E-Mail-Tagebuch von Johannes Krause
zu einer Reise nach Tansania von Juli bis September 2001
im Auftrag von ASA
(InWEnt - Internationale Weiterbildung und
Entwicklung gGmbH
ASA-Programm; Berlin)
um dort lokale Jugendgruppen zu erfassen und zu vernetzen
Dr. Johannes Krause ist jetzt (2014)
erreichbar unter: mail@johanneskrause.eu
08.07.2001 -
13:07:
hallo
zusammen,
Bin
nach einem etwas anstrengenden nachtflug gut in Dar Es Salaam amgekommen
und
dort vom flughafen abgeholt worden. beim national youth forum gab es
gleich
ein welcome meeting. (guido, eigentlich wollte hebron schon einige
dinge
fuer unsere arbeit besprechen, aber ich habe darum gebeten, das erst
zu
machen, wenn du mit da bist, zb in marangu. so war es nur eine erste
introduction.)
sehr freundliche, offene, engagierte leute.
bis
morgen wohne ich erstmal in einem hotel (was auf die dauer aber viel zu
teuer
waere). eindruecke von ersten spaziergaengen durch die stadt: viele,
viele
menschen auf den strassen, die miteinander erzaehlen, alles moegliche
verkaufen,
schuhe reparieren (vorhin zum beispiel meine sandalen) usw.
dazwischen
brettern immer mal autos hindurch, vor denen man ziemlich
aufpassen
muss, v.a., wenn man wegen des linksverkehrs nie genau weiss, wo
man
eigentlich hingucken muss.
es
war gestern abend eine ganz eigenartige erfahrung,
durch den stadtteil
des
hotels zu gehen und der einzige weisse in der menschenmenge zu sein.
alle
gucken einem nach. die kinder rufen: "Mzungu (weisser), how are you?"
immer
wieder wird man angesprochen, und zwar nicht nur, ob man etwas kaufen
moechte,
sondern auch einfach so, die leute gruessen, erkundigen sich nach
dem
wohlbefinden, der herkunft, heissen einen in tanzania willkommen. es ist
eigentlich
eine sehr freundliche atmosphaere, draussen auf den strassen,
auch
wenn es immer noch etwas eigenartig ist, immer aufzufallen, immer
beobachtet
zu werden. aber die leute machen es einem wirklich leicht, ins
gespraech
zu kommen und freuen sich ueber meine versuche, ein
paar brocken
swahili
einfliessen zu lassen.
heute
nachmittag bin ich allerdings etwas schlechterer
laune: ich habe eine
moeglichkeit
gefunden, zu einem "besonders guenstigen" kurs geld zu
wechseln.
der mann hat mich das geld auch selbst nachzaehlen lassen.
trotzdem
war es spaeter in meiner tasche ein buendel mit 4000 TSh (lauter
kleine
scheine) und nicht mehr 45000, wie ich vorher gezaehlt hatte. aus 100
mark
zehn gemacht.
morgen
geht es mit dem bus nach marangu am fuss des kilimanjaro, wo eine vom
national
youth forum organisierte konferenz stattfindet. (guido, das
symposium
beginnt am dienstag frueh, aber wir fahren schon am montag hin.
waere
gut, wenn du auch bis morgen abend da sein koenntest.
marangu liegt
ca.
25km oestlich von moshi. das symposium findet dort im Marangu Teachers
Training
College statt. das programm klingt wirklich interessant. wir werden
dort
auch erste absprachen mit hebron und israel fuer unsere arbeit treffen
und
schonmal kontakte mit anderen leuten aus dem ganzen land knuepfen, deren
organisationen
und gruppen wir dann eventuell aufsuchen. ich hoffe, es geht
dir
gut und freue mich, dich morgen oder spaetestens uebermorgen zu sehen!
alles
weitere dann.)
ok,
meine zeit hier laeuft gleich ab. melde mich gelegentlich wieder.
johannes.
15.07.2001 - 14:52 Uhr:
ihr
lieben,
seit
gestern zurueck in dar es salaam haben guido und ich unseren stadt- und
hafenrundgang
hier in einem klimatisierten (!) internet-shop unterbrochen.
die
computer sind verdammt langsam und es treten staendig fehler auf, aber
ich
hoffe, es wird trotzdem klappen.
wo
soll ich anfangen? es ist so viel passiert. wir waren also beim "national
youth
symposium" in marangu, kilimanjaro. und am letzten abend haben sich
die
wolken dann auch verzogen, so dass wir ihn endlich gesehen haben, den
berg.
dort habe ich dann auch guido getroffen und seitdem haben wir beide
endlich
die gelegenheit, die neuen eindruecke und erfahrungen mit jemandem
zu
bereden, dem es aehnlich geht.
abgesehen
von der unmittelbaren naehe zum kilimanjaro war diese woche wohl
eine
eher untypische afrika-erfahrung: wir waren in einem 1902 von deutschen
missionaren
gegruendeten teachers college, also vergleichsweise komfortabel
untergebracht,
waren mit leuten zusammen, von denen viele an der uni waren
oder
sind und eine relativ "moderne" haltung haben und ausserdem war es in
knapp
2000 metern hoehe klapprig kalt.
dennoch
war das symposium hochinteressant. es war ein treffen von ueber
hundert
jugen leuten, die in den unterschiedlichsten politischen und
sozialen
bereichen engagiert sind. da gab es vortraege und diskussionen zur
situation
der jungen generation in politschen entscheidungsprozessen in
tanzania,
zu globalisierung, panafrikanismus, aids,
geschlechtergleichstellung,
"responsible parenthood"... es war total
spannend
zu sehen, was dort fuer ein politisches bewusstsein vorhanden ist.
ich
hatte wirklich das gefuehl: da ist eine generation junger, engagierter
leute,
die darauf draengen, an politischen entscheidungsprozessen beteiligt
zu
werden, die endlich die politikergeneration, die die unabhaengigkeit
erkaempft
hat, abloesen und ihre visionen verwirklichen wollen. spannend war
fuer
mich vor allem auch, hier so hautnah mit lebendigem panafrikanismus
konfrontiert
zu werden. es war uebrhaupt eine ziemliche aufbruchsstimmung,
fand
ich. wuerde mich nicht wundern, wenn wir von dem einen oder anderen der
leute
auf dem symposium spaeter nochmal als politiker hoeren...
inhaltlich
haben wir leider nicht alles mitbekommen, weil die meisten
diskussionen
auf swahili liefen, und so gut verstehe ich es nun doch noch
nicht.
aber es ist ganz schoen, immer mal ein paar brocken aufzuschnappen
und
wenigstens auf "swanglish" (swahili-englisch-mischmasch, sprechen die
jungen
leute hier auch viel) ein paar saetze sagen zu koennen. gestern habe
ich
ein eigenartiges kompliment bekommen: meine swahili-aussprache sei
besser
als die der kenianer (wo swahili neben englisch verkehrssprache ist)
und
ugander (wo auch die mehrheit swahili spricht). naja, man sagt touris ja
gern
irgendwelche nettigkeiten.
was
unsere eigentliche arbeit betrifft (durchs land zu fahren und fuer das
national
youth forum alle moeglichen jugendorganisationen zu besuchen und zu
erfassen),
kommt uebrigens einiges auf uns zu. die erwartungen der leute vom
nyf
sind offenbar sehr hoch. unsere vorstellung, dass wir mehr fuer uns hier
sind,
um das land und das leben und die kultur der menschen kennenzulernen,
als
dass es auf das ergebnis unserer arbeit ankaeme, werden die nyf-leute
vielleicht
nicht unbedingt teilen...
gestern
sind wir also zurueck nach dar gekommen. wieder eine achtstuendige
fahrt
im vollen bus, vorbei an den usambara mountains, siedlungen mit
lehmhuetten,
bananstauden, sisalplantagen, palmen und was weiss ich fuer
gewaechsen,
mit stopps in kleinen staedten, bei denen jedesmal ungefaehr 40
jungs
den bus umringen und versuchen, apfelsinen, erd- und cashewnuesse,
zuckerrohr,
seife, zahnpasta usw. zu verkaufen. nun, diese erfahrung werden
wir
noch oft machen...
gestern
abend waren wir also in dar es salaam angekommen,
hatten unsere
unterkunft
in einem studentenwohnheim bezogen und waren zufrieden und
vergnuegt.
wir sassen am strassenrand an einem tisch und assen reis und
bohnen
(ich gebe zu: es war auch etwas fleisch dabei), was uns zwei frauen
aus
mitgebrachten toepfen servierten. guido erzaehlte, wie anders die
atmosphaere
in kenia ist, wie viel freundlicher die menschen in tanzania. da
sassen
wir also und sangen unser loblied auf das land und die freundlichkeit
der
leute und waren uns ganz einig, dass nyereres politik des
ujamaa-sozialismus
vielleicht dazu gefuehrt haben mag, dass das
pro-kopf-einkommen
in tanzania unter dem durchschnitt anderer laender (wie
etwa
kenia) liegt, dass aber das bildungs- und gesundheitswesen besser war
und
dass es auch dieser politik zu verdanken ist, dass in tanzania so viel
einigkeit
zu verspueren ist, keine ethnischen oder religioesen konflikte,
ein
relativ stabiler sozialer frieden und eben einfach eine angenehme
atmosphaere.
die ereignisse der naechsten fuenf minuten haben alles vorher
gedachte
und ausgesprochene aber erstmal wieder relativiert: zwei maenner mit
knueppeln
in der hand um unseren strassen-kuechenstand... eine lauter
werdende
diskussion zwischen einem mann, der mit uns da sass und ass und den
beiden
maennern mit knueppeln... menschen, die herzukamen und
stehenblieben...
die beiden koechinnen, die eilig ihre sachen einpackten und
dabei
mit den "beknueppelten" maennern stritten... der an uns gerichtete
tipp
aus der zweiten reihe, wir sollen uns mit dem essen lieber beeilen...
die
erklaerung, es seien zwei polizisten, die den nicht genehmigten
verkaufsstand
an der strasse nicht dulden... und ploetzlich haben die beiden
unseren
mitgast beiseite gezerrt, in den strassengraben und prueglen auf ihn
ein.
voellig schockiert stehen wir da, dann greift die menge nach steinen
und
geht auf die polizisten los. eine strassenschlacht, wir mitten drin. auf
einmal
fangen alle an zu rennen, wir haben keine ahnung was passiert, rennen
vorsichtshalber
mit weg, bevor wir einen stein abkriegen... letztlich ist
alles
ganz glimpflich ausgegangen, und auch unser tischgenosse war nur
leicht
verletzt. aber es war schon heftig, so
mitten drin zu sein,
irgendwie
hilflos, und das alles zu beobachten. und das genau in dem moment,
wo
wir die friedliche atmosphaere und die freundlichkeit der menschen so
gelobt
hatten.
ok,
ich muss jetzt schluss machen. guido und ich sind verabredet, mit zwei
ganz
entzueckenden maedchen, die wir auf dem symposium in marangu
kennengelernt
haben. das duerfen wir auf keinen fall verpassen...... ....
....
macht
es gut,
johannes.
Noch in dar...
29.07.2001
ihr
lieben,
es
ist frustrierend. kennt das jemand von euch? du hast einen langen text
geschrieben am computer, und dann irgendeinen fehler gemacht oder es ist was
passiert, der stecker raus oder du bist ausversehen auf strg+alt+entf
gleichzeitig gekommen oder sonstwas und alles ist weg. so geht es mir gerade.
ich hatte eine lange, lange mail geschrieben ueber alles, was wir heir so
erlebt haben in den letzten zwei wochen. und nun
ist
kein buchstabe mehr uebrig. also von vorne.
seit
zwei wochen sind wir jetzt in dar es salaam, einer sehr angenehmen stadt. wir
wohnen etwas ausserhalb im postgraduate students hostel. klo und bad (wo an
manchen tagen sogar wasser aus den wasserhaehnen und duschen (!) kommt) teilen
wir mit den anderen bewohnern der etage und mit allerlei getier. die muecken in
unserem zimmer werden trotz der moskitonetze vor den fenstern von tag zu tag
mehr und auch aggressiver, aber dafuer haben wir jetzt schon seit einiger zeit
keine eidechsen und kakerlaken mehr gehabt.
die
meiste zeit haben wir hier in dar wohl damit verbracht, kreuz und quer durch
die stadt zu touren, um von den unterschiedlichsten behoerden und
organisationen adressen von jugendorganisationen zu bekommen. wir wollen ja ein
verzeichnis von so viel wie moeglich tanzanischen jugendorganisationen
erstellen und haben zu diesem zweck einen fragebogen entworfen, den wir
verteilen und verschicken. inzwischen haben wir einen ganz guten ueberblick
ueber die ngo-szene in dar es salaam und ganz tanzania und sind auch mit den
unterschiedlichen religionsgemsinschaften und v.a. mit den staatlichen
behoerden bestens vertraut. fuenf ministerien und das vice presidents office
haben wir aufgesucht und uns von abteilung zu abteilung schicken lassen, z.t.
ans andere ende der stadt, im idealfall ausgeruestet mit einem
empfehlungsschreiben eines regierungsbeamten an irgendeinen freund in einer
anderen behoerde. auch hier braucht man einige zaehigkeit, wenn man gegen die
staatliche buerokratie obsiegen will, aber die leute, mit denen wir es dabei zu
tun haben, sind so freundlich und hilfsbereit, dass es eine wahre freude ist,
von einem office zum anderen zu gehen. man sitzt in etwas dunklen, mit bergen
von uralten akten gefuellten amtsstuben, ventilatoren zerren an papierfetzen
oder wirbeln sie gaenzlich durch die luft und ueber hoffnungslos vollgepackte
schreibtische plaudert man mit netten angestellten, die bestimmt versuchen,
einem weiterzuhelfen. unser groesster coup war, dass wir nach einwoechigem,
hartnaeckigem draengen und betteln die erlaubnis bekommen haben, im
innenministerium die staatlichen vereinsregister, wo die mehrzahl der NGOs
registriert sind, zu durchforsten. mit diesen dokumenten in der hand kamen wir
uns (vergleichsweise) ein bisschen so vor, als haetten wir zugang zu otto
schilys festplatte.
