sollen verdeutlichen, dass die Erbinfor­mation des Menschen in jedem Zellkern auf 46 Chro­moso­men verteilt ist. Und von die­sen 46 Regalen voller Bü­cher hat ein Mensch jeweils die Hälfte (23 Chromo­somen) von seiner Mutter und die andere Hälfte (auch 23) von seinem Vater geerbt (daher be­kommen Worte wie „Erb-gut“, „Erb-substanz“, „Erb-in­formation“ usw. ihren

 

 

 

 

 

 

 

 

Umfang der genetischen Information,

die in einer Zelle bei verschiedenen Lebewesen gespeichert ist

(Vorstellung: gedruckte Information in Büchern; 3000 Buchstaben auf einer Seite, 1 Buch = 1000 Seiten)

 

Lebewesen                   Anzahl der „Buchstaben“  Umfang gedruckt

--------------------------------------------------------------------------------------------------------

ein Gen                          100 bis 1000                       wenige Zeilen

Bakterie                          4 Millionen                           Textumfang der Bibel

einfacher Wurm            97 Millionen                         Regal mit 33 Büchern

Mensch                          6,6 Milliarden                       Bibliothek 2200 Bücher

Weizen                           17 Milliarden                        Bibliothek 6000 Bücher

 

Sinn). Im Prinzip ist also jedes Buch in der Bib­liothek zwei Mal vorhanden. Eins steht im väter­lichen und ein gleiches Exemplar noch einmal im mütterlichen Schrank. Damit ist die Zelle dop­pelt abgesichert; ihre Bibliothek be­herbergt den Bauplan des Lebens in zweifacher Ausführung! Dass alle Erbinformationen exakt in doppelter Ausfüh­rung vorhanden sind, stimmt nicht ganz. Männer und Frauen unterscheiden sich, weil bei Männern in ih­ren Zell-Bib­liotheken gleich ein halbes Re­gal und damit eine ganze Anzahl Bücher fehlen. Männer haben von manchen Büchern nur in ein Ex­emplar geerbt. Ein Chromo­som, das Y-Chromosom heißt und vom Vater stammt, ist bei Männern etwas kür­zer als sein zuge­höriges Partner-Chromo­som, das so ge­nannte X-Chromosom aus dem mütter­lichen Erbe. Dieser „kleine Unter­schied“ in der Größe von X- und Y-Chromosom macht Männer ge­wisser­maßen zu „Defekt-Lebewesen“, ihnen fehlt etwas. Und wenn zum Beispiel auf dem nur einmal vorhandenen (mütterlichen) X-Chromosom ein „fal­scher“ Text steht, der für die Erb­krank­heit Rot-Grün-Farbenblindheit verantwortlich ist, dann ist im Regal des (väter­lichen) Y-Chromo­soms keine „richtige“ zweite Fassung von diesem Text vorhanden, die den Fehler korrigieren, aus­gleichen könnte. So leiden viel mehr Männer als Frauen an die­ser Erbkrankheit, weil Frauen nur erkranken, wenn bei ihnen beide X-Chromo­so­men den gleichen Feh­ler tra­gen.

Die „Bibliothek des Lebens“ ist bei verschiedenen Le­bewesen übrigens unterschiedlich groß. Bei den ein­fachsten Vor­stufen von Leben, bei den Viren, könnte man die notwendi­gen Informationen auf ein paar Zetteln niederschreiben. Aber schon der Text, der die Lebens­prozesse einer Bakte­rienzelle beschreibt, würde zwei Bücher vom Textumfang der Bibel füllen, und ein einfa­cher Wurm benötigt für „seinen“ Bau­plan schon ein Re­gal mit 33 Büchern. Beim Weizen wären es drei Mal so viele Bücher wie beim Men­schen.

Und stehen da bei jedem Lebewesen andere Bücher mit jeweils ganz un­terschiedlichem Inhalt in der Bibliothek? Erstaunlicherweise nicht. Die Le­bens-Bücher aller Lebewesen sind in der gleichen „Sprache“ ge­schrieben. Das heißt, dass grundsätzlich das Einfügen von „frem­den“ Texten (aus den Zellen anderer Lebewe­sen) in die Bibliothek eines Organismus möglich ist, dass also auch ein anderes Lebewesen diesen Text „lesen“ und „verste­hen“ kann.

Und wenn man unterschiedliche Lebewesen miteinan­der ver­gleicht, stellt sich heraus, dass ohne­hin ein Großteil des Erb­gutes in ihren Bibliotheken gleich ist. So enthält zum Beispiel die Bibliothek eines einfachen Wurmes mit dem Namen „c.elegans“ zu mehr als der Hälfte Texte (Gene), die auch im menschlichen Erbgut vorkommen!

Wenn wir nun in der Bibliothek ein Buch in die Hand nehmen würden, be­gegnete uns ein fort­laufend geschrie­bener Text - ohne Punkt und Komma.

Die Biologen haben in den letzten Jahrzehnten gelernt, ein­zelne Abschnitte ausfindig zu machen, die sinnvolle, für uns verstehbare Erb-Informationen enthalten (sie werden GENE genannt). Beim Menschen vermutet man, dass etwa 22.00 unterscheidbare Gene vorliegen.

Es wird ge­schätzt, dass nur zwei Pro­zent, ein Fünfzigstel des gesam­ten Textes in der Bibliothek des Le­bens beim Men­schen, solche für uns verstehbare, sinnvolle Bot­schaften beinhalten. Das ist ausreichend Platz, um viele Tausend verschie­dene „Kochrezepte“ und „Bau­anleitungen“ für die Herstellung wich­tiger Stoffe im Körper zu speichern. Dass die „restlichen“ 98 Prozent der Buchseiten nicht nur sinnlosen „Infor­mations-Müll“ enthalten, wie man lange meinte (zum Beispiel Dopplungen von Texten), dass sie wichtige Botschaften „in Re­serve“ aufbe­wahren oder für den Organismus beim Lesen und Ver­stehen der „echten“ Gene wichtig sind, ist in den letzten Jahren deutlich geworden.

Die Bibliothek bewahrt einen einmaligen, wertvollen Schatz auf. Es handelt sich um die Lebens­erfahrun­gen vieler Generationen, die hier niedergeschrieben sind, um vielfach erfolgreich erprobte Lebens-„Re­zepte“.
Dieser Schatz muss zunächst als Ganzes bewahrt, ver­vielfältigt und an die Nachkom­men weiter-vererbt wer­den.

Deshalb wird jedes Mal, wenn eine Zelle sich teilt, die ganze Bibliothek komplett abge­schrieben, und jede der Tochter-Zellen bekommt eine vollständige Kopie, eine Abschrift aller 2000 Bücher!

Zellteilungen sind einmal dazu nötig, damit aus der ei­nen befruchteten Eizelle, mit der das Leben eines Men­schen beginnt, die vielen Billionen Zellen werden kön­nen, die spä­ter den Organismus bilden. Zum anderen gehen im Laufe des Lebens eines Menschen viele Zel­len durch Alterungs­prozesse zu Grunde, für die Ersatz zur Verfügung stehen muss - auch hier sorgen bestimmte Zellen (so genannten Stammzellen) für den not­wendigen Nachschub, indem sie sich teilen.

Wie schafft es nun so ein winzig kleiner Zell­kern, die Information aus 2000 Büchern zu kopieren?

