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Thesen zum Kreationismus

(Dieses Papier wurde 1989 vom Beirat für Glaube und Naturwissenschaft beim Ev.-Luth. Landeskirchenamt Sachsens erstellt und am 4. Mai 1990 durch die Kirchenleitung zustimmend zur Kenntnis genommen;
veröffentlicht im Amtsblatt der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, Dresden. 31. Juli 1990)

In den letzten Jahren Ist das Gedankengut des sog. "Kreationismus"  in  unseren  Gemeinden  verbreitet worden und hat - vor allem unter Jugendlichen – zu Verwirrung und Verunsicherung geführt. Wir halten - in dem Wissen, dass es im Kreationismus sehr verschiedene Spielarten gibt - eine Auseinandersetzung mit bestimmten Formen und Inhalten für notwendig, vor allem, wenn sie Ihren Ausdruck in agitatorischer Missionstätigkeit und der Verbreitung gewisser literarischer Erzeugnisse finden.

1. Kreationismus

Der Kreationismus (auch "wissenschaftlicher Kreationismus" oder " Schöpfungswissenschaft") ist vor allem bewegt von der Sorge, den christlichen Glauben gegenüber der Evolutions-Lehre zu verteidigen. Er erhebt die "Entscheidung für Schöpfung  oder  Evolution zu einer zentralen Frage christlichen Glaubens und Bekennens. Der Kreationismus sieht den Schöpfungsglauben durch den Entwicklungsgedanken in der modernen Naturwissenschaft bedroht und leitet daraus ab, dass ein Christ der Evolutionslehre nur ablehnend begegnen kann. Den Nachweis für die Richtigkeit seiner Thesen führt der Kreationismus vor allem mit naturwissenschaftlichen Argumenten und glaubt, dass zwischen modernen Erkenntnissen der Wissenschaft und dem Wortlaut der biblischen Überlieferung Harmonie hergestellt und dadurch der Glaube des einzelnen gestärkt werden kann.

Wir stellen fest:

Der Kreationismus ist eine Bewegung, die in den 60er Jahren außerhalb der verfassten Kirchen in den USA entstanden ist. Er nimmt Strömungen auf, wie sie die Geschichte der Kirche seit langem, begleiten (Standpunkte des Fundamentalismus/Biblizismus). Der Kreationismus stellt die wichtige Frage nach der Bedeutung, die naturwissenschaftlichen Kenntnissen über die Welt zukommt, neu. Er wendet sich zu Recht gegen den Missbrauch von Naturwissenschaft im Dienste einer Weltanschauung. Er deckt auf, dass Wissenschaft heute zum Teil quasi-religiöse Züge aufweist und den Anspruch erhebt, allein mit ihren Mitteln die Wirklichkeit der Welt erklären und Antwort auf Sinnfragen geben zu können.
Der Kreationismus hat recht, sofern er die Auseinandersetzung mit dieser Ideologisierung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse fordert. Er übersieht aber, dass Naturwissenschaft nicht notwendigerweise Ideologie oder antireligiös sein muss. In der Bekämpfung seines Feindbildes ("Evolutionismus", "kommunistischer Atheismus") ideologisiert er selbst biblische und naturwissenschaftliche Aussagen und erliegt der Gefahr, die je eigene, begrenzte biblische und. wissenschaftliche Sicht der Welt zu überfordern.
Die Position des Kreationismus kann uns weder theologisch noch naturwissenschaftlich überzeugen.

2. Bibelverständnis

Nach allgemeiner christlicher Überzeugung ist die Bibel von Gott inspiriert. Wie diese Überzeugung interpretiert wird, ist unterschiedlich. Die Kreationisten schließen daraus, dass die Aussagen der Bibel in allen Bereichen irrtumslos sind und keine Widersprüche enthalten. Sie erklären diese ihre Sicht der Heiligen Schrift für allein richtig und christlich. Bei Widersprüchen zwischen dem modernen Weltbild und der biblischen Überlieferung ist der Wortlaut des Bibeltextes für Kreationisten wahr und verbindlich (fundamentalistisches Bibelverständnis).
Das theologische Interesse des Kreationismus konzentriert sich fast ausschließlich auf das Thema „Schöpfung“, verstanden als das Fragen nach dem Anfang der Welt und des Lebens. Durch Auswahl und Neuinterpretation naturwissenschaftlicher Befunde möchte er die Richtigkeit (Wahrheit) der biblischen Überlieferung beweisen und damit Glaubens-Gewissheit wecken und stärken.

