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Tansania – Traum und Alptraum

 

Erlebnisse, Erfahrungen und Eindrücke

von einer Reise nach Ostafrika im Oktober 2008

 

Es war schon September 2008. Da wurde ich völlig über­raschend gefragt, ob ich vielleicht eine Gruppe begleiten könnte, dienstlich – nach Afrika!
Neun Leute, die beruflich mit Erziehung und Bildung zu tun haben, Pfarrer, Lehrer und Gemeindepädagogen aus drei ostdeutschen lutherischen Landeskirchen, hatten sich da schon seit Monaten vorbereitet. Sie wollten eine „Multiplikatorenreise“ nach Tansania unternehmen unter dem Thema „Ich bin ein Gast auf Erden - Klimawandel und globale Gerechtigkeit“, wollten vor Ort Eindrücke sammeln, Erfahrungen machen, Menschen kennenlernen – und das zu Hause in der Bildungsarbeit umsetzen.

Eigentlich wollte sie ein Experte für Umwelt-Ethik beglei­ten, aber der war kurzfristig ausgefallen. Nun waren sie auf der Suche, und so kam die Anfrage zu mir.
Noch vier Wochen Zeit. Der Terminkalender voll. Keine Ahnung, was da kommen könnte. Also sagte ich erst einmal ab. Aber durch das beharrliche Drängen der Ver­anstalter, meiner Frau und einiger Freunde kippte die Stimmung – und ich sagte Ja. Rein ins kalte Wasser, Termine umlegen, impfen lassen (dabei lernte ich, dass ich für manches schon zu alt bin, für eine Gelbfieber-Impfung z.B.), Malaria-Prophylaxe, Wörterbücher, Rei­seführer, Moskitonetze, Steckeradapter … was noch?

Aber ich war ja der Überraschungs-Gast …

Wir trafen uns auf dem Frankfurter Flughafen, manche hatten Blasinstrumente dabei, andere dicke Bündel von bunten Kalendern, alle sprachen von Orten und Men­schen, die ich nicht kannte, und flochten immer mal ein paar Brocken in Kisuaheli ein.

Schon in der Warteschlange beim Einchecken gab´s eine Überraschung: Außer uns waren noch zwei weitere kirch­liche Reisegruppen aus Deutschland nach Tansania un­terwegs, von einer vierten, die am nächsten Tag fliegen würde, war die Rede. Gibt es so etwas wie Betroffen­heits- und Katastrophen-Tourismus?
Der Flug ging zunächst nach Adis Ababa. Im Flugzeug wurden wir mit Erdbeermarmelade aus Mühlhausen in Thüringen verwöhnt, die Butter dazu kam aus Dänemark … In Äthiopiens Hauptstadt beeindruckte mich zum einen eine große Begrüßungstafel auf dem Flughafengebäude, russisch: „Dobro Poschalowatch!“, allerdings schon etwas abgeschabt. Zum anderen bewunderte ich die filigranen Buchstaben der amharischen Landessprache, es ist eine semitische Sprache, und die Schrift stimmt einfach fröh­lich, man denkt zunächst mehr an Strichmännchen oder so. Der nächste Flug legte einen Zwischenstopp in Kenyas Hauptstadt Nairobi ein. Das Land in der Umge­bung des Flughafens zeigte unterschiedliche Schattie­rungen von Grün, und die bearbeiteten Rechtecke der Felder waren deutlich zu erkennen.

Dann ging es noch einmal kurz in die Luft, und wir lan­deten – leider war der Kilimanjaro wegen der dichten Wolken nicht zu sehen – auf dem „Kilimanjaro Airport“ im nördlichen Hochland von Tansania. Schon von der Luft aus hatte sich das Gesicht der Landschaft verändert: das Grün war immer mehr vergilbt und vergraut, in den stau­bigen Flächen standen vereinzelt Büsche oder Bäume. Eine Farbe allerdings war nicht zu übersehen. Immer wieder gab es frische hellviolette Farbtupfer.

Unten stellten sich heraus, dass das herrlich blühende Bäume waren, über und über mit Trauben von blauen Glocken behängt. Manche Straßen waren dicht von ihnen gesäumt. Von da an war Tansania für mich mit der Farbe violett untrennbar verbunden. Der Baum heißt Jacaranda und ist ein „Einwanderer“ aus Brasilien. Wir erfuhren, dass er durch seine Blüte ankündigt, dass bald die er­sehnte Regenzeit beginnen wird.