Da entsteht ein hektisches Treiben in der Biblio­thek. Einige tau­send „Schreiber“ sind gleichzeitig am Werke. Sie be­ginnen an verschiedenen Stellen im Text mit dem Ab­schreiben. Und ob­wohl sie sehr fleißig sind, dauert der Kopier­vorgang für den ge­samten Bücherbe­stand in einer menschli­chen Zelle etwa acht Stunden. Unter diesen Bedingun­gen ist es verständlich, dass Ab­schreibe-Fehler vorkommen, zum Beispiel Buchstaben ver­wechselt oder vergessen wer­den. In den alten „Bü­chern des Le­bens“ sind manche Buchstaben fehlerhaft, manch­mal sind auch ganze Seiten irrtümlich in einem ande­ren Buch eingeheftet worden. Um dennoch die Zahl der Fehler beim Abschreiben mög­lichst gering zu halten, sind in der Schreibstube ständig „Kontrolleure“ unter­wegs, die die Originaltexte und die davon hergestellten Abschrif­ten miteinan­der vergleichen. Diese „Wächter“ können kleinere Abweichungen korri­gieren. Wenn die Abweichungen so dramatisch sind, dass eine Korrektur nicht mehr möglich ist und die Gefahr schwerwiegender Störungen für die betroffene Zelle besteht, setzen die „Wächter“ einen Selbstzerstörungsmechanismus in Gang, der die betroffene Zelle abtötet. Aber auch aufmerksame „Wächter“ können einzelne Abschreibe-Fehler übersehen (oder tolerieren). Damit sind die Kopien eben doch nie ganz gleich. Beim Men­schen zeigt sich das so, dass durchschnittlich aller 500 bis 1000 Buch­staben im Text eine Abwei­chung im Buchstaben-Muster vorkommt (in der Regel treten solche Kopierfehler nicht in den sinntra­genden, lebens­wichtigen Abschnitten der Erbsubstanz, in den Genen, auf, sondern in außerhalb liegenden Berei­chen). Dieser „kleine Un­ter­schied“ (eine Abweichung von 0,1 Prozent von Mensch zu Mensch) ist die Ursache dafür, dass wir uns eben doch alle voneinander unterscheiden, dass jeder Mensch einzigartig (ein „Individuum“) ist.

 

4.3. In der Küche: Wie aus Koch­rezepten „Lebens-Mittel“ werden

 

Das war die eine Aufgabe im Haus des Lebens, das wert­volle „Erbe“ von Generation zu Generation, von Zelle zu Zelle, aber auch in der Vererbung im Großen an Kinder und Kin­deskinder weiter zu geben.

Die zweite Aufgabe ist nun, aus den theoretischen Botschaften, die in den Büchern des Lebens aufge­schrie­ben sind, greifbare stoffliche Lebens-Wirklichkeit werden zu las­sen.

 

Wir stellen uns vor, aus irgendeiner anderen Zelle wird Bedarf angemeldet. Benötigt wird ein bestimmter Stoff zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort in einer bestimmten Menge!

Der Bote, der diese Nachricht überbringt, sorgt für Aufregung in der Bibliothek.

Zunächst wird ein „Schreiber“ beauftragt heraus­zufin­den, in welchem Buch an welcher Stelle das Koch­rezept für den benötigten Stoff aufge­schrieben ist. Dann fertigt er – diesmal nur von dem benötigten Text-Ab­schnitt - eine Ab­schrift an. Warum wird nicht gleich das ganze Kochbuch in die Küche gebracht? Das Original des Koch-Rezeptes ist viel zu wertvoll. Es darf die Bibliothek nicht verlas­sen, nur eine Kopie wird nach draußen abgegeben, das Original wird or­dentlich ins Re­gal zurück gestellt.

Ein „Bote“ (das Boten-Molekül heißt messenger-RNA) bringt den Zettel mit der Abschrift in die „Küche“ (oder auch „Werk­statt“) der Zelle. Auf dem Türschild zu diesem Raum steht bei den Biologen die Bezeichnung „Ribosom“.

In der Küche warten bereits die „Köche“. Sie verstehen es, die Ge­heimschrift des Tex­tes, der nun vor ih­nen liegt, zu lesen und den Inhalt der Botschaft zu verste­hen und zu übersetzen.

Und in der Küche steht ein Regal, in dem sich alle „Zu­taten“ befinden, die für die Stoffe in Lebensprozes­sen benötigt werden.

Nur ein Regal? In der „Küche“ im Haus des Lebens geht es tatsächlich ex­trem sparsam zu: Im Zutaten-Re­gal befin­den sich nur 20 Grund-Bau­steine (es sind verschiedene Aminosäuren), aus denen sich die vielen tausend verschiedenen Substan­zen zusammen-puz­zeln, zu­sammen-rühren lassen, die in Lebewe­sen vorkommen.

In dem Koch-Rezept, das die Köche jetzt vor sich liegen haben, bilden je drei aufeinan­der fol­gende „Buchsta­ben“ jeweils ein „Wort“. Und am Regal mit den 20 Zu­taten steht jeweils als Bezeichnung der Zutat das glei­che Wort.

Die Köche nehmen nun also in der Reihenfolge der Worte in der Vorschrift eine Zutat nach der anderen aus dem Re­gal und kleben sie eine an die andere. Es ent­steht eine Kette (ein langes Eiweiß-Molekül, das aus einzelnen Amino­säuren zusammengesetzt ist). Und irgend­wann steht im Rezept ein Wort, das STOPP bedeutet.
Die Kocherei wird beendet. Jetzt ist der gewünschte Stoff fertig. Bei Bedarf kann das gleiche „Rezept“ gleich wieder einge­setzt werden (unter Umständen viele tausend Male hintereinan­der), bis die „bestellte“ Menge des gewünschten Stoffes vor­liegt.

Die „Rezepte“ (Gene) werden von den Zellen oft in unter­schiedlicher Weise gelesen und interpretiert, einzelne Textab­schnitte können zu verschiede­nen Kombinationen zusammen­gestellt werden, sodass das „Menü“ einmal reichhaltiger und ein andermal sparsamer ausfal­len kann.

Das Produkt wird abschließend noch mit einem Adressaufkleber versehen und in eine Art Rohr­post-System gege­ben, das ihn an die richtige Stelle befördert, dorthin, wo er im Haus des Le­bens gebraucht wird.

 

Die vorstehende Darstellung war der Versuch, die Vorgänge in ei­ner Zelle in vor­stellbare Bilder aus dem Alltag zu über­tragen. Ein bisschen anders laufen die wirklichen Vorgänge in einer Zelle natürlich ab. Wie das alles in der Spra­che der Wissenschaft benannt und beschrieben wird, steht im Anhang (Kap. 6).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

5. Gentechnik – Frevel oder Fortschritt?

 

„Gentechnik“ - der Begriff klingt für viele Ohren immer noch recht neu und fremdartig. Dabei gehört Gen­technik schon länger zu unserem Alltag. Zuerst hat sie in den Labors der Biologie Fuß gefasst, wo schon vor 30 Jahren zum ersten Mal Erbanlagen erfolgreich isoliert und auf andere Arten von Lebewesen übertragen wurden. Obwohl also das Zeital­ter der modernen Bio­technologie langsam in die Jahre kommt, bestimmen Neuigkeiten aus der Gentechnik, aus der Fortpflanzungsmedizin immer wieder die Schlag­zeilen der Medien.