ueberraschenderweise
arbeiten wir hier, wer haette das gedacht, aufs engste mit der
konrad-adenauer-stiftung und der friedrich-naumann-stiftung zusammen. schon
etwas komisch, in den bueroraeumen des "politischen gegners" zu sitzen,
sozusagen, und seine computer zu benutzen. er serviert uebrigens sehr guten
tee, der politische gegner.
ab
naechsten donnerstag, wenn wir unsere frageboegen verschickt haben, um eine
moeglichst grosse zahl an organisationen fuers verzeichnis zu erfassen, beginnt
der zweite teil unserer arbeit: wir werden sechs wochen lang durchs land
fahren, und zwar in die strukturschwaecheren regionen, wo das national youth
forum bisher erst sehr wenige partner hat, und versuchen, aktive
jugendorganisationen zu finden, die an einer landesweiten vernetzung
interessiert sind. fuer alle, die's genau wissen wollen: unsere route fuehrt
zuerst in den sueden (mtwara, lindi, songea), dann ueber den westen
(sumbawanga, kigoma) und den nordwesten (bukoba, musoma) ins zentrum (shinyanga,
tabora, dodoma, singida). anschliessend planen wir noch einen abstecher nach
moshi (kilimanjaro) um dort freunde zu besuchen ((chris, andreas, ca. 4.-6.
september, wie waere das?)) und zum schluss geht's auf die inseln (pemba und
unguja bzw. zanzibar ((konny, ines, lutz: ca. 11.-13. september, treffen wir
uns?!)). ich bin sehr gespannt, endlich das landesinnere kennenzulernen. bisher
waren wir fast nur in dar es salaam, der verhaeltnismaessig reichen, modernen,
westlichen metropole. "tanzania" ist bestimmt noch ganz anders.
wir
rechnen uebrigens damit, dass es unterwegs schwierig wird, internetzugang zu
finden und kontakt mit der weiten welt aufzunehmen. also, liebe eltern, bitte
keine sorgen machen, wenn mal ein paar wochen keine nachricht kommt...
gerne
wuerde ich euch noch viel mehr die eindruecke vermitteln, die ich hier so habe,
von dalladalla-fahrten durch die stadt (dalladallas sind die immer
ueberfuellten kleinbusse, die hier ungefaehr 95% des staedtischen
personentransports durchfuehren), von den vielen menschen hier ueberall in den
strassen, die versuchen, sich mit irgendwelchen businesses durchzuschlagen, von
den strassenkuechen, an denen man reisgerichte essen oder tee trinken kann, den
jungs, die ueberall stehen und mit langen messern apfelsinen oder kokosnuesse
aufschneiden und verkaufen, bananen oder maniok roesten, aus tragbaren,
kohlebeheizten kannen kaffeee ausschenken,.... aber es scheint mir unmoeglich
all das, dieses treiben, diese ganze atmosphaere sprachlich umzusetzen.
es
ist immer noch etwas schwierig fuer mich, hier immer der weisse zu sein, von
dem erwartet wird, dass er viel geld hat (oder welches besorgen kann). wir
muessen hier nicht nur taeglich ungefaehr 50 taxifahrten ablehnen und etliche
touristik angebote (nationalparks, zanzibar...) ausschlagen, sondern auch von
leuten in den organisationen, mit denen wir zu tun haben, ueberhaeufen uns mit
bitten: ob wir nicht irgendwie der familie helfen koennten, die zwei behinderte
kinder grosszieht, ob wir nicht eine deutsche organisation wuessten, die ihre
hiesige organistion unterstuetzen kann, ob wir eine idee haetten, wie man dies
oder jenes produkt (kunsthandwerk...) in europa vermarkten kann, ob wir helfen
koennten, einen studienplatz in deutschland zu kriegen oder sonst eine
moeglichkeit, nach europa zu kommen. und das schwierigste ist: wir sind ja
tatsaechlich die reichen und muessen immer entscheiden, warum wir wem wann
helfen und wem nicht. natuerlich koennten wir, wenn wir es wirklich wollten,
kontakte in deutschland finden, fuer die leute die uns hier bitten - aber es
sind so viele!
so
richtig krasses elend und massive armut habe ich hier, zumal hier in dar es
salaam bisher noch nicht erlebt. da habe ich in russland und der ukraine zum
teil schlimmeres gesehen. aber wir waren bisher eben nur in dar es salaam und
hier auch nicht in einem slum oder richtigen armenviertel. die leute, mit denen
wir es meistens zu tun haben gehoeren eher schon zu einer gehobenen, zur
gebildeten schicht. auf dem land und in den provinzstaedten sieht es sicher
noch ganz anders aus und auch in manchen teilen von dar. und ueberhaupt: was
schreibe ich hier eigentlich? auf dem markt verkaufen frauen maismehl fuer
einen tagesverdienst von ca. 2dm, wovon sie die familie ernaehren und die miete
bezahlen muessen. von den vielen jungs, die mit ihren kaffeekannen und
erdnuessen auf der strasse rumlaufen, weiss ich dass sie keine richtige
unterkunft haben und in irgendwelchen hausfluren schlafen. und die vielen
koerperbehinderten (kinderlaehmung?), die an der strasse sitzen und betteln,
die sich im besten fall mit spezialfahrraedern, ansonsten mit kruecken oder
kriechend fortbewegen... wenn das alles keine massive armut ist? - und dennoch:
die leute sind freundlich und offen und es ist schoen, durch die stadt zu
gehen, eine angenehme atmosphaere. sicher, das land ist arm. aber es koennte
gewiss schlimmer sein. es ist ein sehr sympatisches land. nun, viel habe ich ja
noch nicht gesehen. aber das kommt ja noch...
letzten
sonntag waren wir im gottesdienst, in einem lutherischen, wie er lutherischer
nicht sein koennte. deutsche choraele (nur mit kiswahili-text), orgel,
kirchenchor, posaunenchor (!). das ganze in einer kirche, die in einer
deutschen kleinstadt stehen koennte. gebaut von deutschen missionaren im 19.
jahrhundert. an den fenstern und am altar (der eine deutsche inschrift traegt)
bilder von jesus und seinen juengern, dieselben zarten, hellhaeutigen
juenglinge wie bei uns. (jesus war eben ein deutscher und zwar ein romantischer
deutscher.) auch vom ablauf war der gottesdienst wie bei uns, nur laenger:
insgesamt zweieinhalb stunden, davon allein 15 minuten abkuendigungen und 35
minuten predigt.
dass
in afrikanischen kirchen eine ganz andere stimmung herrscht als bei uns, die
leute tanzen und singen und klatschen und froehlich sind, ist ja bekannt.
stimmt aber nicht. die leute sassen alle mit genauso versteinerten mienen in
ihren baenken wie bei uns, standen brav auf, um ihr vaterunser und das
glaubensbekenntnis zu murmeln, und setzten sich wieder hin, wie bei uns.
einschraenkend muss ich bemerken, dass der gottesdiesnt in der lutherischen
hauptkirche in dar es salaam, in der sich die (lutherische) high society des
landes trifft, der prime minister usw., sicher eher verwestlicht und steif ist
und nicht unbedingt repraesentativ fuer die normalen gemeinden des landes.
zu
beginn des gottesdienstes passierte mir gleich eine kleine peinlichkeit: ich
war etwas eher hingegegangen, um mir einen guten platz auf der empore zu
sichern, mit ueberblick. waehrend des eingangschorales ("nun danket alle
gott") sah ich guido auf der anderen emporenseite, der mir dezent, aber
bestimmt gestikulierend irgendwas mitzuteilen versuchte. es dauerte eine weile
bis ich begriff, dass ich als einziger mann zwischen lauter frauen sass und
guido bei den maennern auf der anderen seite....
guido
und ich verstehen uns uebrigens sehr gut. wir haben in mancher hinsicht sicher
eine unterschiedliche arbeits- und lebensweise und eine unterschiedliche art,
das land und die kultur zu entdecken. das heisst wir muessen uns beide etwas
aneinander anpassen und reiben uns auch mal ganz gut aneinander (wobei aus
einem problem des alltags schnell mal eine (amuesante) entwicklunspolitische
grundsatzdiskussion wird). insgesammt kommen wir bisher jedenfalls sehr gut
miteinander aus.
so,
jetzt ist schluss, bevor ich hier drin noch erfriere, direkt unter der
klimaanlage. a propros klima, hier noch kurz was fuer hobby-geographen und
-astronomen: dass die sonne hier mittags im norden steht (zumindest um diese jahreszeit),
ist nicht weiter verwunderlich. warum der halbe mond (egal ob zu- oder
abnehmend) nach unten haengt (soll heissen, die untere haelfte ist beleuchtet
und nicht wie bei uns die linke oder die rechte), kann ich mir bisher noch
nicht richtig erklaeren. und um noch eins draufzusetzen: der strudel, wenn das
wasser ablaeuft, dreht sich.... na?..... mal rechts
rum, mal links rum, je nach lust und laune. oder nach dem mond? wie ebbe und
flut?
ja,
die flut, hoffentlich ist gerade flut, wenn wir morgen frueh an den strand
gehen, um den sonnenaufgang ueberm indischen ozean zu erleben...
seid
alle lieb gegruesst und geniesst den sommer (ihr gluecklichen, die ihr einen
sommer habt! wir muessen hier unten ueberwintern!). und schreibt ruhig auch
mal, wie's euch geht, aber nicht mehr als 20kilobyte pro person, sonst ist
meine mailbox verstopft und ich komme vielleicht nicht so bald wieder dazu, sie
zu leeren!
euer
johannes.
02.08.2001 -
16:58 Uhr:
liebe
eltern, schwestern, freundInnen, familie...,
ich
hatte nicht geplant, nochmal zu schreiben bevor wir dar es salaam
verlassen
und auf "safari" (=reise) gehen. aber die umstaende erfordern es,
denn
erstens hat sich unsere abfahrt nochmals verzoegert und zweitens sind
dinge
passiert, die ich euch schreiben will, schon um alles zu
verarbeiten...
ich
will mit einer binsenweisheit anfangen: es gibt gute und schlechte tage.
gestern
war ein guter. wir waren von frueh um sieben bis abends um elf fuer
unsere
arbeit auf den beinen, haben schliesslich 500 briefe mit unerem
fragebogen
an die jugendorganisationen geschickt, deren adressen wir in den
letzten
wochen in muehevollen recherchen herausgefunden haben. jetzt ist der
erste
teil unserer arbeit abgeschlossen und wir wollten heute frueh
eigentlich
abfahren.
heute
war dann einer der weniger guten tage.
es
fing damit an, dass wir am busbahnhof unsere tickets kaufen wollten und
feststellen
mussten, dass alle busse nach lindi schon um halb sieben frueh
abgefahren
waren. dabei hatten wir uns gestern abend erkundigt
und man hatte
uns
gesagt, es gebe busse um 12:30 p.m. natuerlich war uns klar, dass die
swahili-zeit
zur europaeischen zeit immer 6 stunden versetzt ist (wie in der
bibel:
"und um die neunte stunde - also um 15 uhr nachmittags - schrie er
abermals
laut auf: eli, eli... und verschied."), aber deswegen hatten wir ja
extra
dreimal nachgefragt, ob es auch wirklich mittags waere. scheinbar sind
wir
dennoch opfer des beruehmten uhrzeit-missverstaendnisses geworden, so
dass
wir nun noch bis morgen hier bleiben.
was
also tun an diesem unverhofften freien tag? guido wollte ausgiebig ins
internet
und ich beschloss, in die stadt zu fahren und dann an den strand zu
gehen,
um in ruhe ein paar dinge aufzuschreiben.
da
sass ich also am strand, wartete einen kurzen regenschauer ab und holte
dann
mein tagebuch aus dem rucksack. ein junger mensch kam, hockte sich zu
mir
und begann, eins der ueblichen gespraeche anzuknuepfen: "how are you,
which country are you from, what are you doing in
english is little, i want to be your friend" usw. ich
liess
small
talk ein, aber das gespraech dauerte nur kurz, denn ploetzlich waren
noch
zwei andere da und sie fragten nach geld - bzw. sie forderten welches.
ich
lehnte ab, konnte bei dieser haltung aber nicht lange bleiben, denn
einer
von den dreien zog ein messer, ein nicht gerade unbedeutendes, so eins
von
der sorte, mit denen hier die kokosnuesse geoeffnet werden, und sein
kollege
verlieh der geste noch nachdruck, indem er mir drohte, sein freund
werde
mich toeten. also, ich auf dem sand sitzend, die drei mit dem messer
ueber
mir stehend, da habe ich dann ziemlich schnell nachgegeben und mein
beutelchen
aus der hosentasche gezogen, das der eine sofort an sich nahm, so
wie
der zweite meinen rucksack. dann rannten sie weg, auf dem strand. mit
meinem
geld (wir hatten uns, wie gesagt, gerade vorbereitet, fuer sechs
wochen
in die provinz zu fahren und uns entsprechend mit bargeld
ausgestattet),
dokumenten und dem rucksack, der meine saemtlichen
aufzeichnungen
enthielt sowie christianes kamera. ich konnte ihnen noch
flehend
nachrufen, sie sollten mir doch meinen pass lassen. und so fair
waren
sie. im rennen wurde mein geld- und dokumentenbeutel geoeffnet und
nach
und nach flogen allerlei wertvolle dinge auf den strand:
ironischerweise
zuerst der blutspendeausweis, dann aber auch mein
rueckflugticket,
ein paar travellor cheques und schliesslich auch der pass.
ich
war am leben, und nicht nur das, ich hatte eine identitaet und
wenigstens
genug mittel, um bis zum rueckflug auszuharren. immerhin.
