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FAKTEN – QUELLEN – ZUSAMMENHÄNGE

Hirnforschung, Verhalten, Bewusstsein

zusammenstellung: joachim krause, hauptstr. 46, 08393 schönberg, tel. 03764-3140

 

fortlaufend aktualisiert
die neuesten Eintragungen stehen am Ende

 

begonnen : Anfang 2005
abgeschlossen Januar 2018

 

HIER Link zu einer zweiten, früher angelegten Faktensammlung zur Hirnforschung:
http://www.krause-schoenberg.de/hirnforschung_zitatensammlung_6-06.htm

 

 

Die beiden Faktensammlungen zur Hirnforschung sind hier mit Stand Januar 2018 auch als PDF verfügbar

 

 

·         Konrad Lorenz bemerkt, dass der liebe Gott den Menschen auf zwei Beine stellte und nun die Hand von ihm genommen hat, um zu sehen, ob er steht.
automatisches Reagieren auf Reize (in Erbanlagen programmiert), bei zunehmender Fülle von Reizen Überforderung, im Zweifelsfall Verlassen auf eigene Erfahrungen;
ein Zentralproblem, das uns unser Bewusstsein eingetragen hat, ist das widerstrebende Erleben unserer Ratlosigkeit an den Rändern des Begreiflichen;
es ist nicht nur absurd zu meinen, dass ein Evolutionsprodukt, das bis dato gerade überlebt hat, dazu gemacht wäre, den Kosmos zu erfassen; es ist unsinnig zu glauben, dass es das, was wir nicht denken, nicht geben könne; und es ist nicht nur überheblich, es ist gefährlich, weil es dazu verleitet, fortgesetzt auch dort in die Welt einzugreifen, wo man sie sicher noch gar nicht versteht;
Beschränkungen: wir sind nicht in der Lage, auch nur zwei Zahlenreihen gedanklich zu verfolgen, zum Beispiel links die Passanten und rechts vorbeiziehende Autos zu zählen; unsere Lösungsstrategien suchen stets nach regelhaft deterministischen und hinweisabhängigen Zusammenhängen von positiv linearer Funktionalität; alle nicht regelhaft probabilistischen und hinweisunabhängigen Zusammenhänge negativer und rekursiver Wechselbeziehungen fallen zunächst durch den Rost;
die älteren Geschwister des Bewusstseins: Gefühle, Emotionen, Glaubenssätze;
die Zahl der Personen, mit welchen wir intim verkehren, Biografien, Sorgen und Wünsche teilen, ist sehr beschränkt, im Mittel sieben, aus solchen Siebener-Gruppen setzen sich nun unsere Gesellschaften zusammen
(Rupert Riedl: Zufall, Chaos, Sinn; Kreuz Stuttgart 2000, S.71,89ff,101,104,132)

·         Leib-Seele-Problem: Zusammenhang - ohne Zweifel kann eben schon ein Gläschen Rebensaft die Seele verwandeln, wie deren Bedürfnisse den Leib zu jenem Gläschen führen können;
Dualismus: wir erleben ihn als Leib und Seele, als Form und Funktion, als Welle und Korpuskel, als Struktur und Information; das aber ist ein „kognitiver Dualismus“, also einer unseres Auffassens, nichts deutet darauf hin, dass diese Welt zweigeteilt sein könnte
(Rupert Riedl: Zufall, Chaos, Sinn; Kreuz Stuttgart 2000)

·         (188) Schon bei Platon, dem Lehrer des Aristoteles, und von ihm her auch bei Augustinus und vor allem bei Descartes findet sich ... ein zugespitzter DUALISMUS: Der Mensch wird verstanden als eine antagonistische Einheit von Geist (res cogitans) und Körper (res extensa), von Freiheit und Gesetzmäßigkeit, was eine physisch-psychische Verknüpfung schwierig macht. Andererseits stellt auch der pantheistische MONISMUS eines Spinoza, der nur eine einzige, göttliche Substanz mit zwei Attributen, Ausdehnung und Denken, annehmen will, keine Lösung dar.;
(189) Die psychische Entwicklung kann heute aufgrund der Integration genetischer, psychologischer und ethnologischer Theorien erklärt werden. Aus diesem Grund wird der Ausdruck „Seele“ – verstanden als Träger (Substrat) psychischer Vorgänge und Erscheinungen oder auch als aristotelische „Form“ (Entelechie) des Leibes – als naturwissenschaftlicher Begriff kaum noch verwendet. Statt dessen spricht man von „Psyche“ und diese meint kein vom Leib unterschiedenes Lebensprinzip, sondern allgemein die Gesamtheit bewusster und unbewusster emotionaler („seelischer“) Vorgänge und geistiger (intellektueller) Fähigkeiten.;
(190) Pannenberg: „Es gibt keine dem Leibe gegenüber selbständige Wirklichkeit „Seele“ im Menschen, ebenso wenig aber auch einen bloß mechanischen oder bewusstlos bewegten Körper. Beides sind Abstraktionen. Wirklich ist nur die Einheit des sich bewegenden, sich zur Welt verhaltenden Lebewesens Mensch.“;
Es ist weder die Seele noch nur das Gehirn, sondern der eine ganze Mensch, der atmet, erlebt, empfindet, denkt, will, leidet, handelt: das „Ich“ , eine „Person“.
Leib und Psyche, Gehirn und Geist sind also immer gleichzeitig gegeben und bilden ... eine psychosomatische Einheit.;
Körperliches und Psychisches sind demnach nie – nicht einmal im Traum – isoliert zu haben.;
Viele körperliche und psychische Eigenschaften (oder zumindest Dispositionen) werden, an die elterlichen Chromosomen gebunden, jedem Individuum schon in die Wiege mitgegeben.;
Jedem Bewusstseinszustand liegt von daher ein psycho-physischer Prozess zugrunde: keine geistige Tätigkeit ohne ein neuronales Substrat.;
(192) Einerseits: Der Mensch ist umweltgesteuert, geprägt durch äußere Einflüsse, abhängig von Bedingungen, ist vielfältig konditioniert und somit in seinem Verhalten weithin voraussagbar. ...
Aber ... Zweifellos formt die Umwelt den Menschen und seinen Willen. Aber zugleich formen der Mensch und sein Wille auch die Umwelt, insofern er der Umwelt als autonomes System gegenübertritt.
Andererseits: Als stammesgeschichtlich gewordenes Gebilde ist der Mensch genetisch vor-programmiert. Er ist .... in seinen Verhaltensformen, Handlungsweisen, Reaktionen von ererbten Programmen angetrieben und gesteuert. Die Erbanlagen sind für das Individual- und Sozialverhalten von grundlegender Bedeutung.
Aber ... Das Angeborene wirkt nicht als ein völlig bestimmender Faktor, als unabwendbares Geschick ...;
(193) aus der stammesgeschichtlichen Forschung ergibt sich, dass der menschliche Geist nicht vom Himmel fiel, sondern ein Evolutionsprodukt darstellt. Wir stellten fest: Das menschliche Gehirn ist nicht einzigartig; manche geistigen Fähigkeiten des Menschen haben Vorstufen bei den Menschenaffen. Setzen wir also voraus: Ohne Gehirn gibt es keinen Geist und ohne die Aktivität bestimmter Hirnzentren keine geistige Leistung.;
(194) Die Hirnvorgänge sind Resultat sowohl genetischer Anlage wie auch sozialen Lernens
(Hans Küng: Der Anfang aller Dinge, Naturwissenschaft und Religion, München 2005)

·         (24) Uns Menschen ist – in einem abgemessenen Rahmen – die Freiheit zur Selbstbestimmung gegeben, und mit ihrer Hilfe und in diesen Grenzen verwandeln wir die Natur.
(179) Zahl der Sinne des Menschen
Alltagsverständnis 5: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen;
dazu: Wärme empfinden; Gefühl für die eigene Körperlage; wir können Gleichgewicht halten;; wir merken, ob wir beschleunigt oder gebremst werden; wir registrieren Drehungen (bei geschlossenen Augen); wir sind schmerzempfindlich; (135) Zahlensinn;
SEHEN ausführlich ab (121)
HÖREN ausführlich ab (186);
(198) Mir scheint ..., dass wir die Welt im Kopf nicht konstruieren, sondern rekonstruieren.
(280) Portmann: „Umweltgebunden und instinktgesichert – so können wir in vereinfachender Kürze das Verhalten des Tieres bezeichnen. Das des Menschen mag demgegenüber weltoffen und entscheidungsfrei genannt werden.“
(286f) Alternative „Angeboren oder erfahren?“;
Einsicht, dass wir nur mit den Sinnen und anderen Organen auf die Umwelt reagieren können, die uns dank der Hilfe von Genen geliefert worden sind. Und diese Gene sind im Laufe der Evolution entstanden und dabei natürlich durch die Umwelt beeinflusst worden, in der sich unser Leben abgespielt hat. Die Alternative „Gene oder Umwelt“ ist also praktisch wie prinzipiell sinnlos .... wie die berühmte Frage, wer zuerst da war, das Ei oder die Henne
(294) Neuronen gefunden, die für das Imitieren zuständig sein könnten ... heißen Spiegelneuronen, ... sind nicht nur aktiv, wenn wir etwas tun – etwa einen Ball werfen -, sondern auch wenn wir sehen, wie andere dies tun. Die Spiegelneuronen scheinen darüber hinaus sogar Impulse zu feuern, wenn wir uns nur vorstellen, die Handlung zu vollziehen, also den Ball zu werfen. Spiegelneuronen spielen sicher beim menschlichen Spracherwerb eine Rolle. Sie finden sich aber auch im Gehirn von Schimpansen .... auch ein Affe kann wissen, was ein anderer, von ihm beobachteter Affe empfindet ...
Die beste Erziehung kommt dadurch zustande, dass Eltern als Vorbilder dienen.;
(302) Sehen als Deutungsvorgang (was für eine Bedeutung hat das für mich, nicht: wie sieht es exakt aus);
(359) wenn man normal ausgestattete Mäuse in den ersten drei Wochen ihres Lebens ohne Licht aufwachsen ließ, blieben sie für den Rest ihres Lebens praktisch blind. Ihr visuelles System braucht Erfahrungen, um reifen zu können. Gehirne benötigen sowohl Gene als auch Umwelt ...;
(363) Augustinus (354-430): Man ist nicht, sondern wird und bildet sich. „Ich bin in meinem Erinnern“;
(373) Für Aristoteles diente unser höchstgelegenes Organ (Gehirn JK) eher zur Kühlung des Körpers, und das Denken wollte er lieber dem Herzen überlassen.;
(389) Im Computer ist der Speicherplatz für das Wort „Gott“ viel kleiner als der für das Wort „Staubkorn“ ...
dass die Gehirne weniger mit Informationen und mehr mit Bedeutungen arbeiten;
Eine Zahlenkolonne wie 1801194726101946 zu behalten, wird vielen Menschen vermutlich einige Mühe bereiten. Für den Autor des Buches überhaupt nicht (sein Geburtstag und der seiner Frau);
(391) Das Gedächtnis verschafft mir in der Gegenwart Zugang zum Vergangenen.;
(391) Versuch: Aktivierung von bestimmten Bereichen im Nervengewebe mit winzigen Stromimpulsen; Patient sah sich in vergangene Zeiten zurückversetzt, Hütte, die er vor Jahren bewohnt hatte, Freund tritt ein, noch mit Schnee bedeckt, eisiger Wind, ....;
Augustinus: drei Zeiterfahrungen ... „Gegenwart von Vergangenem, nämlich Erinnerung; Gegenwart von Gegenwärtigem, nämlich Augenschein; Gegenwart von Künftigem, nämlich Erwartung.“;
die als gegenwärtig erlebte Zeitspanne dauert 3 Sekunden (Länge gereimter Verse, Dauer musikalischer Phrasen);
(394f) Arten von Gedächtnis
+ deklaratives Gedächtnis (Gedicht aufsagen, gelerntes Wissen)
+ prozedurales Gedächtnis (Fahrrad fahren, automatisierter Bewegungsablauf)
+ implizites Gedächtnis (unbewusst vorhanden, Grundkenntnisse aus der sinnlichen Erfahrung „Meerwasser ist salzig“, Eis ist kalt)
+ episodisches Gedächtnis (wichtige Ereignisse aus dem eigenen Leben)
+ erleichtertes Erinnern („priming“; mit schon ähnlich erlebten Erfahrungen zurecht kommen);
(420) Bewusstsein spielt sich zwar im Gehirn ab, ist aber nur einem Subjekt zugänglich, mir; mein Erleben von Freude, von Schmerz können nicht Gegenstand einer Wissenschaft sein, die sich dadurch definiert, dass sie nur erkundet, was wiederholbar (reproduzierbar) ist, so genau sie dies auch unternimmt ... Meine Freude oder mein Leiden sind einmalig, und so entzieht sich das Bewusstsein den Biowissenschaften wenigstens teilweise;
(424ff) Es gibt Neurobiologen oder Neurophilosophen, die reklamieren, dass Bewusstsein durch ein Gehirn generiert wird (und somit durch Emergenz zustanden kommt). Die anderen meinen, es sei eine Qualität, (die objektiv und außerhalb von uns existiert und JK) die Gehirne so wahrnehmen wie Augen das Licht (Verwandlung von Transzendenz in Immanenz) ...Manche denken, hier handle es sich nur um eine Illusion, die allerdings den Vorteil hat, auf neurobiologische Fakten zurückgeführt werden zu können.;
(428) „Bewusstsein“ damit meinen wir die Art und Weise, in der Menschen und die höheren Lebewesen die wesentlichen Tätigkeiten ihres Lebens verrichten (JK: gerade nicht, die fürs Überleben wichtigen elementaren Lebensvorgänge laufen automatisch ab und bleiben unbewusst!);
(428ff) zum LIBET-Versuch
die Genauigkeit der Zeitangaben auf der „Lichtpunktuhr“ bei LIBET lag bei 0,2 Sekunden;
Wann wird eine innere Bereitschaft bewusst? Wann wird ein äußerer Reiz bewusst erlebt? Experimentelle Messungen zeigen, dass nach Reizungen der Haut zunächst so genannte evozierte Potentiale in der Hirnrinde entstehen. Wenn man diese Potentiale nicht durch Reiz auf der Haut, sondern durch elektrische Impulse in den Gehirnzellen selbst auslöst, spüren die Betroffenen erst dann etwas, wenn diese Stimulierung länger als eine halbe Sekunde dauert. (Die Haut braucht nicht solange gereizt zu werden, bis wir etwas fühlen.) Offenbar haben wir ein bewusstes Erlebnis erst dann, wenn die Hirnrinde eine halbe Sekunde lang stimuliert worden ist. Das Verrückte ist nun, dass das bewusste Erleben so in die Vergangenheit zurückprojiziert wird, wie die Stimulation der Hirnrinde selbst in den Körper projiziert wird.
Der Versuch: Bei Probanden wurde eine Hand direkt und die andere indirekt (über die Hirnrinde) gereizt. Gefragt wurde, wo die Personen zuerst etwas spürten. Rechts? Links? Oder in beiden Händen gleichzeitig?
Das Ergebnis: Selbst wenn die Stimulation der Haut an der linken Hand zum Beispiel erst 0,4 Sekunden nach einer Stimulation der Hirnrinde einsetzte, die einer Reizung der rechten Hand äquivalent war, sagte der Proband: „Links zuerst“. Es dauert 0,5 Sekunden, bis die Hirnreizung bewusst erlebt wird, Der Empfindung des Hautreizes gelingt es, sich innerhalb von nur einer Zehntelsekunde vor die der Hirnstimulation zu setzen.
Das subjektive (bewusste) Erleben wird zeitlich so zurückdatiert, als sei das Bewusstsein zu dem Zeitpunkt eingetreten, zu dem das evozierte Potential angezeigt wird. Dies tritt ungefähr 0,02 Sekunden nach der Reizung der Haut ein, während es 0,5 Sekunden dauert, bis sich das Bewusstsein für den Reiz (im Gehirn ausgelöst? JK) einstellt. Bewusstsein braucht eine halbe Sekunde elektrische Aktivität.;
Das Bewusstsein – ICH – kann eine Handlung nicht beginnen, etwas in mir – ES – kann aber beschließen, dass sie nicht durchgeführt wird. Der freie Wille entwirft sich nicht selbst aus einem zu füllenden Nichts, er wählt vielmehr aus einer angebotenen Fülle aus und operiert insofern näher am evolutionären Prinzip der natürlichen Selektion, die auch noch in eine andere Richtung benutzt werden kann.;
Torwart, Tennisspieler agieren schon längst, bevor sie wissen, was sie tun;
Grundgesetz der BRD beginnt mit einem Veto: Die Würde des Menschen ist unantastbar.;
wenn wir sprechen: Die Wirklichkeit geht den nicht unbedeutenden Bruchteil einer Sekunde unserer bewussten und aufmerksamen Wahrnehmung von ihr voraus ... ES spricht aus uns heraus, und wir haben alle Mühe, um nur das herauszulassen, was passend ist.;
Die synchronen Muster (in Neuronenverbänden JK) werden nicht von uns, sondern für uns gebildet ... macht uns bereit und erlaubt uns, unser Vetorecht auszuüben ...
(Ernst Peter Fischer: Die Bildung des Menschen -  was die Naturwissenschaften über uns wissen; Ullstein Berlin 2006)