Für eine breitere Öffentlich­keit ist das Thema Mitte der 1990er Jahre spannend gewor­den, seit die Gentechnik un­übersehbar auch Einzug in den Alltag gehalten hat. Im Regal von Tank­stellen lag der Erdnuss-Riegel „Butterfinger“ -  das erste Nahrungsmittel in Deutschland mit der Kenn­zeichnung: „Aus genetisch verändertem Mais hergestellt“. Die Einwohner mancher Dörfer staunten darüber, dass gleich hinter ihrem Gartenzaun (noch als Versuchs-Pflanzung) gen­tech­nisch veränderte Raps- oder Maispflanzen aufwuchsen. Viele Schwangere erleben es heute fast schon als Standard-Angebot, dass sie dazu aufgefordert wer­den, das heranwachsende Kind doch zur Sicherheit auch ge­netisch testen zu lassen. Und manche Patienten lesen auf ihrem Beipackzettel, dass das vom Arzt verschriebene Medikament gentechnisch hergestellt worden ist.

Solche Nachrichten oder direkten Begegnungen mit „Gentechnik“ machen manche Zeitgenossen neugie­rig, sie stau­nen, sind fasziniert, welche Möglichkeiten sich dem Menschen im beginnenden 21. Jahrhun­dert neu bieten. Andere Beobachter reagieren auf die gleichen Meldungen mit Nachdenklichkeit, bekommen vielleicht auch Angst vor unwäg­baren Folgewirkungen.

Wenn Anfang des Jahres 2000 gleich zwei Mal (in der Wissenschaftszeitschrift GEO und später wort­gleich im Wo­chenmagazin DER SPIEGEL) die Überschrift auftaucht:

„Gentechnik - die zweite Schöpfung“,

dann werden in solchen Formulierungen sehr schnell die tieferen Dimensionen des Themas deut­lich. Wenn von TECHNIK die Rede ist, dann schwingt wohl immer auch der Stolz des modernen Menschen mit, zu welch erstaunli­chen Leistungen er bei der Gestaltung und Veränderung der Welt fähig ist. Uns ist längst klar: Umgang mit Technik bedeutet immer auch Umgang mit Macht, und da liegt die Frage nicht fern, wie ein verantwortlicher Umgang mit Macht aussehen könnte. Und wenn Technik sich nicht mit me­chanischen oder chemischen Neuerungen präsen­tiert, sondern Lebensprozesse genutzt und gestaltet werden („BIO“-Technologie) oder die Erb­anlagen von Lebewesen verfügbar werden („GEN“-Technik) - dann sind diese neuen Möglich­keiten von Biologie und Medizin im Umgang mit dem Leben wesentlich aufregender als andere technische Neuerungen.

Und dann wird überraschenderweise noch eine Dimension angesprochen, die man in einem populär-wis­senschaftli­chen oder in einem politischen Magazin gar nicht ohne weiteres erwartet: SCHÖPFUNG, eine zweite Schöpfung gar, die über das hinausgeht, was der Mensch an Lebens-Wirklichkeit in dieser Welt vorgefunden hat. Eine Gratwanderung deutet sich an, auf die wir uns begeben. Ist das nun „... ein Schritt auf dem Weg ins men­schengemachte Paradies ... oder eher gefährliche Anmaßung“ (so fragte GEO)? Der Balance-Akt lässt sich in seiner Tiefendimension wohl nur in religiöser Sprache angemessen auszu­drücken.

Wenn man sich den täglichen Medienberichten aussetzt, prasseln die Ver­sprechen und Verhei­ßungen der Gentechnik auf uns nieder. Da ist von neuen Möglichkeiten in der Biologie der Fort­pflanzung die Rede (Menschen nach Maß durch vorgeburtliche Kontrolle?), da geht es um Linde­rung oder sogar ursächliche Heilung von Krankheiten (von der Herstellung von Medikamenten bis zur gen­technischen „Reparatur“ von Erbkrankheiten), Haustiere und Nutz­pflanzen werden verändert mit dem Ziel höherer Erträge oder ver­besserter Nährstoffzusammensetzung (ein immer wieder be­schwo­renes Ziel: Lösung des Welt-Hungerproblems), und es gibt Berichte über den Ein­satz von Mikro­organismen im Umweltschutz.

Was wir da so erfahren, aus Zeitung und Fernsehen – wie erlebe ich das, sind das für mich Hoff­nungssignale oder sind es Schre­ckensmeldungen?

Was bringe ich zum Gespräch über das Thema Gentechnik mit, an Erfahrun­gen, an Wertungen? Bin ich für die An­wendung der Gentechnik oder spricht für mich mehr da­gegen? Ist Gentechnik für mich Frevel oder bedeutet sie Fortschritt? Oder erlebe ich sie in der einen Anwen­dung als durchaus segens­reich, in einem an­deren Fall aber als gefährlich?

In (Streit-)Gesprächen wird schnell deutlich: es geht nicht nur um nüchterne, rationale Naturwissenschaft. Gefühle, Interessen, die eigene Betroffenheit, Werte oder Rechte sind berührt und spielen in die Diskussion hin­ein.

Von vielen Menschen werden Anwendungen der Gentechnik in der Humanmedizin positiv bewertet. Große Hoffnun­gen verbinden sich mit der Aussicht auf Heilung oder Linderung von Krankheit und Leid. Das Auftauchen gentechni­scher Bestandteile in Nah­rungsmitteln wird meist kritischer betrachtet. Um sich selbst eine Meinung bilden zu können, werden wertfreie, nicht-interessen­gebundene Informationen gesucht. Manchmal werden im Gespräch spektakuläre Vermu­tungen (ich habe da gehört ...) als gesichertes Faktenwissen eingebracht (und mit positiven Erwartungen oder mit Ängsten befrachtet), obwohl vieles davon bei nüchterner Betrachtung eher in den Science-Fiction- und Hor­ror-Be­reich gehört. Viele Beobachter sind hin und her gerissen wegen der grundsätzlichen Ambivalenz (= der Zwie-Gesich­tigkeit) von Technik. Neben dem gewünschten guten Gebrauch könnten Probleme durch nicht vorhergesehene Ne­ben- und Folgewirkungen auftreten. Wirtschaftliche, politische oder militärische Interessen könnten zu Missbrauch füh­ren. Wissenschaftlicher Ehrgeiz könnte sich verselbständigen. Um alldem zu steuern, werden Grenzziehungen ein­gefordert. Allerdings erwartet man von der Po­litik hier in der Regel nicht allzu viel, und auch den Akteuren in Wirt­schaft und Wissenschaft wird (zu) wenig Verantwortung für gesellschaftliche Auswirkungen ihres Tuns zugetraut. Die eigene Verantwortung, die auch der Verbraucher als poten­zieller Nutznießer gentechnischer Angebote zu tragen hat, wird kaum wahrgenommen und in ihrer Tragweite (und den damit verbundenen Handlungsmöglichkeiten) oft un­terschätzt.

 

5.1. Was macht ein Gentechniker?

 

Gentechnik ist kein neuer Wissenschaftszweig. Gentechnik ist eine Art „Werkzeug-Kiste“, eine Samm­lung von ver­schiedenen Techniken, die zum Verstehen von Lebensprozessen auf der Ebene der Gene beitragen oder Verände­rungen im Erbgut ermöglichen.

