Interview:
Landwirtschaft zwischen romantischem Ideal,
berechtigter Kritik und ungerechtfertigter Verteufelung
Unser täglich Brot,
Biosprit und Gentechnik?
Weltweite Preissteigerungen für Nahrungsmittel haben
die Diskussion um Ernährungssicherheit, Bioenergie und Gentechnik beflügelt.
Harald Krille sprach darüber mit dem Thüringer Landwirtschaftsexperten
Professor Dr. Gerhard Breitschuh*.
Herr Professor Breitschuh, noch vor wenigen Jahren
sprach man von Butterbergen und Getreideüberschuss. Wieso steigen plötzlich
weltweit die Preise für Lebensmittel?
Breitschuh: Das kommt für
mich nicht plötzlich. Wer in den letzten Jahrzehnten die Landwirtschaft und die
globale Ernähungssituation etwas genauer beobachtet hat, für den war es nur
eine Frage der Zeit, dass irgendwann der Punkt erreicht ist, dass die Zuwächse
in der landwirtschaftlichen Erzeugung nicht mehr Schritt halten mit den
globalen steigenden Ernährungsbedürfnissen.
Allenthalben wird aber die Schuld daran dem
verstärkten Anbau von Pflanzen zur Energiegewinnung gegeben – Stichwort
Biosprit.
Breitschuh: Wenn derzeit
laut Statistik der Weltbank rund 1,9 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen
Ackerfläche für die Energiegewinnung eingesetzt werden, dann wird dadurch das
Problem vielleicht etwas verstärkt, aber nicht ausgelöst. Dazu ein kleiner
geschichtlicher Exkurs: Bevor die fossilen Brennstoffe im großen Maßstab
genutzt wurden, ist der Energiebedarf zu wesentlichen Teilen aus dem »grünen«
Bereich gedeckt worden. Und noch vor 40 Jahren wurden bei uns fünf bis zehn
Prozent der Ackerfläche eines Landwirtschaftsbetriebes genutzt, um Hafer als
»Kraftstoff« für die Pferde anzubauen. Um den Dieselbedarf der heutigen
Landwirtschaft zu decken, müsste auf fünf bis zehn Prozent Raps zur
Biodieselherstellung angebaut werden. Das heißt, mit dem gleichen Flächenanteil
wird die Landwirtschaft von heute mit »Kraftstoff« versorgt, obwohl die Erträge
insgesamt auf das drei- bis vierfache der damaligen Hektarerträge anstiegen.
Dennoch, ist Bioenergie angesichts begrenzter
Anbauflächen und wachsender Weltbevölkerung überhaupt eine sinnvolle Option?
Breitschuh: Sie ist eine
Option im Mix der gesamten Energiequellen. Natürlich hat die Versorgung der
Bevölkerung mit Lebensmitteln Vorrang. Deshalb denke ich, dass die Energiegewinnung
aus Biomasse, welche auch zur Nahrungsmittelsproduktion genutzt werden könnte,
nur ein Zwischenschritt ist. Aber die Energiegewinnung aus Wirtschaftsdüngern,
wie Gülle und Stallmist, aus landwirtschaftlichen Reststoffen und aus
nicht-nahrungsmittelfähiger Biomasse wird auch in Zukunft bei uns eine wichtige
Rolle spielen.
Umwelt- und entwicklungspolitische Verbände fordern
mehr Unterstützung für kleinbäuerliche Betriebe statt für industrielle
Landwirtschaftsproduktion – zu Recht?
Breitschuh: Förderung sollen
alle die Landwirte bekommen, die effizient, umweltverträglich und
sozialverträglich, in einem Wort: nachhaltig produzieren und dies unabhängig
davon, wie groß der Betrieb ist und welche Rechtsform er hat. In diesem
Zusammenhang warne ich davor, familienbäuerliche Betriebe und größer
strukturierte Unternehmen gegeneinander auszuspielen, beide sind erforderlich.
Oft wird der Vorwurf laut, landwirtschaftliche
Großbetriebe seien in ihrer Energiebilanz und beim CO2-Ausstoß negativer zu
bewerten …
Breitschuh: Mit allem
Respekt, aber dass ist Unsinn! Es geht doch darum: Wer erzeugt eine Tonne
Biomasse mit dem geringsten energetischen Aufwand, mit der geringsten
CO2-Äquivalent-Emission, mit der geringsten Umweltbelastung? Und wenn Sie das
analysieren – ich beschäftige mich seit über 20 Jahren mit solchen Bilanzen –
dann kommen Sie zu ganz anderen Ergebnissen. Nur ein Beispiel: Natürlich
verursacht eine Kuh, die jährlich 10000 Liter Milch gibt, eine höhere
Methan-Emission als eine Kuh mit nur 4000 Litern pro Jahr. Doch bezogen auf den
Liter Milch ist der spezifische Ausstoß bei der leistungsstärkeren Kuh deutlich
geringer.