·         (48) der Physiker Pascal Jordan leitet die menschliche Freiheit aus der quantenphysikalischen Unbestimmtheit her.  ... erreicht aber allenfalls einen Begriff der Freiheit VON, nicht aber den Begriff der Freiheit FÜR;
(209) Oliver: Beobachtung greift in das Geschehen ein. Dieser quantentheoretische Grundsatz gilt ebenso unerbittlich für das Gehirn ... dass schließlich eine hochkünstliche Situation gemessen wird ... Die Experimente zielen auf zu einfache Situationen, und dafür sollen sie zu komplizierte Sachverhalte klären ... Alle Experimente, auch das über die Willensfreiheit, betreffen Kurzvorgänge ... Aber fast alle psychischen Prozesse sind langzeitig. Ein Entschluss kann Jahre brauchen zu seiner Entwicklung. ... Nicht nur Entscheidungen, auch Einsichten sind gehirnintern formuliert, bevor sie abgelesen werden können ...;
(211) Wolf Singer: Wenn eingeräumt wird, dass das bewusste Verhandeln von Argumenten auf neuronalen Prozessen beruht, dann muss es neuronalem Determinismus in gleicher Weise unterliegen wie das unbewusste Entscheiden, für das wir dies zugestehen.;
genetische Gründe oder Gründe der Erziehung, die gleich mächtig in die Programmierung von Hirnfunktionen eingehen ...
(213f) Gerhard Roth: Ergebnisse des LIBET-Versuchs; erhebliche Zweifel an der Existenz eines freien Willens als eines mentalen Verursachers, der selbst nicht materiell verursacht ist;
vom Gehirn zu behaupten, es treffe Entscheidungen (vielleicht wäre es unverfänglicher zu sagen: „es determiniert die Entscheidungen“ oder „es nimmt die subjektiv empfundene Entscheidung vorweg“);
(215) Wingert: Gründe sind mitlaufende Kommentare eines naturhaft-deterministischen Handlungsgeschehens;
(216f) (Gehört das Gehirn – oder bestimmte Teile wie das limbische System - nicht zum ICH? JK)
Buchheim: Dadurch, dass ich mit dem Gehirn denke, denkt aber doch nicht das Gehirn statt meiner.;
dass die freien Tätigkeiten nicht nur bewusst (wie Singer meint), sondern bei Bewusstsein auch bejaht (zustimmend beurteilt), also absichtlich oder gewollt seien, während die anderen, wie z.B. das Träumen, zwar bewusst, aber nicht bejaht, oder aber, wie das Schwitzen, nicht einmal bewusst sind;
(217) Höffe: Die für Kant entscheidende Willensfreiheit, die vielzitierte Autonomie des Willens ... Frei ist der Wille, sofern er sich das Gesetz (nomos) selber gibt. Da „selbst“ auf griechischautos“ heißt, spricht Kant von Auto-nomie ... Die Frage der Willensfreiheit entscheidet sich jedenfalls nicht an einer atomaren Handlung, sondern an der Art des zugrundeliegenden Gesetzes ... (da sich LIBET damit nicht beschäftigt, befasst er sich auch nicht mit Willensfreiheit JK); Roth sagt gegen Kant: „Autonomie ist mit Willenfreiheit unverträglich.“;
(219f) Habermas: Das biologisch so kostspielige Geistige als ein bloßes mit dem Überleben nicht befasstes Epiphänomen ansehen zu sollen, erscheint ihm aber angesichts der ... kostenbewussten evolutionären Buchführung höchst unwahrscheinlich;
Die Komplexität des menschlichen Gehirns erlaubt so etwas wie eine wechselseitige Perspektivenübernahme, ein Sich-in-den-anderen-Hineinversetzen und die wechselseitige Teilhabe am Symbolsystem des Anderen. Diese Leistung wird aber wie andere optische, akustische oder haptische Perzeptionen in materialen Strukturen hirnphysiologisch niedergelegt.;
(221) Herbert Helmrich:
Ladendieb entwendet Gegenstand aus Regal, hört hinter sich Geräusch, liest „interessiert“ das Kleingedruckte und legt den Gegenstand zurück --- zwei Bereitschaftspotentiale für gegenteilige Handlungen? Korrektur der Aktionspotentiale? „dass der Aufbau der Bereitschaftspotentiale, der sich in gut einer halben Sekunde vollzieht ... den schnellen freien Umentscheidungen jeweils folgen kann“ ;
der Mensch, der sich zur Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung entschlossen hat, hat voraktivierte Bereitschaftspotentiale, der Wille, eine falsche Erklärung abzugeben, überdauert ... verbindet alles zu einem Gesamtverhalten; der potentielle Steuersünder kann sich jederzeit frei umentscheiden, eine ehrlich Erklärung abzugeben; die Existenz von unbewussten Bereitschaftspotentialen macht ihn nicht unfrei;
(226) Kröber: Du glaubst nur, du selber hättest die Entscheidung getroffen. In Wahrheit hat dein limbisches System die Entscheidung getroffen. Warum nicht, fragt man zurück? Weil die Entscheidung schon fiel, als sie dir noch nicht bewusst war. Aha, und diese geheimen Werkstätten, in denen die Entscheidung geschmiedet wurde, sind nicht ich? Und wenn tatsächlich eine Entscheidung stärker in meinen emotionalen Vorerfahrungen begründet sein sollte als in rationalen Erwägungen – was besagt dies für die Willensfreiheit? Gar nichts.;
(227) völlig ungleiche, nämlich sowohl bewusste als auch unbewusste Entscheidungen ... warum dann nicht auch freie und unfreie Entscheidungen?;
(229) Nach Singer ist es ... möglich, dass kulturelle und soziale Einflüsse determinierend auf das neuronale Substrat wirken. Dann aber ist mit Geyer zu fragen:
Wenn sie als Kultur und Soziales aber gleichwohl – wie Singer nicht bestreitet - in der Lage sind, auf die rein materiell aufgefasste neuronale Verschaltung zu wirken, dann hat sich die These von der energetischen Impotenz des Geistigen auf verblüffende Weise selbst erledigt.;
(229) (wenn Motive und Gründe nur nachgereicht werden, wer ordnet sie jeweils einander zu? nachträgliche Entschuldigungen, aber wofür? JK)
(251) Dualistenfraktion ... „Geist und Materie wie Pianist und Klavier“ (Popper, Eccles, von Ditfurth); Gretchenfrage ist die nach dem Wie und Wo der behaupteten Interaktion zwischen Geist und Materie ... müssten plausibel machen, dass bei ihrem sich auf quantenmechanischer Ebene vollziehenden  Geist-Gehirn-Interaktionismus der Energieerhaltungssatz nicht tangiert ... wird;
(257) die verstärkte Durchblutung einer bestimmten Gehirnregion, die sich in erhöhter Radioaktivität an diesem Ort niederschlägt (sichtbar gemacht in bildgebenden Verfahren JK), wird dabei zum Indiz für eine erhöhte Aktivität eben dieser Hirnregion. Leider ist es so, dass Synapsen ... erregend oder hemmend wirken können. In beiden Fällen .... verstärkte Stoffwechselaktivität, ... aber unklar, ob hier Vorgänge initiiert oder blockiert werden;
(260) (viele der Neurotheologen wie) Ramachandran, Persinger ... rücken die religiösen Erfahrungen in einen pathologischen Kontext, in den z.B. die American Psychiatric Association bis 1994 ohnehin und offiziell einen starken religiösen Glauben einsortierte;
(260f) Soziobiologie: Universalien (Grundmodule) in allen Religionen:
a) Mystik, die eine eigene innere Erfahrung mit Gott bezeichnet
b) Ethik bzw. Moral, die ausgehend von einem bestimmten Menschen- und Weltverständnis auf eine bestimmte soziale Praxis und eine bestimmte Nutzen-Kosten-Repräsentation der Sozialbeziehungen abzielt
c) Mythen, die z.B. als Ursprungs- oder anthropologische Mythen vorkommen und eine Welterklärungs- und Legitimationsfunktion für die konkrete Religion haben
d) Rituale, die als symbolische Aufladungen von Handlungen oder Gegenständen zu verstehen sind. Sie sollen das Böse abweisen (apotropäische Riten) das Volk reinigen (kathartische Riten) oder Lebensphasen interpretierend begleiten (Passage-Riten);
es wird angenommen, dass diese Universalien sich im Laufe der Evolution herausgebildet haben und durch eine natürliche Selektion geformt, optimiert und genetisch fixiert wurden. Sie sollen einen evolutiven Mehrwert im Sinne einer Fitnessmaximierung für eine konkrete Gruppe bewirken Religiosität als biologisch funktionales Phänomen; Neurobiologie müsste nun die neurobiologischen Korrelate der behaupteten Module usw. dingfest machen;
(im weiteren detaillierte und kritische Darlegungen zu den einzelnen Universalien JK);
(275) Die Symphonie des Denkens wird von einem hirnphysiologischen Orchester aufgeführt, das mit nicht weniger als zehn Milliarden, vielleicht sogar einhundert Milliarden Musikern (sprich Neuronen) bestückt ist, von denen jeder mit cirka zehntausend Orchesterkollegen (im Klartext über Synapsenschaltungen) kommunizieren, musizieren, interagieren kann. ... das Vorhandensein eines Dirigenten, also einer alles bestimmenden Kommandozentrale, wird beim gegenwärtigen Kenntnisstand von nahezu allen Neurowissenschaftlern bestritten ... vielleicht liefert der mediale präfrontale Cortex für das Selbstkonzept so etwas wie das Minimaldirigat. ;
(280) evolutionäre Erkenntnistheorie: „überlebensadäquat“ (-tauglich JK) ist nicht „wahrheitsadäquat“;
(290) Anselm von Canterbury: Credo ut intelligam (ich glaube, damit ich verstehe); der Mensch ist, gerade in der Verfolgung seiner intelligiblen Interessen ... auf irgendeine Form theistischer, atheistischer oder agnostischer, jedenfalls also „gläubiger“ Selbst- und Weltinterpretation verwiesen;
(296) Ich glaube ... an die grundsätzliche Erkennbarkeit der Welt ....
Ich glaube ... an einen Sinn der Weltgeschichte im Ganzen und meiner selbst im Einzelnen
Ich glaube ... an Menschlichkeit und Güte
(Ulrich Lüke: Das Säugetier von Gottes Gnaden, Evolution-Bewusstsein-Freiheit, Herder Freiburg  2006)

·         US-Genetiker Dean Hamer hat aus mehr als 2000 DNA-Proben jenes Gen isoliert, das seine Träger religiös ansprechbarer macht als andere Menschen (Buch: Das Gottes-Gen)
(Der Sonntag 12.11.06)

·         Herzspezialist Krucoff (USA) will beweisen, dass Fürbitten positiven Effekt auf die Heilung haben; Studie mit 750 Patienten an 9 Kliniken; Ergebnis: den Patienten, für die intensiv gebetet wurde, ging es besser als solchen, für die nur wenig oder gar nicht gebetet wurde; Michael von Brück (München): bezieht sich auf die Hirnforschung, geistige und körperliche Ebene sind zwei Aspekte derselben Wirklichkeit
(Der Sonntag 21.5.06)

·         Veröffentlichung USA 2001: Studie mit sensationellem Ergebnis, Frauen würden nach einer künstlichen Befruchtung häufiger schwanger, wenn für sie gebetet würde, Schwangerschaftsrate verdoppelt sich;
Recherche ergab: der Leiter der Studie hatte sie gar nicht gemacht, erst 1 Jahr danach davon erfahren und sie redaktionell betreut; seit 2005 distanziert sich die Columbia-Universität von der Studie und dem zweiten Autor
(bdw 2/2006 S.110)

·         Gerhard Vollmer:
(19ff) Dualismus oder Monismus?
Wechselwirkungen zwischen Geist und Materie, wie kommen sie zustande?
Obwohl viele Dualisten sich zum Interaktionismus bekennen, sind hierzu überhaupt noch keine ernsthaften, d.h. hinreichend präzisen oder gar empirisch prüfbaren, Vorschläge gemacht worden;
den Monisten beschäftigen vor allem die Verschiedenheiten der beiden Aspekte als erklärungsbedürftig. Am weitesten verbreitet ist heute ein gemäßigter Materialismus unter der Bezeichnung „Identitätstheorie“. Hier werden Geist, Seele, Bewusstsein, als Funktionen des Zentralnervensystems, insbesondere des Gehirns aufgefasst ... man kann das Leib-Seele-Problem im Dualismus wie im Monismus als „Geist-Gehirn-Problem“ präzisieren. Das Hauptproblem einer solchen Identitätstheorie ist die Frage:
Was ist die strukturelle Besonderheit jener neuronalen Prozesse, die mit psychischen Erlebnissen verbunden sind (gegenüber solchen, die nicht von psychischen Erlebnissen begleitet sind?);
Interaktionismus: Descartes, Popper, Eccles, von Ditfurth;
(26) evolutionistischer Identismus: Geist als Gehirnfunktion ist eine neu auftretende Systemeigenschaft, zu der es keine Vorstufen zu geben braucht (u.a. Lorenz, Riedl); Ein System kann Eigenschaften aufweisen, die keines seiner Untersysteme – auch nicht in Vorstufen – aufweist;
(27) zahllose Experimente bestätigen .... die identische Vermutung, dass jedem geistigen Zustand oder Vorgang ein materieller entsprechen müsse, da er ja letztlich mit einem solchen identisch sei.;
(29) dass der Dualismus eine wissenschaftliche Anomalie darstellt; denn nirgendwo – außer in der dualistischen Psychologie – wird in dieser Weise zwischen einem System und seinen Eigenschaften und Funktionen getrennt. In allen Wissenschaften wird eine Eigenschaft, ein Zustand, ein Vorgang einem realen Gegenstand zugeordnet als eine Eigenschaft von etwas, ein Zustand von etwas, ein Vorgang an etwas. Bewegung ist Bewegung eines Körpers, Energie ist Energie eines Systems ... niemand käme auf die Idee, Bewegung, Energie ... als eigenständige Wesenheiten anzusehen. Wie verdinglichen niemals Eigenschaften, Zustände, Prozesse von .... Systemen – nur der Dualist tut das mit den Eigenschaften ... des Zentralnervensystems ...
irreführender Ausdruck „Leib-Seele-Problem“, sprechen wir doch auch nicht von einem „Körper-Bewegungs-Problem“ ...;
Wird der Geist als nicht-materielle Wesenheit oder Substanz aufgefasst, so bedeutet jeder Interaktionismus eine Verletzung des Satzes von der Erhaltung der Energie! Denn jede Wechselwirkung muss zumindest für den materiellen Partner (Neuronen; Gehirn) mit einem Energieübertrag verknüpft sein.;
(31) subjektive und objektive, innere und äußere, psychische und physische, geistige und materielle Zustände und Prozesse seien völlig verschieden, unvergleichbar ...
wir können diese Verschiedenheit projektiv deuten, dann sind subjektive und objektive Zustände und Prozesse nur verschiedene Aspekte ein und desselben objektiven Vorgangs;
Die Unvereinbarkeit der Aspekte besteht nur auf der Ebene der Erscheinungen; sie allein rechtfertigt noch nicht die Behauptung, dass das Urbild nicht ein einziges, einheitliches und widerspruchsfreies sein könne;
(33) einen APFEL kann man sehen und fühlen (und riechen und schmecken); der optische und der haptische Eindruck des Apfels sind auch inkommensurabel; Farbe und Form sind ja ganz verschiedene Qualitäten, trotzdem schreiben wir diese verschiedenen Eigenschaften ein und demselben Objekt zu und deuten sie als Projektionen auf unsere verschiedenen Erlebnis-„Ebenen“;
Eine Wolke kann man von innen und von außen erleben;
Elektronen zeigen Teilchen- und Wellencharakter;
scheinbar inkommensurable Eigenschaften projektiv gedeutet und auf „höherer“ Ebene aufgelöst;
(34) Die Identitätstheorie fordert gar keine neue Substanz, ist bekannt (Neuronen, Moleküle, Atome, Elementarteilchen, allg. Materie im physikalischen Sinne);
neu und unbekannt ist dagegen die Struktur, die Vernetzung, die Verschaltung dieser Elemente (Struktur hier: Gesamtheit aller Wechselwirkungen, Beziehungen, Relationen der Bauelemente zueinander);
(35) Substanz und Struktur – keine dieser beiden Komponenten ist der anderen irgendwie übergeordnet, beide sind für das System kennzeichnend, für seine Eigenschaften konstitutiv, für seine Funktion wesentlich; Kenntnis des einen ersetzt niemals Kenntnis des anderen;
zum Verständnis dieses Systems müssten wir seine Struktur durchschauen;
(37) Identitätstheorie: Bewusstseinsvorgänge sind nicht Epiphänomene physikalischer Vorgänge; vielmehr unterscheiden sich physikalische Vorgänge mit Innenaspekt auch physikalisch von solchen ohne Innenaspekt;
es war offenbar in der Evolution von Vorteil, solche neuronalen Strukturen auszubilden, die gleichzeitig mentale Prozesse ermöglichen. Der mentale Charakter dieser Strukturen ist nicht ein zufälliges Nebenprodukt, sondern gerade eine typische, eine wesentliche Eigenschaft dieser Strukturen;
(Herrenalber Texte 23: Wie entsteht der Geist?, Karlsruhe 1980)

·         Benedikt Grothe, Prof. für Neurobiologie LMU München:
Publikationen über eine neue Art des Lügendetektors (USA): mit Hilfe von bildgebenden Verfahren zur Messung neuronaler Aktivität Falschaussagen nachweisen (90%ige Sicherheit);
fMRI (functional magnetic resonance imaging);
die sehr einfache Prämisse: Mehr (erhöhte Aktivität an einem Ort im Gehirn, Durchblutung, Stoffwechsel) ist besser, mehr ist entscheidend;
tatsächlich aber gehen heute einige Kollegen davon aus, dass in den so genannten „höheren Zentren“ unseres Gehirns spezifische Verarbeitungsprozesse sogar eine Verminderung der Gesamtaktivität bewirken; dann würde gelten: weniger ist mehr;
eine euphorisch geführte Kampagne einiger Vertreter der Neurowissenschaften (Betonung auf „einige“), letztlich nicht seriös; sie basiert auf mangelhafter Darstellung der Grenzen der modernen neurowissenschaftlichen Methoden, dem weiten Interpretationsspielraum, den die durch sie gewonnen Ergebnisse erlauben, ...
Die modernen Messmethoden ermöglichen uns faszinierende Einblicke in die Aktivität unseres Gehirns. Derzeit sind die nicht invasiven Methoden nur geeignet, Korrelate neuronaler Aktivität zu messen (z.B. fMRI), oder sehr spezifische und in ihrer Bedeutung nicht wirklich verstandene Phänomene, wie beispielsweise Synchronizität neuronaler Entladungen (z.B. EEG). Was die gemessenen Aktivitäten aber letztlich bedeuten, wie sie mit den Gedanken und Intentionen des Probanden in Verbindung stehen, das bleibt ungewiss.;
wir sind Beobachter, die vieles in Beziehung setzen, aber wenig verstehen können;
(Das Parlament 2./8.1.2007 S.9)

·         US-Neurologen haben ein Gehirnimplantat entwickelt, mit dem vollständig Gelähmte einen Cursor auf dem Bildschirm oder eine Armprothese bewegen können; 4 Millimeter kleiner Hirnsensor mit Druckluftpistole bei geöffnetem Schädel wenige Millimeter unter die Hirnoberfläche geschossen; durch Loch in der Schädeldecke überträgt der Chip per Kabel Befehle aus dem Gehirn an einen Computer, der die Signale verarbeitet und übersetzt; bisher stimmen nur etwa 80% der Bewegungen mit den Wünschen des Patienten überein
(bdw 12/06 S.13)

·         Persinger setzte Versuchspersonen Helm auf und konnte mit Hilfe von Magnetfeldern mystische Erfahrungen hervorrufen; schwedische Forscher wiederholten den Versuch – auch ohne Magnetfeld berichteten die meisten Teilnehmer von spirituellen Erfahrungen (Gotteserfahrung also wohl mehr ein Ergebnis des Glaubens);
dass bis zum heutigen Tag keine Forschung mit funktionellen bildgebenden Verfahren Ergebnisse gebracht hat, mit denen sich zwischen konkurrierenden psychologischen Theorien eine Entscheidung treffen lässt;
bildgebende Verfahren, verraten sie, was wir gerade denken? Auf jeden Fall – wenn es sich um einfache Dinge handelt; dass man aus dem Gehirn-Scan herauslesen kann, ob eine Versuchsperson ein Gesicht oder ein Haus anschaut, ob der Proband zwei Zahlen addieren oder subtrahieren will, ob er die linke oder die rechte Taste drücken will,;
Probleme:
viele neuronale Prozesse spielen sich auf so kleinem Raum ab, dass man sie mit konventionellem MRT nicht direkt nachweisen kann;
extreme Verteilung der Gedankenprozesse auf verschiedene Hirnbereiche;
keine direkten Rückschlüsse auf die neuronale Aktivität; gemessen wird nämlich nicht das Neuronenfeuer selbst, sondern so genannte BOLD-Signale (blood oxygen level dependent) ...
wie aber sind Blutfluss, Sauerstoffverbrauch und neuronale Aktivität verkoppelt?
(bdw 1/2007 S18ff „Die 7 Rätsel der Hirnforschung“)