 

Definitionen:

GENTECHNIK:
„Unter dem Begriff Gentechnologie versteht man die Gesamtheit der Methoden zur Charakte­risierung und Isolierung von genetischem Material, zur Bildung neuer Kombinationen genetischen Materials sowie zur (Wieder-)Einführung und Vermehrung des neukombinierten Erbmaterials in anderer biologischer Umgebung.“ (Enquete-Kommission „Gentechnologie“ des Deutschen Bundestages 1987)
Der Begriff BIOTECHNOLOGIE umfasst die tech­nisch gesteuerte Produktion organischer Sub­stanzen durch Lebewesen. Auch die moderne Land- und Forstwirtschaft, nicht nur mikrobielle Verfahren, zäh­len im weiteren Sinn zur Biotechnologie.
Stichworte wie Klonierung, In-vitro-Fertilisation („Retorten-Babys“) oder Leihmütter gehören in die Rubrik FORTPFLANZUNGSBIOLOGIE. Zu Gentechnik oder Biotechnologie besteht kein unmit­telbarer Zusammen­hang.

 

Methoden der GENTECHNIK

 

Verschiedene Methoden der Gentechnik haben es möglich gemacht, dass man heute das Genom (das ge­samte Erbgut) lebender Organismen wie mit einem Textverarbeitungsprogramm bearbeiten kann: interes­sante Textbausteine suchen, markieren, kopieren, ausschneiden, löschen, korrigieren, verändern, neu ent­werfen, in andere Texte einfügen.

Die Methoden der Gentechnik sind weithin nicht Erfindungen des Menschen, sondern von Bakterien, die diese biochemischen Werkzeuge benutzen (z.B. Verdauungs-Enzyme, mit deren Hilfe wie durch chemische Sche­ren große Moleküle zerschnitten werden, oder „Klebstoffe“, mit deren Hilfe DNS-Fragmente unterschiedlicher Herkunft zusammengefügt werden können).

Als „Vektoren“ (Überträger, „Schmuggler“) für fremdes Erbgut dienen z.B. Plasmide (kleine Ringe von DNS in Bakterien) oder Viren. Sie können in Zellen eindringen und nehmen dabei auch die ihnen eingebauten frem­den Gene mit.

 

Welche Möglichkeiten sich durch Nutzung der Gentechnik grundsätzlich eröffnen, wollen wir uns deutlich machen, in­dem wir das Bild vom Haus des Lebens aus Kapitel 4 noch einmal aufgreifen.

lesen

Gentechniker möchten die Reihenfolge der chemischen Buchstaben herausfinden, die die Erbsubstanz bilden. Für das menschliche Erbgut mit seinen mehr als 3 Milliarden Buchstaben liegt der „Text“ inzwischen fast vollständig vor – ohne dass damit auch schon verstanden wäre, welcher Informations-Inhalt sich hinter diesem „Buchstabensalat“ ver­birgt!

 

verstehen

Man möchte verstehen, welche Informationen in dem Text niedergelegt sind, welcher Textabschnitt ein Kochrezept darstellt, und für die Produktion welchen Stoffes er zuständig ist. Um das herauszubekommen, kann je­mand in der Bibliothek des Lebens einen Textteil entfernen oder unleserlich machen. In der „Werkstatt“ kann dann die entspre­chende Substanz nicht mehr her­gestellt werden und ihr Fehlen im Stoffwechsel einer Zelle würde sich in veränderten oder ausfallenden Funktionen des Orga­nismus bemerkbar machen. Gentechnik macht es so möglich, die Funktion von einzelnen Genen aufzuklären und zu verstehen. Gene werden der Reihe nach unwirksam gemacht (z.B. indem man sie zerschneidet), und danach kann festge­stellt werden, welche Wirkung nun fehlt. Eine Anwendung besteht in der Aufklärung der molekulargeneti­schen Ursachen für Krankheiten.

 

analysieren

Gentechnik ermöglicht die gezielte Suche nach bestimmten Text-Abschnitten im Erb­gut. Dazu würde bei­spielsweise die Antwort auf die Frage gehören, ob ein Mensch als Täter bei einem Verbrechen in Frage kommt. Gentechnische Verfahren machen es möglich, durch Analyse seiner Erbsubstanz ein unverwech­selbares Gen-Profil zu erstellen („ge­netischer Fingerabdruck“ als ein einmaliges, für dieses Individuum typisches Buchsta­benmuster), das mit Erbgut-Spu­ren vom Tatort ver­glichen werden kann. Auch bei der Feststellung von Verwandtschaftsbeziehungen (Vaterschafts-Test, Abstam­mungs-Nachweise in Familien oder Volksgrup­pen) werden solche Methoden heute routinemäßig ange­wandt. Man schickt z.B. „Spürhunde“ auf die Suche, so genannte Gensonden. Dabei handelt es sich um kurze Stücke Erbsub­stanz, die künst­lich hergestellt werden und die eine ganz bestimmte Buchstabenfolge enthalten. Sie schwim­men in ei­ner Lösung, in der sich auch die zu untersuchende Erbsubstanz befindet. Die Sonde lagert sich an fremde Erbsub­stanz an, aber nur dann, wenn dort genau das passende Gegenstück vorhanden ist, also alle Buchstaben der Sonde genau durch ihr Gegenstück ergänzt werden können.

 

(aus-)schneiden

Gentechnik setzt gezielt Enzyme (Restriktionsendonukleasen) als „chemische Scheren“ ein, um den Mo­lekülfaden der DNS an genau definierten Stellen aufzuschneiden. Damit kön­nen einzelne Gene zugäng­lich und verfügbar gemacht und evtl. auf andere Lebewesen über­tragen werden. Es gibt einige hundert verschiedene „Scheren“, die jeweils ganz typische „Buchstaben-Folgen“ im Erbgut erkennen und dort eine Trennung durchführen.

 

(ein-)kleben

Gentechnik kann bestimmte Enzyme (Ligasen) als „Kleber“ nutzen, um Gene miteinander zu verbinden. Die Herkunft der Gene kann beliebig unterschiedlich sein: es wäre, bildlich gespro­chen, kein Problem, ein Bibelzitat mit einem Ab­schnitt aus der Steuererklärung dauerhaft zu ver­binden.

 

vervielfältigen

Es gibt Techniken, mit deren Hilfe ein gewünschtes Stück Erbsubstanz immer neu um die notwendigen Bausteine er­gänzt, kopiert und vervielfältigt werden kann.

 

übertragen

Gentechnik macht es möglich, Gene einer biologischen Art in das Erbgut einer ganz anderen Art einzufü­gen und in der neuen Umgebung zur Ausprägung ihrer mitgebrachten Eigenschaften zu bringen. Die Art­grenzen der Biologie, die unter anderem so definiert sind, dass ein Austausch von Erbgut im Normalfall nicht erfolgt, gelten damit im Zeitalter der Gentechnik nicht mehr. Menschliche Gene können auf Bakte­rien übertragen werden und sind dort funktionsfähig, Gene aus dem Erbgut von Schweinen lassen sich erfolgreich auf Tabakpflanzen übertragen.

 

Wie das alles konkret funktioniert, soll an einem Beispiel deutlich gemacht werden. Es geht um eine An­wendung der Gentechnik, die schon seit mehr als 20 Jahren großtechnisch durchgeführt wird, die Her­stellung eines wichtigen Medi­kaments: INSULIN.