Wir stellen fest:

Die Kirchen haben Inder Geschichte der Schriftauslegung gelernt, in der Heiligen Schrift Zeugnisse des Glaubens und naturwissenschaftliche Erklärung der Welt zu unterscheiden. Demgegenüber schafft der Kreationismus erneut Verwirrung, indem er Glaube und Wissen vermengt. Er wiederholt damit in seiner Position vergangene Etappen des Schriftverständnisses und wird dem differenzierten Stand heutiger Schrittauslegung nicht gerecht:

·       Danach ist die Bibel ein geschichtlich entstandenes Dokument. Wir vernehmen darin die Stimmen verschiedener Zeugen, die in unterschiedlichen Situationen reden und die Sprache ihrer Zeit und deren Weltbilder verwenden. Indem glaubende Menschen den Anspruch und die Verheißung Gottes für ihr Leben verbindlich vernehmen, erweist sich die Bibel als Heilige Schrift.

·       Weiterhin ist die Einsicht allgemein, dass die Texte der Bibel vorrangig nicht naturwissenschaftliche oder historische Information vermitteln, sondern Glaubens-Zeugnisse sind. Diese Glaubensaussagen sind nicht gebunden an naturwissenschaftliche Erkenntnis und werden daher auch nicht mit ihr hinfällig (Kreationisten fesseln dagegen Glaubensaussagen an eine bestimmte Weltsicht).

·       Glaube kann nur Vertrauen wagen, er stützt seine Gewissheit nicht auf Beweise, etwa solche naturwissenschaftlicher Art.

·       Nach den heutigen Erkenntnissen der Bibelwissenschaft ist die Grundthese des Kreationismus (wörtliche Verbindlichkeit) schon allein aufgrund der unsicheren Quellenlage der biblischen Handschriften nicht haltbar (welcher Wortlaut welcher Quelle und in welcher Übersetzung ist verbindlich?).

Der Kreationismus redet auch verengt von Schöpfung. Christlicher Schöpfungsglaube ist nicht allein an der Vergangenheit und an der Frage nach der Herkunft des Menschen interessiert. Im Gegensatz zu dieser kreationistischen Engführung ist das biblische Zeugnis von Gott als dem Schöpfer schon im Alten Testament sehr vielfarbig: es begegnet z.B. in den Schöpfungspsalmen (Psalm 8 oder Psalm 104), in Lehrerzählungen (l.Mose l und 2), bei den Propheten (Jesaja 40ff) oder in den Weisheitsbüchern (Hiob). Von Glaubenden ist zu allen Zeiten auch das fortdauernde Schöpferhandeln Gottes ("creatio continua") bekannt worden.

3. Naturwissenschaftliche Beweise für die Wahrheit biblischer Aussagen

Der Kreationismus führt den, Nachweis für seine Thesen weitgehend mit naturwissenschaftlichen Argumenten. Dabei legt der Wortlaut der Bibel für ihn den Rahmen und die Ergebnisse naturwissenschaftlicher Arbeit von vornherein und nicht mehr hinterfragbar fest. Ziel ist die Suche nach Belegen, welche jede einzelne Aussage der Bibel bestätigen. Die Heilige Schrift wird dadurch zum Nachschlagwerk für naturwissenschaftlich und historisch zutreffende (richtige, wahre) Informationen. So begegnet dann z. B. l.Mose l als Tatsachenbericht über den Ablauf der Weltschöpfung in einer Kalenderwoche, aus Angaben in l.Mose 1-11 wird ein Weltalter von etwa 6 000 Jahren errechnet (schon die d r e i uns vorliegenden schriftlichen Fassungen des l.Mose-Buches - hebräisch, griechisch und samaritanisch - enthalten in ihren Geschlechtsregistern erheblich voneinander abweichende Altersangaben!), - und die Sintfluterzählung (l.Mose 6-9) wird als Tatsachenbericht über eine historisch und naturwissenschaftlich erwiesene globale Katastrophe verstanden. Auswahl und neue Deutung naturwissenschaftlicher Befunde sollen es nach Ansicht des Kreationismus möglich machen, die gesamte Kosmologie, Biologie, Geologie, die Geschichte der Welt und des Lebens alternativ zu den Ansichten der etablierten Naturwissenschaft und in völliger Übereinstimmung mit den Aussagen der Bibel darzustellen. Mit dem eigenen Standpunkt nicht harmonierende naturwissenschaftliche Erkenntnisse werden negiert, hyperkritisch angezweifelt oder bekämpft - auf der anderen Seite begegnet bei willkommenen Fakten und Theorien eine unkritische Wissenschafts-Gläubigkeit.