Diese Leistungsentwicklung
der Thüringer Kühe in den letzten 15 Jahren hat dazu geführt, dass für die
konstante Milchmenge die Anzahl der Kühe abgenommen hat und die Methanemission
spürbar reduziert worden ist.
Landwirtschaft scheint in Europa nur noch mit einem
kaum durchschaubaren System staatlicher Zuschüsse zu funktionieren. Sehen Sie
darin eher Segen oder Fluch?
Breitschuh: Für einen
Wirtschaftszweig ist es nie ein Segen, wenn er von staatlichen Beihilfen
abhängig ist. Aber: Bei Wegfall dieser staatlichen Zuwendungen für die
Landwirtschaft würden die Preise für Nahrungsmittel unter Umständen nochmals
erheblich steigen. Wir sind am Beginn eines Diskussionsprozesses, in dessen
Mittelpunkt die Frage steht, wie viel Geld zukünftig in die europäische
Landwirtschaft fließen soll. Man darf nicht vergessen: Betriebe erhalten diese
Zahlungen nur, wenn sie Umwelt- und Tierschutzstandards einhalten und unsere
Kulturlandschaft erhalten. Die staatlichen Zuwendungen sind damit auch ein
Anreiz zu umweltverträglicher Produktion.
Die Preissubventionen sehen viele als eine
Benachteiligung von Ländern der Dritten Welt, deren Agrarexporte in die EU dadurch
verhindert oder erschwert werden.
Breitschuh: Wie bereits
erwähnt – verminderte staatliche Zuwendungen könnten steigende
Lebensmittelpreise zur Folge haben. Die Frage ist, ob steigende Preise bei uns
der Dritten Welt wirklich helfen. Würden dann nicht noch mehr Nahrungsmittel
aus Regionen, in denen der Hunger herrscht, hierher kommen? So hat ja
beispielsweise Argentinien ein Exportlimit für Rindfleisch im vergangenen Jahr
eingeführt. Brasilien erwägt, Ausfuhrzölle für Soja einzuführen. Ein Wegfall der
Beihilfen bei uns könnte also auch die Folge haben, den Abfluss von
Nahrungsmitteln aus solchen Schwellenländern und der Dritten Welt zu erhöhen.
Bietet die »Grüne Gentechnik« eine Alternative, die
Ernährung der Weltbevölkerung sicherzustellen?
Breitschuh: Die
landwirtschaftliche Produktion ist über Jahrhunderte kontinuierlich gestiegen
und hat damit den steigenden Nahrungsmittelbedarf befriedigt. Wir sind jetzt an
einem Punkt, wo dieses Wachstum zumindest in Mitteleuropa deutlich geringer
ausfällt. Die »einfachen« Rezepte, wie richtige Bodenbearbeitung, Einhaltung
der Fruchtfolge, angemessene Düngung, der Einsatz von Unkraut- und
Insektenbekämpfungsmethoden, sind weitgehend ausgereizt. Wir brauchen also neue
Ideen. Und da sollten – meiner Meinung nach – einer verantwortungsvollen
Kreativität keine Grenzen gesetzt werden. Gentechnik ist dabei nur ein Baustein
von mehreren.
Aber viele Menschen haben Angst, dass hier eine
Technologie angewendet wird, deren Risiken nicht oder nur schwer abschätzbar
sind.
Breitschuh: Das Letzte sehe
ich durchaus auch so, gilt aber letztlich für jede neue Technologie. Es sollte
bei der Bewertung auch berücksichtigt werden, mit welcher Sorgfalt
Wissenschaftler und Kontrollbehörden an dieser Stelle arbeiten und welche engen
Zulassungsbeschränkungen es in diesem Bereich gibt. Im Übrigen: Wo ist
eigentlich der gravierende Unterschied zur schrittweisen
genetischen Veränderung im Zuge der konventionellen Züchtung? Der züchterische
Fortschritt ist in der Vergangenheit fast immer auf Mutationen zurückzuführen,
also auf genetische Veränderungen, die entweder zufällig entstanden oder
gezielt ausgelöst wurden.
Was wünschen Sie sich in der Diskussion von
kirchlichen Vertretern?
Breitschuh: Dass
Sachargumente gehört werden und die Diskussion weniger emotional aufgeheizt
läuft. Ein großer Teil der Vorbehalte, denen ich zu Fragen der
landwirtschaftlichen Produktion begegne, beruht auf Bildern aus der
Vergangenheit, die längst überwunden sind.
*Gerhard Breitschuh war unter anderem viele Jahre Direktor der
Landwirtschaftlichen Untersuchungs- und Forschungsanstalt sowie Präsident der
Landesanstalt für Landwirtschaft in Thüringen. Ein Forschungsschwerpunkt war
dabei die Entwicklung von Beurteilungskriterien für Nachhaltigkeit in der
Landwirtschaft.
(Quelle: Gemeinsame
Redaktion der Mitteldeutschen Kirchenzeitungen, Eisenach – DER SONNTAG, GLAUBE
UND HEIMAT, DIE KIRCHE – 5.10.2008 S. 2)