 

 

5.2. Gentechnik in der Herstellung von HUMAN-INSULIN

Michael ist elf Jahre alt. Vor drei Jahren geriet er, ganz plötzlich, in eine lebensbedrohliche Situation. Seine Bauch­speicheldrüse funktionierte nicht mehr, ihre „Inselzellen“ stellten kein Insulin mehr zur Verfü­gung. Dieses Hormon sorgt im gesunden menschlichen Organismus dafür, dass der Zuckergehalt des Blutes in erträglichen Grenzen aus­balanciert wird. Michael erfuhr schmerzlich, dass er Diabetiker ist, „zuckerkrank“. Seitdem muss dieser Junge sich mehrmals täglich selbst eine Spritze geben und seinem Körper Insulin zuführen. Beim Blick auf die Packungsbeilage seines Medikaments wird klar: Es han­delt sich zum einen um „Human-Insulin“, das heißt, es ist chemisch der gleiche Stoff, den sonst nur gesunde Zellen im menschlichen Organismus bereitstellen können, und dieser Stoff wird „gen­technisch hergestellt“.

Das Verfahren wird großtechnisch seit Anfang der 80er Jahre eingesetzt.

 

Das Prinzip der gentechnischen Herstellung von Insulin soll an­hand eines Bildes verdeutlicht werden. Man benötigt zunächst den „Bauplan“ zur Insulin­herstellung. Im Zellkern jeder Zelle des mensch­lichen Körpers ist die Erbsubstanz dicht zu­sammenge­packt. Sie ent­hält – auf einem Faden-Molekül aneinander ge­reiht - alle notwendigen Informationen und Bau­pläne, die festlegen, wie der Organismus aufgebaut ist und wie sein Stoff­wechsel funktio­niert. Der Zellkern wird ins Reagenzglas verbracht und das Erb­molekül (DNS) dort freigesetzt. Mit Hilfe von Enzymen (das sind chemi­sche Sub­stan­zen, die wie Scheren wir­ken), wird die Erbsub­stanz in kleine Stücke zer­schnitten. Ein solcher Schnipsel enthält den ge­suchten Bauplan (das Gen) zur Herstellung von menschlichem In­sulin (siehe 1).
Nun wird ein Organismus benötigt, der mit Hilfe dieses Bauplans Insulin herstellen kann. Hier ha­ben sich Bakterien als ge­eignet erwiesen. Bakte­rienzellen enthalten einen Teil ihrer Erbsubstanz in Form kleiner, übersichtli­cher Molekül-Ringe (Plasmide). Ein sol­cher Plasmid-Ring wird im Labor mit den gleichen „chemischen Scheren“ aufge­schnitten, die schon beim Zerlegen der menschli­chen Erbsubstanz verwen­det wurden (siehe 2).
Dass in beiden Fällen die gleichen „Scheren“ zum Einsatz kom­men, bewirkt, dass die erzeugten Schnitt­stellen wie in einem per­fekten Puzzle exakt zusammenpassen.

Der Insulin-Bauplan aus dem menschlichen Erbgut wird nun in die offene Stelle des Bakterien-Plasmids eingefügt. Die Enden werden biochemisch miteinander verklebt (siehe 3). Der solcherart verän­derte, ver­größerte Molekül-Ring wird in Bakterienzellen der glei­chen Art eingebracht (siehe 4).

Bei jeder Zellteilung geben die gentechnisch veränderten Bakte­ri­enzellen auch die neue Erbeigen­schaft an alle ihre Nachkom­men weiter. Der Bioreaktor, in dem sie leben, füllt sich schnell mit Lebe­wesen, die die neue Eigenschaft in ihrem Erbgut tragen. Und die Bakterien stellen jetzt in ihrem Stoffwechsel sehr effektiv ei­nen Ei­weiß-Stoff her, den sie selbst nicht benötigen: Insulin. Die Bakte­rien lagern den Stoff in ihren Zellen ab, werden abgetötet, und da­nach ist noch einiges an chemi­scher Nachbereitung nötig, ehe das gewünschte Medikament zur Ver­fügung steht: reines Human-Insu­lin, ein lebenswichtiges Eiweiß in der gleichen chemischen Zu­sammensetzung, wie es sonst nur im gesun­den menschlichen Or­ganismus vorkommt (siehe 5).

 

Hintergrund

Die Verabreichung von gentechnisch hergestelltem Insulin ist in­zwi­schen zum „Normalfall“ geworden: Mehr als 80 Prozent aller in­sulin­pflichtigen Diabetiker in Deutsch­land sind auf gentechnisch hergestellte Präparate eingestellt.

Für die anderen Patienten ste­hen als alter­natives Ersatz-Medi­kament Insuline zur Verfügung, die aus den Bauchspei­chel­drüsen von Rindern und Schweinen aus Schlachthofabfällen gewonnen werden. Das war vor 1980 die ein­zige Insulin-Quelle. Allerdings zeichneten sich schon damals - bei einer ständig wachsenden Zahl von Patienten - Engpässe in der Versorgung ab. Außerdem konnte das Insulin von Rindern und Schwei­nen nicht bei allen Patienten eingesetzt werden; es stimmt in sei­ner chemischen Zu­sammensetzung nicht ganz mit dem des Men­schen überein, so dass es bei man­chen Patienten zu Un­verträglich­keiten und aller­gischen Reaktionen kam.

In den zwanzig Jahren der gentechnischen Herstellung von menschli­chem Insulin sind bis heute keine problemati­schen Ne­ben- und Folge­wirkun­gen eingetreten. Der Patient entscheidet sich freiwillig (und nach Aufklärung) für die Nutzung von Human-Insulin. Er kommt nicht mit gentechnisch ver­änderten Organismen (hier: den Bakterien) in Kon­takt – in der Medikamenten-Spritze befindet sich nur der chemisch reine Stoff Insu­lin. Die Bakterien leben in einem geschlossenen System (Bio­reaktor). Wenn doch Einzel-Exemplare in die freie Natur entkommen sollten, haben sie dort keine Überlebens­chancen. Ihnen wurde – auch per Gen­technik – eine weitere zusätzliche Eigenschaft „einge­baut“, die sie von einem Nahrungs­bestand­teil ab­hängig macht, der nur im Biore­aktor zur Ver­fügung steht, aber in der Natur nicht vorkommt.

 

Am Beispiel der gentechnischen Insulin-Herstellung werden die atem­beraubenden Möglichkeiten der neuen Techni­ken deutlich. In der Natur ist der Austausch von Erb­gut über Artgrenzen hinweg kaum mög­lich. Diese Barrieren exis­tieren jetzt prak­tisch nicht mehr. Biolo­gisch können Lebewesen nicht weiter voneinander entfernt sein als Bakterien und Men­schen. Und doch – das Insulin-Beispiel zeigt es – ist es möglich, eine einzelne Erbinforma­tion, die nur in ge­sunden menschlichen Zellen vorkommt, erfolgreich auf Bakterienzellen zu übertra­gen, und sie voll­führt dort die gleiche Funktion. Man kann demnach versu­chen, jede Erbeigenschaft, die in irgend­einem Lebewesen auf die­ser Welt vor­kommt und uns nützlich erscheint, in das Erbgut von völlig anderen Or­ganis­men einzubauen, also von Bakterien auf Maispflan­zen oder von Fischen auf Tomaten zu über­tragen.