·         mystische Erfahrungen lassen sich nicht auf eine Hirnregion eingrenzen; also kein „Gottes-Modul“?;
bei 15 Nonnen zeigte sich im Kernspintomographen mindestens ein Dutzend verschiedener Hirnareale aktiv (Aufgabe: Erinnern an das stärkste spirituelle Erlebnis)
(ZEIT 7.9.06 S.45)

·         wichtiger Teil der Gedächtnisbildung in Tiefschlafphasen; was das Gehirn am Tag aufgenommen hat, wird zunächst im Hippocampus zwischengespeichert, im Schlaf verlagert das Hirn die Gedächtnisinhalte in feste Erinnerungsspeicher im Neokortex
(ZEIT 9.11.06 S.40)

·         Nobelpreisträger Kandel:
Gehirn und Körper sprechen immer miteinander, rund um die Uhr.
wenn wir miteinander sprechen, ändern sich unsere Gehirne
(Taz 1.7.06)

·         (Buch: Eugen Drewermann: Atem des Lebens 1: Die moderne Neurologie und die Frage nach Gott; Gehirnforschung und Gottesglaube; 44 Euro)

·         Spiegelneuronen
werden immer dann aktiv, wenn wir Handlungen und Empfindungen von anderen Menschen beobachten; sie schwingen sozusagen mit und sorgen für eine innere Simulation des beobachteten Vorgangs, das ähnelt der Resonanz von Gitarrensaiten;
das heißt, Neuronen feuern nicht nur, wenn ich mich schneide, sondern auch, wenn ich sehe, wie sich ein anderer schneidet;
menschenfreundliches Prinzip: Resonanz und Kooperation; gegenseitige Anerkennung, emotionale Resonanz, Schaffung gemeinschaftlicher Projekte;
der innerste Antrieb der Biologie ist nicht der Kampf, sondern die Kooperation, die Beziehungsaufnahme
(taz 28.10.06)

·         Jede Begegnung (zwischen Menschen) löst eine Art neuronales Duett der Gehirne aus. Besonders wichtig sind dabei die so genannten Spiegelneuronen. Sie feuern, wenn wir jemand anderes beobachten, wie er sich am Kopf kratzt oder eine Träne aus dem Gesicht wischt. Das neuronale Aktivitätsmuster imitiert dabei das, was wir sehen, als wären wir selbst die Handelnden. Auf diese Weise können wir uns mit dem inneren Zustand des anderen identifizieren.;
die Evolution hat zumindest alle Säugetiere mit diesem Mechanismus ausgestattet; je komplizierter die Gruppenstruktur, desto entwickelter sind die Schaltkreise im Gehirn, in denen sich soziale Intelligenz abspielt. Ohne sie hätten wir vermutlich nicht die Fähigkeit, uns differenziert in Gruppen zu bewegen und zu kooperieren.
ist unser soziales Talent also genetisch bedingt? Nicht nur. Soziale Intelligenz kann man üben, es scheint, dass diese Schaltkreise im Gehirn ständig dazu lernen wollen;
(Spiegel 36/2006 S.146ff)

·         während Sie die Finger ausstrecken und nach meiner Tasse greifen, feuern in Ihrem Gehirn bestimmte Nervenzellen; in meinem Gehirn feuern nun die gleichen Nervenzellen wie bei Ihnen – als ob ich zugriffe;
die Spiegelneuronen erklären unser soziales Miteinander; wir brauchen sie, um uns in andere Menschen einzufühlen, ihre Absichten zu erkennen;
von den Kommando-Nervenzellen im Vorderhirn scheinen 30% Spiegelneuronen zu sein;
bezogen auf alle Hirnzellen machen sie nur wenige Prozent aus;
einige der Neuronen feuern auch, wenn eine andere Person mit einer Nadel gepikst wird, echte Empathiezellen;
so gesehen sind Spiegelneuronen unsere Grundlage für Moral und Ethik;
Fähigkeit zur Imitation;
(Spiegel 10/2006 S.138ff)

·         Einnahme LSD-ähnlicher Pilzwirkstoff Psilocybin; vollständige mystische Erfahrung: entgrenzt, Zeit und Raum versanken, Gefühle von tiefer Ehrfurcht, Freude und Liebe überwältige; viele berichten von einer direkten, persönlichen Erfahrung mit der jenseitigen Welt; für jeden dritten Teilnehmer war der Versuch das aufwühlendste spirituelle Abenteuer seines bisherigen Lebens;
so vielleicht auch die neurobiologischen Grundlagen von spirituellen Erfahrungen und religiöser Ekstase besser zu verstehen
(Spiegel 33/2006 S.133)

·         pro Sekunde prasseln 11 Millionen Sinneseindrücke auf uns ein, die von ebenso vielen Sinneszellen im Körper ins Gehirn geschickt werden (Druck des Sessels im Rücken, Ticken der Uhr, Nachgeschmack des Brötchens ...);unser Bewusstsein schafft es gerade einmal, 40 Sinneseindrücke gleichzeitig zu verwalten, der Rest muss dem Autopiloten im Kopf überlassen werden;
im ventromedialen präfrontalen Kortex werden die Gefühle, die im limbischen System entstehen, mit den rationalen Erwägungen der Großhirnrinde verknüpft; ohne diese Verknüpfung (so Damasio) ist der Mensch wie gelähmt, jede Entscheidung brauche einen emotionalen Anstoß, aus puren Verstand heraus könne der Mensch nicht handeln
(Spiegel 15/2006 S.158ff)

·         wenn Sie etwas von diesem Artikel im Gedächtnis behalten, dann hat dieser Artikel die Anatomie ihres Gehirns verändert;
es gibt im Gehirn keine steuernde Zentrale; eher Verarbeitung der Informationen in einem dezentralen Netzwerk; aber wie wird aus den spärlichen neuronalen Signalen das Muster, das sich zu einem bedeutungsvollen Bild zusammenfügt?;
selbst, wenn biochemische Vorgänge das begründen, was wir Subjektivität nennen, so bleibt letztere doch Subjektivität;
(taz 20.5.06)

·         geistige Aktivität, soziale Kontakte, körperliche Bewegung lassen neue Nervenzellen sprießen;
neue Nervenzellen ersetzen nicht einfach die alten; sie haben eine eigene Aufgabe, z.B. das Lernen neuer Gerüche;
Neurogenese: Neubildung von Nervenzellen erfolgt bis ins hohe Alter;
zu funktionstüchtigen Neuronen wachsen sie aber nur heran, wenn man ihnen was bietet: Lernreize, geistige Herausforderung, körperliche Betätigung; sonst gehen sie schnell wieder zugrunde;
neben der Produktion neuer Nervenzellen wichtig für das Bewältigen neuer Herausforderungen:
Verstärkung alter Synapsen (Sekunden), Ausbildung neuer Synapsen(-Verknüpfungen) (Stunden),;
(Spiegel 20/2006 S.164ff)

·         (105) Sinne des Menschen: neben Sehen, Tasten, Schmecken, Riechen, Hören – Fähigkeit, feine Temperaturunterschiede zu erfühlen, Gleichgewichtssinn, die kinetischen Sinne, die den Schlagarm des Tennisspielers feinsteuern und anderes mehr;
manche Tiere haben elektrische Sinne, Magnetsinn (Magnetitkristalle bei Tauben, Bienen und Forellen gefunden)
(Ludwig Schultz, Hermann-Friedrich Wagner (Hrsg.): Die Welt hinter den Dingen, WILEY-VCH Weinheim, 2006)

·         Wenn Sie einem Neurobiologen begegnen, der allen Ernstes behauptet, es gebe keinen freien Willen, dann erzählen Sie ihm doch folgende Geschichte:
Ein Mann geht in ein Restaurant. Der Kellner bringt ihm die Karte und nach einem Meinungsaustausch über das Wetter fragt der Kellner: „Wünschen Sie Kalbfleisch oder Schweinefleisch?“. „Wissen Sie“, sagt der Gast, „ich bin Neurobiologe. Ich glaube nicht an den freien Willen. Ich werde einfach warten und sehen, was ich bestelle.“
Die Geschichte macht auf ironische Weise darauf aufmerksam, dass auch derjenige, der die Möglichkeit des freien Willens in Abrede stellt, indem er sich weigert, eine Entscheidung zu treffen, seinen freien Willen ausübt – ob er will oder nicht.;
Die Erbitterung und das Feuer, mit dem die Debatte um den freien Willen geführt wird, gehen über den normalen Wissenschaftsdisput weit hinaus. Denn beim freien Willen handelt es sich nicht um eine Marginalie, sondern um den harten Kern menschlichen Selbstverständnisses. Der freie Wille ist die Grundlage der Aufklärung und Voraussetzung jeder Ethik. Ohne die Verantwortung des Einzelnen für seine Handlungen gäbe es weder Gut noch Böse, weder Schuld noch Einsicht.;
Im Überschwang ihrer neu gewonnenen Bedeutung und im Aufmerksamkeitssog der Medien verlor die Neurobiologie die Bodenhaftung. Sie wollte zur Leitwissenschaft für die gesamte Gesellschaft aufsteigen; ja, sie wollte die wahre Geistes-Wissenschaft werden und in der Nachfolge von Kopernikus, Darwin und Freud das alte Welt- und Menschenbild umstürzen und auf eine neue Grundlage stellen.;
Es fällt auf, dass sich der Streit immer wieder auf die Interpretation eines einzigen Experiments bezieht, das vor mehr als 25 Jahren von dem amerikanischen Neurophysiologen Benjamin Libet gemacht worden ist. ...
Libet legt Wert darauf, als „experimenteller“ Neurophysiologe bezeichnet zu werden ... entstammt der empirischen Schule Karl Poppers und John Eccles, in der gilt, dass nur ein sauber durchgeführtes und von jedermann nachprüfbares Experiment einen exakten Wissenschaftler auszeichnet. Nichts verachtet Libet mehr als Kollegen, die sich nicht der Mühe des Experiments unterziehen, sondern wild drauflos spekulieren und sich mit unbewiesenen Annahmen zu großen Wissenschaftlern aufplustern ...
seine Messergebnisse waren verblüffend. Die Hirnströme verstärkten sich jeweils 350 bis 400 Millisekunden, bevor einer Versuchsperson der Wille, die Hand heben zu wollen, bewusst wurde. Diesen elektrischen Ausschlag im Messprotokoll bezeichnet Libet ... als Bereitschaftspotenzial (BP). Er zog daraus die Schlussfolgerung: „Das Gehirn leitet zuerst den Willensprozess ein.“ Erst danach wird die Versuchsperson sich ihres Handlungsdranges bewusst. Libets Ergebnisse wurden von anderen Wissenschaftlern in den 1990er Jahren experimentell überprüft und bestätigt ...
Festzuhalten ist: Die verstärkte neuronale Aktivität im Gehirn, die mit den Elektroden gemessen wird, bezeichnet Libet neutral als „Aktion des Gehirns.“ Er überfrachtet seine Beobachtung nicht semantisch, wie dies manche seiner Interpreten tun, wenn sie behaupten, das im Gehirn aufgebaute BP sei identisch mit der folgenden Handlungsentscheidung. Libet sagt nur: Es gibt eine Zunahme neuronaler Aktivität. Wofür diese steht – für einen aus dem Körper „aufsprudelnden“ Impulswunsch oder eine autonome Vor-Entscheidung des Gehirns -, ist aus dem BP nicht zu ersehen. ... aus dem Experiment abzuleiten, dass der freie Wille eine Illusion sei, ist nur richtig, wenn man den zweiten Teil des Libetschen Experiments unter den Teppich kehrt oder als vernachlässigbar abqualifiziert. Genau das haben die deutschen Neurobiologen Gerhard Roth und Wolf Singer getan, die Benjamin Libet sonst gern als Kronzeugen für ihre Thesen aufrufen ... Libet stellte fest, dass der bewusste Wille etwa 150 Millisekunden vor der motorischen Handlung auftaucht. Genügend Zeit also, das Gesamtergebnis des Willensprozesses zu beeinflussen. ... Genau hier tritt das Libetsche „Veto“ auf den Plan. Die Versuchspersonen sind in der Lage, die Ausführung des zunächst unbewusst eingeleiteten und dann ins Bewusstsein gekommenen Willens zu stoppen, „wenn die geplante Handlung als sozial inakzeptabel angesehen wird oder nicht im Einklang mit der eigenen Gesamtpersönlichkeit oder mit den eigenen Werten steht.“ Anders ausgedrückt: Ein Wunsch steigt auf, tritt ins Bewusstsein und wird abgewehrt, Diese Abwehrleistung, das Veto, ist nach Libet der Beweis für den freien Willen. Er initiiert keinen Willensprozess; er kann jedoch das Resultat steuern, indem er den Willensprozess aktiv unterdrückt und die Handlung selbst abbricht oder indem er die Handlung ermöglicht (oder auslöst)“.
(GeoWissen Heft 35, 2005; „Sünde und Moral“, Beitrag von Wolfgang Michal: „Wir sind so frei“ - S.36ff)

·         „Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten“ (Volkslied 13. Jahrhundert);
(Süddeutsche Zeitung 25.7.07 S.16)

·         keine Freiheit ohne Verantwortung; aber auch keine Freiheit ohne Notwendigkeit
(taz 27.8.07; Leserbrief)

·         Roman Walker Percy 1971: Klinik in den USA: soll der Mensch die Möglichkeit haben, einen Knopf zu drücken, der zu einem Gefühl von gelöster Zufriedenheit führt?
(Zeit 30.8.07 S.34)

·         Interview mit Hirnforscher Gerhard Roth;
Vermutlich habe ich ein starkes Geltungsbedürfnis ...;
der Spielraum, in dem ein Mensch überhaupt empfinden, sich verhalten, sich verändern kann, ist bei der Geburt bereits in beträchtlichem Maße umrissen;
das Automatisierungsstreben unseres Gehirns ist zugleich eine der besten und schlechtesten Erfindungen der Evolution – Routinevorgänge ohne nachdenken zu müssen, aber wir kommen so von unseren schlechten Gewohnheiten nicht mehr weg;
Wie das ICH entsteht (Stufen der Persönlichkeitsentwicklung):
+  Genetische Disposition (20 bis 50 % Erbanlagen)
+  vorgeburtliche Prägungen (ab der 6. Schwangerschaftswoche)
+  frühkindliche Prägungen (bis zum 4. Lebensjahr)
+  bewusste soziale Prägungen (Erziehung; etwa bis zum 20. Lebensjahr)
+  sekundäre Charakterzüge (Ausprägung von Verhaltensmustern durch positive Gefühle)
+  rationales Wissen (ein Leben lang)
(Spiegel 35/2007 S.124)

·         Hirnforscher Markowitsch:
Ich bin das Produkt meiner Vergangenheit; der freie Wille ist eine Illusion;
Philipp Reemtsma:
Der höchste Ausdruck von Freiheit drückt sich in dem Luther-Satz aus: Hier stehe ich, ich kann nicht anders(, Gott helfe mir, Amen)
(Spiegel 31/2007 S.117)

·         Editoral:
Auch von der Illusion, Herrscher über unser Denken zu sein, müssen wir uns vermutlich verabschieden. Viele Entscheidungen hat unser Gehirn längst getroffen, Urteile gefällt, ehe wir uns dessen bewusst werden. Dabei gaukelt uns unser Denkorgan geschickt vor, das habe schon alles seine Richtigkeit. Das menschliche Gehirn ist ein Meister darin, seine Vorurteile nachträglich moralisch zu untermauern.
Beitrag von Wolf Singer:
10 hoch 11 Nervenzellen;
können nahezu alle Erkenntnisse, die an den Nervensystemen von Tieren gewonnen werden, auf das menschliche Gehirn übertragen werden;
Die Hirnforschung überspannt von den Human- und Sozialwissenschaften über die Physiologie und Psychologie bis hin zur Physik und Informatik ein gewaltiges Disziplinenspektrum;
da die Funktionen des Gehirns nicht nur von den genetisch vorgegebenen Verschaltungsstrukturen bestimmt, sondern diese Architektur von der Umwelt entscheidend beeinflusst wird ..;
das menschliche Gehirn entwickelt sich bis etwa zum 20. Lebensjahr. Während dieser Zeit werden neuronale Verschaltungen durch Ausbildung neuer Verbindungen und die Vernichtung bereits angelegter Nervenbahnen ständig verändert. Diese Auf-, Ab- und Umbauprozesse werden nicht mehr nur von den Genen, sondern von der Aktivität der Neuronen selbst gesteuert.;
Die Grundannahme der Hirnforschung ist, dass sich die Funktionen des Gehirns naturwissenschaftlich beschreiben und erklären lassen müssen, da neuronale Prozesse den Naturgesetzen unterworfen sind;
dies legt wiederum nahe, dass mentale Prozesse wie das Bewerten von Situationen und das Planen des je nächsten Handlungsschrittes auf neuronalen Wechselwirkungen beruhen, die ihrer Natur nach bestimmten Gesetzen folgen, in der Sprache der Wissenschaft also „deterministisch“ sind: Der jeweils nächste Zustand ist die notwendige Folge des jeweils unmittelbar vorausgegangenen. Sollte sich das Gesamtsystem in einem Zustand befinden, für den es gleich mögliche Folgezustände gibt, deren Eintreten ähnlich wahrscheinlich ist, so können minimale Schwankungen der Systemdynamik den einen oder anderen Schritt favorisieren. Es kann also wegen der unübersehbaren Zahl der Einflussfaktoren nicht vorausgesagt werden, für welchen Schritt sich das System „entscheiden“ wird. Es kann völlig neue, bislang noch nie aufgesuchte Orte in einem Zustandsraum mit unzähligen Dimensionen besetzen – was dann als kreativer Akt in Erscheinung tritt. Jeder der kleinen Schritte, die aneinandergefügt die Entwicklungsbahnen des Gesamtsystems ausmachen, beruht auf neuronalen Wechselwirkungen, die im Prinzip festen Naturgesetzen folgen.;
Hirnforschung ... Anstoß für eine überfällige Rezeption naturwissenschaftlicher Erkenntnisse durch die Humanwissenschaften;
(ZEIT, Beilage September 2007, zur ZEIT-Wissenedition)