nachdem
ich alles aufgelesen hatte, nahm ich die verfolgung auf. die anderen
waren
jetzt auf der flucht, denn schliesslich waren inzwischen ein paar
leute
aufmerksam geworden. es war ja mitten am tag und nicht wirklich eine
verlassene
gegend, sondern ein strand direkt in der stadt (also sofern ein
strand
"in" der stadt sein kann, denn jenseits des strandes geht die stadt
ja
nicht weiter). es waren auch ein paar einzelne fischer da und neben
dem
strand verlaeuft eine befahrene strasse. die drei rannten also am strand
lang
und ich hinterher und als mehr leute mitkriegten was los war und mir
auch
jemand zurief, er wolle die polizei holen, da haben sie wohl wirklich
panik
gekriegt und auch den rucksack zurueckgelassen, mit saemtlichem
inhalt.
da war ich ja erstmal wieder froh. aber es war noch nicht vorbei,
denn
sie hatten noch das geld und den rest der papiere und damit zu
fluechten
waren sie ziemlich entschlossen. sie liefen etwas ins watt hinaus
(es
war ebbe) und als sie sich teilten, zwei nach rechts, der dritte mit
meinem
beutelchen (eins von diesen "praktischen taeschchen" wie sie meine
oma
immer aus stoffresten naeht) nach links, entschied ich, mich auf ihn zu
konzentrieren.
zwei fischer halfen mir bei der verfolgung.
es
ging ein ganzes stueck den strand entlang. nach rechts konnte er nicht,
da
war der ozean und links waren die strasse und die stadt und die leute,
die
unsere jagd bemerkten, haetten ihn sicher nicht entkommen lassen. einige
schlossen
sich der verfolgung an. ich war etwas langsamer als die fischer,
blieb
aber dicht hinter ihnen und dem "mwizi" ("dieb", das riefen
sie, um
andere
leute zu alarmieren) und nach ungefaehr einem knappen kilometer, war
dannn
schluss. zwei polizisten hatten ihm den weg abgeschnitten.
das
alles haette mir schon gereicht und auch jetzt noch, stunden spaeter,
zittere
ich, vor allem jetzt, da ich es aufschreibe. aber bei der polizei
wartete
die naechste unschoene erfahrung.
wir
kamen in die wache, wo ungefaehr zehn polizistInnen anwesend waren, von
denen
einige sofort anfingen, den "mwizi", der am boden sass, zu schlagen
und
zu treten. ich bat sie, alle einzeln, ihn nicht zu misshandeln,
versuchte
diejenigen unter ihnen anzusprechen, die mir am friedlichsten und
zugaenglichsten
schienen, und bettelte, dass sie dafuer sorgen, dass er
nicht
gepruegelt wird. aber ich hatte ziemlich wenig erfolg. waehrend mein
bericht
aufgenommen wurde, sass er im nebenzimmer und wurde geschlagen. eine
beschissene
situation. ich hatte ihn schliesslich hier hergebracht. ein
paarmal
stand ich auf, ging zu den anderen hinueber und bat sie, ihn
einzusperren
oder was immer, aber nicht zu schlagen. es half nichts. der
polizist,
der an meinem bericht schrieb, wurde etwas boese, weil er noch
anderes
zu tun haette und ich mit ihm den bericht machen und mich nicht um
den
dieb kuemmern sollte. und ueberhaupt verstand mich keiner. einen dieb
muesse
man doch bestrafen und dazu gehoeren natuerlich auch pruegel. machen
polizisten
in deutschland das denn nicht? eigentlich musste man ihn toeten.
er
habe mich doch schliesslich bedroht, bestohlen (das meiste von dem geld,
das
ich bei mir hatte, war zusammen mit den beiden anderen fluechtigen
verschwunden,
300.000 shilling waren es, das sind 800 dm), warum schuetze
ich
ihn also, fragten sie, und ob ich etwa ein priester sei.
es
war nicht viel zu machen, auch bei den frauen nicht, die ihn genauso
schlugen.
schliesslich musste ich zum fertigstellen des berichts mit in ein
anderes
zimmer gehen, die tuer wurde zugemacht und fertig.
ich
verstehe die leute ja. es ist ihr rechtsempfinden. so ein dieb der hat
es
eben nicht anders verdient, der hat keine menschenrechte mehr. ihn zu
schlagen
ist voellig in ordnung, ist gerecht. mir tat er ehrlich leid. ein
armer
kerl, und nun sitzt er in dieser zelle und wird misshandelt. ich
konnte
ihm (unter aufwendung eines teils des mir verbliebenen geldes, um die
polizisten
zu bestechen) das noch sagen, dass es mir leid tut, dass sie ihn
schlagen.
diese kurze begegnung am gitter, seine hand, das hat mir gut
getan,
aber es bleibt doch eine tiefe wunde, fasungs- und hilflosigkeit.
hebron
meint, sie werden ihn foltern, ihn weiter schlagen, bis er seine
kumpane
verraet. es ist so schrecklich. ein armer schlucker, der mich
bestiehlt...
- die polizisten meinen zu tun, was sie tun muessen... - so
viel
gewalt, sinnlos, und ich bin mit daran schuld - und dabei selbst opfer
und
gerade mit dem leben davongekommen. - tut mir leid, ich begreife das
alles
immer noch nicht richtig. was ist das fuer eine beschissenen welt? ich
kann
nur noch heulen.
...
ok, es geht wieder.
ich
muss das jetzt erstmal verarbeiten. diese mail ist ein teil davon, und
guido
ist auch da.
traurig
sind solche erfahrungen, sehr traurig. tanzania ist so ein schoenes
land,
mit so lieben, offenen, herzlichen menschen. 99 prozent von ihnen. und
wegen
dieses einen prozents werde ich jetzt allen misstrauen, fuehele mich
unwohl,
wenn ich auf einer einsamen strasse jemandem begegne, einem
freundlichen
menschen, der mich sicher nur gruesst, fragt, wie es mir geht
und
mich in tanzania willkommen heisst. natuerlich werde auch ich weiter
freundlich
sein zu solch einem menschen. aber ich werde immer auch etwas
misstrauisch
sein, mich genau umsehen, mich potentiell von jedem bedroht
fuehlen.
ist das nicht zum kotzen? sie ist krank, diese welt, in der wir
leben.
guido
hat mich gefragt, ob ich das meinen eltern schreiben werde. haette ich
es
nicht tun sollen? was wuerdet ihr dann denken, wenn ich das naechste mal
wegfahre,
wenn ihr wuesstet, dass ihr euch nicht mal auf meine berichte
verlassen
koennt?
bitte
macht euch alle keine sorgen. es geht uns gut und wir passen auf uns
auf.
tanzania ist und bleibt ein freundliches, sympatisches land, und
vergessen
wir doch bitte die 99 prozent hier nicht, die sich ueber die
schwarzen
schafe (hoppla, ist das ein rassistischer ausdruck?), die sich
ueber
die paar krummen hunde mindestens genauso aergern wie wir und alles
tun,
um leute wie uns vor ihnen zu schuetzen.
das
ist eine zum teil sehr emotionale mail, aber ich schicke sie trotzdem
wieder,
auf nicht sehr persoenliche art, an euch alle. warum nicht? ich will
allen
von euch gern schreiben und ich denke, ihr habt verstaendnis, dass das
individuell
nicht geht.
habt
dank fuers zuhoeren, und bitte, keine sorgen machen, ja?
bis
bald, euer johannes.
12.08.2001
- 15:05 Uhr
Ihr
lieben in der ferne,
Ich
bin froh, dass wir hier in songea zugang zum internet gefunden haben,
was
in den anderen staedten, die wir bisher besucht haben nicht moeglich und
auch
hier nicht ganz leicht war, und ich so die gelegenheit habe, mal wieder
ein
paar froehlichere zeilen zu schreiben. Die schockmeldungen bleiben
natuerlich
am meisten haengen und umso wichtiger ist es, auch von den
vielen
guten und schoenen erfahrungen zu berichten, damit das bild nicht
ganz
so schief bleibt.
Die
unangenehmen ereignisse, von denen ich letzte woche geschrieben habe,
sind
inzwischen ganz gut verarbeitet. Viele buskilometer liegen seither
hinter
uns und das heisst auch zeit, um in die (vielseitige) landschaft zu
gucken
und nachzudenken. Wir haben auf unserer “safari” bisher eine
wunderbare,
fiedliche zeit gehabt und viele schoene begegnungen mit
freundlichen,
guten menschen haben den schock des letzten tages in dar es
salaam
auch ziemlich relativiert. Es ist natuerlich bezeichnend, dass ich
z.b.
saidi, einen unglaublich hilfsbereiten und lieben menschen, der uns in
lindi
herumgefuehrt, zu sich nach hause eingeladen, bei der arbeit geholfen
hat,
dass ich ihn zunaechst unsympatisch fand. Er war mir zu aufdringlich,
suchte
mir zu schnell den kontakt auf der busfahrt von dar nach lindi, ich
traute
ihm nicht. Jetzt schaeme ich mich natuerlich, dass ich ihm gegenueber
so
gedacht und gefuehlt habe. Kann man das lernen, wann, wo und wem man
vertrauen
kann und wann man misstrauen muss? Lieber zu viel VERtrauen als zu
viel
MISStrauen - oder?
Ich
kann gar nicht beschreiben, wie gut es getan hat, gestern die reaktionen
zu
lesen, die ich von einigen von euch bekommen habe. Es waren so viele
gute,
nachdenkliche und mut machende worte! Noch viel mehr verspuere ich
jetzt
den wunsch, euch einzeln zu schreiben – aber wir muessen das auf
spaeter
verschieben, im herbst in deutschland.
Genug
dazu. Seit neun tagen sind wir nun im sueden tanzanias unterwegs. Und
wir
haben das paradies entdeckt. Es heisst lindi und liegt in einer
traumhaften,
von palmen und affenbrotbaeumen gesaeumten bucht des indischen
ozeans.
Die menschen leben hier ihr leben in ruhe und frieden, fahren zum
fischen
hinaus, essen kokosnussprodukte und maniok, ugali, gemuese und obst.
Ein
bus faehrt taeglich nach dar, allerdings nur in der trockenzeit (in der
regenzeit
sind die strassen unpassierbar). Autos gibt es kaum, die kinder
spielen
auf der strasse... Guido wird mir vorwuerfe machen, wenn er liest,
dass
ich euch das geheimnis dieses ortes preisgegeben habe. Lindi ist so
schoen
- es waere unertraeglich, schuld zu sein, dass es von touristen
heimgesucht
und durch geld, geschaeft und westliche zivilisation verdorben
wird.
Schon unsere anwesenheit war zu viel des westlichen einflusses. Aber
der
sueden tanzanias ist so schlecht zu erreichen, da ist die gefahr nicht
so
gross, dass dies eine wirksame werbung fuer euren besuch in lindi ist.
Natuerlich
sind wir auch zwei kleine romantiker, die hier nur die “idylle”
und
“natuerlichkeit” und “ruhe” des lebens sehen. Sicher haben auch die
menschen
in lindi ihre probleme, aber die sind uns nicht begegnet. Hier
fragt
man sich wirklich, was “entwicklung” eigentlich soll. Warum mit aller
kraft
die moderne nach lindi bringen (strassen, wasserleitungen und handys
in
den garten eden)? Es wuerde so viel kaputt gehen. Aber der wandel wird
kommen,
frueher oder spaeter. Und die leute wuenschen sich ja auch eine
modernere
infrastruktur, arbeitsplaetze in industriellen wirtschaftszweigen,
wollen
teilhaben an den “segnungen” westlicher entwicklung – wie sollte man
sie
ihnen also vorenthalten? Es ist total schwierig: ist “entwicklung” der
wunsch
der menschen, ist sie die ueberwindung von problemen, der ausweg aus
elend
oder ist sie modernisierung, verwestlichung, zerstoerung von eigener
kultureller
identitaet und von funktionierenden alternativen systemen?
Von
lindi sind wir mit einem segelboot nach mtwara gefahren. Ich weiss bis
heute
nicht, ob es gut war, die fischer durch diesen zusatzverdienst zu
unterstuetzen,
oder ob solche aktionen der anfang vom tourismus und damit
vom
ende des paradieses sind. Als weisser greift man hier einfach immer und
ueberall
ein. Es ist unmoeglich, neutral zu bleiben, sich herauszuhalten.
Die
fahrt selbst war jedenfalls sehr schoen. Jedenfalls als sich meine
seekrankheit
allmaehlich gelegt hatte. Wir hatten am abend eine ziemliche
flaute,
so dass wir in einer bucht bis in die nacht abwarten mussten. Dann
wurden
die segel gesetzt, sternklarer himmel, der mond als oertliche und
zeitliche
orientierung ueber uns und sein schimmern auf dem wasser,
sonnenaufgang
auf dem ozean und schliesslich die einfahrt in den hafen von
mtwara
am morgen...
Danach
sind wir dann aber wieder mit dem bus weitergefahren, was allerdings
auch
immer wieder ein erlebnis ist. Fuer die strecke mtwara-songea hatten
wir
einen tag geplant, gebraucht haben wir drei. Die busse sind immer
uebervoll,
man kriegt kinder auf den schoss gesetzt oder steigt am besten
gleich
aufs dach, da ist es nicht ganz so eng. Nur muss man dort auf die
aeste
der baeume aufpassen und es wird noch staubiger als unten im bus.
Hinten
ist sowieso immer eine riesige rote wolke, unangenehm wird es aber
nur,
wenn vor dem bus ein land-rover oder ein anderes fahrzeug unterwegs
ist,
dann kriegt man natuerlich den ganzen roten staub ab, der sich auf
gesicht,
haare kleidung, in die atemwege legt. Man sieht sehr lustig aus
nach
so einer fahrt. Jetzt weiss ich, was es heisst, vom reisen schmutzig zu
sein...