Die hier geschilderte Anwendung der Gentechnik zur Herstellung von Medikamenten ist inzwischen allgemein akzep­tiert. Es werden keine Gene in den mensch­lichen Körper eingebracht. Daher steht man hier im Prinzip vor kei­nen an­deren Fragen als bei der Gabe jedes anderen Medikaments. Freilich müssen die üblichen Sorg­faltspflichten in der Er­probung und Anwen­dung von Medikamenten beachtet werden.

Kann man in Kenntnis dieser – nicht nur von Betroffenen als segensreich erlebten - Anwendung der Gentechnik pau­schal jede Art gentechnischer Veränderung ablehnen? Ist es wichtiger, ein Prinzip durchzuhalten (etwa: „keine Gen­technik!“) oder nach den konkreten Folgen einer Handlung zu fragen (etwa: wem nützt die Technik, wem schadet sie)?

 

„Im übrigen aber gehört es zum verantwortlichen Umgang mit der ‚Freiheit eines Christenmenschen‘, sich in jedem einzelnen Fall aufgrund der entwickelten Entschei­dungshilfen selbst ein Urteil zu bilden.“
(„Einverständnis mit der Schöpfung – Ein Beitrag zur ethischen Urteilsbildung im Blick auf die Gentechnik“, erarbeitet im Auftrag des Rates der Ev. Kirche in Deutschland, Gütersloh 1997, S.168)

 

 

 

 

Anhang

 

6. Die Erhaltung und Weitergabe der Erb-Informationen

in der Sprache der exakten Naturwissenschaft

 

6.1. DNS - das Erbmolekül

 

Tatsächlich finden wir im Zellkern, in der „Bibliothek des Lebens“, keine „Bücher“ und „Texte“ vor.
Materieller Träger der Erb-Informationen ist das Molekül der Desoxyribonukleinsäure (DNS).

 

DNS:

Desoxyribonukleinsäure; DNS (englisch auch DNA wegen acid für Säure):

Bei der DNS handelt es sich chemisch um eine Säure, die im (Zell-)Kern gefunden wird (Kern = lateinisch Nukleus) und die als einen wesentlichen Baustein das Zuckermolekül Desoxy­ribose ent­hält.

 

Die DNS ist ein fadenförmiges Molekül (siehe Abb.). Sie liegt im Zellkern nicht in einem Stück vor, son­dern die ge­samte Erbsubstanz (das Genom) ist bei höheren Lebewesen auf mehrere Chromosomen ver­teilt und verpackt.

 

 

Der DNS-Faden trägt den Bauplan des Lebens. Er enthält hintereinander aufgereiht die GENE (unsere „Bauanleitun­gen“ oder „Kochrezepte“ aus der Darstel­lung in Kap. 4), die zuständig sind für die Herstellung aller Stoffe, die eine Zelle bzw. der ganze Or­ganismus benötigen, und die auch zuständig sind für die Regelung und Koordination al­ler Lebensprozesse. Beim Menschen schätzt man, dass es etwa 40000 verschiedene Bauanleitungen für ebenso viele verschiedene Substanzen gibt. Und jeweils einen Abschnitt des DNS-Fadens, der eine Bauanleitung zur Her­stellung eines ganz bestimmten Eiweiß­stoffes (Protein) enthält, nennt man ein GEN (Erbanlage).

Die „Rezepte“ sind in einer Art chemischer Geheim­schrift aufgeschrieben, als fortlaufender Text ohne Punkt und Komma, und unter Benutzung eines einfa­chen „Alphabets“, das aus nur vier chemischen „Buchstaben“ besteht: G,T,C und A. Die Abkürzung G steht dabei für die Nukleotid-Base Guanin, T für Thy­min, A für Adenin und C für Cytosin (T wird in RNS-Molekülen durch den Baustein Uracil mit der Abkür­zung U ersetzt  – siehe Kapitel 6.3.1.).

Wenn man den DNS-Faden ganz ge­nau betrachtet, sieht er aus wie eine ver­drehte Strickleiter (die so ge­nannte DOP­PELHELIX), und die Sprossen dieser Strickleiter werden von vier Mole­kül-„Buchsta­ben“ gebildet (che­mische Bezeich­nung: NUKLEOTID-BASEN), die jeweils paar­weise aneinan­der haften - A und T liegen einander im­mer gegenüber , ge­nau so ist das bei dem Paar G und C.

 

Die in der DNS ge­speicherten Erb­informationen gilt es nun zum einen zu vervielfältigen und zum anderen zur Her­stel­lung von Stoffen zu nutzen.

 

 

Die nebenstehende Abbildung gibt dazu ei­nen sche­mati­schen Überblick: Der Weg oben von links nach rechts deutet die Ver­vielfältigung / Weitergabe der Erbinformation an; links von oben nach unten ist die „Übersetzung“ der in der DNS niedergelegten Information in die „Sprache der Eiweiße“ skiz­ziert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sind nur 2 Prozent der Erbsubstanz „richtige“ Gene?

Nach heutigem Kenntnisstand bestehen nur etwa 2 Prozent der DNS aus Genen im echten Sinne, das heißt, dass sie Baupläne zur Herstellung von Proteinen enthalten. Man kennt darüber hinaus Regulationselemente (sie regeln, ob und wann ein Gen ab­gelesen wird), der größte Teil der Funktionen in der DNS ist jedoch noch unklar (Vor­stellungen: innere Regulation; repetitive, das heißt sich mehrfach wiederholende Abschnitte; „ab­geschal­tete“ Gene, z.B. Krebsgene). Die „echten“ Gene, die die Herstellung von Proteinen codieren, liegen unregelmäßig verteilt auf den Chromosomen, wobei jedes Gen nochmals von „stummen“ DNS-Sequenzen unterbrochen ist, die später bei der „Übersetzung“ der Botschaft herausgeschnitten werden.

 

Ein Gen – ein Eiweiß – ein Merkmal ???

Bis vor einigen Jahren wurde ein Gen als ein Abschnitt auf der DNS definiert, der die Information für die Herstellung eines Proteins enthält. Dieses Dogma: „Ein Gen – ein Protein“ gilt nicht mehr.

Inzwischen weiß man, dass bei vielen Genen ein Teil der zunächst abgelesenen Information nach­träglich wieder entfernt wird. Darüber hinaus wurden überlappende Gene gefunden und Gene, die innerhalb anderer Gene liegen.

Häufig werden die frisch produzierten Eiweiße in kleinere Teile zerschnitten, und diese überneh­men dann ganz unterschiedliche Funktionen. Zudem verknüpfen Zell-Enzyme neu gebildete Ei­weiße mit unterschiedlichen Zuckermolekülen, beladen sie mit Phosphaten oder Metallionen – das wiederum verändert die Eigenschaften der Eiweiße drastisch.