·         (189) Zusammenfassung:
Wenn wir nämlich glauben, dass es wahr ist, dass Gott alles vorherweiß und vorausordnet, dann kann er in seinem Vorherwissen und Vorherbestimmen weder getäuscht noch behindert werden; ferner kann nichts geschehen, wenn er selbst es nicht will .... zugleich kann es nach dem Zeugnis der gleichen Vernunft keinen „freien“ Willen im Menschen oder in einem Engel oder in irgendeinem Geschöpf geben ...;
(45) dass der Glaube auf die unsichtbaren Dinge gerichtet ist ... muss alles, was geglaubt wird, verborgen werden;
so verbirgt Gott seine ewige Gnade und sein Erbarmen unter ewigem Zorn, Gerechtigkeit unter Ungerechtigkeit ...;
(49f) der menschliche Wille ... wie ein Reittier, wenn Gott es bestiegen hat, will und geht es, wohin Gott will ... wenn der Teufel aufgestiegen ist, will und geht es, wohin der Teufel will, und es liegt nicht in seinem Willen, zu welchem Reiter es läuft, sondern die Reiter selbst kämpfen darum ...;
(55) der Mensch hat nach seinen Möglichkeiten und seinem Eigentum das Recht, sie nach freiem Willen zu benutzen, zu tun und zu lassen; obwohl auch dies allein durch Gottes freien Willen gelenkt wird, wohin es ihm gefällt;
in bezug auf Gott oder in Dingen, die sich auf Erlösung oder Verdammnis beziehen, keinen freien Willen, sondern er ist Gefangener, Unterworfener und Sklave entweder des Gotteswillens oder des Teufelswillens;
(77) Erasmus von Rotterdam, Definition: „Nun aber verstehen wir ... unter dem Willen die Kraft des menschlichen Willens, durch die sich der Mensch an das anpassen kann, was zum ewigen Heil führt, oder auch davon sich abwenden kann“
(137) Wenn Gott also alles bewegt und lenkt, bewegt und handelt er notwendigerweise auch im Satan und Gottlosen ... dass Gott nicht schlecht handeln kann, wenn er auch durch die Bösen Böses bewirkt ... er benutzt die Bösen als Werkzeuge, die der Gewalt und Wirkung seiner Macht nicht entgehen können;
(143) wenn er auch in seiner Weisheit dieses Böse zu seinem Ruhme und unserem Heile gut benutzt;
(173) dass es zwei Reiche in der Welt gibt, die sich gegenseitig heftigst bekämpfen; in dem einen herrscht Satan ... (Fürst dieser Welt) ... im anderen Reich herrscht Christus ... in dieses werden wir nicht versetzt durch unsere Kraft, sondern durch die Gnade Gottes
(Quellen, Ausgewählte Texte aus der Geschichte der christlichen Kirche; Martin Luther (Vom verknechteten Willen), EVA Berlin 1964)

·         (positive) Emotionen sind wichtig fürs Lernen;
Begriffe, die mit positivem Bild-Hintergrund gelernt wurden, waren später besser abrufbar;
Gerhard Roth wird nicht müde, den Zusammenhang zwischen „Fühlen, Denken, Handeln“ (so ein Buchtitel) zu erklären;
Roth: etwa 0,1 % dessen, was unser Gehirn aktuell tut, wird uns bewusst
(bdw 10/2007 S.21, 32)

·         vor gut 10 Jahren sensationelle Entdeckung: Hirnzellen, die Bewegungen steuern, reagieren auch auf deren puren Anblick;
elektrische Signale einzelner Zellen im Großhirn von Rhesusaffen wurden abgeleitet: im prämotorischen Kortex gab es Zellen, die nicht nur feuerten, wenn der Affe seine Arme selbst bewegte, sondern auch, wenn er eine Person oder Artgenossen bei genau dieser Bewegung beobachtete; dieser „Echoeffekt“ trat nur auf, wenn der Affe eine zielgerichtete Bewegung (z.B. Griff nach einer Banane) sah; es lag auf der Hand, diese Neuronen als „Spiegelneuronen“ zu bezeichnen, da sie die Handlungen und Intentionen des anderen anscheinend wiederspiegeln.
ABER:
einzelne Spiegelzellen wurden bisher nur bei Affen dingfest gemacht;
die meisten Studien zum Spiegelneuronensystem des Menschen verwenden bildgebende Verfahren wie Kernspintomographie; hier nur Auflösung im Millimeter- bis Zentimeterbereich (gemittelte Aktivität von Hunderttausenden von Neuronen);
1999 ein einzelner Versuch an einer Patientin; Mikroelektroden eingepflanzt; im „Schmerzzentrum“ des Großhirns feuerten Neuronen nicht nur, wenn die Patientin in den Finger gestochen wurde, sondern auch, wenn sie zusah, wie sich der Arzt in den Finger stach - vermutlich das erste und bisher einzige wissenschaftlich identifizierte menschliche Spiegelneuron!; wenn die „angezapften“ Zellen mit elektrischen Strömen stimuliert wurden, spürte die Patientin nichts (Funktion ist wohl nur in einem Getriebe aus großen Zellverbänden gegeben);
Und diese Zellen sollen auch noch für Nachahmung, Sprache, und Kultur verantwortlich sein? die Rhesusaffen haben diese Fähigkeiten nicht;
(bdw 11/2007 S.30ff)

·         Klonforscher gefragt: Wie weit prägen Gene ein Wesen? Darüber haben wir ziemlich genaue Vorstellungen. Zu 30 bis 35 % sind die Gene dafür verantwortlich, was wir sind und was wir tun. Der Rest ist durch die Umwelt geprägt.
(Die Zeit 15.2.07 S.56)

·         Es gibt doch Spiegelneuronen beim Menschen! 34 einzelne Neuronen mit Elektroden aufgespürt, waren für bestimmte motorische Handlungen zuständig, reagierten aber auch, wenn solche Handlungen auf Videos gezeigt wurden; wurden beim Zusehen entweder erregt oder gehemmt
(bdw 1-2008 S.10)

·         Rechte oder linke Taste drücken?
Wenn unser Bewusstsein scheinbar autonom eine Entscheidung fällt, sind die Würfel oft längst gefallen – im Unterbewusstsein. Der Zeitvorsprung des Unterbewussten beträgt dabei selbst bei einfachen, reflexhaft anmutenden Entscheidungen häufig nicht Millisekunden, wie bislang angenommen, sondern teils mehrere Sekunden … (Arbeitsgruppe um den Hirnforscher John-Dylan Haynes von der Berliner Charité) …Um die Zeitverzögerung zu messen, hatten die Forscher Probanden gebeten, entweder mit der rechten oder mit der linken Hand einen Schalter zu betätigen; derweil durchleuchtete ein Magnetresonanztomograf das Gehirn. … konnte Haynes anhand typischer Durchblutungsmuster hinter der Stirn teilweise schon sieben Sekunden zuvor erkennen, ob der Proband rechts oder links wählen wird.
(Spiegel 16-2008 S.141)

·         37-jähriger Forscher John-Dylan Haynes;
anhand der Aktivität zweier Hirnregionen kann er voraussagen, ob Versuchspersonen einen Knopf mit der rechten oder mit der linken Hand drücken werden. Und diese Aktivität beginnt, zehn Sekunden bevor die Probanden sich bewusst entscheiden!
Gibt es also tatsächlich keinen freien Willen? Entscheidet unser Gehirn quasi an unserem Bewusstsein vorbei? So einfach macht es sich Haynes nicht. Der Slogan „Freiheit oder Gehirn“ ist ihm viel zu plump. Denn ersten sei das Gehirn ja Teil unserer Person; und zweitens müssten die Hirnprozesse konsistent sein mit all unseren Überzeugungen und Werten …
Haynes hat mit modernen Methoden das berühmte Experiment von Benjamin Libet fortgeführt, das seit über 20 Jahren die Debatte um den freien Willen prägt …
Versuch: Während seine Probanden in einem Kernspintomografen lagen, sollten sie sich entscheiden, entweder mit der rechten oder mit der linken Hand einen Knopf zu drücken. Damit sie sich den Zeitpunkt dieser Entscheidung merken konnten, zeigte ihnen Haynes keine Uhr, sondern schnell wechselnde Bilder mit verschiedenen Buchstaben, Probanden mussten sich den Buchstaben merken, der zum Zeitpunkt der Entscheidung gerade eingeblendet war …
neuronale Aktivitätsmuster erfasst, die mit der Entscheidung in Verbindung standen; kann für individuelle Versuchsperson geeicht werden;
Mustererkennung förderte zwei Hirnbereiche zutage, in denen die Entscheidung vorbereitet wurde (das Brodmann-Areal 10 im frontopolaren Kortex und eine Region im parietalen Kortex);
aus den Aktivitätsmustern dieser Areale ließ sich mit einer 60-prozentigen Wahrscheinlichkeit ableiten, welchen der beiden Knöpfe eine Versuchsperson später drücken wird – und zwar bereits 7 Sekunden bevor die Versuchsperson die bewusste Entscheidung traf!;
Hinkt das Bewusstsein also um 7 Sekunden hinterher? Nein, um noch viel mehr. Der Kernspintomograf zeigt die Hirnaktivitäten mit einer Verzögerung von 3 bis 4 Sekunden, tatsächlich also sind diese Areale bereits etwa 10 Sekunden aktiv, bevor die Entscheidung als bewusst erlebt wird.
60% liegt nur knapp über einem Zufallstreffer von 50% …? Das ist ein Wert, den wir über alle 14 Probanden gemittelt haben, wenn wir uns auf den Einzelfall konzentrieren, können wir eine viel höhere Wahrscheinlichkeit erreichen;
Der Befund von Libet ist nicht nur bestätigt, sondern mächtig verschärft;
Haynes:
“Ich interpretiere unsere Studie so: Eine Kaskade von unbewussten Prozessen fängt an, eine Entscheidung vorzubereiten, lange bevor diese ins Bewusstsein dringt.“
Doch wer entscheidet denn da nun? Der Mensch denkt, das Gehirn lenkt? …
“Mein Gehirn, das bin ja ich …“ Unsere Gedankentätigkeit sei mit einem Eisberg vergleichbar. „Was uns bewusst ist, ist nur dessen Spitze. 90% liegen unter Wasser – das sind die unbewussten Prozesse in unserem Gehirn. Aber die Spitze gehört ja zum Eisberg dazu, beide bilden eine Einheit.“ Es sei ein Missverständnis, zu meinen, nur weil etwas unbewusst ablaufe, sei es zufällig und nicht begründbar. „Alle unsere Handlungen sind die Überlagerungen von Tausenden kleinen  Ursachen – Erfahrungen in Kindheit und Beruf, unsere Kultur, die Menschen, mit denen wir uns umgeben, die Medien, die wir zu Rate ziehen,… auch unbewusste Prozesse folgen einer Logik. Doch diese können wir bei uns selber nicht beobachten. Und die bewussten Gründe, die wir dafür angeben, stimmen oft nicht.“;
Haynes will seinen Versuch ergänzen: wenn sein Programm ihm anzeigt, dass der Proband sich unbewusst für die rechte Hand entschieden hat, will er ihn auffordern, die linke zu nehmen;

Benjamin Libet 1983: „Offenbar „beschließt“ das Gehirn, die Handlung zu initiieren, bevor ein mitteilbares subjektives Bewusstsein vorliegt, dass ein solcher Beschluss gefasst worden ist. … Ich sage nur, dass der freie Wille nicht den freiwilligen Akt initiiert. Die Handlung beginnt unbewusst – aber immerhin werden wir uns dessen bewusst, bevor wir sie tatsächlich ausführen. Uns bleibt immer noch Zeit, um die geplante Bewegung vor der tatsächlichen Ausführung zu stoppen.“
(DIE ZEIT 17.4.08 S.37)

·         Anderer Versuch von Haynes und Kollegen:
legten gesunde Probanden in einen Kernspintomografen und wiesen diese an, sich zu entscheiden, ob sie zwei Zahlen, die ihnen gleich gezeigt würden, lieber addieren oder subtrahieren wollten. Ergebnis: In 71% der Fälle konnten die Forscher die Absicht der Testpersonen erkennen, noch bevor diese die Zahlen überhaupt zu sehen bekamen … die geheimen Absichten des Gehirns waren sichtbar gemacht;

Langleben (Philadelphia):
Studenten sollten einmal die Wahrheit sagen, ein andermal sollten sie lügen;
im Kernspintomografen: beim Lügen waren sämtliche Areale, die bei wahren Aussagen aktiviert wurden, ebenfalls aktiv, zusätzlich noch weitere Areale; die Lügensignale als Zeichen eines Kampfes gedeutet, der im Kopf der Probanden stattfindet; das Gehirn kann sich nur für die Lüge entscheiden, wenn es die Wahrheit aktiv unterdrückt
(Spiegel 14-2008 S.132ff.)

·         Nervenzellen, die Handlungen einleiten, aber auch auf die Handlungen und Absichten eines anderen Individuums reagieren, heißen Spiegelneuronen; 2007 Studie präsentiert:
es gibt sie auch beim Menschen; 34 einzelne Spiegelneuronen in den Gehirnen mehrerer Epilepsie-Patienten mit Elektroden dingfest gemacht; einige reagierten mit Steigerung der Nervenaktivität, andere schraubten sie herunter; eine dritte Gruppe reagierte komplex: beim Handeln wurden Zellen erregt, beim Beobachten gehemmt
(bdw 1-2008 S.10)

·         Erbgut in Auflösung
Das Genom galt als unveränderlicher Bauplan des Mensche, der zu Beginn des Lebens festgelegt wird. … In Wirklichkeit sind unsere Erbanlagen in ständigem Wandel begriffen;
das Erbgut eines jeden ist in beständigem Umbau begriffen. Die Folge: Jeder Organismus, jeder Mensch, selbst jede Körperzelle ist ein genetisches Universum für sich;
das Genom ist kein stabiler Text;
die jüngsten Erkenntnisse zeigen mehr denn je, dass der Mensch ein Produkt genetischer Prozesse ist. Aber auch, dass diese Prozesse mit vielen Freiheitsgraden ausgestattet sind. Sie bilden ein offenes System, in dem keineswegs alles vorbestimmt ist;
genaue Analysen zeigen nun: keine Zelle gleicht der nächsten;
Umweltbedingungen können sich im Erbgut niederschlagen, und auch eineiige Zwillinge sind nicht, wie bisher angenommen, identische Kopien voneinander;
Unzutreffend ist auch die bisherige Überzeugung, jedes Gen existiere in der Regel nur zweimal im Erbgut (einmal im väterlich, einmal im mütterlich ererbten Satz der Chromosomen). In Wahrheit unterliegen zahlreiche Erbinformationen einem Vervielfältigungsprozess und existieren in bis zu 16 Kopien in einem Zellkern. Bei mindestens 1500 menschlichen Genen wurden bisher solche Kopievarianten (CNVs = copy number variants) entdeckt; jeder Mensch weist sein eigenes CNV-Profil auf; CNV-Muster unterscheidet sich selbst in den Körperzellen eines bestimmten Menschen von dem anderer Zellen;
vervielfältigen sich so etwa Gene für die Produktion von Signalstoffen oder für deren Empfängermoleküle, verändern sich die Kommunikationssysteme des Organismus; CNVs beeinflussen die Genaktivität;
das Wechselspiel im Menschengenom vermag nicht nur die individuellen Eigenheiten des Einzelnen zu erklären, es produziert auch das genetische Sortiment, aus dem die Evolution den Menschen weiter formt. Das macht einen weiteren verstörenden Befund verständlich: Die Spezies homo sapiens unterliegt offenbar einer Turboevolution. Hunderte Bereiche im Erbgut haben sich weit schneller gewandelt als bei anderen Primaten. … dass die Zivilisation seit Beginn der Jungsteinzeit die menschliche Evolution um das 100-fache beschleunigt haben muss;
noch bevor die Frage beantwortet werden konnte, was in unserer DNA uns menschlich mache (im Unterschied etwa zur DNA von Schimpansen), stand die nächste Frage im Raum: Was in meiner DNA macht mich zu mir?; alles deutet auf eine bestürzende Antwort hin: Ich bin viele;
zumindest physisch erscheint der Mensch nicht länger als Individuum, sondern als Verband egoistischer Zellkolonien. Bei bis zu 10 % aller Erbanlagen – und vielleicht weit mehr – ist entweder nur die mütterliche oder nur die väterliche Variante aktiv („autosomale monoallelische Expression“); davon sind besonders häufig Gene betroffen, die im Verlauf der Menschwerdung einer beschleunigten Evolution unterlagen, und solche mit wichtiger Funktion im zentralen Nervensystem;
selbst die biologische Identität des Individuums steht wohl zur Disposition; „Ich mag die Idee, dass wir Mosaiken sind“;
Auch soziale und materielle Außenfaktoren können einen Menschen auf dem Umweg über die Biologie prägen – indem sie seine Genfunktionen verändern. Durch sogenannte epigenetische Prozesse können offenbar Stress oder Folter, Ernährungsmangel oder Liebesentzug bis in den Zellkern hinein wirken;
auch die Biowissenschaftler rätseln nun über the dark matter of the genome, die dunkle Materie des Erbguts. Finden könnten sie das dunkle Geheimnis in jenem Teil des Erbguts, den sie bisher als Müll abgetan haben, als „Junk-DNA“. Relevant waren für sie nur jene wenigen Prozent des Genoms, die als Gene herkömmlicher Definition die nötigen Informationen für den Aufbau der Eiweiße in den Zellen enthalten. Der Rest galt als evolutionärer Schrott; inzwischen hat sich herausgestellt, dass diese vermeintliche Müllhalde des Genoms wichtige biologische Funktionen erfüllt. In ihr verbirgt sich offenbar der gesamte hochkomplexe Steuerungsapparat, der die Aktivität der Gene reguliert und koordiniert;
vor allem sogenannte microRNAs, eine bis vor kurzem unbekannte Klasse von Erbinformationen, regeln eine Vielzahl von Entwicklungs- und Krankheitsprozessen
(DIE ZEIT 12.6.08 S.33f.)