In
den staedten machen wir uns dann immer auf die suche nach jugendgruppen,
fragen
bei kirchen, moscheen, parteien, ngos oder einfach auf der strasse
und
lassen uns weiterhelfen. Wir fallen natuerlich immer sofort auf. unsere
anwesenheit
spricht sich meist auch ziemlich schnell rum, so dass wir
manchmal schon angesprochen werden: “are you looking for youth groups?” Es
kann
auch schon mal vorkommen, dass man bloss einen menschen anspricht, der
aus
der moschee kommt, und zwei minuten spaeter ist man umringt von 60, 80
leuten,
die lauschen, wie man versucht (auf swahili oder englisch) sein
anliegen
zu erklaeren. Dann wird man in ein office irgendwo in einer anderen
strasse
gefuehrt, gefolgt von einem ganzen zug menschen, die neugierig sind,
was
der “mzungu” will (und meistens auch hoffen, dass er etwas bringt!).
Genug,
meine zeit hier ist abgelaufen. Ich kann nicht absehen, wann ich mich
das
naechste mal melden kann, vielleicht auch erst im
september wieder von
arusha
oder moshi oder aus dsm nach unserer rueckkehr.
Seid
alle lieb gegruesst von euerm johanes.
24.08.2001
– 19:05 Uhr
hallo
mal wieder!
wir
haben mwanza erreicht, soviel ich weiss die zweitgroesste stadt
tanzanias,
wunderschoen gelegen, zwischen felsen, am lake victoria. zeitlich
liegt
jetzt genau die haelfte unserer insgesamt ungefaehr fuenf bis sechs
tausend
kilometer langen tanzania-rundreise hinter uns. das schiff nach
bukoba,
die naechste station unserer reise, faehrt erst am sonntag und so
haben
wir hier etwas zeit, um in der virtuellen naehe zur heimat zu
verweilen,
uns der illusion der einen, enger zusammengerueckten welt
hinzugeben.
dieser moment ist so ganz anders als unsere reise sonst, man
vergisst,
dass man in afrika ist. man sitzt am computer, knabbert erdnuesse
dazu
(wie in deutschland, nur mit besserem gewisssen, weil sie nicht durch
die
halbe welt gefahren worden sind), die taz teilt mit, dass in
deutschland
ueber die ueblichen themen diskutiert wird: eu-osterweiterung,
einwanderungspolitik,
nato-einsatz in mazedonien. all das ist geographisch
und
gedanklich so weit weg - und mit ein paar mausklicken ist man ploetzlich
wieder
mittendrin.
aber
zurueck nach afrika, nach tanzania.
heiss
ist es geworden. der schweiss rinnt, man kann gar nicht genug wasser
trinken
und in den mittagsstunden, wenn man dem eigenen schatten schon fast
auf
dem kopf steht, meint man, die sonne wuerde einen von oben erschlagen.
wir
sind im "winter" angekommen, jetzt wird es "fruehling" (was
nicht
stimmt,
denn die sonne "ueberquert" tanzania zweimal im jahr, d.h. es
muesste
also jaehrlich zwei warme und zwei heisse perioden geben, keine
jahreszeiten
wie bei uns). in dieser hitze ist es eine wonne, irgendwo an der
strasse
eine apfelsine zu schluerfen, eine kokosnuss zu trinken, sich eines
dieser
saftigen, mundgerecht geschnittenen ananas-stuecke geben zu lassen,
das
die jungs auf grossen platten auf ihren koepfen ueber die maerkte
tragen,
oder eine mango (diese mangos sind ein gedicht!) zu verspeisen.
seit
drei wochen gehen wir nun dieser verrueckten taetigkeit nach: wir
kommen
in einer provinzstadt an, suchen uns eine unterkunft (meist in so
einem
catholic hostle, wo es relativ sicher ist und wir, indem wir von einem
gewissen
ueberfall, dessen opfer wir am strand von dar es salaam geworden
sind,
erzaehlen, meistens auch noch den preis ordentlich nach unten druecken
koennen),
und am naechsten tag geht es los: kreuz und quer durch die stadt
auf
der suche nach jugendorganisationen. meistens brauchen wir nur
anderthalb
tage, bis wir das gefuehl haben, die (meist recht duenne) szene
der
youth organisations einigermassen zu kennen, bis wir stadtbekannt sind
und
bis alle kinder uns wenigstens einmal begruesst haben: "how are
you?",
"shikamoo"
(respektvoller swahili-gruss gegenueber aelteren), "MZUNGU!"
("hallo
weisser!", wird einem alle paar schritte zu- und nachgerufen), "good
morning, teacher", "what's my
name?" (ja, manche fragen tatsaechlich:
"what's
MY name?"!) oder oft auch nur mit "give me money" oder
"give me two
hundred".
und nach diesem kurzen eintauchen und durchkaemmen der stadt
fahren
wir auch schon wieder ab, in die naechste region auf unserer liste.
das
letzte mal habe ich mich aus songea gemeldet. die naechste station
unserer
reise war mbeya im suedwesten des landes.
mag
jemand abenteuerliche anekdoten? in mbeya haben wir nur auf der
durchreise
uebernachtet, eine nacht, die es in sich hatte. wie immer, wenn
es
fuer mich brenzlig wurde, war guido im internet. (er kann nichts dafuer,
aber
es ist so.) er hatte wichtige dinge zu tun, arbeitete an einem antrag
fuer
ein asa-projekt im naechsten jahr, also durchaus ein ehrenwertes
engagement.
nur machte ich mir allmaehlich sorgen, als es abend wurde und er
nicht
in dem guest house erschien, in dem ich ein zimmer fuer uns gemietet
und
in das ich unsere sachen gebracht hatte. am naechsten morgen um halb
fuenf
sollten wir am bus sein und guido ist eigentlich nicht der mensch, der
freiwillig
und ohne not auf seinen nachtschlaf verzichtet. es wurde zehn,
wurde
elf... ich hatte ihm nur ungefaehr beschreiben koennen, wo sich unsere
unterkunft
befand, vielleicht hatte er es ja nicht gefunden und irrte nun
durch
mbeya (eine unangenehme vorstellung: verschiedene leute hatten uns
gewarnt,
mbeya sei nicht das sicherste pflaster), vielleicht war er an
irgendeinen
uns beiden bekannten punkt gegangen, an den busplatz oder so, in
der
verzweifelten hoffnung, mich dort zu treffen. einschlafen konnte ich mit
diesen
gedanken im kopf nicht und beschloss gegen zwoelf uhr, mich auf die
suche
zu machen. was ein fehler war.
mbeya
bei nacht, allein, das ist kein platz fuer spaziergaenge. am eingang
eines
holzverschlages sassen ein paar kichernde frauen, die mich zu sich
winkten
und riefen. welche art ware sie mir wohl anbieten wollten, zu dieser
stunde?
lieber weiter. am busplatz an zecherrunden vorbei, die
unverstaendlichen
zurufe der betrunkenen ignorierend. nur schnell durch
hier.
oh gott, wenn guido sich hier wirklich verirrt hat, das guest house
nicht
findet, an wen von all diesen zwielichtigen gestalten mag er geraten
sein?
die nachtwaechter in den anderen guest houses hatten keinen mzungu
gesehen
- also blieb mir nur, die strasse hinauf zu gehen, in den stadtteil
mit
dem internet-cafe. die strasse war einsam, so einsam, dass man sich
eigentlich
sicher fuehlen konnte, dennoch pruefte ich immerzu die sich (fuer
den
notfall) anbietenden fluchtmoeglichkeiten.
aber
das problem, das mich schliesslich erwartete, war ein ganz anderes:
hunde.
tagsueber bemerkt man sie gar nicht, aber nachts, da bellen und
heulen
sie immer, in jeder stadt, so dass man kaum schlafen kann. und jetzt,
als
ich diese einsame strasse hinaufging, da standen sie ploetzlich vor mir.
erst
kam nur einer auf die strasse getrottet, dann ein zweiter und
schliesslich
waren sie zu dritt. ich blieb stehen, forderte sie (instinktiv
auf
swahili) auf, zu verschwinden, was sie nicht taten, im gegenteil, sie
kamen
langsam auf mich zu. ich begann, vorsichtig zurueckzuweichen und rief
ihnen
dabei etwas lauter und in einem nachdruecklichen deutsch zu, dass ich
ihr
naeherkommen nicht wuenschte, was sie beflissen ignorierten. mein
lautes,
wuetendes rufen und fuchteln mit den haenden beantworteten sie
ihrerseits
mit einem gebell, das saemtliche hunde der nachbarschaft
alarmierte,
so dass schliesslich das ganze stadtviertel zu bellen und zu
heulen
schien, waehrend die drei immer schneller auf mich zukamen, nun schon
ganz
nah waren und nicht die spur eines anscheins erweckten, sich durch
meinen
protest beeindrucken zu lassen. im zurueckweichen stolperte ich ueber
eine
treppenstufe hinter mir, lag nun da und hatte spaetestens in diesem
moment
den beruehmten rand der verzweiflung weit ueberschritten. die
situation
erinnerte mich an die am strand von dar: ich an der erde, die drei
anderen
- deutlich in der mehrheit, oder wie ich wohl eher sagen sollte, da
es
sich weniger um eine abstimmungssituation handelte, als um ein physisches
kraeftemessen:
in der ueberzahl - unmittelbar vor, quasi ueber mir. nur
waren
d i e s e drei nicht mit geld zufrieden zu stellen. angreifende tiere
haben
im gegensatz zu menschen nicht noch irgendwelche moralischen skrupel.
vor
allem wenn sie tollwut haben nicht. auf die tollwutimpfung hatte ich im
vorfeld
meines afrika-trips verzichtet - man muss ja nicht jeden
sicherheitszirkus
mitmachen und dass ich mich von meinem lieben vater zur
einnahme
von lariam (als malaria-prophylaxe) habe ueberreden lassen, hatte
ich
bereits als zugestaendnis empfunden. aber gegen tollwut kann man sich ja
auch
nachtraeglich ein serum spritzen lassen - wenn man nach dem
zerfleischtwerden
noch so lebendig ist, dass man sich zu einem arzt
schleppen
kann... solche gedanken schossen mir im kopf herum, als ich so an
der
erde lag, auf dem ruecken rueckwaerts kriechend und versuchend, die drei
klaeffenden
bestien mit den fuessen abzuwehren. (ich glaube, ich habe in
meiner
angst sogar kurz an diesen gott gedacht...)
wenn
man an afrika denkt und an die gefahren, die einen in dieser wildnis
dort
erwarten koennen, da faellt einem ja einiges ein, gerade, was das
tierreich
betrifft: loewen und hyaenen, krokodile und panther, skorpione und
schlangen.
ist es da nicht geradezu peinlich, sich von lumpigen, reudigen
hunden
anfallen zu lassen? mir war die identitaet dieser tiere in jenem
augenblick
herzlich egal und ich fuehlte mich einfach nur hilflos in diesen
sekunden
der angst als ich da am boden lag und hatte nicht mal
mehr die
phantasie,
mir noch irgendeinen glimpflichen ausgang der situation auch nur
vorzustellen.
auf
einmal stand da ein mann hinter mir. ganz ruhig stand er da, aus dem
nichts
gekommen und rief kurz etwas, die drei bis dahin hoechst
unfriedlichen
tiere wichen zurueck und der zaehneflaetschende spuk hatte ein
ende.
ich konnte es noch gar nicht richtig begreifen, rappelte mich, noch am
ganzen
leib zitternd auf und stammelte irgendwelche dankesworte. ich glaube,
das
war eine begegnung mit meinem schutzengel, der da als penner oder als
watchman
verkleidet hinter jener mauer an seinem feuerchen gelegen hatte,
vor
der sich mein drama abspielte. erst als ich schon auf dem rueckweg war,
wurde
mir bewusst, in welchem ausmass ich diesem menschen meine rettung
verdankte
und ich bedauerte es, ihm nicht wenigstens ein bisschen geld
gegeben
zu haben. richtig, einen schutzengel kann man nicht bezahlen, mit
geld
schon gar nicht, er ist einfach da und rettet ohne grund und ohne
verdienst.
aber vielleicht haette der arme mensch hinter der mauer sich ja
ueber
ein oder zwei tausend schilling gefreut.
dann
kam mir wieder guido in den sinn, dem es vielleicht genauso gegangen
war,
der jetzt zerfetzt und blutig irgendwo in einer gosse lag...
ich
weiss nicht, vielleicht waere ich wirklich noch zur polizei gegangen,
wenn
ich ihn nicht, gleich neben unserem guest house, gefunden haette. ich
sah
ihn durch ein fenster im inneren eines hauses sitzen, wo er (zu spaeter
stunde,
als das internet-cafe geschlossen hatte), zu abend gegessen hatte und dann
in
dieses hochinteressante gespraech mit einem jungen mann versunken war,
zwanzig
meter von unserer absteige entfernt, waehrend ich mich im bett hin
und
hergewaelzt hatte, schliesslich nochmal aufgestanden und seinetwegen auf
abenteuersuche
in die stadt gegangen war, mich durch die betrunkenen gauner
hindurchgefragt
hatte und beinahe von den bestien in stuecke gerissen worden
war,
um es mal etwas dramatisch auszudruecken. in der sorge um guido hatte ich mir
schon
ausgemalt, wie es ist, den asa-aufentahlt wegen verlusts des
"teampartners"
(asa-jargon) abzubrechen. nun war ich viel zu erleichtert, um
ihm
wirklich boese zu sein, dass er mich in ungewissheit hatte warten
lassen.
im
uebrigen habe ich in meiner sorge natuerlich voellig uebertrieben. man
steigert
sich ja leicht in sowas rein, erst recht, wenn einem vorher zwei
drei
leute erzaehlt haben, in mbeya muesse man aufpassen, und wenn man
gerade
erst ueberfallen worden ist - und
schliesslich, wenn man medikamente
zu
sich nimmt, die durch nebenwirkungen wie albtraeume und halluzinationen
von
sich reden machen...
ein
altes afrikanisches sprichwort sagt: "fuer jeden schreckensmoment, den
ein
reisender in afrika erlebt, wird er durch das erlebnis eines
dreimalsogrossen
gluecks entschaedigt."
leider
existiert dieses sprichwort nicht. aber es ist wahr, und darum habe
ich
mir die freiheit genommen, es zu erfinden.