Wir stellen fest:

Naturwissenschaft kommt zu ihren Ergebnissen mit Hilfe bestimmter Arbeitsmethoden. Für wissenschaftliche Arbeit gibt es verbindliche Regeln. Die Erkenntnisse der Naturwissenschaften sind von relativer Bedeutung (im Rahmen der gewählten Methode), prüfbar (weitgehend frei von subjektiven Einflüssen), vorläufig und wandelbar (d. h. grundsätzlich immer verbesserungswürdig und verbesserungsfähig). Ergebnisse, die von vornherein feststehen und nicht hinterfragt werden dürfen, widersprechen dem Grundansatz wissenschaftlicher Arbeit. Ergebnisse der Naturwissenschaften dürfen nicht über ihren eigentlichen Geltungsbereich hinaus weitergehend gedeutet und/oder zur Grundlage weltanschaulicher Aussagen gemacht werden ("objektive", "endgültige" oder "wahre" Erkenntnisse; Aussagen zu Sinnfragen).
Naturwissenschaft macht "richtige" Aussagen nur über einen begrenzten Bereich der Wirklichkeit (durch Wahl der Methoden und durch prinzipielle Erkenntnis-Grenzen eingeschränkt).
Christen müssen (und dürfen) sich in ihrem Bekenntnis nicht auf eine bestimmte naturwissenschaftliche Theorie oder ein bestimmtes Weltbild festlegen. Soweit der Kreationismus die etablierte Naturwissenschaft kritisieren will, muss er das im Rahmen der allgemein anerkannten Regeln wissenschaftlicher Arbeit tun.
Heute sind Kreationisten - entgegen ihrer eigenen Darstellung - eine Minderheit unter den Naturwissenschaftlern.

4. Christ und Schöpfung heute

Der Kreationismus erhebt den Anspruch, wichtige Fragen des christlichen Schöpfungsglaubens zu verhandeln. In seiner Argumentation erhebt er die Stellung zu bestimmten naturwissenschaftlichen Theorien in den Rang von zentralen Glaubensfragen und fordert ein Bekenntnis: für seine Sicht der Bibel und der Welt. Christsein entscheidet sich für ihn letztlich am JA oder NEIN zur Evolutionstheorie. Die Auseinandersetzung wird als Glaubenskrieg gegen verzerrte Feindbilder geführt.

Wir stellen fest:

Naturwissenschaftliche Erkenntnisse können christlichen Glauben weder begründen noch erschüttern. Im Streben nach Wahrhaftigkeit sollten Christen auch gegenüber dem Suchen der Naturwissenschaften offen bleiben.
Der Schöpfungsglaube ist heute vorrangig und in neuer Weise durch die Bedrohung der Schöpfung herausgefordert, die bedingt ist durch menschliches Fehlverhalten - auch im Bereich von Naturwissenschaft und Technik. Kirchen und Theologie stehen vor der Aufgabe, das Nachdenken über "SCHÖPFUNG" zu beleben und die Gemeinden in diesen Prozess stärker als bisher einzubeziehen. Aber nicht nur den zerstörerischen Auswirkungen, auch dem ideologischen Missbrauch, der Vereinnahmung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse ("wissenschaftlich" begründete Weltanschauung, wissenschaftliches Wahrheitsmonopol) ist zu widerstehen. Hierzu sind manche Fragen des Kreationismus wichtige Anregungen.
Aber der Kampf, so, wie ihn einige Kreationisten führen, ist für diesen Prozess nicht hilfreich. Er schafft im Gegenteil Verwirrung in den Gemeinden und wird den heute anstehenden Herausforderungen weder aus der Sicht des Glaubens noch aus der der Naturwissenschaften gerecht.