Menschliche Gene können oft nicht nur ein Protein herstellen, sondern durchschnittlich drei, man­che sogar Tausende verschiedene. Es wird geschätzt, dass im menschlichen Genom etwa 22.000 Gene vorliegen, die aber einige hunderttausend verschiedene Proteine herstellen. Also lautet die aktuelle Definition: „Ein Gen ist eine Sinneinheit im Genom, die für ganze Protein­familien zuständig ist.“

 

Ist der Mensch allein ein Produkt seiner Gene?
Ein Klonforscher wird gefragt: Wie weit prägen Gene ein Wesen? „Darüber haben wir ziemlich genaue Vorstellungen. Zu 30 bis 35 % sind die Gene verantwortlich, was wir sind und was wir tun. Der Rest ist die Umwelt.“
(Die Zeit 15.2.07 S.56)

 

 

 

6.2. RE(DU)PLIKATION – die Vervielfältigung des Erbgutes

 

Die Vermehrung des genetischen Materials im Zellkern erfolgt vor jeder Zellteilung als identische RE(DU)PLIKATION (= Selbst-Verdopplung) der DNS. Sie ist die Voraussetzung für die Weiter­gabe der vollständigen Erbinformation an beide Tochter­zellen.

Dazu werden die beiden in der Doppelhelix parallel angeordneten und durch Brücken mitein­ander ver­bundenen Teil-Fäden wie beim Öffnen eines Reiß­verschlusses voneinander getrennt (als „Öffner“ tritt ein Enzym in Funktion, die DNS-Polymerase).

Nun dient jeder der beiden entstandenen Einzel-Stränge der Strickleiter als Vorlage für die Synthese eines ergän­zenden („komplementären“) zweiten Stranges: die Molekül-Bausteine (Ba­sen, „Buchsta­ben“) A, T, G und C schwimmen heran und paa­ren sich mit ihrem zugehörigen Gegen­stück in der „Vor­lage“, A bindet chemisch immer nur mit T und C im­mer nur mit G. Es ent­stehen zwei gleiche (identi­sche) Strickleiter-Moleküle, die bei der Zellteilung auf die Tochter-Zellen verteilt werden.

Bei Lebewesen mit Zell­kern geht die Verdopplung der Erbsub­stanz von vielen Startpunkten gleichzeitig aus, das heißt, in jedem Chromosom öffnen En­zyme das DNS-Molekül an einigen tausend Start­punkten.

 

 

 

 

6.3. Gen-Expression - Die Botschaft der Gene wird umgesetzt

 

Wie prägen sich nun die Erbanlagen aus, wie wird die Botschaft, die die Gene tragen, wirksam?
Als Produkte des Tätigwerdens der Gene werden Eiweißstoffe (Proteine) hergestellt.
Oder als Definition: Ein Gen ist (im Normalfall) ein Abschnitt auf der DNS, der die Information für die Bil­dung eines Ei­weißmoleküls trägt.

Proteine nehmen als Bausteine des Lebens in Organismen sehr unterschiedliche Funktionen wahr.

 

 

 

 

Funktion verschiedener Proteine (Eiweiße)


+ Baustoffe im Zellplasma

+ Füll- und Stütz-Material (Knochen- und Bindegewebe)

+ Botenstoffe (Hormone, z.B. Insulin)

+ Steuerung des Stoffwechsels (Enzyme)

+ Antikörper (Immunsystem)

+ Rezeptoren (Signal-Weiterleitung)

+ Transport- und Speicher-Proteine (Hämoglobin = roter Blutfarbstoff)

+ Weitergabe und Realisierung der genetischen Information (DNS, RNS)

 

 

Die Zuordnung, nach der ein Gen jeweils zuständig ist für die Herstellung ganz bestimmter Proteine, ist eindeutig. Das stimmt aber nicht mehr für den Zu­sammenhang, der zwischen den verschiede­nen Pro­teinen und den Merk­malen in Körperbau, Stoffwechsel oder Ver­halten von Lebewesen be­steht. Hier gilt in der Re­gel, dass ein Gen über den von ihm herge­stellten Ei­weiß­stoff Einfluss ausübt auf mehrere ver­schiedene Merkmale (= Gene sind pleiotrop). Und die Ausprägung eines Merk­mals wird normalerweise durch das Einwirken meh­rerer Gene gesteuert (= Merkmale sind polygen) (siehe dazu Abb.).

 

 

Wie wird nun die Botschaft von der DNS „abge­schrieben“, an die richtige Stelle in der Zelle (in die „Werkstatt“) transportiert und dort in die „Sprache der Eiweißmoleküle“ übersetzt?

 

 

 

 

 

 

 

6.3.1 TRANSKRIPTION - Die Botschaft wird abgeschrieben

 

In einem ersten Schritt wird die auf dem DNS-Molekül gespeicherte Information abgeschrieben. Als Kopie wird ein RNS-Molekül hergestellt.
Der Vorgang wird TRANSKRIPTION genannt (als „Abschreiben“ oder „Umschreiben“ zu übersetzen).

 

Das „Kopiergerät“ ist ein Enzym: Diese RNS-Polymerase wird chemisch an einer ganz bestimmten Stelle im DNS-Molekül gebunden. Von diesem Start-Punkt aus bewirkt das Enzym ein Auseinanderweichen der beiden DNS-Stränge (wie ein Reißverschluss). Nur ein bestimmter Strang der DNS (= codo­gener Strang) dient nun als Vorlage für die Bil­dung eines neuen, dazu passenden (= komplementären, ergänzenden) Gegen-Stranges: die Basen („Buchsta­ben“)
A, U, G und C schwimmen heran und werden miteinander zu einer Kette verknüpft (siehe Abb.).

Wichtig ist, dass hier statt der Base T plötzlich U auftaucht - das neu geknüpfte Molekül ist quasi in einer anderen „Mundart“ geschrieben, in der immer U verwendet wird, wo in der DNS-„Sprache“ T gemeint wäre (U steht für die Nukleotidbase Uracil).

Der Vorgang des „Abschreibens“ der Gen-Botschaft wird durch ein Stopp-Signal beendet, da­nach treten die beiden Einzelstränge der DNS wieder zusammen und die Lücke schließt sich.

Die „umgeschriebene“ Botschaft liegt nun in Gestalt eines – im Unterschied zur Doppelhelix der DNS nur einsträngi­gen - Mole­külfadens vor, als Molekül der RIBONUKLEIN-SÄURE (RNS, im Eng­lischen RNA wegen acid für Säure). Noch genauer handelt es sich um ein Molekül der so genannten m-RNS (für englisch messenger-RNA, deutsch etwa Boten-RNS).

 

RNS:

Einige Unterschiede zum DNS-Molekül sind: RNS ist nur einsträngig, im Molekül wird ein anderer Zucker ver­wendet (Ri­bose statt Desoxyribose), und statt der Base T findet sich jeweils an der entsprechenden Stelle in der RNS die Base U.

In den Zellen höherer Lebewesen (Pflanzen, Säugtiere) ist die Bildung der m-RNS dadurch verkompliziert, dass die genetische Infor­mation auf dem DNS-Faden gestückelt vorliegt (rekord­verdächtig: 178 Fragmente beim Muskeleiweiß Titin). Die kodierenden Bereiche (sog. EXONS; sie enthalten Informationen, die sich wirk­lich „aus“-prägen), die sich später in der m-RNS wieder­finden sollen, sind durch nicht-kodierende Bereiche (sog. INTRONS, „Einlagerungen“) unterbrochen. Spe­zielle Enzyme spleißen das RNS-Molekül aus den Frag­men­ten zusammen, nur die informations-tragenden Teile sind dann noch – und nun als lückenloser Text - ent­halten. Dabei können die Exons wie Film­schnipsel auch unterschiedlich kombiniert werden (sodass in der Folge aus den „Puzzlesteinen“ eines Gens mehrere unterschiedliche Eiweiße gebildet werden können).