nach
unserem zwischenstopp in mbeya waren wir in sumbawanga taetig, einem
gemuetlichen
bergstaedtchen im hintersten hinterland, wo die alten
afrikanischen
kulte und zauber noch leben und bluehen sollen. davon haben
wir
nichts mitbekommen, wir haben in einem funkelnagelneuen kongresscentre
der
moravian church (sponored by germany) gewohnt, kostenlos, weil der
daenische
manager es fuer angemessen hielt, uns diese "nachbarschaftshilfe"
zukommen
zu lassen.
die
fahrt von sumbawanga nach kigoma war dann der bisherige hoehepunkt
unserer
reise.
wir
wollten uns gerne ueber den tanganyika-see in kigoma einschiffen und
mussten
dazu zu einem bestimmten zeitpunkt in einem bestimmten dorf am see
sein,
wenn das schiff, das einmal woechentlich die kueste des 600 km langen
sees
hinauf- und hinuterfaehrt, das dorf passierte. auf den strassen dort im
laendlichen
gibt es aber im allgemeinen keine verkehrsmittel,
schon gar
keine
oeffentlichen. wir fuhren, was in solch einem fall ueblich ist, auf
einem
offenen lkw mit, an dessen abfahrtsplatz wir uns in den morgenstunden
einfinden
mussten. dann wurde erstmal geladen. wir fuhren von einem kleinen
handelskontor
zum andern, luden kartons mit seife, gebaeck und
streichhoelzern
auf, saecke mit salz und mehl, limonadekaesten, ein grosses
fass
benzin, schaumstoffmatten und dazwischen das gepaeck der passagiere.
ich
kam mir ein bisschen vor (man verzeihe mir den vergleich des heutigen
afrikas
mit der europaeischen geschichte - viel zu oft interpretieren wir
die
andere kultur durch die eigene geschichte und bilden uns dann ein, die
anderen
muessten einen "entwicklunsweg" nachgehen, den wir vorgegangen
sind),
als fuehre ich auf dem planwagen eines haendlers mit, der im 18.
jahrhundert
in einer europaeischen handelsstadt, sagen wir leipzig, zu einer
ueberlandfahrt
aufbricht und neben seinen waren auch noch reisende mitnimmt,
die
sich oben auf die fuhre setzen duerfen. hundert kilometer hatten wir vor
uns,
eine gute tagesreise. herrlich, so eine fahrt durch die gebirgsebenen,
hoch
oben auf den ganzen waren sitzend, gemeinsam mit vielleicht zwanzig,
dreissig
weiteren passagieren, meist junge maenner, aber auch aeltere und
frauen
mit kindern an der brust.
in
der abenddaemmerung hatten wir die zweite reifenpanne. das reserverad war
bereits
verbraucht, aber wir hatten glueck, und noch ehe der laeufer, der ins
naechste
dorf geschickt worden war, angekommen sein konnte, kamen zwei
weitere,
ebenso mit menschen und waren bepackte laster, die hielten und das
noetige
material zum flicken des reifens dabei hatten, so dass der schaden
schnell
behoben werden konnte, waherend einige der mitgefahrenen haendler
die
zeit nutzten, um ihre kartons zu oeffnen und den mitgereisten
passagieren
ihre waren feilzubieten.
danach
wurde die strasse wirklich schlecht, so schlecht, dass unser lkw sich
zwischen
den loechern auf dem grund, der kaum strasse zu nennen war, so sehr
neigte,
dass wir, oben sitzend und uns festklammernd, meinten, er muesse
jeden
moment ganz sicher umkippen. immer wieder hiess es dann: anhalten,
absteigen,
laufen. eine kolonne von drei schnaufenden, schwankenden
ungetuemen
(die drei lkws fuhren nun hintereinander) zuckelte,
elefenatengleich,
die unebene strasse hinunter. dazwischen im laufschritt
drei
gruppen von jeweils zwanzig maennern, in nacht, staub und
scheinwerferlicht.
bis zu dreissig zentimeter hob sich das eine oder andere
der
hinteren radpaare zuweilen vom boden, wenn der laster in die schieflage
geriet.
waren wir in solch einem moment oben auf dem gefaehrt, blieben uns
fast
die herzen stehen - worueber sich unsere routinierten reisegefaehrten
nur
amuesierten. sie wussten, dass die lkws bei dieser tour gewoehnlich nur
in
der regenzeit umkippen.
gegen
mitternacht kamen wir endlich in kipili am tanganyika-see an. der
tanganyika-see,
dieses einzigartige, lange, tiefe gewaesser im herzen
ost-afrikas!
dort wurden wir am naechtlichen strand von anderen reisenden
willkommen
geheissen, die an der glut ihres schon heruntergebrannten feuers
ebenfalls
auf das schiff warteten. wir legten uns zu ihnen unter den
sternenhimmel,
lauschten den grillen, dem plaetschern des wassers, dem
leichten
schnarchen einiger menschen und genossen diesen frieden. - diesen
frieden
diesseits des sees: auf der anderen seite liegt die DR kongo, ist
buergerkrieg.... irgendwann vernahmen wir in der ferne ein leises
tuckern:
die
liemba. das geraeusch wurde lauter und irgendwann hiess es: "auf,
wazungu,
in die boote!" in kleinen holzbooten wurden wir aufs wasser
gebracht
und endlich kam das schiff in sicht und tauchte das wasser mit
seinen
lichtern in einen gruenlich-tuerkisen schein. es war ein genialer,
surrealistischer
augenblick, wie wir da mitten in der nacht in unserem boot
auf
dem wasser sassen, die ruderer sich ins zeug legten, um dem gewaltigen
schiff
entgegenzufahren. wir umrundeten den respekteinfloessenden bug und
konnten
auf der anderen seite durch eine tuer, die seitlich geoeffnet wurde
einsteigen.
und
dann waren wir auf der liemba. im ersten (!) weltkrieg wurde das schiff
von
den deutschen per eisenbahn bis zum tanganyika-see befoerdert. damals
trug
es den namen "graf von goetzen". damit die englaender es nicht
kriegten,
haben unsere jungs es dann versenkt. die briten hoben es wieder
und
seit 1924 verbindet es, nun mit dem namen "mv liemba", als
passagierschiff
burundi, tanganyika (heute tanznia) und zambia auf dem
tanganyika-see.
seit fast 80 jahren, woechentlich.
ein
einmaliges erlebnis war es fuer uns, diese fahrt mitzumachen, auf diesem
see,
auf diesem schiff! wir kauften uns ein dritte-klasse-ticket, blieben
aber
nicht in den stickigen massen-saelen unter deck, sondern richteten uns
ganz
vorn am bug ein, wo wir nicht nur nachts den sternenhimmel und am tag
die
aussicht auf den see und die bergige kueste hatten, an der wir
vorbeifuhren,
sondern auch herrlich die ladevorgaenge beobachten konnten,
die
sich an jedem dorf, das wir passierten abspielten: die liemba stoppte
und
unzaehlige kleinerer und mittlerer boote kamen auf sie zu und brachten
riesige
saecke mit reis und mais, allerlei andere transportgueter,
passagiere
mit ihrem gepaeck, und verschiedenste speisen fuer die fahrgaeste
an
bord. nicht nur die fuelle des laderaums nahm von halt zu halt zu, bis
auch
ueberall in den gaengen und bergeweise an deck noch saecke gestapelt
waren,
sondern auch die gerueche wurden intensiver: es fuhren schliesslich
auch
ziegen mit und huehner (morgens wurde man von kraehenden haehnen
geweckt...),
einige der kinder konnten ihren durchfall schlechter
zurueckhalten
als guido und ich... kurz, es war eine sehr bunte fuhre, ein
riesenerlebnis,
das uns wiedermal den eindruck vermittelte, wenn nicht in
eine
voellig andere welt, so doch wenigstens in eine andere zeit gereist zu
sein.
(ich bin wirklich kein anhaenger dieser linearen
modernisierungstheorien,
die behaupten, die laender afrikas befaenden sich
in
einem entwicklunsstadium, das die europaeischen laender bereits
durchlaufen
haben - aber manchmal draengt sich der historische vergleich
einfach
auf, zumal, wenn man mit einem alten deutschen schiff vom beginn des
20.
jahrhunderts mitfaehrt, man kommt sich vor wie auf der titanic! (nur
gibt's
hier keine eisberge...))
die
weiterfahrt von kigoma war dann zwar nicht mehr ganz so "titanisch",
aber
immerhin auch historisch: die bahnlinie von dar-es-salaam nach kigoma
(vom
indischen ozean zum tanganyika-see) wurde auch unter deutscher
kolonialherrschaft
gebaut, am ende des 19. jahrhunderts, glaube ich.
guido
und ich haben offenbar ein enormes glueck gehabt mit unserem projekt.
wir
"arbeiten" hier, kommen dabei immer mit vielen leuten in kontakt, und
koennen
dabei und dafuer auch noch dieses ganze schoene, faszinierende land
bereisen.
nun,
ich will mal schluss machen. tut mir leid, wenn ich es heute etwas
uebertrieben
habe mit der laenge. aber wenn man einmal was geschrieben hat,
will
man ungern noch was wieder loeschen, rauskuerzen. (das ist in der uni
mein
problem am ende der abfassung jeder hausarbeit...)
ich
gruesse euch alle und denke an euch!
euer
johannes.
ueberschattetes
16.09.2001
– 20:06
ihr
lieben,
zanzibar,
ostkueste. das klare, tuerkise wasser des indischen ozeans stahlt
in
der mittagssonne. der sand ist samtweich und fein, ein leichter wind weht
angenehm.
kleine jungs mit moslemkappe und maedchen in orangefarbenen
tuechern
laufen auf dem strand entlang, bitten mich um wasser. blauer
himmel.
palmen und nadelbaeume saeumen den strand. einbaeume schaukeln auf
den
wellen, die sich weiss schaeumend ueber den hellen sand ergiessen. - es
ist
wie ein schlechter witz, ich fuehle mich voellig im falschen film, nach
allem
was passiert und jetzt immer im kopf praesent ist.
"ich
moecht' mich aalen in der sonne und kichern ueber einen spass,
jedoch
kann ich nie ganz vergessen, wir sitzen auf dem pulverfass."
noch
nie war diese zeile aus einem lied von gerhard schoene so real, so wahr
fuer
mich, wie in diesem augenblick. es liess sich in den letzten jahren ja
auch
ganz gut verdraengen, dass wir immer noch auf dem pulverfass sitzen.
gewalt
und kriege, katastrophen, not und elend gab es zwar, aber sie
schienen
uns weit weg, beruehrten unser eigenes leben scheinbar so wenig.
nun
fehlen uns allen die worte.
da bildet
man sich ein, man koenne versuchen, irgendwie mitzubauen an einer
friedlicheren,
gerechteren welt, und dabei kaeme es vor allem darauf an, den
boesen,
globalen kapitalismus ein bisschen zu zaehmen (oder noch besser: ein
bisschen
zu ueberwinden) und die usa, inbegriff der
kapitalistisch-imperialistischen
supermacht, seien einer der haupt-"gegner".
seit
dienstag die totale ernuechterung: es gibt noch ganz andere gegner,
verrueckte,
die durch wahnsinnstaten wie die vom dienstag all die
bemuehungen,
auf eine friedliche, offene weltgesellschaft zuzugehen,
torpedieren,
fast laecherlich machen.
sicher,
die regierung der usa hat sich nicht nur freunde gemacht in der
welt,
mit ihrer manchmal skurpellosen, aggressiven
"national-interest"-politik.
(das wird auch dadurch nicht weniger wahr, dass
auch
die herren von npd, dvu und republikanern jetzt darauf verweisen,
wenngleich
sich das irgendwie unangenehm anfuehlt.) aber nach diesen
unfassbaren
ereignissen schaemt man sich schon ein wenig fuer seinen kleinen
antiamerikanismus.
gab es da etwa diesen kurzen, zynischen augenblick
'klammheimlicher
freude': "jawohl, es hat die ammis getroffen, diese
arroganten,
selbsternannten herren der welt! jetzt seht ihr mal, dass ihr
nicht
unverwundbar seid!"? wenn es diesen moment gab, dann schaeme ich mich
dafuer,
angesichts dieser wahnsinnigen tat, angesichts all der opfer.
was
wartet jetzt auf uns? wer wuerde es wagen zu sagen, diese anschlaege
seien
die ersten und letzten dieser dimension gewesen? muessen wir uns auf
israelisch-palaestinensische
verhaeltnisse weltweit einstellen, globaler
nahostalltag
mit regelmaessigen fundamentalistischen terroranschlaegen und
brutalen
(staatsterroristischen) vergeltungsaktionen? angst vor
dem neuen
und
neuartigen krieg, an dessen schwelle wir stehen (oder dessen schwelle
wir
bereits ueberschritten haben sollen). der wunsch, in diesem moment nicht
irgendwo
in der welt zu sein, sondern zuhause bei den lieben...
von
der kriegsrhethorik, die an verschiedenen orten jetzt gepflegt wird,
kann
einem schlecht werden. gut, dass es auch so viele stimmen gibt, die zur
besonnenheit
mahnen. aber besteht in dieser situation ueberhaupt eine chance
fuer
die hoffnung auf eine politik der deeskalation, der verstaendigung, der
suche
nach wegen zum frieden?
wir
waren am dienstagnachmittag in chake chake, der hauptstadt pembas,
angekommen
und befanden uns auf der suche nach einer unterkunft. wir
erkundigten
uns gerade in einem guest house nach dem preis fuer die
uebernachtung,
als wir im fernseher, die bilder aus new york sahen, die
skyline
von manhattan unter einer rauchwolke. wir kannten diese bilder
schon,
aus filmen wie "independence day" usw., es dauerte also eine weile,
bis
wir verstanden hatten, dass das dort live passierte, und WAS da
passierte.