·         Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag hat einen Bericht zum Stand der Neurologie erstellt hat (16/7821), in dem es um die Bewertung der Thesen zur „Determination geistiger Vorgänge durch neuronales Geschehen im Gehirn und zum illusionären Charakter der Willensfreiheit“ geht;
Bis auf weiteres hat die Hirnforschung nicht genug Beweise, um die bisher gültige Auffassung eines „freien Willens“ zu revidieren; nicht ausreichend durch empirische Daten gestützt;

(Das Parlament 19.5.08 S.16)

·         Lernen bei Kindern; frühes Lernen besonders bedeutsam; Lerngeschwindigkeit nimmt mit zunehmendem Alter ab; Hirnareale, die nicht schon früh gefordert werden, degenerieren und sind später nur schwer aktivierbar; beim Lernen organisiert die Gehirnrinde regelhfte Erfahrungen landkartenförmig; ähnliche Erfahrungen = nahe beieinander liegende Nervenzellen, Häufiges = durch mehr Nervenzellen repräsentiert; Lernen = Ausbildung stabiler Verbindungen zwischen den Nervenzellen;
fürein sich entwickelndes Gehirn sind Bildschirme sehr wenig hilfreich; führen zu einer Verarmung von wichtigen Erfahrungen; Kinder brauchen beim Lernen alle Sinne, nicht nur Denken und Gedächtnis müssen angesprochen werden, sondern auch Anfassen, Riechen, Schmecken;
Gefühle spielen beim Lernen eine extrem wichtige Rolle
(taz 27.6.08)

·         Aristoteles … aus der Sektion geschlachteter Tiere schließt der Philosoph, das Gehirn sei der „blutloseste“ und „kälteste“  Körperteil und diene vor allem der Kühlung, das Denken und die Seele dagegen verortet er im Herzen (wir nehmen uns noch heute die Dinge „zu Herzen“);
Benjamin Libet (zum Ergebnis seines Versuchs – Gehirn wird schon 0,3 Sekunden vor einem bewussten Entschluss aktiv): „Die Handlung beginnt zwar unbewusst – aber uns bleibt immer noch Zeit, sie vor der Ausführung zu stoppen.“
(ZEIT 3.4.08 S.38)

·         1 Billion Links verweisen im Internet nach groben Schätzungen von einer Webseite auf eine andere – im menschlichen Gehirn gibt es etwa tausendmal so viele Verbindungen
(ZEIT 17.1.08 S.34)

·         (6f.)
Die bisherigen Grenzen für das Verständnis der biologischen Grundlagen mentaler Leistungen und Vorgänge und damit die wesentlichen Herausforderungen für die Forschung liegen auf der sogenannten mittleren Ebene der Neuronenverbände. Hier werden die durch die Sinnesorgane in das Gehirn geleiteten Reize in Information und sinnhafte mentale Inhalte (Emotionen, Begriffe, Gedanken) übersetzt. Die Zusammenarbeit der neuronalen Netze bildet die Ebene, auf der sich letztlich Bewusstsein konstituiert. Trotz der Fortschritte bei der Charakterisierung verschiedener Neuronenverbände oder auch einer verbesserten Beschreibung ihres Zusammenwirkens (z.B. bei bestimmten Wahrnehmungsvorgängen) ist man von einem tatsächlichen Verständnis, wie Neurone Bewusstsein realisieren, noch weit entfernt. Neben dem Verständnis der Kooperation von Neuronen in neuronalen Netzwerken bilden die Hirnplastizität, d.h. die Veränderung von Hirnstrukturen über die Zeit (wie sie etwa für Lernprozesse charakteristisch ist), und die interindividuelle Varianz des Hirnaufbaus die zentralen Fragen der gegenwärtigen Hirnforschung. …
Neben dem wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt an sich sowie den bisherigen und möglichen zukünftigen Interventionsmöglichkeiten in das menschliche Gehirn haben vor allem weitreichende erkenntnistheoretische und philosophische Thesen führender Neurowissenschaftler zu den Möglichkeiten einer naturwissenschaftlichen Erklärung geistiger Prozesse in den vergangenen Jahren für öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt. Diesen Thesen zufolge würden die Erkenntnisse der modernen Neurowissenschaften zu einer Umwälzung des menschlichen Selbstverständnisses, d.h. unserer Vorstellungen von Subjektivität und personaler Identität, von Selbstbewusstsein, Willen und Handlungssteuerung führen.
Der im vorliegenden Bericht unternommene Durchgang durch die Diskussion zwischen Neurowissenschaften, Philosophie und Kulturwissenschaften zeigt allerdings, dass weitreichende Thesen zur Determination geistiger Vorgänge durch neuronales Geschehen im Gehirn und zum illusionären Charakter der Willensfreiheit bisher empirisch nicht hinreichend gestützt sind. …
ist vorläufig kein Anlass für eine grundsätzliche Revision unserer Alltagsauffassung von Schuld und Verantwortung, freiem Willen sowie des strafrechtlichen Schuldbegriffs gegeben.

(22ff.)
das menschliche Gehirn besteht aus etwa 1010 Neuronen oder Nervenzellen…
Die Nervenzellen bestehen aus dem Zellkörper und aus Zellfortsätzen, die zusammen mit der Zellmembran der Erregungsbildung und Erregungsausbreitung dienen. Das Axon mit seinen Verzweigungen leitet als der „efferente“ Fortsatz einer Nervenzelle die Informationen zu anderen Zellen weiter, während die restlichen „afferenten“ Fortsätze der Zelle, die Dendriten, zusammen mit der Membran des Zellkörpers überwiegend der Informationsaufnahme (von anderen Neuronen) dienen. Das Axon trägt an seinen Enden besonders ausgebildete Strukturen, die Synapsen, über die die einzelnen Zellen miteinander in Verbindung stehen. Synapsen enthalten Transmittersubstanzen, die bei einer elektrischen Erregung freigesetzt werden, den interzellulären Spalt zwischen dem Ende einer „sendenden“ Zelle und dem Dendriten der Empfängerzelle überbrücken und die Informationen weiterleiten können. Unterschiedliche Transmittersubstanzen haben entweder eine hemmende oder aktivierende, d.h. diese zur Weiterleitung eines Erregungszustandes veranlassende, Wirkung auf die Zielzelle. Bei der Erregungsbildung und Erregungsfortleitung handelt es sich um einen kombinierten elektrischen und chemischen Übertragungsprozess. Die neuere Hirnforschung konnte auch zeigen, dass die Gliazellen, die annähernd 90% der im Gehirn vorhandenen Zellen ausmachen, nicht nur – wie früher angenommen – eine Stützfunktion für die Neuronen haben. Vielmehr bilden Gliazellen und die eigentlichen Nervenzellen eine enge funktionelle Einheit, ohne die die neuronale Reizleitung und damit die Funktion des Nervensystems nicht aufrecht erhalten werden könnte…
die einzelnen Nervenzellen können nicht nur von einigen wenigen Zellen erreicht werden, sondern eine Zelle wird von etwa 104 bis 105 Synapsen verschiedener anderer Zellen erreicht, sodass sich die geschätzte Gesamtzahl der synaptischen Verbindungen auf etwa 1014 Kontakte beläuft …
Zu den als Neurotransmitter identifizierten Substanzen gehören z.B. Glutamat – als wichtigster erregender Neurotransmitter im Organismus von Wirbeltieren – sowie Gamma-Aminobuttersäure und Glycin als wichtigste hemmende Botenstoffe. Andere bekannte Neurotransmitter sind Noradrenalin oder Acetylcholin, Dopamin, Serotonin u.a. …
das Absterben dopaminproduzierender Neuronen in der sogenannten Substantia nigra ist z.B. verantwortlich für die Parkinsonsche Erkrankung, während eine Überproduktion von Neurotransmittern in derselben Hirnregion zum Krankheitsbild der Chorea Huntington führt …
Neben den Neurotransmittern wurden sogenannte Neuromodulatoren als wichtige Bestandteile des Nervensystems identifiziert, die im Gegensatz zu den kurzfristig wirkenden Neurotransmittern längere Zeit wirksam sind und die Ausschüttung bzw. Rezeption von Neurotransmittern über einen längeren Zeitraum beeinflussen (modulieren). …

(83)
Das Myelin ist eine lipidreiche Hülle, welche die Axone der meisten Neuronen umgibt und elektrisch isoliert.

(25)
Die Tatsache, dass ein einzelnes Gen verschiedene kognitive Leistungen beeinflussen kann und das Individuum über 105 Gene, 1010 Nervenzellen und ca. 1014 Verknüpfungen zwischen Nervenzellen verfügt, macht es allerdings unplausibel, dass die Komplexität des Nervensystems und seiner Leistungen allein genetisch bestimmt ist.

Auf der Ebene der neuronalen Netze findet die Koordination von verschiedenen Hirnfunktionen und die Organisation des Gehirns in Neuronenverbänden statt, was in Analogie zur Computerwissenschaft als neuronale Codierung bezeichnet werden kann. Hier werden die durch die Sinnesorgane in das Gehirn gelangenden Reize in Informationen, in mit Bedeutung geladene Daten, d.h. in sinnhafte mentale Inhalte (Emotionen, Begriffe, Gedanken) übersetzt. In der „Kommunikation“ der Neurone miteinander werden sinnhafte Gedächtnisinhalte ausgewählt und prozessiert sowie Intentionen (Ziele, Wünsche, Präferenzen) ausgebildet und Handlungspläne konstruiert. Die Ebene der neuronalen Netze bildet somit – so steht zu vermuten – die eigentliche Schnittstelle zwischen materiellen Vorgängen und symbolischer Bedeutung und ist damit die Ebene, auf der materielle Reize mit Sinn besetzt werden, sich also letztlich (phänomenales) Bewusstsein konstituiert. …

(26)
Durch neue Möglichkeiten der Forschung ließ sich die Hypothese bestätigen, dass die Großhirnrinde modular aufgebaut ist und die aus Neuronenverbänden aufgebauten Module als „Bausteine unserer Wahrnehmung und Gedankeninhalte fungieren. …
Die Module sind durch eine unterschiedliche Anzahl von Afferenzen (Zuleitungen) mit der Hirnperipherie verbunden. Im sensorischen System integrieren einzelne Module Tausende von Afferenzen aus den Sinnesorganen.
Zwischen den einzelnen Modulen bestehen Verbindungen, sodass sie sich zu größeren funktionalen Verbänden zusammenschließen und damit hierarchisch und parallel zusammenwirken können. Die Module können sich dabei vielfach überlappen, und einzelne Neurone sind nicht notwendigerweise nur einem Modul zuzuordnen. Die jeweilige zelluläre (neuronale) Zusammensetzung einzelner Module kann sich langfristig ändern. …

(28)
dass Synchronisationsprozesse im Gehirn konstituierend für einen Großteil seiner Funktionen sind …

(29)
konnte (durch bildgebende Verfahren) gezeigt werden, wie in der Regel mehrere (topographisch und entwicklungsgeschichtlich) in verschiedenen Hirnanteilen lokalisierte Hirnareale gleichzeitig an bestimmten Hirnleistungen beteiligt sind.

(31)
man geht davon aus, dass das limbische System im Sinne einer „affektiven Tönung“ an den meisten „geistigen Phänomenen“ beteiligt ist

(32f.)
Vieles spricht dafür, eine Unterscheidung höherer Hirnfunktionen von vergleichsweise niedrigeren aufzugeben und stattdessen von einem stufenlosen Kontinuum von unbewusst-reflektorischen zu bewusst-reflektierenden Vorgängen auszugehen

Vorgänge im Gehirn bzw. mit diesen verkoppelte Verhaltensweisen können (sozusagen zusätzlich zu ihrem schieren Vorhandensein oder Ablaufen) als bewusste Vorgänge subjektiv erlebt werden. Es wird deshalb davon ausgegangen, dass Bewusstsein kein separater Hirnvorgang ist, sondern eine Qualität, die verschiedenen kognitiven Vorgängen „anheften“ kann (aber nicht notwendigerweise muss) …
Der Ausfall bestimmter Hirnrindenareale führt dazu, dass eine bewusste Wahrnehmung von Sinnesreizen nicht mehr erfolgt, obwohl Reflexe erhalten bleiben …
Als „Tor zum Bewusstsein“ fungiert der Thalamus, durch den, abgesehen vom Geruchssinn, alle sensorischen Informationen (Wahrnehmungen) Eingang in die Hirnrindenareale finden. …

Bewusstsein lässt sich zum einen als Bewusstsein von einem kognitiven Vorgang (Wahrnehmung, Handlung, Denken) auffassen. Daneben ist Bewusstsein aber immer auch mit der Selbsterfahrung eines wahrnehmenden, handelnden „Ichs“ verbunden. Dieses „Ich“ – oder die Selbstrepräsentation des Wahrnehmenden – kann keiner spezifischen Hirnregion zugeordnet werden …
Ich-Bewusstsein schlägt sich erstens in der Selbsterfahrung als Verursacher von Handlungen nieder. Zweitens ist die Zentrierung der Wahrnehmung und Aktivitäten um den eigenen Körper ein zentrales Element von Ich-Bewusstsein. Drittens gründet das Ich-Bewusstsein in der über einen langen Zeitraum erfahrenen und autobiographisch ausgebildeten Einheit und Konstanz von Wahrnehmungen, Überzeugungen und Handlungen.

(34ff.)
bildgebende Verfahren, die es ermöglichen –wie es häufig übertrieben formuliert wird – „dem Gehirn beim Denken zuzuschauen“ …
neuroimaging“ …
EEG: relativ geringe räumliche Auflösung, exakt im Zeitverlauf, keine Einwirkung auf das Gehirn von außen …
MEG: (Magnetenzephalogramm) erlaubt Aussagen über die Tiefe, in der die gemessene Aktivität stattfindet …
PET: räumliche Auflösung gering (einige Millimeter), zeitliche Auflösung ca. 1 Minute …
MRT: Resonanz von Wasserstoffatomen (in starkem Magnetfeld: 50.000 fach Erdmagnetfeld) …
fMRT: Reaktion des Hämoglobins (nicht der Wasserstoffmoleküle) auf das Magnetfeld; Unterschiede zwischen sauerstoffbeladenem und sauerstoffarmem Hämoglobin; räumliche Auflösung 1 Millimeter, zeitlich: 1 Sekunde …
oft wird lediglich angezeigt, dass eine Hirnregion parallel zu einer bestimmten mentalen Aktivität aktiv war …

(45)
Neuronenpopulationen

(46)
Insgesamt erscheint die Hirnaktivität als „eine Art schwankendes oder oszillierendes Gleichgewicht aus den aktuell aktivierten Neuronenverbänden und den potenziell aktivierbaren“

(47)
langfristige Plastizität von Hirnstrukturen, die sich durch Lernprozesse verändern (Strukturen und Funktionen); die Außenwelt bildet so das Gehirn lebenslang mit …
Es gibt keine Einzelzustände des Gehirns, sondern einen ununterbrochenen Fluss von Hirnaktivität, in dessen Verlauf sich das Hirn selbst umbildet …

(50)
2004 … als sich eine Gruppe deutscher Neurowissenschaftler (darunter Gerhard Roth und Wolf Singer) in einem „Manifest“ direkt und mit appellativem Gestus an die Öffentlichkeit wandte …
Trotz einiger eher zurückhaltender Einschätzungen hinsichtlich des Standes der neurowissenschaftlichen Erklärung mentaler Phänomene ist auch hier die zentrale Botschaft, dass lebensweltliche Vorstellungen von freiem Willen, vom Ich als steuerndem Zentrum geistiger Prozesse und intentionalen Handelns letztlich nichts weiter als Epiphänomene oder illusionäre Begleiterscheinungen physiologischer, naturwissenschaftlich erklärbarer Prozesse seien und deswegen einer grundlegenden Revision unterzogen werden müssten. Die Autoren räumen zwar ein, dass die Forschung heute noch weit davon entfernt ist, die Frage nach der Entstehung von Bewusstsein oder nach dem Status unserer Vorstellungen von freiem Willen letztgültig beantworten zu können. Langfristig werde die Forschung aber zu einer vollständigen biologischen Erklärung des Geistes führen, d.h. alle geistigen Prozesse wären (dann) auf materielle Vorgänge im Gehirn rückführbar.
Solche Thesen werden bei Weitem nicht von allen Neurowissenschaftlern mitgetragen. …

(50f.)
Wolf Singer kann als entschiedener Vertreter eines neurobiologischen Determinismus angesehen werden. Aus seiner Sicht ist die Unterscheidung zwischen der psychischen Sphäre der Gefühle und Wertungen, die nur in der Ersten-Person-Perspektive wahrgenommen werden kann, und den Erscheinungen der dinglichen Welt, die allein der beobachtenden, objektivierenden Dritten-Person-Perspektive naturwissenschaftlicher Untersuchung zugänglich ist, unhaltbar. Aus der Perspektive der Hirnforschung sei davon auszugehen, dass auch menschliches Verhalten wie jeder Vorgang in der Natur determiniert, d.h. kausal bedingt ist. Durch die in einer Situation gegebene Reizkonstellation und den bestehenden Gehirnzustand ist das jeweilige Verhalten vollkommen bestimmt. Der jeweilige Gehirnzustand wiederum ist durch die Lerngeschichte des Organismus und die Evolutionsgeschichte des Nervensystems determiniert. …
Damit ist die Erfahrung, frei zu sein, d.h. sein Handeln durch willentliche Entscheidungen zu steuern, eine Illusion. Es gilt, dass „der jeweils nächste Zustand (des Gehirns) die notwendige Folge des unmittelbar vorausgegangenen Zustandes ist“: Wegen der Komplexität und Dynamik der Gehirnstruktur ist der Zusatnd aber im Einzelfall nicht zu prognostizieren. Auch Kreativität ist ein Effekt der Dynamik des komplexen neuronalen Systems, das hinsichtlich der Zukunft offen ist und immer neue, bisher nicht eingenommene Zustände annehmen kann. Mentale Prozesse wie Überlegen oder das Abwägen von Gründen sind sozusagen illusionäre Erscheinungsformen der neuronalen Dynamik. „Es muss also davon ausgegangen werden, dass jemand tat, was er tat, weil just in diesem Augenblick sein Gehirn zu keiner anderen Entscheidung kommen konnte.“ …Damit ist die Zuweisung von Verantwortung für Handlungen oder Schuld und Fehlverhalten im eigentlichen Sinne unberechtigt. Strafe wird damit laut Singer aber nicht obsolet. Strafen und Belohnung dienen der Prägung der Hirnarchitektur, um sicherzustellen, dass spätere Entscheidungen mit sozialen Normen konform sind. …

(52ff.)
Gerhard Roth …
erkenntnistheoretische Position des „Radikalen Konstruktivismus …
dass die Wirklichkeit eine Konstruktion des Gehirns ist …
Das „Ich“ ist wie die phänomenale Welt, in der es agiert, ein Konstrukt des Gehirns (und damit ohne kausale Wirksamkeit, d.h. ohne freien Willen). ...