Bakterien können solche gestückelte, in Fragmenten verteilte Erbsubstanz nicht in dieser Weise zusammen­führen, daher müssen Gene aus den Zellen höherer Lebewesen – wenn sie in Bakterienzellen „funktionieren“ sollen - in einer für Bakterien lesbaren Form, als so ge­nannte c-DNS bereitgestellt werden. Ermöglicht wird das durch ein Enzym, die reverse Transkriptase, die die m-RNS-Informa­tion entsprechend umschreibt.

RNS-Moleküle tragen nicht nur Kopien der DNS zu den Ribosomen, wo nach Bauplan Proteine hergestellt werden. Andere RNS-Moleküle bestimmen, welche Gene gerade jetzt abgelesen werden sollen. Wieder an­dere RNS verhindert, dass Gene ihren Platz im Chromosom verändern. Es gibt auch kleine RNS-Schnipsel, die unerwünschte („fremde“) m-RNS in der Zelle erkennen und unwirksam machen.

 

 

Das m-RNS-Molekül wird nun in der Zelle zum Boten, es überträgt die Botschaft aus dem Zell­kern zur „Werkstatt“, zu den RIBOSOMEN.

 

6.3.2. TRANSLATION - die Botschaft der Gene wird übersetzt

 

Die Erb-Information ist in den Nukleinsäuren DNS bzw. RNS gespeichert und durch die Reihen­folge der Basen-Bau­steine (Nukleotide) verschlüsselt.
An den Ribosomen erfolgt die Übersetzung (= TRANSLATION) der Botschaft in die chemische „Sprache“ der EIWEISSE (= Proteine).
Eiweiße bestehen chemisch aus Grundbausteinen, den AMINOSÄUREN, die wie in einer Perlenkette an­einander ge­reiht sind. In Lebewesen kommen (normalerweise) 20 verschiedene Aminosäuren vor.

 

6.3.2.1. Der genetische Code wird gelesen


Zu übersetzen ist nun zunächst der so genannte „GENETISCHE CODE“.

Wir haben jetzt auf dem m-RNS-Molekül einen Buchstabensalat vor uns, z.B. in der Form: ....AUUGCUCCAGAAUCG ....., für uns nicht verstehbar und lesbar, wenn wir den dahinter ver­borgenen Sinn, die Verschlüsselung, den Code nicht kennen.

Die Aufgabe beim „Code des Lebens“ besteht darin, mit vier Buchstaben (den Nukleotid-Basen) 20 Bau­steine für Ei­weißmoleküle (die Aminosäuren) eindeutig zu kennzeichnen, zuzuordnen, zu verschlüsseln.

 

Der genetische Code: Wie lassen sich 20 Bausteine mit vier Buchstaben verschlüsseln?

 

Wir probieren:

1. Versuch: einem Buchstaben soll jeweils ein Aminosäure-Baustein zugeordnet werden. Mit diesem Ansatz las­sen sich höchs­tens vier Aminosäuren eindeutig zuweisen (41 Möglichkeiten).

2. Versuch: „Worte“, die aus jeweils zwei Buchstaben bestehen, werden einem bestimmten Aminosäure-Bau­stein zugeordnet. Mit diesem Ansatz können (bei Nutzung der vier zur Verfügung stehenden Buchstaben) 16 Aminosäuren eindeutig verschlüsselt werden (42 Möglichkeiten)

3. Versuch: Jetzt werden „Worte“ aus jeweils drei Buchstaben gebildet und jeweils einem Aminosäure-Bau­stein zugeordnet. Jetzt ergeben sich 64 Zuweisungs-Möglichkeiten (43). Das heißt: mit Kombinationen aus drei Buchstaben kann man 64 „Wör­ter“ bilden; das reicht für die Verschlüsselung von 20 Aminosäuren reich­lich aus.

 

Tatsächlich sieht der genetische Code so aus, dass Dreier-Kombinationen von Basen (sie werden „TRIPLETTS“ ge­nannt) jeweils den Einbau einer bestimmten Aminosäure in das Eiweißmole­kül veranlas­sen.
Da in Lebewesen nur 20 Aminosäuren als Eiweißbausteine vorkommen, aber 64 mögliche Codes zur Verfügung ste­hen, gibt es in der Praxis für jede Aminosäure mehrere „Code-Worte“, zusätz­lich werden auch Tripletts als Start- und Stopp-Signale verwendet.
Der genetische Code ist universell, das heißt für alle Lebewesen gleichermaßen gültig (damit sind auch art-fremde Informationen lesbar).

 

Der genetische Code lässt sich etwa mit dem Morse-Code vergleichen, der aus drei Symbolen besteht (Punkt, Strich und Zwi­schenraum; dabei dürfen auch 1 und 2 Zeichen als Einzel-Code genutzt werden), während der Nukleinsäure-Code aus vier Symbolen besteht (von denen immer drei zusammen eine Einheit bilden).

Der genetische Code ist nicht ganz universell: in manchen Zell-Organellen, den MITOCHONDRIEN und den CHLOROPLASTEN (Plastiden) kommt eigenständige DNS vor, dort gilt z.B. ein anderes Stopp-Signal. Manchmal erfolgt die Ablesung des Codes auch nicht in säuberlichen Dreier-Schritten - dann ergeben sich Verschiebungen beim Ablesen der Botschaft im Ribosom.

 

 

6.3.2.2. Die Botschaft der Gene wird in die Sprache der Eiweiße

    übersetzt


Im nächsten Schritt geht es um den Zusammenbau von Eiweiß-Molekülen in der richtigen Reihen­folge.

Der Molekül-Faden der Boten-RNS fädelt sich in das RIBOSOM ein und wird Schritt um Schritt hindurch­gezogen.

 


 

Parallel werden aus dem Zell-Inneren Ami­nosäuren heran trans­portiert. Für den Trans­port zu­ständig ist eine weitere Art RNS, die t-RNS genannt wird (t für Transfer-, Transport-RNS). Für jede der 20 Aminosäuren gibt es eine spezifi­sche t-RNS, die nur jeweils „ihre“ Aminosäure transpor­tiert. Beim Molekül der t-RNS zeigen an einer bestimmten Stelle drei Basenbausteine nach außen. Diese Dreier­folge ist der Code für den Einbau einer be­stimmten Aminosäure. Dieser Dreier-Code passt genau wie Schlüssel und Schloss nur zu einem ganz bestimmten Dreiermuster auf der Ge­genseite bei der m-RNS, die als Schablone im Ribosom wartet.

Die t-RNS-Moleküle lagern sich nun, gesteuert von den passenden Gegen-Worten der m-RNS, eines nach dem ande­ren dort an, die mitgeführten Aminosäuren werden chemisch miteinander verbunden und bilden ein Eiweißmolekül (siehe Abb.).

Damit hat die theoretische Botschaft, die im „Buchstabenmuster“ eines Gens verschlüsselt war, nun ma­terielle Gestalt angenommen.

 

Zum Schluss erfolgt noch der Transport der Proteine an den richtigen Bestimmungsort in der Zelle. Die Ribosomen sitzen in der Zelle auf dem endoplasmatischen Retikulum. Dort werden die gebildeten Prote­ine mit einem „Adress-Aufkleber“ abgeliefert und in einer Art „Rohrpost-System“ gezielt an ihren Bestim­mungsort gebracht.