seitdem hat sich unser leben hier etwas veraendert. immer wieder
zieht
es uns jetzt zu den fernsehern in restaurants oder anderen
oeffentlichen
plaetzen, auf denen haeufig cnn laeuft, wodurch wir, zwar
sicher
ideologisch einseitig und in einer dramaturgisch aufgepeppten
version,
aber aktuell und umfassend informiert werden. mehr informationen
gibt's
seit drei tagen wieder aus dem internet. die gedanken kehren haeufig
immer
wieder zu den ereignissen in amerika und den folgen zurueck. alles was
wir
hier tun, unsere ganze entdeckungsreise durch tanzania, was wir hier
erleben
und erfahren, all das kommt mir nun so banal, so unwichtig vor. das,
was
uns alle gerade bewegt, spielt sich ganz woanders ab. gerade jetzt ist
afrika
der ganzen welt noch viel unwichtiger als es ihr so schon ist. wen
hat
diese nebensaechliche, unter "ferner liefen" abgedruckte nachricht
interessiert,
dass in nigeria, unter anderem bei ausschreitungen infolge der
anschlaege
auf die usa, letzte woche ueber 500 menschen getoetet worden
sind,
mehr als im pentagon selbst? wo war unsere betroffenheit, wo die
schweigeminuten,
wo unser entschlossenes eingreifen beim voelkermord 1994 in
rwanda,
als ueber 500.000 menschen umgebracht wurden?
obwohl
die terroranschlaege auf die usa und der sich anbahnende krieg jetzt
fuer
viele von uns wichtiger sind, als die meisten anderen dinge: all das
andere,
das leben geht ja auch irgendwie weiter. ist es unangebracht, wenn
ich
jetzt fortfahre, von unserer reise durch tanzania zu erzaehlen,
"business as
usual"? ich hoffe, nicht.
nach
sechs wochen, knapp 6000 per bus, bahn, schiff oder segelboot
zurueckgelegten
kilometern, untersuchung der jugendorganisationsszene in 12
regionen
tanzanias, naechten in 34 verschiedenen betten, unzaehligen
schachpartien
und unendlich vielen eindruecken vom leben der menschen sind
wir
heute frueh nach dar es salaam zurueckgekehrt. es war ein bisschen, wie
zurueck
nachhause kommen. der hafen von dar (wir kamen mit dem schiff aus
zanzibar
an) und die uferstrasse in der morgensonne, dann mit dem dalladalla
zu
unserem studentenwohnheim, wo uns die waechterInnen wiedererkannt und mit
freudiger
ueberraschung empfangen haben. jetzt bleiben uns zwei wochen, um
die
gesammelten informationen auszuwerten und in irgendeine schriftliche
form
zu giessen, in der das national youth forum etwas von ihnen hat.
viel
wichtiger als dieses "ergebnis" ist fuer uns natuerlich, dass wir
diese
reise
machen konnten und so viel vom land gesehen haben. viele glueckliche
momente
bleiben in der erinnerung: die naechte auf der "victoria" bei der
ueberquerung
des gleichnamigen sees, heimlich im rettungsboot auf der
isomatte
liegend und unter den sternen hindurchfahrend.... das sitzen
im
fahrtwind
auf dem dach eines dieser urviehcher, die hier als ueberlandbusse
ueber
die pisten brettern (rekord waren fuenf pannen auf einer tagesstrecke
-
derselben strecke uebrigens, auf der zwei tage nach uns einer jener busse
an
einem berg umgekippt ist, was einige der fahrgaeste nicht ueberlebten,
wie
wir mit einem ziemlich mulmigen gefuehl erfuhren)....
die fahrt auf dem
fahrrad
mit dem kleinen Seif auf der stange, der mir den weg zum
vorsitzenden
einer gruppe, die ich besuchen wollte, zeigte und sich wie ein
koenig
fuehlte, von einem weissen chauffiert und ihn unter den staunenden
augen
seiner freunde durch die strassen des stadtviertels dirigierend:
"links
abbiegen, geradeaus, naechste rechts...".... die
begegnung mit jenem
gemuetlichen
alten, dem vorsitzenden der civic united front in shinyanga,
der
das spiel (das mit den bohnen, die reihum in die ausgeschnitzten
vertiefungen
eines holzbretts verteilt werden muessen) mit seinem freund
unterbrach,
mich bat, mich neben ihm auf die bank vorm haus zu setzen, wo
wir
ueber die jugendaktivitaeten seiner partei sprachen, waehrend hinter den
daechern
der haeuser die sonne unterging.... die fahrt im
offenen dalladalla
ueber
die friedliche, gruene und gewuerznelkenduftende insel pemba, die
schoenen
gesichter der menschen betrachtend, die da gemeinsam mit uns dicht
an
dicht auf den holzbaenken sassen: das des jungen mannes in langem gewand
und
mit moslem-kappe, der mir gegenueber sass, das des alten an der tuer,
der
unterwegs eingestiegen war, barfuss, einen sack aufs dach geladen hatte
und
nun zufrieden in die vorbeiziehende landschaft blickte, das der jungen
mutter
neben mir, die haare unterm schwarzen tuch verborgen, einen aus
palmenblaettern
geflochtenen korb auf dem schoss und ihr kind.... .... ....
oder
auf einer anderen busfahrt: muetter beissen ihren kindern von einem
grossen
zuckerrohr stuecke zurecht, die sie bloss noch in den
mund zu
stecken
brauchen. das ist schoen, so als kind, man streckt bloss die hand
aus
und bekommt ein stueck zuckerrohr. manche kinder muessen allerdings
ziemlich
schnell selbstaendig werden, einige leben schon mit vier jahren als
strassenkinder.
unvergesslich die grossen augen dieser kinder, die neben uns
standen,
als guido und ich am bahnsteig in shinyanga gemeinsam einen teller
reis
mit bohnen assen und die sich auf diesen teller stuerzten, als wir uns
entschlossen,
ihn ihnen zu ueberlassen.
ja,
wir haben auch viele dinge gesehen, die nachdenklich machen. viele
menschen,
behinderte, alte, kinder, betteln. unzaehlige, gerade kinder und
jugendliche,
muessen versuchen, sich durch irgendwelche geschaefte ein paar
shilingi
zu verdienen. lange habe ich versucht, hier nicht zu werten, die
menschen
in tanzania nicht vorschnell durch meine europaeische brille als
arm,
elend oder gar "unterentwickelt" zu beurteilen. wie arrogant ist es
doch,
wenn wir menschen dafuer bemitleiden, dass sie nicht so sind und nicht
so
leben wie wir! als waere bei uns alles in ordnung! vielleicht leben sie
ja
nur anders, vielleicht ist es ja gar nicht schlechter, ohne auto und
kuehlschrank
und fernseher in einer lehmhuette zu leben. vielleicht muss man
die
kinder auch gar nicht bedauern, die "nicht in die schule gehen
koennen",
wenn
sie stattdessen eine andere art bildung geniessen ("den geschichten
eines
alten unterm baum lauschend" oder was weiss ich), die wir mit unserer
eingeschraenkten
europaeischen perspektive vielleicht bloss nicht als solche
wahrnehmen.
vielleicht ist es sogar in ordnung, wenn die leute nur eine
lebenserwartung
von 50 jahren haben, wenn das fuer sie die normale
lebensspanne
ist, ihre kultur so eingerichtet ist und es ihnen vielleicht
aehnlich
unnatuerlich vorkaeme, durch westliche medizin 80 zu werden, wie
wir
es unnatuerlich faenden, durch gentechnik 120 zu werden. vielleicht sind
die
menschen in afrika also gar nicht so "arm dran", wie wir immer
denken,
bloss
weil sie nicht so leben wie wir, und vielleicht ist unsere ganze
entwicklungsideologie
im grunde eurozentristisch und rassistisch?
also
wollte ich erstmal nicht werten, und schon gar nicht "helfen",
sondern
einfach
nur sehen, wie die menschen hier leben. aber so eine auf
wertneutralitaet
bedachte, kulturrelativistische position ist nur bis zu
einem
bestimmten punkt durchhaltbar. die menschen hier WOLLEN einfach ein
besseres
bildungs-, gesundheits- und sozialsystem, wollen eine staerkere
wirtschaft,
arbeitsplaetze und entwicklung. und sie wollen auch den
westlichen
wohlstand und alle moeglichkeiten, die er eroeffnet. wenn die
tanzanier
selbst all das wollen, dann ist es doch albern und fast zynisch,
ihnen
zu sagen: "moment mal, eure urspruengliche kultur und das, was sie an
funktionierenden
systemen beinhaltete ist doch auch nicht uebel und hoechst
erhaltenswert!
versucht bloss nicht unseren weg zu kopieren. der ist
oekologisch
ruinoes und, glaubt mir, der ganze wohlstand (den wir
selbstverstaendlich
nicht aufgeben wollen), macht auch nicht gluecklich. wir
haben
frueher in der DDR auch gedacht, der westen sei das paradies und sind
eines
besseren belehrt worden. etc. etc." die leute hier wollen entwicklung,
modernisierung,
die westliche zivilisation mit all ihren errungenschaften
und
moeglichkeiten. und die modernisierung hat ja laengst begonnen, die
intakten
originaeren afrikanischen kulturen sind groesstenteils laengst
zerstoert.
das
heisst nicht, dass wir jetzt weiter drauflosmodernisieren sollen, dass
ich
der schnellstmoeglichen verwestlichung das wort reden will, im
gegenteil:
wenn die menschen in afrika, asien, lateinamerika andere wege
gehen
wollen, als wir sie gehen, sollen sie das tun, sie sollen fehler
vermeiden,
die wir gemacht haben und machen und vielleicht koennen wir ja
auch
endlich mal anfangen, von ihnen zu lernen, statt (wie juengst wieder
namhafte
westliche politiker) die westliche welt mit der zivilisation
schlechthin
gleichzusetzen. aber wenn die menschen hier schon selbst sagen,
sie
empfinden es als missstand, dass eltern es sich nicht leisten koennen,
ihre
kinder zur schule zu schicken, dass der gesundheitszustand der menschen
hier
im allgemeinen so viel schlechter ist als bei uns, dass es keine arbeit
gibt
und alle sich so durchwursteln muessen, dann muss ich dieser wertung ja
nicht
unbedingt widersprechen. vielleicht duerfen wir uns ja so weit aus dem
fenster
lehnen, den wunsch nach ausreichend nahrungsmitteln und kleidung,
nach
einem dach ueberm kopf, nach medizinischer versorgung, nach
schulbildung
und unter umstaenden sogar nach einkommensquellen als
interkulturell
konsensfaehig zu betrachten.
so
ungefaehr an diesem punkt bin ich jetzt und da stimmt es dann eben,
jenseits
der wertneutralen einfachen beobachtung der anderen kultur, doch
nachdenklich,
wenn z.b. die frauen und kinder tag und nacht scharenweise die
busse
und zuege umringen um fuer laecherliche preise erdnuesse, bananen,
apfelsinen,
huehner (lebendig, an den beinen zu buendeln
zusammengebunden...),
kekse, getraenke oder reisgerichte
anzubieten. kann
ich
unterstellen, diese jungs seien mit diesem ihrem leben gluecklich und
zufrieden?
werden sie nicht vielmehr von den "unbegrenzten" moeglichkeiten
des
modernen lebens traeumen, um die sie wissen, die fuer sie aber
unerreichbar
sind? wuerden sie nicht sofort mit mir tauschen wollen (- und
wuerde
ich das nicht mit sicherheit NICHT wollen)? wuerden sie nicht gern
zur
schule gehen, sind aber darauf angewiesen hier etwas geld zu verdienen
(und
koennen schon gar nicht die schulgebuehr bezahlen, die unter dem
schoenen
begriff "cost sharing" erhoben wird, seitdem sich tanzania den
strukturanpassungsprogrammen
der westlichen gebergemeinschaft unterworfen
hat,
die auf einen ausgeglichenen staatshaushalt draengt)?
ich
neige inzwischen (wieder) dazu, diese art der armut grosser teile der
tanzanischen
bevoelkerung als solche zu benennen, und zwar nicht, weil es
irgendwie
"objektiv" schrecklich waere, barfuss zu laufen und erdnuesse zu
verkaufen,
sondern weil die meisten tanzanier selbst unzufrieden mit dieser
situation
sind und verbesserungen, "entwicklung" wollen. das alles gilt
allerdings
nur fuer diejenigen bevoelkerungsteile, regionen und
lebensbereiche,
in denen traditionelle systeme schon laengst durch
kolonialismus
und modernisierung verdraengt oder zerstoert worden sind. dort
jedoch,
wo die traditionelle lebensweise nach wie vor fortbesteht und
funktioniert
sehe ich keinerlei anlass fuer bemuehungen um "entwicklung"
(d.h.
modernisierung, nachahmung des westlichen modells). wir hatten in
arusha
die grossartige gelegenheit, ein maasai-dorf zu besuchen. die maasai
sind
ein stamm in tanzania, der sich seine traditionelle lebensweise
groesstenteils
bis heute erhalten hat. sie zuechten rinder, ergaenzt durch
ein
paar ziegen und etwas ackerbau. die maasai leben in der grossfamilie
zusammen,
in lehmhuettensiedlungen, haben ihre eigenen, traditionellen
sozialen
regeln und wertsysteme, die meisten kinder gehen nicht in die
staatlichen
schulen, sondern hueten die kuehe. und es funktioniert. warum in
aller
welt sollte da einer ankommen und den "armen", "primitiven"
maasai
strassen,
stromleitungen und mathematikunterricht bringen?
so
ganz hundertprozentig sind natuerlich auch die maasai nicht von der
modernisierung
verschont geblieben. guido und ich waren abends mit unserem
begleiter
mevalari in die siedlung gekommen, hatten das begruessungsritual
vollzogen,
bei dem der besucher jedem der (in unserem fall ca. 15) kinder
der
familie die hand auf den kopf legt und ihm einen keks ueberreicht,
hatten
die einzelnen huetten besucht, in denen sich menschen und ziegen um
ein
raeucherndes feuer draengten, und dort ordnungsgemaess jeweils ein
paeckchen
mit tee und zucker abgegeben, hatten dann noch lange mit mevalari
ueber
das maasai-leben gesprochen, waehrend seine (bisher einzige) frau uns
bohnen
warmmachte und die kinder allmaehlich ihre angst vor uns ablegten und
standen
nun hinter der huette und putzten uns die zaehne. was fuer eine
schoene,
friedliche nacht hier draussen. kein strom, nirgendwo ein licht,
nur
die sterne, der mond und ein paar wenige feuer hier und dort in der
ferne.