Die Annahme einer weitgehend unbewussten Steuerung von Handlungen (und mithin der Unfreiheit des Willens) stütz sich auf die Beteiligung des für die Konstituierung von Emotionen zuständigen „limbischen Systems“ an der Handlungsentstehung. Wird in den Arealen des präfrontalen und parietalen Kortex eine Handlung geplant, und werden die entsprechenden Signale an die für die Steuerung der Motorik zuständigen Areale des Kortex geleitet, dann führt das noch nicht zur Handlung. Um diese zu ermöglichen, werden entsprechende Impulse zu den Basalganglien gesendet, die durch die Ausschüttung von Dopamin die Bewegung freigeben. Ob die geplante Bewegung freigeschaltet wird, hängt wiederum von einer Bewertung durch die emotionalen Strukturen des limbischen Systems ab. Hier erfolgt aufgrund bereits gespeicherter und emotional kategorisierter Gedächtnisinhalte eine Einschätzung der Folgen der geplanten Handlung nach dem Prinzip von gut und schlecht. Da das limbische System vollkommen unbewusst arbeitet und dem bewussten Zugriff auch nicht zugänglich ist, kann der vom limbischen System abhängige Wille nicht frei sein. Damit wird zwar nicht bestritten, dass der Mensch einen Willen hat, dessen Freiheit sei jedoch eine Illusion, und das Gefühl des freien Entscheidens beruhe auf einer Täuschung. …

(57f.)
Gegen … reduktionistische Modelle generell richtet sich der Hinweis auf den subjektiven Erlebnisaspekt mentaler Zustände. … Bewusste mentale Zustände sind durch das „Erleben“ bestimmt, „wie es ist, etwas Rotes, Schmerz, Lust etc. wahrzunehmen oder einen Gedanken zu denken.“ Die Erlebnisgehalte, die sogenannten „Qualia“, machen den mentalen Zustand aus. Diese sind in der subjektiven Perspektive erfahrbar, aber nicht naturwissenschaftlich (in der Perspektive des Beobachters) beschreib- oder erklärbar. … Es bleibt eine „Erklärungslücke“. Die Qualia sind als durch physikalische Prozesse realisiert vorzustellen, sie gehen aber nicht in diesen auf. Die Reichweite neurowissenschaftlicher Erklärungsmöglichkeiten ist demnach prinzipiell begrenzt: Man erhält selbst über die vollständige Beschreibung des mit dem mentalen Zustand korrelierten Nervenzustands keine Erkenntnis über den Erlebniszustand, sei es eines anderen Menschen oder eines Tieres. …

Ein Gedanke ist ein Gebilde mit semantischen Eigenschaften. Das heißt, ein Gedanke kann wahr oder falsch sei, richtig oder sinnlos. Hirnzustände können das nicht. Hieran schließt das Argument an, dass Bedeutung ein kulturelles Konstrukt ist, ein Ergebnis von Kommunikation und Übereinkunft zwischen Subjekten, das kulturell tradiert wird, sodass mentale Zustände nicht als rein innere oder individuelle Zustände aufgefasst werden können …

(58f.)
Supervenienztheorie
Die supervenienten mentalen Prozesse sind … abhängig von der physikalischen Basis. Jede Veränderung des Mentalen ist daher von einer Veränderung neuronaler Prozesse getragen. Umgekehrt ist es aber vorstellbar, dass unterschiedliche neuronale Zustände mit einem (gleichen) mentalen Zustand einhergehen. (JKrause: Wenn ich mich wiederholt zu unterschiedliche Zeiten in exakt dem gleichen Denkprozess oder der gleichen Stimmung befinde, ist der Zustand meines Gehirns sicher nicht 1:1 der gleiche).
Damit wird die als zu einfach empfundene Vorstellung der Identität von Geist und Gehirn aufgegeben. Das Mentale wird als eigener Phänomenbereich gedeutet. Von einem physikalischen Zustand kann nicht unmittelbar auf einen mentalen Zustand geschlossen werden …
Mentale Zustände sind kausal wirksam, weil sie mit physikalischen Zuständen identisch sind …

(60ff.)
Allgemein berufen sich Neurowissenschaftler in ihrer Kritik an der Willensfreiheit auf die … Probleme, die Vorstellung mentaler Verursachung mit dem naturwissenschaftlichen Bild einer kausal geschlossenen materiellen Welt in Einklang zu bringen. Zudem ist neurowissenschaftlich kein Ich-Zentrum nachweisbar, das als Instanz und Träger der Willens- und Entscheidungsfreiheit fungieren könnte, und schließlich steht die Tatsache, dass der größte Teil der Hirnprozesse unbewusst verläuft, der Annahme einer bewussten Steuerung entgegen.

Das theoretische Konzept einer vorbewussten (limbischen) Handlungssteuerung stützt sich auf Experimente, die angeblich zeigen, dass Entscheidungen auf neuronaler Ebene unbewusst bereits „getroffen“ sind, bevor sie bewusst als Wille erfahren werden …
(Experimente von Libet 1980er Jahre)
Der empfundene Zeitpunkt der bewussten Entscheidung lag ca. 350 Millisekunden nach der Einleitung der Bewegung (Bereitschaftspotential im Gehirn ist um so viel früher messbar) …
An der Interpretation dieser Ergebnisse als Beweis für die Nichtexistenz eines freien Willens hat es erheblich Kritik gegeben. Zunächst hat Libet selbst einer solchen Interpretation nur mit Einschränkungen zugestimmt, indem er auf die durch sein Experiment ebenfalls plausibel gemachte Möglichkeit der willentlichen Unterbindung der Handlung (im Sinne einer Veto-Funktion) nach Bewusstwerden der Intention hingewiesen hat. Dieser (Veto-)Wille wird von Libet als frei aufgefasst. …

(62)
deterministische These … dass der gesamte Zustand der Welt zu jedem Zeitpunkt festgelegt ist und sich jeder Zustand aus dem vorherigen ergibt. …
Daneben sind Ansätze zu nennen, die die sogenannte „So What?“-Position vertreten („Na und? Was ändert sich denn dadurch?“ JKrause) und bestreiten, dass selbst dann, wenn der Determinismus wahr wäre, dies irgendeine Konsequenz für unser lebensweltliches Verständnis von Handlung und Verantwortung hätte …

(63f.)
Semikompatibilistische Ansätze gestehen den neurobiologischen Determinismus zu und machen die Autorschaft des Handelnden an der Authentizität der Entscheidung fest. Als authentisch kann eine Handlung dann angesehen werden, wenn die Handlungsgründe mit dem lebensgeschichtlichen Hintergrund der Person und ihren Präferenzen übereinstimmen oder wenn eine Person sich selbst die Handlung zuschreiben kann. …
Die Argumentation scheint auch kompatibel mit Immanuel Kants Freiheitsbegriff der Bindung an selbstgesetzte oder anerkannte Gesetze. …
“schwacher Begriff von Willensfreiheit“ … Auch Gerhard Roth verweist darauf, dass unsere Entscheidungen in dem Maße autonom sind, wie sie auf unseren Lebenserfahrungen oder unserem Charakter beruhen. Er sieht aber Charakter und Lebenserfahrung als neuronal „manifestiert“ und damit die Handlung als neuronal determiniert an.

(65)
Freiheitsbegriff bei Kant …
Dieser stimmt der Annahme, dass jedes Ereignis verursacht ist, zu, leitet daraus aber nicht die Unmöglichkeit von Freiheit ab. Dem Menschen steht die Möglichkeit offen, sein Handeln an (technischen, pragmatischen und moralischen) Gesetzen auszurichten. Von Willensfreiheit spricht Kant insofern, als der Handelnde sich diese Gesetze selbst gibt bzw. sich entschließt, diese zur Maxime seines Handelns zu machen, z.B. nicht zu lügen, auch wenn er sich selbst damit schaden könnte. Entscheidend für das Vorliegen von Freiheit ist dabei nicht, ob der Handelnde diesem moralischen Gesetz tatsächlich folgt (oder nicht doch um eines Vorteils willen dem gesetz zuwider handelt). Entscheidend ist das Wissen darum, dass es ihm prinzipiell möglich ist, dem moralischen Gesetz entsprechend zu handeln. …

(66ff.)
Habermas …
stellt dem naturwissenschaftlichen Modell der Kausalität als „Raum der Ursachen“ den „Raum der Gründe“ gegenüber: Menschen handeln auf der Grundlage von Überlegungen, indem sie Gründe erwägen und sich selbst an das Ergebnis ihrer Überlegungen binden. …
Diese Freiheit ist keine unbedingte, sondern bedingt (oder bestimmt) durch den dem Handelnden zur Verfügung stehenden Möglichkeitsraum, der durch „Fähigkeiten, Charakter und Umstände begrenzt“ ist. Diese Bedingungen seines Handelns reflektiert der Handelnde als Gründe und motiviert so seine Entscheidung. In diesem Sinne ist Bedingtheit des Handelns (durch als Gründe erwogene Aspekte der Handlungssituation) geradezu eine Voraussetzung freien Handelns.
Gründe binden den Handelnden durch Überzeugung. …
Habermas sieht hier zwei miteinander unvereinbare Perspektiven auf die Realität am Werk: Die Perspektive des Teilnehmers, in der man sich über die Gründe und Motive des Handelns verständigen kann und damit nachvollzieht, warum der Handelnde so und nicht anders entschieden hat, und die naturwissenschaftliche Beobachterperspektive, die Vorgänge in der Welt nach dem Prinzip von Ursache und Wirkung erklärt, dabei aber „Gründe“ nicht in den Blick nehmen kann, weil diese sozusagen in der naturwissenschaftlichen Sprache nicht abbildbar sind.
Habermas geht von einem methodischen Dualismus dieser beiden nicht aufeinander reduzierbaren Perspektiven aus, nicht von einem Dualismus zweier Substanzen Geist und Materie ...
Zwischen Bedingung und Folge tritt gewissermaßen der Autor der Handlung, der seine Handlung durch Gründe motiviert und der auch wider besseres Wissen handeln kann: „Er muss davon überzeugt sein, das Richtige zu tun, und er muss es auch selber tun“. …
… neurowissenschaftliche Konzepte des Mentalen. Laut Habermas besteht deren Fehler unabhängig von der jeweiligen spezifischen Konzeption schon darin, den Geist immer nur als individuelles Ereignis aufzufassen. Jedes mentale Ereignis … ist aber nur im Kontext soziokulturell ausgebildeter Symbolsysteme und semantischer Bedeutungen zu verstehen. Es ist dieser den Individuen vorgegebene und in historischen Lernprozessen ausgebildete „objektive Geist“, d.h. symbolisch gespeichertes objektives Wissen, in dessen Kontext überhaupt Sinn und Bedeutung zustande kommen. Die Auseinandersetzung des Menschen mit der Physischen Umgebung findet im Medium der nicht individuell, sondern im kognitiven Umgang miteinander ausgebildeten Wahrnehmungsweisen, Deutungsmuster und Werte statt.
(JKrause: manche Entscheidungen werden im Gespräch mit einem anderen, von draußen hinzutretenden, ICH vorgedacht, abgewogen – wie ist es hier mit den lückenlosen Kausalketten?)
… Vorstellung von einer „kulturellen Programmierung individueller Gehirne“ entscheidend …

(70)
(im strengen deterministischen Verständnis) müsste der Begriff des Entscheidens gleichgesetzt werden mit einer chemisch-physikalischen Reaktion – so als habe sich Eisen beim Vorliegen bestimmter Bedingungen (Vorhandensein von Sauerstoff und Feuchtigkeit) „entschlossen“ zu rosten

(180)
Fazit und Ausblick …
bleiben Thesen etwa zum illusionären Charakter lebensweltlicher Vorstellungen von Willensfreiheit … bisher empirisch und theoretisch unzureichend fundiert. Darüber, ob und wie sich mentale Prozesse kausal neurowissenschaftlich erklären lassen und sich Kultur sozusagen auf Natur zurückführen lässt, kann bis heute nur spekuliert werden. Wissenschaftlich unbestritten ist, dass der Geist im Gehirn durch neuronale Prozesse realisiert wird und dass es keine davon unterschiedene geistige Substanz gibt.

(Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag; Hennen, Grünwald, Revermann und Sauter: „Hirnforschung“, Endbericht zum TA-Projekt, Arbeitsbericht Nr. 117, April 2007, A4 - 204 Seiten;
Bestelladresse: TAB, Neue Schönhauser Straße 10, 10178 Berlin, buero@tab.fzk.de)

·         Gehirn und Nerven sind im Alter von 39 Jahren am reaktionsschnellsten; Schuld am Abbau ist der schrittweise Verlust der Ummantelung der Nervenfasern, der so genannten Myelinscheiden. Diese Hülle dient als Isolierung bei der Signalweiterleitung. Die Myelinschicht wird bis zum Alter von 39 Jahren immer dichter und die Weiterleitung schneller
(Der Spiegel 45/2008 S.145)

·         US-Forscher; Probanden verschiedener Religionen sollten im Kernspintomografen über religiöse Probleme sinnieren; erhöhte Aktivität in (verschiedenen) Hirnarealen, die gemeinhin genutzt werden, um sich in andere hineinzuversetzen; es gibt keinen bestimmten Platz für Gott im Gehirn; das Gehirn sei zwanghaft darin, für alles eine Erklärung zu suchen
(Der Spiegel 12-2009 S.120)

·         Ich glaube nicht an die Freiheit des Willens. Schopenhauers Wort „Der Mensch kann wohl tun, was er will, aber er kann nicht wollen, was er will“, begleitet mich in allen Lebenslagen und versöhnt mich mit den Handlungen der Menschen, auch wenn sie mir recht schmerzlich sind. Diese Erkenntnis von der Unfreiheit des Willens schützt mich davor, mich selbst und die Mitmenschen als handelnde und urteilende Individuen allzu ernst zu nehmen und den guten Humor zu verlieren.
(Albert Einstein, in „Mein Glaubensbekenntnis“)


Der freie Wille: Vor der Vernunft ist er nicht zu erweisen, aber doch muss man ihn fordern, sonst hört alle Selbstverantwortung auf.
(Wilhelm Busch, in „Spruchweisheiten und Gedichte“)


Wir klagen die Natur nicht als unmoralisch an, wenn sie uns ein Donnerwetter schickt und uns nass macht: Warum nennen wir einen Menschen unmoralisch? Weil wir hier einen willkürlich waltenden, freien Willen, dort Notwendigkeit annehmen. Aber diese Unterscheidung ist ein Irrtum.
(Friedrich Nietzsche, in „Menschliches, Allzumenschliches“)


Wäre der Wille eines jeden Menschen frei, das heißt, könnte jeder Mensch so handeln, wie er gerade will, dann würde die Geschichte aus einer Reihe von zusammenhanglosen Zufälligkeiten bestehen.
(Leo Tolstoi, in „Krieg und Frieden)

Hören wir auf, von Freiheit zu reden. Reden wir von Motiven.
(Klaus Jürgen Grün)

(Freie Presse Chemnitz, 2.1.2009 S.B2)


·         Vater unser im Himmel
Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit
in Ewigkeit.
Amen.

·         Um die Grenzen bildgebender Verfahren in der Medizin aufzuzeigen, hat Craig Bennet von der University of California einen toten Lachs in einen Tomografen gesteckt. um mittels fMRT dessen Hirnaktivitäten zu messen. Streng nach den Regeln des Verfahrens zeigte er dem toten Fisch in der Röhre Fotos unterschiedlicher Menschen und befragte ihn zu seinen Gefühlen. Die Scans des Fischhirns hätte man tatsächlich als emotionale Reaktion des – toten – Fischs interpretieren können. Der Autor warnt vor falsch positiven Ergebnissen der Hirnscans.
(Die Zeit, 24.9.09 S.46)

·         das menschliche Gehirn besteht aus 100 Milliarden Nervenzellen mit 100 Billionen Synapsen;
Nervenzellen in der Großhirnrinde besonders intensiv verdrahtet: jede Zelle verfügt dort über etwa 20.000 Synapsen;
Nervenzellen verbrauchen extrem viel Energie; Zentralnervensystem des Menschen macht nur 2% seiner Körpermasse aus, verbraucht aber 18% des Sauerstoffs im Blut;
die Behauptung, wir würden nur 10% unseres Gehirns nutzen, ist Unsinn. Es gibt nicht den geringsten Beleg, dass an diesem Gerücht etwas wahr sein könnte
(bild der wissenschaft 10-2009 S.22ff)

·         Gliazellen sind mindestens zehnmal so häufig wie Nervenzellen, galten lange als unwichtig (glia = Leim, Nervenkitt, der die Neuronen zusammenhält und sie mit Nährstoffen versorgt);
inzwischen gibt es kaum noch Zweifel, dass die Glia-Zellen am Informationsaustausch nicht nur beteiligt sind, sondern sogar die Rolle des Dirigenten im Nervenzell-Orchester übernehmen, auch bei so wichtigen Hirnfunktionen wie Lernen und Erinnern. Die neuronenfixierten Modellvorstellungen zur Funktionsweise des Gehirns lassen sich nicht mehr aufrechterhalten;
drei Arten von Gliazellen:
a) Mikrogliazellen, mit Immunzellen verwandt, greifen als „aktive Wächter“ ein, um kleine Blutungen zu stillen, abgestorbenes Zellmaterial abzutransportieren;
b) Oligodendrozyten, bilden das Myelin, das wie eine Kabelhülle die Nervenfasern isoliert;
Astrozyten (Name vom sternförmigen Äußeren abgeleitet) sind mit einem Anteil von 80% die häufigste Gliazellklasse; sie steuern den Informationsaustausch am synaptischen Spalt zwischen zwei Neuronen, schütten Botenstoffe aus (D-Serin und Glutamat); eine einzige dieser Zellen kann bis zu 140.000 Synapsen beeinflussen; manche A. können sich sogar zu Nervenzellen umwandeln
(bild der wissenschaft 9-2008 S.20ff)

·         das menschliche Gehirn besteht aus 100 Milliarden Nervenzellen mit 100 Billionen Synapsen;
in der Großhirnrinde verfügt jede Zelle sogar über 20.000 Synapsen, durch die sie mit anderen Neuronen verknüpft ist;
obwohl das Gehirn bei einem erwachsenen Menschen nur 2% der Körpermasse ausmacht, verbraucht es 18% des im Blut transportierten Sauerstoffs;
Die Behauptung, wir nützten nur 10% unseres Gehirns, ist Unsinn, es gibt nicht den geringsten Beleg dafür
(bild der wissenschaft 10/2009 S.22)

·         Evangelisches Gesangbuch Lied Nr. 341, Vers 3 (Text: Martin Luther 1523):
“Mein guten Werk, die galten nicht,
es war mit ihn´ verdorben;
der frei Will hasste Gotts Gericht,
er war zum Gutn erstorben;
die Angst mich zu verzweifeln trieb,
dass nichts denn Sterben bei mir blieb,
zur Höllen musst ich sinken.“

·         S.12 zu Gen.1,27 (Gott schuf den Menschen):
ein chassidischer Weiser lehrt, dass wir nach der Erschaffung des Menschen nicht die Worte „und Gott sah, dass es gut war“, wie bei der Schöpfung der anderen Lebewesen finden.
Dem Menschen ist die Willensfreiheit verliehen, er ist der Selbstentfaltung fähig, daher musste Gott erst sehen, wie sich der Mensch entwickeln würde, ehe er gut genannt werden konnte;
S.21f. zu Gen2,17 (Du sollst du nicht essen vom Baum der Erkenntnis …):
das heiligste Privileg des Menschen ist die Willensfreiheit, die Fähigkeit, vor seinem Schöpfer gehorsam oder ungehorsam zu sein;
(Pentateuch und Haftaroth, Hebräischer Text und deutsche Übersetzung mit Kommentar von Dr. Joseph Herman Hertz; 1. Band: Genesis; Verlag Morascha Basel/Zürich 1995)

·         (103) Der freie Wille
Das Kapitel enthält einen Vers (Dtn.5,29), der im Laufe der Zeit ein Beleg für die Lehre vom freien Willen des Menschen wurde. (Gott sagt: „Wenn dieser Sinn nur bei ihnen beständig bliebe, mich zu fürchten und alle meine Gebote jederzeit zu halten, damit es ihnen und ihren Nachkommen beständig wohl ergehen möge.“). Mosche verkündigt einen Gott, der darauf hofft, dass Israel ihn stets achten und seinen Geboten folgen würde. Dies setzt offensichtlich voraus, dass Gott nicht weiß, ob Israel seinen Willen tun wird oder nicht, denn Israel ist – wie die gesamte Menschheit – darin frei, zu gehorchen oder nicht. … Gott kann Israel nicht zwingen, den richtigen Weg zu gehen … Er mag in allen anderen Dingen allwissend sein, aber er kann nicht bestimmen, welche Entscheidungen die Menschen treffen werden
(165) Dtn.11,26: Ich lege euch vor Segen oder Fluch (Bestätigung der Wahlfreiheit)
(Die Tora in jüdischer Auslegung, herausgegeben von W. Gunther Plaut, Band 5) 

·         Christian Keysers, Netherland Institute for Neuroscience , Amsterdam:
“ICH ist der Teil, den ich über meine Sinne spüre und den ich kontrollieren kann.“
Uwe Herwig, Chefarzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich:
“Als ICH kann der Teil meines Selbst bezeichnet werden, der dem Bewusstsein zugänglich ist. Das ICH denkt bewusst, drückt sich verbal aus und hilft mir bei einer gezielten Darstellung nach außen.“ …
Sigmund Freud: Er verglich das ES mit einem Pferd und das Bewusstsein (ICH) mit dessen Reiter, der die Kraft des Pferdes zügelt. Anders ausgedrückt: Das ES liefert unbewusste Motivationen, welche das ICH kanalisiert.
Stefan Schimmel, FHS Münster:
“Heute nehmen Hirnforscher an, dass der Reiter sich lediglich die Intention des Tieres zu eigen macht. Der Reiter glaubt, dass er bestimmt, wohin das Pferd läuft. In Wirklichkeit gibt jedoch das Tier die Richtung vor.“ Dem Unbewussten wird somit im heutigen Verständnis eine größere Rolle zugesprochen als bei Freud.
(bild der wissenschaft 12-2010 S.72f.)

·         (25) Ich bin weder total von meiner Erbmasse oder meinem Unbewussten vorprogrammiert noch total von meiner Umwelt konditioniert. Ich bin, in Grenzen, frei. Allen überzogenen Argumenten von Hirnphysiologen zum Trotz: Ich bin weder ein Tier noch ein Roboter. In den Grenzen des Angeborenen und des Umweltbestimmten bin ich frei im Sinne von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung. Zugegeben: ich kann diese Wahl- und Entscheidungsfreiheit nicht theoretisch beweisen. Aber ich kann sie jederzeit praktisch unmittelbar erfahren, wann immer ich will: Ich kann jetzt schweigen – nein, ich will reden – oder soll ich doch lieber schweigen? Ich könnte also auch anders. Ich mache es jetzt anders. Eine Erfahrung nicht nur des Tuns, sondern auch des Lassens.
(Hans Küng: Was ich glaube, Piper, München, 2009)

·         (S.516) Alles fließt
Steve Grand: „Denken Sie an ein Kindheitserlebnis. An etwas, woran Sie sich deutlich erinnern können, das Sie sehen, spüren, vielleicht sogar riechen können, als wären Sie wirklich dort. Schließlich waren Sie doch damals wirklich dabei, oder? Wie sollten Sie sich sonst daran erinnern? Aber jetzt kommt´s: Sie waren NICHT dabei. Kein einziges Atom, das jetzt zu Ihrem Körper gehört, war schon dabei, als das Ereignis stattfand. … Die Materie fliegt von Ort zu Ort und findet sich vorübergehend zusammen – das sind dann SIE. Was Sie also auch sind, Sie sind nicht die Materie, aus der Sie bestehen. Wenn Ihnen das nicht die Haare zu Berge stehen lässt, dann lesen Sie den Passus noch einmal, so lange, bis die Haare zu Berge stehen, denn es ist wichtig.“
(im Laufe eines Jahres werden etwa 90% der Zellen des menschlichen Körpers ausgetauscht; nur Nervenzellen existieren praktisch lebenslang JK)
(Richard Dawkins: Der Gotteswahn, Ullstein Taschenbuch, Berlin 2008)

·         HIRNSCANS UNTER BESCHUSS
Von den bunten Bildern haben sich viele Forscher grundlegend neue Einsichten in den menschlichen Geist versprochen. Doch jetzt macht sich Ernüchterung breit.;
Allerdings geht im Kopf, der Dunkelkammer des Geistes, nicht wirklich ein Licht auf. Und die Hirnscans messen auch nicht die Hirnaktivität direkt, sondern vielmehr die Durchblutung – genauer: das BOLD-Signal (blood oxygen level dependent). Es beruht darauf, dass sauerstoffreiches Hämoglobin etwas andere magnetische Eigenschaften hat als sauerstoffarmes. Da aktive Hirnbereiche stärker durchblutet sind, fällt dort das BOLD-Signal deutlicher aus.;
Trotzdem ist die Methode weit davon entfernt, ein präzises Abbild der Aktivitäten des Gehirns zu geben – geschweige denn des Geistes. Denn sowohl die räumliche als auch die zeitliche Auflösung ist auf ein paar Millimeter und Sekunden begrenzt.;
Bei den fMRT-Messungen wird das Gehirn in mehr als 100 000 winzige Würfel von jeweils wenigen Millimetern Kantenlänge unterteilt. Jedem dieser „Voxel“ (dreidimensionalen Pixel) kommt ein Messwert zu. Ein typisches Voxel von 55 Kubikmillimeter Volumen enthält rund 5,5 Millionen Nervenzellen mit mehr als 100 Kilometern Nervenfasern, die über einige Milliarden Synapsen (Kontaktstellen) miteinander verbunden sind.
Zwar hat sich die Genauigkeit in den letzten 20 Jahren von vier bis fünf Millimeter Voxel-Kantenlänge auf inzwischen teils unter einen Millimeter verbessert (bei den neuen Hochfeldscannern mit besonders starken Magnetfeldern). Trotzdem ist, aus zellbiologischer Perspektive, die Auflösung schlechter als das, was ein kurzsichtiger Mensch von den Häuserfassaden erkennen kann, wenn er ohne Brille eine Sightseeing-Fahrt durch die Grachten Amsterdams macht.;
Und die Scan-Methode hat noch mehr Restriktionen:
+ Der Blutfluss korreliert nicht mit den elektrischen Signalen in Nervenzellen, sondern mit der Freisetzung von Botenstoffen, denn diese synaptische Aktivität benötigt viel mehr Energie. Und die Botenstoffe erregen nicht immer die „nachgeschalteten“ Zellen, sondern hemmen sie auch manchmal.
+ Es ist keine absolute Quantifizierung oder Eichung der BOLD-Signale möglich. Letztlich wird nur der Unterschied zwischen einer bestimmten Tätigkeit einer Person und einer Kontrollbedingung gemessen. Das macht den Vergleich verschiedener Menschen schwierig.
+ Der störende Einfluss externer Faktoren ist ebenfalls schwer abzuschätzen – von einer Tasse Kaffee vor dem Experiment bis hin zu dem hämmernden Lärm und der klaustrophoben Enge in der Röhre des Scanners.;
Und es geht mal wieder ums Geld: „Die Kosten eines Scans einer einzigen Person entsprechen oft denen einer kompletten verhaltenspsychologischen Studie – und dabei sind Gerät und Personal noch nicht gerechnet. Daraus lässt sich leicht abschätzen, wie viele Verhaltensstudien uns der Hang zur neurowissenschaftlichen Instrumentierung Jahr für Jahr kostet“, ärgert sich Hommel.
(bild der wissenschaft 5-2012 S.90ff)

·         (55) Willensfreiheit. …
Der gewaltige Kampf zwischen Deterministen und Indeterministen, zwischen den Gegnern und den Anhängern der Willensfreiheit, ist heute, nach mehr als zwei Jahrtausenden, endgültig zugunsten der ersteren entschieden. Der menschliche Wille ist ebensowenig frei als derjenige der höheren Tiere, von welchem er sich nur dem Grade, nicht der Art nach unterscheidet. Während noch im achtzehnten Jahrhundert das alte Dogma von der Willensfreiheit wesentlich mit allgemeinen, philosophischen und kosmologischen Gründen bestritten wurde, hat uns dagegen das neunzehnte Jahrhundert ganz andere Waffen zu dessen definitiver Widerlegung geschenkt, die gewaltigen Waffen, welche wir dem Arsenal der vergleichenden Physiologie und Entwicklungsgeschichte verdanken. Wir wissen jetzt, daß jeder Willensakt ebenso durch die Organisation des wollenden Individuums bestimmt und ebenso von den jeweiligen Bedingungen der umgebenden Außenwelt abhängig ist wie jede andere Seelentätigkeit. Der Charakter des Strebens ist von vornherein durch die Vererbung von Eltern und Voreltern bedingt; der Entschluß zum jedesmaligen Handeln wird durch die Anpassung an die momentanen Umstände gegeben, wobei das stärkste Motiv den Ausschlag gibt, entsprechend den Gesetzen, welche die Statistik der Gemütsbewegungen bestimmen.
(Ernst Haeckel: Die Welträthsel, Volksausgabe, Alfred Kröner Verlag Stuttgart, 1899-1903)

·         »Das Ich ist ein Sammelsurium«, doziert unser Chauffeur. »Es entsteht aus all den Erfahrungen, die wir im Laufe unseres Lebens machen, wird also im wahrsten Sinne des Wortes gebildet Während wir noch über diese treffende Diagnose staunen, schiebt der Mann gelassen nach: »Und das Ich drückt sich durch sein Interesse aus. Wissen Sie, ich erlebe in meinem Wagen ja die unterschiedlichsten Typen – vom Professor bis zum Zuhälter. Aber eines haben alle gemeinsam: Jeder hat mindestens ein Interesse;
Als Arzt am Universitätsklinikum Genf hat er immer wieder mit Patienten zu tun, die infolge eines Hirnschadens plötzlich ein drastisch verändertes Körpergefühl haben: Manche klagen etwa darüber, dass ihr linker Arm nicht mehr zu ihnen gehöre und ihnen fremd sei. Andere fühlen sich gänzlich im falschen Körper verortet und räumlich desorientiert. Und dann war da noch jene Epilepsie-Patientin, bei der Blanke vor einigen Jahren mit feinen Elektroden verschiedene Hirnareale stimulierte – und dadurch eine unerwartete Körpererfahrung auslöste: Plötzlich hatte die Frau das Gefühl, ihren Körper zu verlassen. »Ich fühle mich leicht und schwebe in etwa zwei Meter Höhe«, berichtete die 43-jährige Patientin. »Unten sehe ich meinen Körper auf dem Bett liegen Als Blanke die Elektrode deaktivierte, hörte das Phänomen schlagartig auf; als er den Stromfluss wieder einschaltete, meinte die Frau prompt wieder abzuheben. Ohne es zu wollen, hatte der Neurologe eine Out-of-Body-Erfahrung ausgelöst.
Jahrhundertelang galten solche »außerkörperlichen« Erlebnisse als Hinweis auf die Existenz einer Seele. Zugleich schienen sie ein schlagender Beweis für den sogenannten Dualismus zu sein, dem zufolge Körper und Geist getrennten Sphären angehören. Am deutlichsten hat diese These im 17. Jahrhundert der Philosoph René Descartes formuliert: Für ihn war die res extensa, die »ausgedehnte Körpersubstanz«, streng verschieden von der res cogitans, der »ausdehnungslosen denkenden Substanz« – eine Theorie, die ihn zu seinem berühmten Diktum »cogito, ergo sum« (Ich denke, also bin ich) führte.
steht in seinem Labor ein ganzes Arsenal teils bizarr anmutender Gerätschaften: Gummihände, um Handillusionen zu produzieren; Kameras und Projektoren zur Erzeugung virtueller Realitäten; ein Drehstuhl, wie er im Astronautentraining genutzt wird. Auf Letzterem kann man erfahren, wie ungenau der Gleichgewichtssinn arbeitet. Wird man in einer Dunkelkammer mit konstanter Geschwindigkeit gedreht, hat man bald das Gefühl, stillzustehen. Denn das Gleichgewichtsorgan kann offenbar nur Beschleunigungen erkennen, jedoch keine konstanten Drehbewegungen. Wird man nach einiger Zeit abgebremst, hat man sogar das Gefühl, sich in die Gegenrichtung zu drehen. Und wenn nach dem Stillstand das Licht angeht, erzeugt das Gehirn die Illusion, die Wände drehten sich. Auch hier versucht unser Denkorgan, alle Sinnesinformationen zu einem stimmigen Bild zusammenzufügen – auch wenn es dabei offensichtlichen Unsinn produziert.
(ZEIT Wissen 2-2012 S.14ff)

·         Hirnforscher wollen den Schaltplan aller 100 Milliarden Nervenzellen kartieren. Kann das gelingen? Es lockt ein großer Preis: das Verständnis des Bewusstseins, die Enträtselung seelischer Krankheit - und womöglich die Unsterblichkeit.;
Das Universum im Kopf: 100 Milliarden Nervenzellen, Zahl der Nervenverbindungen liegt nochmals 1000fach höher; aneinandergereiht ergäben sie ein Kabel von 5 Millionen Kilometer Länge;
Zwar boomen die Neurowissenschaften wie kaum eine andere Disziplin. Die Bilanz aber fällt in zweierlei Hinsicht ernüchternd aus: Zum einen bleibt die philosophische Frage, die aller Hirnforschung zugrunde liegt, weiterhin ungelöst. Spätestens seit René Descartes seinen berühmten Lehrsatz "Ich denke, also bin ich" formulierte, arbeiten sich Forscher daran ab, das Verhältnis von Geist und Körper zu verstehen. Und doch vermag bis heute niemand zu erklären, wieso einem Klumpen aus anderthalb Kilogramm Eiweiß und Fett ein immaterielles Fluidum entströmen kann: die Gedanken. Anders ausgedrückt: Unklar bleibt, wie aus Materie Geist entsteht.;
"Eine einzelne Zelle wird niemals fähig zu verständigem Handeln sein", erklärt er. Erst indem sie miteinander verschaltet werden, gehe aus bloßen elektrischen Impulsen ein Geist, eine Persönlichkeit, ein denkendes, empfindendes Ich hervor.
"Connectome" lautet das Schlagwort. Es bezeichnet die Gesamtheit aller Verdrahtungen im Gehirn. "Die gilt es zu kartieren", erklärt der Heidelberger Forscher Winfried Denk, der seinen Kollegen Helmstädter in der Kunst der Hirnvermessung ausgebildet hat.
Denk skizziert damit ein Vorhaben abenteuerlicher Dimension: Bisher haben die Forscher erst das Connectome eines einzigen Organismus vollständig erfasst: von Caenorhabditis elegans, einem etwa einen Millimeter langen Fadenwurm. Zelle für Zelle hat das Team um den britischen Nobelpreisträger Sydney Brenner alle 302 Neuronen dieses Tiers vermessen. Zwölf Jahre dauerte die Tüftelei.
Um wie viel schwieriger wird es erst sein, dieselbe Aufgabe im Fall des Homo sapiens zu bewältigen! Gut fünf Millionen Kilometer misst die Gesamtlänge aller Nervenärmchen unter der menschlichen Schädeldecke. Wie soll es da gelingen, jedes einzelne von ihnen durch das neuronale Labyrinth zu verfolgen?
Auf zwei verschiedenen Wegen packen die Forscher jetzt dieses ehrgeizige Ziel an. Zum einen hat die US-Regierung vor zwei Jahren 40 Millionen Dollar für das "Human Connectome Project" bereitgestellt. Ziel ist es, mit Hilfe moderner Tomografen einen Atlas des zentralen Nervensystems zu erstellen, eine Art groben Schaltplan des menschlichen Denkorgans.;
Gerade erst hat die Auswertung begonnen, Wedeen jedoch ist viel zu ungeduldig, als dass er nicht schon seine Deutungen parat hätte. Vor allem die regelmäßige Gitterstruktur begeistert ihn: "Da dachten die Leute immer, die Nervenbahnen seien verknäult wie gekochte Spaghetti. Und stattdessen jetzt das hier!", sagt er und zoomt in einen Knotenpunkt des Neuronetzes hinein: "Alles brav in rechten Winkeln angeordnet."
Eigentlich sei das auch gar nicht so erstaunlich, meint Wedeen. "Stellen Sie sich vor: Rund 100 Milliarden Nervenzellen sind in unserem Kopf verschaltet, und jede davon bildet 1000 Synapsen. Wie soll das gehen, gesteuert von nur ein paar tausend Genen?" Das könne doch nur klappen, wenn alles nach einfachen Regeln vor sich geht.;
Über all diese Fragen hat Sebastian Seung ein Buch geschrieben, eine Art Manifest seiner noch jungen Fachdisziplin(*). Seine zentrale These: In der Gesamtheit aller neuronalen Verknüpfungen ist das Geheimnis der menschlichen Individualität verborgen. Alle Erinnerungen und Empfindungen, alle Ängste, Sehnsüchte und Eigenheiten eines Menschen sind hier versteckt. "Du bist dein Connectome": So lautet die kurze Formel, auf die Seung sein Credo bringt.
(*) Sebastian Seung: "Connectome". Houghton Mifflin, Boston; 384 Seiten; 26,99 Euro.
(Der Spiegel 50-2012 S.122ff. - http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-90049001.html )

·         Was wurde aus den Verheißungen der Hirnforschung? Wissenschaftler ziehen Bilanz. Sie fällt dürftig aus;
wo steht die Neurowissenschaft heute, zehn Jahre nach jenem berühmten "Manifest" der Hirnforscher, das 2004 für Aufsehen sorgte? Damals skizzierten elf führende Vertreter – darunter Gerhard Roth, Wolf Singer und Christian Elger – den Stand und die Aussichten ihrer Disziplin; der Ton oszillierte dabei zwischen Demut und Großspurigkeit.;
Zehn Jahre später ist klar: Von all dem ist nichts eingetreten. Von einem echten Verständnis der Ursachen der Alzheimer-Demenz sind wir so weit entfernt wie 2004, Therapien zur Verhinderung oder Heilung der Krankheit sind bis heute nicht verfügbar; auch die behauptete Revolution in der Therapie psychischer Störungen blieb bislang aus, neue "hocheffektive und nebenwirkungsarme" Medikamente waren pures Wunschdenken.
Zum zehnten Jahrestag des Manifests hat daher eine Gruppe von Neurobiologen, Psychiatern, Psychologen und Philosophen eine Art Gegenmanifest verfasst, ein Memorandum "Reflexive Neurowissenschaft", das scharf mit dem damaligen Papier ins Gericht geht. Die Bilanz falle enttäuschend aus, "eine Annäherung an gesetzte Ziele ist nicht in Sicht", schreiben die Forscher um den Psychiater und Neurologen Felix Tretter, Chefarzt am Isar-Amper-Klinikum München-Ost.;
Genau das aber hatten die Hirnforscher 2004 in Aussicht gestellt. In den nächsten 20 bis 30 Jahren werde man "widerspruchsfrei Geist, Bewusstsein, Gefühle, Willensakte und Handlungsfreiheit als natürliche Vorgänge ansehen, denn sie beruhen auf biologischen Prozessen". Dieser Satz klang so, als wüssten die Neurowissenschaftler bereits, wie man Geist, Bewusstsein et cetera alleine aus biologischen Vorgängen heraus erklären kann. Davon kann jedoch bis heute keine Rede sein.
Inzwischen muss man diesen Satz wohl so lesen, dass Gedanken und Gefühle auch auf biologischen Prozessen beruhen – was allerdings eine ziemlich banale Erkenntnis ist. Denn "in einem sehr trivialen Sinne", schreiben die Kritiker um Tretter, würden ja "alle menschlichen Leistungen ›auf biologischen Prozessen beruhen‹, denn man muss zum Beispiel atmen, um etwas zu leisten, woraus jedoch nicht folgt, dass alle menschlichen Leistungen als Atmung ›angesehen‹ werden können". Die Autoren des Manifests hätten hier notwendige und hinreichende Bedingungen vermischt.
Die Gegenposition formuliert am provokativsten der Psychiater Thomas Fuchs aus Heidelberg: "Das Gehirn allein denkt gar nicht", sagt Fuchs. Es sei "immer die ganze Person, die etwas wahrnimmt, überlegt, entscheidet, sich erinnert und so weiter, und nicht ein Neuron oder ein Cluster von Molekülen". Deshalb lasse sich menschliches Denken und Verhalten nur erklären, wenn man den ganzen Organismus und dessen Umwelt betrachte – womit auch kulturelle, soziale und moralische Dimensionen mit ins Spiel kommen.;
(Die Zeit 20.2.14 S.38 - http://www.zeit.de/2014/09/hirnforschung-memorandum-reflexible-neurowissenschaft )