herrliche stille, nur ein paar leise murmelnde stimmen und vielleicht
ein
rascheln im verschlag der ziegen oder im gebuesch. wir blickten in den
himmel
und in die weite, die ruhe geniessend - und dann klingelte in der
maasai-huette
das handy unseres gastgebers...
von
schoenen augenblicken auf unserer reise habe ich heute schon geschrieben
und
von den vielen anlaessen, ueber entwicklungsfragen ins gruebeln zu
kommen.
es gab auch hin und wieder nochmal unangenehme momente: in shinyanga
liessen
wir uns gerade von einer gruppe jugendlicher, die uns ein besonder
billiges
guest house zeigen wollten, auf einem weg stadtauswaerts begleiten,
als
zwei maenner hinter uns hergestuerzt kamen: "hallo, ihr da, wisst ihr,
dass
ihr da gerade mit dieben mitgeht?". in moshi wurden guido aus dem
rucksack
ein paar (unwichtige) dinge geklaut. in tanga wimmelte ein sehr
netter
somalier, der uns half, in der naechtlichen stadt eine unterkunft zu
finden,
jemanden ab, der uns folgte und ihn fragte: "gibt's da arbeit zum
ausrauben?"
und in zanzibar trafen wir andere asa-leute, die gerade aus dar
es
salaam angekommen waren, wo ihnen im guest house sachen gestohlen worden
waren.
es ist auf die dauer etwas anstrengend, immer so aufpassen zu
muessen.
und es ist unschoen und traurig, dass wir den menschen oft erstmal
mit
einem gewissen misstrauen, manchmal sogar mit angst
begegnen. und all
das
nur, weil es arme gibt und reiche, wie zum beispiel uns, die zu
bestehlen
sich lohnt. - man darf eben nicht reich
sein. (wie war das:
vielleicht
ist ja doch der reichtum der diebstahl?)
etwas
unangenehm war auch die woche, als unser geld knapp geworden war. wir
waren
ja eines gewissen anteils verlustig gegangen und nun darauf
angewiesen,
mit dem rest bis arusha durchzukommen, wo wir ueber andere
asa-leute
nachschub erwarteten. als wir absehen konnten, dass unser geld
eher
zuende gehen wuerde als unsere reise bis arusha mussten wir dann
beginnen,
statt nach den billigen, nach den ganz billigen
uebernachtungsmoeglichkeiten
zu suchen, teilten uns zu zweit einzelbetten,
bewohnten
zwielichtige absteigen, wo man uns auf vertrauliche weise
signalisierte,
man koenne fuer uns ein "treffen" mit frauen arrangieren,
falls
wir das wuenschten, verzichteten auf die eine oder andere mahlzeit und
mussten
es nahezu kategorisch ablehnen, bettelnden leuten etwas zu geben.
bizzar
die situation, als eine ganze schar kinder hinter uns herlief, immer
wieder
um geld bittend, bis wir schliesslich stehenblieben und ich
versuchte,
ihnen zu erklaeren, wir seien bestohlen worden und am ende
unseres
geldes angelangt. sie starrten uns mit grossen augen an (weisse ohne
geld?)
und blieben ratlos stehen, als wir um die ecke bogen - und
schnurstracks
in die naechste bank gingen, um zu fragen, ob sie travellor
cheques
umtauschen. es ist manchmal schwer, der welt noch zu glauben, dass
sie
nicht verrueckt ist.
aus
der patsche geholfen haben uns in unserer etwas schwierigen finanzlage
schliesslich
v.a. die kirchen, so dass wir die idee, das eine oder andere
mittelchen
aus meiner (vielleicht etwas zu umfangreichen) reiseapotheke zu
verhoekern,
nicht mehr umzusetzen brauchten. "meine" lutheraner in shinyanga
gaben
uns tee und wasser und bezahlten das guest house fuer uns, "guidos"
katholiken
in singida spendierten uns sogar ein paar mahlzeiten und liessen
uns
zu dem preis in ihrer herberge wohnen, den wir bezahlen konnten. ein
bisschen
schaebig kamen wir uns manchmal ja schon vor, da wir einerseits
gelegentlich
ueber die mission in afrika schimpften, weil sie einen auch
zerstoererisch
wirkenden kulturtransfer darstellt, und andererseits, wenn
wir
auf die hilfsbereitschaft der kirchenleute spekulierten, gern als die
braven
jungs aus deutschland auftraten, die - oh unglueck! - in dar es
salaam
ueberfallen worden sind. erfreulicherweise sind uns die kirchen hier
allerdings
eher sozial- als bekehrungsaktiv begegnet. wir hatten schlimmeres
erwartet,
nachdem wir bei unserer recherche nach jugendorganisationen in den
vereinsregistern
des tanzanischen innenministeriums in dar es salaam auf
gruppen
mit wohlklingenden namen wie"aggressive christianity mission
training
corps tanzania" gestossen waren. nur die pentecoastal church
versucht
die menschen zu ueberzeugen, dass allein bei ihr das heil zu finden
sei
und auch ich musste auf der strasse einen echten bekehrungsversuch ueber
mich
ergehen lassen. (die mission schlaegt zurueck.)
andere
leute wiederum haben nicht versucht, mich zum glauben an jesus
christus
zu bekehren, sondern schlimmer: sie riefen mich, nicht nur ein
paarmal,
mit seinem namen: "jesus christ!" oder "bwana yesu!" (herr
jesus).
nunja,
die haare auf dem kopf und im gesicht sind in den vergangenen monaten
wieder
etwas gewachsen, so dass ich... - sicherlich keinerlei aehnlichkeit
mit
dem nazarener habe, wohl aber mit den auch hierzulande ueblichen
europaeisierten
jesus-darstellungen. das christentum ist nunmal europaeisch,
der
ueberlieferte jesus eher ein europaeer, denn ein hebraeer. (und hier im
deutsch-missionierten
tanzania ist er natuerlich am ehesten deutscher.) als
wir
vor zwei wochen in einer katholischen messe waren und all die leute, vor
allem
die kinder, mich gross anstarrten, habe ich schon ueberlegt, ob ich
nicht
am ausgang ein paar wunder tun sollte. kranke heilen durch
handauflegen
oder so - vielleicht wuerde ihnen ihr glaube ja helfen...
die
letzten station unserer reise waren pemba und unguja, die inseln
zanzibars,
die sich deutlich vom festland unterscheiden: der
jahrhundertelange
arabische einfluss ist an den gebaeuden, am (vielseitigen,
leckeren)
essen und an der religion und kultur der menschen sicht-, schmeck-
und
erfahrbar.
um
nach pemba zu kommen, mussten wir zunaechst in tanga auf eine
ueberfahrtmoeglichkeit
warten. guido wollte gern wieder mit einer segel-dhow
fahren,
was allerdings fuer weisse nur mit einer sondergenehmigung erlaubt
ist,
die gewoehnlich nicht oder nur unter aufwendung groesserer geldsummen
ausgestellt
wird. aber man konnte auch ohne genehmigung fahren, wenn man dem
dhow-kapitaen
etwas mehr bezahlte, so dass er den hafenwaechter bestechen
konnte.
der deal wurde arrangiert und wir kamen am abend zur verabredeten
zeit
zum hafen. leider war der hafenmeister zugegen, so dass wir nicht
unbemerkt
zugang zum hafengelaende bekommen konnten. also mussten andere
massnahmen
ergriffen werden: ein kleines boot wurde organisiert, das an
einen
strand ausserhalb der stadt kommen und uns von dort uebers wasser in
den
hafen und zu unserem segelboot bringen sollte. von drei begleitern
wurden
wir zu dem naechtlichen strand gefuehrt,
wo nach kurzer zeit
tatsaechlich
geraeuschlos ein ruderboot aus dem dunkel erschien. nach
erfolgter
gelduebergabe krempelten wir unsere hosen hoch und wadeten mit
unserem
gepaeck zum boot, stiegen ein, man bedeutete uns, uns zu ducken und
leise
zu sprechen und so wurden wir an bord unseres segelbootes gebracht -
"geschleust",
wie guido treffend bemerkte.
stuerme
und unwetter, die uns wie sindbad auf irgendwelche fernen inseln im
indischen
ozean haetten verschlagen koennen, blieben uns erspart und
gemeinsam
mit den ca. dreissig anderen passagieren erreichten wir nach einer
wenig
schlafintensiven nacht auf orangenbergen und anderen waren pemba.
dort
erfuhren wir, nur kurz nachdem sie geschehen waren, von den
terroranschlaegen
auf die usa - und fuehlten uns wie aus einem schoenen,
unbeschwerten
traum gerissen, zurueck in eine schreckliche realitaet.
als
wir am naechsten morgen durch die strassen von chake chake gingen,
fuehlte
ich mich (mit peter struck) ganz als amerikaner, noch einmal mehr,
da wir
uns im am staerksten moslemisch gepraegten landesteil tanzanias
befanden
und manch einer schon den krieg des westens gegen die islamische
welt
heraufbeschwor. die leute auf pemba, mit denen wir darueber sprachen,
waren
natuerlich genauso geschockt und betroffen wie wir...
es
reicht fuer heute. ich hoffe, dass es euch gut geht, trotz allem.
lasst
uns alle das beste hoffen und, wo wir koennen, frieden machen.
ich
melde mich wieder,
euer
johannes.
28.09.2001
– 19:56 Uhr
ihr
lieben alle,
ein
letztes mal noch will ich mich aus tanzania melden, die sache soll doch
abgerundet
werden. und diesmal kann ich sogar ganz komfortabel “zuhause”
schreiben,
denn ein freund hat uns fuer die auswertung unserer daten seinen
lap
top geborgt, so dass wir laengere briefe nicht mehr unter zeitdruck im
internet-cafe
schreiben muessen. auch sonst ist einiges fuer uns bequemer
geworden:
wir sind ende der letzten woche umgezogen und wohnen jetzt in
einem
anderen studentenwohnheim mitten in der stadt, und zwar im selben
gebaeude,
in dem auch das National Youth Forum, die organisation bei der wir
arbeiten,
sein office hat.
die
letzten beiden wochen hier in dar es salaam sind vollgepackt mit arbeit,
aber
es sieht so aus, als wuerden wir tatsaechlich alles schaffen. ein
riesenberg
an unterwegs gesammelten und mit der post eingegangenen
informationen
muss(te) ausgewertet und in den computer gehaemmert werden.
wieder
haben wir dazu ein buero bei der friedrich-naumann-stiftung benutzen
duerfen,
in dem die klimaanlage allerdings so kalt eingestellt war, dass wir
wieder
voellig vergessen konnten, dass wir in afrika sind. passen die
“liberalen”
die atmosphaerischen bedingungen in ihren bueroraeumen dem
sozialen
klima an, fuer das ihr politisches programm steht? andererseits
hatte
die neue chefin der stiftung eine ganz reizende art, mir zu sagen,
dass
ihr die loecher in meinem nach unserer reise etwas zerschlissenen
t-shirt
nicht passen: sie brachte mir nadel und faden - auf aehnliche weise
haette
meine oma das wohl auch zum ausdruck gebracht.
nun
haben wir alle daten im computer und sind eigentlich nur noch am
layouten unseres grossen werks, des “First Directory of Tanzanian Youth
Organizations”.
dennoch kommen immer noch taeglich ausgefuellte frageboegen
mit
der post an, die wir ab morgen nicht mehr beruecksichtigen koennen.
vorgestern
kam sogar jemand persoenlich vorbei und brachte uns einen stapel
mit
50 ausgefuellten frageboegen aus seiner heimatregion mara. guido hatte
ihn
dort kennengelernt, als er eine organisation hiv-infizierter
jugendlicher
besuchte. leider hatte es wohl ein kleines missverstaendnis
gegeben.
unser freund hatte uns nicht nur bei der erlangung von
informationen
ueber jugendorganisationen geholfen, indem er unseren
fragebogen
verfielfaeltigt und peroenlich in der ganzen region verbreitet
hatte,
sondern er brachte uns auch eine handvoll sorgfaeltig ausgearbeiteter
proektvorschlaege
verschiedenster organisationen mit, die, an uns beide
gerichtet,
das jeweilige projekt erklaerten und um unterstuetzung fuer die
finanzierung
baten, jeweils so um die 40000 us-dollar. Man macht sich oft
gar
nicht klar, wie viele falsche erwartungen man weckt, schon allein durch
die
hautfarbe! aber das war noch nicht alles. zum schluss praesentierte
unser
freund uns die rechnung der spesen, die bei der arbeit, die er
(unaufgeforderterweise)
“fuer uns” gemacht hatte, angefallen waren: kopier-
und
telefonkosten, diverse busfahrten in die einzelnen distrikte seiner
region,
kosten fuer mahlzeiten und schliesslich die reise nach dar es salaam
-
eine detaillierte und uebersichtliche liste, insgesamt gute 60000
shilingi,
150 dm. guido und ich wussten lange nicht ob wir lachen oder
weinen,
sauer sein oder mitleid haben sollten. selbst am ende unseres geldes
angekommen,
beschlossen wir schliesslich, ihm ein drittel der gewuenschten
summe
zu geben, damit er sich wenigstens die bahnfahrt zurueck nach hause
leisten
kann.
es ist
erstaunlich auf wie vielerlei unterschiedliche und fuer uns bislang
ungewoehnliche
weise man hier geld loswerden kann. dass es beim handeln
immer
mal dazu kommt, dass man mehr bezahlt als einheimische, ist
selbstverstaendlich
und es ist ja auch in ordnung, dass wir als europaer
manchmal
auch extra-“europaer-preise” bezahlen, das ist eine art “fairer
handel”.