·         Ein Freiburger Forscherteam hat Libets Experiment wiederholt. Es deutet das Ergebnis anders. Was Libet im Gehirn maß, war nicht der Entschluss selbst, sondern lediglich ein „Bereitschaftspotenzial“, das einen Entschluss wahrscheinlich macht. Einer der Versuchspersonen im Freiburger Experiment, einem Meditationsmeister, gelang es, die Messgeräte auszutricksen. Er konnte das Nervensignal in seinem Kopf identifizieren und die im Experiment geforderte Handbewegung dann machen, wenn das Gehirnsig­nal nicht messbar war.
(Chrismon 9-2016 S.31 http://chrismon.evangelisch.de/artikel/2016/32609/hat-der-mensch-einen-freien-willen )

·         Keinen Kobold im Kopf
Mit seinen historischen Experimenten schaffte der Neurologe Lüder Deecke scheinbar den freien Willen ab. Er selbst hält dies für ein zynisches Missverständnis.
 … Experimente in Freiburg 1964 … „Bereitschaftspotenzial“ … 1,2 Sekunden vor der Fingerkrümmung … Libet hatte eigenartige Vorstellungen von dem Begriff … Am Ende bin ich es noch immer selbst, der eine Handlung plant ausführt …
(Der Spiegel 34-2016 S.104 https://magazin.spiegel.de/SP/2016/34/146389769/index.html )

·         HIRN­FORSCHUNG
Der freie Un-Wille
Seit Langem gilt der freie Wille vielen Gelehrten nur noch als Illusion. Nun aber zeigen Experimente Berliner Neurowissenschaftler: Das Bewusstsein ist imstande, unbewusst eingeleitete Handlungen zu stoppen. …
was John Dylan Haynes, Leiter am Bernstein Center for for Computational Neuroscience, mithilfe der zwölf Testpersonen dabei herausgefunden hat, ist höchst erstaunlich.
Der Versuch läuft ab wie bei einem Computerspiel. Der Proband sitzt vor einem Bildschirm, auf dem ein grünes Licht leuchtet. Die Ampel signalisiert: freie Fahrt. Auf dem Boden vor ihm steht ein Fußschalter, ziemlich genau dort, wo sich im Auto das Gaspedal befindet.
Mithilfe einer Elektrodenkappe, welche die Testperson auf dem Kopf trägt, werden ihre Hirnströme gemessen. Dadurch erkennt der Computer sofort, wenn der Proband sich aufs Gasgeben vorbereitet. Denn in diesem Fall entsteht in seinem Kopf ein verräterisches elektrisches Muster, wie Hirnforscher bereits vor einigen Jahren herausgefunden haben. Die Wissenschaftler sprechen von einem sogenannten Bereitschaftspotenzial.
Sobald die Elektroden ein solches Hirnmuster messen, schaltet die Bildschirmampel augenblicklich auf Rot. Gibt die Testperson trotzdem Gas, verliert sie diese Spielrunde. Am Anfang sind die Probanden deshalb arg frustriert. Ihre Gegner sind sie selbst, und Runde um Runde verlieren sie den Wettkampf gegen sich selbst.
Doch nach und nach lernen die Probanden, den eigenen Hirnströmen ein Schnippchen zu schlagen. Sobald sie den Drang verspüren, Gas zu geben, stoppen sie diesen Impuls mit einer bewussten Willensentscheidung….
„Frühere Studien haben gezeigt, dass jeder bewussten Handlung ein unbewusstes Hirnsignal vorausgeht - was viele Experten voreilig so interpretierten, dass der freie Wille eine Illusion sei“, sagt Haynes, ein freundlicher Herr von Mitte vierzig, der sich sein Labor mit Psychiatern teilt. „Wir konnten jetzt zeigen, dass es möglich ist, eine unbewusst angebahnte Handlung durch ein bewusstes Veto willentlich zu stoppen.“ …
Gemeinsam mit seinem Doktoranden Matthias Schultze-Kraft hat Haynes die Ergebnisse jetzt in dem Fachjournal „Proceedings of the National Academy of Sciences“ veröffentlicht. Die spannenden Befunde könnte der Debatte um den freien Willen eine neue Wendung geben. …
Dank neuer bildgebender Verfahren gelangen Haynes im Jahr 2008 noch erstaunlichere Resultate als Libet. Der Berliner Forscher schob Versuchspersonen in die tonnenschwere Röhre eines Magnetresonanztomografen (MRT). Dann ließ er sie frei entscheiden, ob sie mit dem rechten oder dem linken Zeigefinger einen Knopf drücken wollten. Bis zu sieben Sekunden bevor sie ihre Entscheidung trafen, konnte Haynes bereits anhand der Durchblutungsmuster im MRT Vorhersagen, welchen Knopf sie drücken würden.
„Lange bevor unser Bewusstsein anspringt, werden unsere Entscheidungen schon unterbewusst vorentschieden“, erklärte Haynes seinerzeit. „Es scheint so zu sein, dass das Gehirn eine Entscheidung trifft vor der Person selbst.“ …
Zeit seines Lebens missfiel es Libet selbst, dass seine Experimente so interpretiert wurden, als ob er den freien Willen widerlegt hätte. Schon früh ersann er daher eine Art Hintertürchen für das freie Denken: Wenn wir schon keine volle Kontrolle über unsere Impulse haben, so argumentierte er, könnten wir sie doch zumindest stoppen oder umlenken.
Die Veto-Freiheit -  auch das ist ein Ergebnis der Haynes-Experimente - endet rund eine Fünftelsekunde vor der jeweiligen Handlung, danach lässt sie sich nicht mehr stoppen …
(Der Spiegel 15-2016 S.95 https://magazin.spiegel.de/SP/2016/15/144021694/index.html )

·         Das eingebildete Leben
Erstaunlich leicht gelingt es, Menschen falsche Erinnerungen einzupflanzen – sogar an Straftaten, die sie nie begangen haben. Experimente zeigen: Erinnern ist ein sozialer Prozess. Fast jedes Gespräch über die Vergangenheit verändert das Gedächtnis. …
Die junge Frau ist auf ein Experiment hereingefallen. Die Londoner Psychologin Julia Shaw hat ihr eine falsche Erinnerung eingepflanzt. Shaw wollte herausfinden, ob unbescholtene Leute sich einreden lassen, sie hätten in ihrer frühen Jugend eine Straftat begangen.
Der denkwürdige Versuch ereignete sich an der kanadischen University of British Columbia. Vom wahren Zweck ahnten die Teilnehmer – Durchschnittsalter: 20 Jahre – nichts. Sie glaubten, sie sollten versuchen, verschüttete Erinnerungen auszugraben. Alle hatten, wie die Eltern versicherten, noch nie mit der Polizei zu tun gehabt.
Am Ende legten 21 von 30 Probanden Geständnisse ab. Der Reihe nach bekannten sie sich zu Diebstählen oder tätlichen Angriffen mit und ohne Waffengewalt. "Es war erstaunlich", sagt Shaw, "wie leicht das ging."
Auch in anderen Experimenten haben Gedächtnisforscher vorgeführt, wie anfällig Menschen für falsche Erinnerungen sind. Probanden ließen sich zum Beispiel bereitwillig weismachen, sie seien als Kind
mal in einem Heißluftballon geflogen. Man musste den Leuten nur gefälschte Fotos von dem Abenteuer vorlegen, und so mancher fing dann bald an zu erzählen, was er damals erlebt hat.
Aber Shaws Experiment treibt das Spiel mit den Fiktionen auf die Spitze: Noch niemand vor ihr hat es vermocht, dass 70 Prozent der Teilnehmer sich selbst einer Straftat bezichtigen.
Zuerst leugneten natürlich alle Beschuldigten. Die Forscherin aber, stets freundlich, belehrte ihre Probanden, sie verfüge über beste Quellen: vor allem einen Fragebogen, ausgefüllt von den Eltern. Da sei von einem Vorfall im Alter zwischen 11 und 14 die Rede, die Polizei habe eingreifen müssen. Mehr könne sie nicht sagen. …
Erinnerungen, so zeigt sich, unterliegen einem steten Wandel; und die Mitmenschen haben darauf großen Einfluss: Fast jedes Gespräch über die Vergangenheit verändert den Gedächtnisinhalt der Beteiligten. Und wir reden andauernd über Selbsterlebtes, anderswo Gehörtes und die alten Zeiten. Erinnerungen sind zum Teilen da – soziale Netzwerke wie Facebook ziehen ihr enormes Wachstum daraus.
Erstaunlich leicht schleichen sich dabei mit der Zeit auch Fehler ein: Wir beschönigen, wir verdrängen, wir denken uns was aus und glauben bald selbst daran. …
Was ist meine Vergangenheit, was deine? Die Grenze zwischen Ich und Du ist längst nicht mehr eindeutig. Erstaunlich leicht wandern Erlebnisse anderer Leute in meinen Gedächtnisspeicher ein. …
Manchmal genügt die bloße Aufforderung, sich etwas vorzustellen ("Weißt du noch, wie wir damals ...?") – und im Gehirn des Angesprochenen bildet sich schon wie von selbst die entsprechende Erinnerung aus. …
Am weitesten reichen die Folgen bei Polizei und Justiz. Dass 21 von 30 Unbescholtenen im Experiment eine Straftat gestehen, ist eine beunruhigende Nachricht für das Rechtswesen. …
Der Laie stellt sich das Gedächtnis wie eine Art Film vor: schlimmstenfalls zerkratzt und verblichen, aber im Prinzip abspielbereit. Das Gehirn arbeitet nicht wie eine Kamera, die eine Szene vollständig und innerlich unbeteiligt aufnimmt. Es speichert nur die einprägsamsten Fragmente: das Krachen zum Beispiel, als zwei Autos kollidierten; den Geruch nach verbranntem Reifengummi; den auffallenden Aufkleber an dem einen Sportwagen; das Bild eines Vogels, der gerade noch am Zwitschern war und nun erschreckt davonstob.
Alle diese Eindrücke bleiben in verschiedenen Regionen des Gehirns haften. Und sie verbinden sich dort mit dem Wissen, das schon da ist: wie Singvögel aussehen, wie ein typischer Auffahrunfall abläuft (beginnend mit dem Quietschen der Bremsen). …
"Wenn wir uns erinnern, bauen wir jedes Mal eine neue Geschichte auf", sagt die Psychologin Shaw. "Und dabei kommt es leicht zu Fehlern." …
Menschen erinnern sich oft an Dinge, wie sie typischerweise ablaufen. Es muss nicht so gewesen sein, aber es ist leichter zu merken. …
Das Gedächtnis muss nicht genau sein, sondern flexibel. Es ist ein Werkzeug des Lernens und der Alltagsbewältigung, kein vollgestopftes Museum.
Ebendeshalb verändern Erinnerungen sich auch mit der Zeit: Nach jedem Abruf werden sie erneut gespeichert. Der neue Inhalt tritt an die Stelle des alten. Oft geraten dabei – meist unbemerkt – nachträglich auch neue Informationen hinzu. …
Aber auch Erwachsene sind vor Suggestionen nicht gefeit. Die Leute wissen nur allzu gut, wie leicht ihr Gedächtnis sie im Stich lässt – das macht sie anfällig. Auch im Alltag müssen Mitmenschen oft die Lücken füllen: Was der eine nicht mehr weiß, fällt dem anderen noch ein; der Dritte korrigiert es. "Erinnern ist ein sozialer Vorgang", sagt Shaw.
Wenn es um die Kindheit geht, sind die Eltern die erste Autorität. Sie überliefern die Geschichten, die wir längst vergessen haben. Habe ich wirklich im Kindergarten immer Mariechens Pausenäpfel vertilgt? Ich muss es, wie vieles andere, einfach glauben – und in der Regel glaube ich es dann auch.
So schreibt die Mitwelt mit an unserer Autobiografie. Was wir erlebt haben, wird gemeinsam gepflegt: in Gesprächen, beim Blättern im Familienalbum – und heute zunehmend auf Twitter und Facebook. …
Auch der Wegfall unpassender Inhalte zeigt, wie plastisch das Gedächtnis ist. Der amerikanische Psychologe Daniel Kahneman konnte nachweisen, wie stark wir Erlebtes im Rückblick raffen, verdichten und schönen – stets im Dienste eines erfreulichen, erzähltauglichen Gesamtbildes. …
(Der Spiegel 1-2016 S.14 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-140750217.html )

·         Die Lehren der Hirnsuppe
Evolution
Eine brasilianische Neurobiologin hat die Nervenzellen von Mensch, Affe und Elefant gezählt - und glaubt, so das Erfolgsrezept des Homo sapiens gefunden zu haben. …
Herculano-Houzel entschied sich deshalb für ein radikal anderes Verfahren: Sie löst das Gewebe des Gehirns auf, sodass eine Suppe entsteht, in der die Zellkerne frei umherschwimmen. Diese markiert sie mit Farbstoff. Im Mikroskop erscheinen sie dann als leuchtend rote Punkte, die sich auszählen lassen. Wenn die Forscherin ihre Suppe so lange umrührt, bis die Kerne gleichmäßig verteilt sind, liefert das Hochrechnen auf die gesamte Hirnmasse sehr zuverlässige Werte.
Das Ergebnis bestätigte ihren Verdacht, dass der Mensch Rekordhalter bei der Neuronenzahl ist. In seinem Großhirn sind 16 Milliarden Nervenzellen miteinander verdrahtet - rund dreimal so viele wie beim Elefanten. Nicht im bloßen Hirnvolumen, sondern in der Zahl der grauen Zellen schien also das Geheimnis menschlicher Intelligenz zu liegen. Dicht an dicht drängeln sie sich offenbar in seiner Großhirnrinde. Dann aber machte Herculano-Houzel noch eine zweite, nicht weniger bedeutsame Beobachtung: Der Mensch ist keineswegs das einzige Wesen, das sich durch eine so hohe Neuronendichte auszeichnet. Diese ist vielmehr eine Eigenheit der Primaten. Egal ob Nachtaffe, Makak oder Pavian: Bei ihnen allen findet sich extrem dicht vernetztes Nervenzellgewebe unter der Schädeldecke. Dieser Befund lässt die Evolution des Menschen in einem neuen Licht erscheinen: Die Weiche, die Grundlage seines Siegeszugs werden sollte, wurde demnach schon vor mehr als 60 Millionen Jahren gestellt. Damals wurde das Geschlecht der Primaten geboren - und mit ihnen eine neue Art, Gehirne zu bauen. Weil die Dichte der Nervenzellen im Denkorgan der Primaten wesentlich höher ist als bei anderen Säugetieren gleichen Gewichts, explodiert die Zahl der Neuronen besonders bei großen Primaten geradezu. In ihrem Erbgut scheint eine Art Formel verankert zu sein, die die Größe des Hirns und die Anzahl der Neuronen darin vorgibt. Ein Primat von 70 Kilogramm Körpergewicht beherbergt demnach die hohe Zahl von nahezu 20 Milliarden Nervenzellen in seinem Großhirn. Der Sonderweg des Menschen war also vorgezeichnet.
(Der Spiegel 23/2016 S.120)

·         Wer ist Herr im Hirn?
Über Gene, Freiheit und Verantwortung: Ein Disput zwischen Hirnforschern, Philosophen und Theologen
… Die Frage nach dem freien Willen markiert einen neuen Höhepunkt in der zwischen Natur- und Geisteswissenschaften ausgefochtenen Debatte um ein angemessenes Welt- und Menschenbild. Nach ebenso erbitterten wie erfolglosen Kämpfen gegen Galilei, Kopernikus, Darwin, Freud und Co. haben die Kirchengelernt, dass es ihnen nicht gut bekommt, wenn sie die Erkenntnisse der Naturwissenschaften unter Berufung auf die Bibel einfach ablehnen. Andererseits dürfen sie auch nicht so tun, als sei
es für den Glauben völlig egal, was die Naturwissenschaften über den Menschen zu sagen haben, weil es sich bei Glauben und Wissen um zwei getrennte Reiche handele, die gut nebeneinander existieren könnten. Leider trifft man diese Haltung innerhalb der Theologie viel zu oft an. …
Wie kommt Geist in Materie? Die Existenz eines freien Willen bestritt auch der Hamburger Rechtsphilosoph Reinhard Merkel mit seinen Überlegungen zu Geist und Materie: »Was immer Wille und Entscheidung genau bedeuten mag – das damit Bezeichnete gehört zur Sphäre des Geistigen (Mentalen) Alle »geistigen Phänomene beruhen jedoch auf Aktivitäten des Gehirns«. Es bestehe also ein asymmetrischer Zusammenhang: »Indem neuronale Aktivität stattfindet, kommt es überhaupt erst zu geistigen Prozessen, nicht umgekehrt Weil das Gehirn jedoch ein »physikalisches System« sei, folge es den Gesetzen der Natur, die nicht beeinflussbar sind und auch nicht umgangen werden können. Gäbe es einen freien Willen, dann müsste er sich, so Merkel, von den naturalistischen, physikalischen Vorgaben des Gehirns emanzipieren können. Doch dies könne er nicht erkennen. »Wir müssen den freien Willen in Einklang bringen mit der Tatsache, dass er aus dem Gehirn stammt Bei der Frage, wie Geist in Materie kommt, dürfe man es sich philosophisch nicht zu einfach machen. …
Die lebhaften Debatten zeigten, dass die Frage nach dem freien Willen und dem dahinterliegenden Menschenbild gerade kein Streit um des Kaisers Bart ist, der von weltfremden Stubengelehrten ausgetragen wird. Es macht einen Unterschied, ob sich der Mensch als frei Handelnder im Zentrum der Welt verortet oder sich als unfreie Existenz, als Fußnote der biologischen Evolution sieht. Ersteres geht mit einer Verantwortung einher, die geradezu erdrückend sein kann. Letzteres kann eine existenzielle Leichtigkeit des Seins rechtfertigen, die in gedankenlosem Konsumismus, ja Apathie enden kann. …
Wer ist Herr im Hirn? Diese Frage konnte auch die hochkarätig besetzte Tagung nicht einvernehmlich lösen. Aber sie zeigte die entscheidenden Fragen auf, die es zu vertiefen gilt: Wie kommt Geist in Materie? Wie verhalten sich Glauben und Wissen zueinander? Worin besteht menschliche Verantwortung Und wozu sind wir auf der Welt?
(Publik Forum 4-2017 S.26)

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