gewoehnungsbeduerftiger sind andere erfahrungen wie das
betrogenwerden
beim geldwechseln und das schiere ausgeraubtwerden. hinzu
kommt
die bestechung von beamten, die in tanzania im vergleich zu anderen
laendern
noch verhaeltnismaessig wenig praktiziert wird und die wir wo immer
moeglich
zu vermeiden versucht haben, die uns in zwei faellen aber
unumgaenglich
zu sein schien. nun wurden wir mit einer weitern art
konfrontiert,
geld zu lassen: die bezahlung nicht in auftrag gegebener
arbeit.
und letzte woche haben wir noch eine kennenglernt:
fund-raising-treffen
fuer hochzeiten. der schwager unseres chefs hebron
heiratet
im oktober und wir hatten das zweifelhafte vergnuegen an einem der
zahlreichen
vorbereitungstreffen teilzunehmen. wir kamen in die betreffende
bar,
wo die zusammenkunft stattfand, eine art biergarten, und sahen, schon
bevor
wir hebron gefunden hatten, dass da ueberall verschiedene runden von
zehn
bis fuenzig leuten zusammensassen, die gemeinsam hochzeiten
vorbereiteten.
jeden abend tagen dort solche gruppen zu eben diesem zweck,
denn
es gilt, das geld fuer die hochzeitsfeier zusammenzukriegen. hochzeiten
werden
hier gross, aufwendig und teuer gefeiert, buchstaeblich mit pauken
und
trompeten, und um das geld beschaffen, trifft sich die familie und der
freundeskreis
des paares monate lang vorher woechentlich (!) zu einem
fund-raising-abend.
es gibt eine tagesordnung einen vorsitzenden,
schatzmeister,
sekretaer und ein protokoll, formell muss es schon zugehen.
und
dann werden alberne (wirklich sehr alberne) spielchen gespielt, bei
denen
jeder ein paar shilingi einsetzt und an die hochzeitskasse verliert.
es hat
eben nie jemand eine groessere menge geld uebrig, die er dem
hochzeitspaar
als unkostenbeitrag fuer die feier zukommen lassen koennte,
also
trifft man sich jede woche, um stueck fuer stueck die enorme summe
zusammenzubekommen.
guido und ich waren nun bei diesem treffen dabei und
konnten
uns also auch der beteiligung an der finanzierung der hochzeitsfeier
nicht
entziehen. moege es ein unvergesslicher tag und eine glueckliche ehe
werden.
a
propos unvergesslicher tag. auch wenn die anschlaege vom 11. september und
ihre
folgen hier in den medien vielleicht nicht ganz so allgegenwaertig sind
wie
in deutschland, so sind sie doch immer wieder inhalt unserer gedanken
und
gespraeche. (oder kehrt etwa auch in europa allmaehlich schon wieder die
(kriegs-)normalitaet
ein?) die ansichten, die ich bisher von tanzaniern zu
den
terrorakten und dem sich abzeichnenden krieg gehoehrt habe, gehen weit
auseinander,
sie reichen von “i’m pro-american” bis zur sympathie nicht nur
mit
den gegnern der usa, sondern mit den anschlaegen selbst. der allgemeine
tenor
ist jedoch: die anschlaege sind grausam und nur zu verurteilen, der
terrorismus
muss bekaempft werden, aber man muss auch nach den gruenden fuer
seine
entstehung fragen - und die regierung der usa ist wegen ihrer aussen-
und
aussenwirtschaftspolitik in vielen teilen der welt nicht gerade die
populaerste.
so sehen das hier die meisten menschen, von denen ich eine
meinung
gehoehrt habe, und aehnlich abwaegend ist auch das, was ich aus den
deutschen
medien mitkriege. allerdings weiss ich nicht, wie die allgemeine
stimmung
in deutschland ist, befuerchte, dass mein aus den internet-ausgaben
bestimmter
deutscher zeitungen gewonnenes bild etwas schief sein koennte.
fuer
viele der menschen hier scheint das thema allerdings gar nicht so
brennend
zu sein, das ist jedenfalls unser eindruck. manche machen sich
allerdings
ziemliche sorgen, haben angst vor einem krieg zwischen westen und
islam
(oder auch “nur” einem oder zwei islamischen laendern), der hier die
ganze
gesellschaft spalten koennte.
aus
einem bestimmten grund ist die ganze sache fuer alle leute vom
asa-programm
nochmal ein ganzes stueck naeher gerueckt. wie wir erfahren
haben,
ist mohammed atta, einer der drei mutmasslichen terroristen, die in
hamburg
gelebt haben und die drei der flugzeuge auf ihre ziele zugesteuert
haben
sollen, 1995 asa-programm-teilnehmer gewesen. er hat fuer drei monate
mit
asa in ich-weiss-nicht-welchem land in irgendeinem projekt gearbeitet,
wie
wir jetzt in tanzania. es ist schwer, sich das vorzustellen. nein, diese
selbstmordattentaeter
sind nicht “irgendwelche irren”, wie ich vielleicht
vorher
glauben wollte, sondern es sind leute wie wir, mehr noch: mohammed
atta
war in gewisser weise “einer von uns”, wie guido es formuliert. einer,
der
sich bei asa engagiert hat, einem verein, der sich fuer verstaendnis
zwischen
den kulturen stark macht, ein politisch bewusster, freundlicher und
ernster
mensch. vielleicht hatte er ja auch damals schon zum teil radikale
ansichten
- aber haben die nicht auch wir oder zumindest einige von uns? es
ist
ein ungutes gefuehl, wenn die dinge ploetzlich so unerwartet nah
ruecken,
erschreckend ist das. erstens, weil man ploetzlich einen ganz
eigenartigen
zerrspiegel vorgehalten bekommt und sich fragt: “herr, bin
ich’s?”
- so absurd es ist, denn nie wuerde ich mich des hangs zum
terrorismus
verdaechtigen. zweitens, weil nun noch viel klarer wird, dass
die
gefahr des terrorismus nicht mit irgendwelchen feldzuegen und dem
ausraeuchern
von ein paar verrueckten extremisten gebannt werden kann. die
terroristen
sind ganz normale leute, die aus unserem naechsten umfeld kommen
koennen.
einiges
ist anders geworden: ich habe das letzte mal geschrieben, dass ich
gelegentlich
von leuten auf der strasse mit “jesus” angesprochen werde. nun,
jetzt
sehen sie mich und rufen: “osama!”. irgend etwas muss
sich geaendert
haben,
und zwar nicht zum besseren, entweder in meiner ausstrahlung oder in
der
welt.
unsere
zeit hier neigt sich gewaltig dem ende zu. morgen abend
schon werde
ich
abreisen. aber zuvor stehen noch grosse ereignisse ins haus: die leute
vom
nyf wollen aus der uebergabe unseres directory’s ein oeffentliches event
machen,
mit reden und presse, sogar das fernsehehen ist eingeladen.
dabei
kommen wir naechsten monat schon in eine zeitschrift: gestern sassen
wir
auf einer bank an der strasse beim fruehstueck, tranken tee und assen
chapati
an einer der offenen “strassenkuechen”. (chapati sind so eine art
eierkuchen
ohne ei und milch, also eigentlich kaum mehr als mehl mit etwas
wasser
und oel vielleicht, duenn in der pfanne gebraten. guido wuerde mir
widersprechen
und steif und fest behaupten, das heisse in deutschland nicht
“eierkuchen”,
sondern “pfannkuchen”, wobei er uebersieht, dass “pfannkuchen”
etwas
ganz anderes ist, naemlich die runden dinger mit zucker drauf und
marmelade
drin. aber auch das wuerde er leugnen und behaupten, das seien
“berliner”
- wobei uns allen zum glueck klar ist: “berliner”, das ist wieder
was
anderes, das sind leute wie john f. kennedy.) wir sassen da also beim
fruehstueck,
als ein journalist vorbeikam und fragte, ob er uns fuer seine
zeitschrift
fotografieren koenne, denn dass weisse an einer strassenkueche
essen,
sei durchaus unueblich, das sei ein ganz unglaubliches, aber
erfreuliches
bild.
wir
sind froh, dass wir waehrend dieser ganzen drei monate und vor allem
waehrend
der reise durch ganz Tanzania eigentlich keine
groesseren probleme
hatten,
dass uns alle moeglichen schwierigkeiten erspart geblieben sind.
gestern
sind wir zu einer moslemischen wohlfahrtsorganisation gegangen und
haben
ihnen meine gesamte reiseapotheke uebergeben. sie war komplett
unangetastet,
bis auf ein pflaster, das ich mir nach dem versuch, eine
kokosnuss
mit dem taschenmesser zu oeffnen, auf den daumen kleben musste.
ihr
seht, wir sind unversehrt, wie man unversehrter kaum sein koennte und
froh,
dass fuer uns alles so glatt gegangen ist.
na gut,
ein paar zwischenfaelle hat’s schon gegeben. ich bin letzte woche
nochmal
zur polizei gegangen, und habe mich nach dem schicksal meines
“strandraeubers”
erkundigt. sie haben ihn nach ein oder zwei wochen laufen
lassen,
weil ich darauf verzichtet hatte, einen gerichtsprozess in gang zu
setzen.
Es gibt also allen grund zur beruhigung. polizeigewahrsam ist hier,
wie
ich, zwar nicht am eigenen leib, aber mit eigenen augen erfahren musste,
nicht
das angenehmste. dabei haette es noch viel schlimmer kommen koennen.
Letzte
woche gingen guido und ich abends durch die stadt, als ploetzlich
rufe
ertoenten: “mwizi!” (“ein dieb!”) und wir sahen, wie jemand davon
lieft,
gefolgt von einer gewaltigen menschenmenge, die bereit waren, den
mann
zu lynchen. wir mussten uns erst kurz berappeln und entschlossen uns
dann,
uns dorthin zu begeben, wo die menge stehen geblieben war und nun
einen
kreis bildete in dessen mitte dinge geschehen mochten, die wir uns
nicht
vorstellen wollten. wir liefen naeher und draengelten uns durch die
menge,
schlimmes befuerchtend und hoffend, jetzt nicht gleich einen
lynchmord
miterleben oder - wenn moeglich -
verhindern zu muessen. aber zu
unserer
grossen erleichterung hatte der mob den dieb nicht gekriegt. Er
hatte
es geschafft, auf das gelaende eines bewachten gebaeudekomplexes zu
fliehen.
Die menge stand laermend und schimpfend am gittertor und wurde von
den
waechtern zurueckgehalten, waehrend auf dem gelaende der dieb sass und
zitterte
und seinen “rettern” willig und dankbar die arme zur entgegennahme
der
handschellen hinstreckte. So geht es hier manchmal zu, der zorn der
leute
auf das verbrechen kann zuweilen explodieren und dann zu handlungen
fuehren,
die wir als neue verbrechen beurteilen. Was haette “meinem”
armen
raeuber
passieren koennen, wenn da nicht die polizisten am ende des strandes
gewesen
waere, sondern eine wuetende menschenmenge? Ich mag ueberhaupt nicht
daran
denken.
Nun
heisst es also abschied nehmen. Ich habe noch gar keine zeit gehabt,
mich
innerlich darauf vorzubereiten. Sicher werde ich erst in ein paar
wochen
in Deutschland merken, was mir alles von Tanzania fehlt. Tanzania.
Was
fuer ein land! Ich kann es gar nicht in worte fassen, was ich empfinde,
wenn
ich versuche. “Tanzania” zu denken. Aber ich habe vielleicht schon
genug
worte gemacht…
Auch
von guido muss ich abschied nehmen. Wir haben drei monate sehr eng
zusammengelebt
und eine sehr schoene zeit miteinander gehabt. Und dabei sind
wir
sooooo unterschiedlich! Wir sind uns beide einig, dass der groesste
kulturschock,
den wir waehrend unseres Tanzania-aufenthaltes bewaeltigen
mussten,
der war, den jeder von uns in der konfrontation mit dem jeweils
anderen
erlebt hat. Lustig war es, manchmal schwierig, sagen wir:
herausfordernd,
und sehr bereichernd. Als wir am ende unserer rundreise mit
anderen
asa-leuten zusammengetroffen sind wurde uns bescheinigt, dass wir
wie
ein altes ehepaar wirken. Und da ist sicher was dran: teils hat man sich
an
die macken des anderen, des “partners” gewoehnt, teils nerven sie einen
immer
noch. einerseits ist man froh, wenn man mit dritten zusammentrifft,
weil
man sich dann mal vom “partner” erholen kann, andererseits gibt es
dinge,
die man nur noch mit ihm teilen kann, die sonst keiner versteht, denn
man
ist eine eingeschworene gemeinschaft, ist einander vertrauter und
komplize.
Ich
glaube, ich werde mich manchmal ein bisschen einsam fuehlen in den
naechsten
wochen ohne diesen eigenartigen menschen, den ich in den letzten
drei
monaten kennenlernen und liebgewinnen durfte. Und der euch herzlich
gruessen
laesst
Ich
bin dankbar fuer diese zeit und all die erfahrungen, die ich hier machen
durfte
und froh, so viel vom land gesehen zu haben. Tanzania ist ein
schoenes,
sympathisches land und ich werde es vermissen. Aber soll ich euch
was
verraten? Ich bin vor ein paar tagen mal in der uni dar es salaam
gewesen
und habe mich ueber das angebot des political science department
erkundigt.
da werden durchaus interessante themen behandelt und aus einer
horizonterweiternden
aussereuropaeischen perspective. - Also ganz
ausschliessen
kann ich es nicht, dass ich in nicht allzu langer zeit von
neuem
afrikanischen, tanzanischen boden betrete….
Aber
jetzt freue ich mich erstmal auf schoenen mitteleuropaeischen
herbstregen!
Auf buntes laub! Auf die apfelernte! -
Und auf euch alle,
hoffentlich
bald!
Euer
Johannes.