Ich hatte vorher in einem Geographie-Lexikon meines Großvaters aus dem Jahre 1901 gelesen: „Der Kiliman­jaro ist der höchste Punkt deutscher Erde“? Zur Erinne­rung: Um 1900 herum war „Deutsch-Ostafrika“ für einige Jahrzehnte eine deutsche Kolonie, und in Verhandlungen mit den Briten hatte der deutsche Kaiser bei der Grenz­ziehung durchgesetzt, dass um den Kilimanjaro ein Bo­gen gezogen wurde, damit fortan der höchste Berg Afri­kas zu Deutschland gehöre. Im Zusammenhang mit der Kolonisierung durch Deutschland haben auch deutsche Missionare am Ende des 19. Jahrhunderts den Weg in diesen Teil Afrikas gesucht. Interessant war, dass wir in Tansania immer wieder auf Spuren dieser Missionare ge­stoßen sind, und dass die Afrikaner mit ihrer Tätigkeit of­fenbar bis heute gute Erfahrungen verbinden. Der Kili­manjaro – ein erloschener Vulkan – ist übrigens erst eine Million Jahre alt, die ältesten Spuren von menschlichen Vorfahren, die nicht weit davon gefunden wurden (ich habe den Abdruck im Museum bestaunt) sind drei Millionen Jahre alt!

Tansania ist sehr bunt und manchmal sehr anders als die Welt zu Hause.

Schon bei der Begrüßung muss man lernen, dass unter Freunden ein einfacher Händedruck nicht reicht: drei Mal mit Umgreifen ist richtig! Dazu sagt man (Hu)jambo, und der andere sagt Sijambo, und dann geht es erst einmal nach einem bestimmten Ritual weiter, ob´s was Neues gibt, wie´s der Frau geht usw.usw. Ich konnte mich daran leider nur in Phase 1a beteiligen. Auch Zeitangaben wa­ren abstimmungsbedürftig. Ein Tansanier kann natürlich auch mit „unseren“ Angaben, die wir von der Uhr ablesen, umgehen. Aber viel lieber richtet er sich nach der traditio­nellen (natürlichen) Stundenzählung, die mit Sonnenauf­gang beginnt, folglich sagt er: ich komme um 3, und meint aber nach unserem Verständnis um 9 vormittags. Oder noch eine erlebte kulturelle Verwirrung: Wir waren in ei­ner Schule zu Gast, vor uns der Direktor, der uns die ne­ben ihm sit­zenden Lehrerinnen und Lehrer vorstellte: Das ist meine Mutter, Lehrerin für Mathematik, daneben ist mein älterer Onkel, Lehrer für Kisuaheli, dann kommt mein jüngerer Bruder usw. Wir waren komplett irritiert und glaubten, ei­nen Fall von Vetternwirtschaft zu erleben. Es lag an der Übersetzung von einer Kultur in eine andere. Der Direktor sprach Kisuaheli, und einer seiner Kollegen übersetzte – richtig und zugleich falsch, weil wörtlich- ins Englische. Die verwandtschaftlichen Bezeichnungen wa­ren nur Ehr­erweise für die Kollegen, keine echte Ver­wandtschaft … Und so gab es sicher manches kulturelle Missverständ­nis, in das wir in den nächsten drei Wochen geraten sind und wo wir alles falsch gemacht haben.
In Tansania zahlt man mit (tansanischen) Schillingen. Das kommt wohl daher, dass vor mehr als hundert Jah­ren in kolonialen Zeiten besonders gern mit dem österrei­chischen Theresien-Taler gezahlt wurde, und da gehörten Schillinge dazu. Als wir dort waren, entsprachen tausend Schillinge etwa einem US-Dollar und damit etwa 70 Euro­cent. Manchmal, wenn die Gruppe wieder einmal im Hotel zu bezahlen hatte, waren wir beim Umtausch der Dollar­noten schnell mal mehrfache Millionäre.

Tansania zeigt riesige Kontraste. Die elementare Not, mit der die Menschen hier zu kämpfen haben, ist überall mit Händen zu greifen. Aber jeder zweite hat ein Handy (auch im tiefen Tal mitten im Urwald ist bester Empfang). Alle sind ständig unterwegs und damit beschäftigt, das Lebensnotwendigste wenigstens für diesen Tag zu orga­nisieren – und trotzdem wirken sie nicht unglücklich, son­dern sind offen, liebenswert und gastfreundlich. Und foto­grafierscheu – hier spielen wohl magische Ängste eine Rolle, auf neugierig klickende Kameras reagieren viele mit Verstecken oder mit Aggressivität. Arbeit (auch schwere körperliche Arbeit) wird im Wesentlichen von Frauen geleistet, sie schleppen Wasser, tragen Holz, be­arbeiten die Äcker, haben aber kaum Rechte gegenüber den Männern. AIDS ist ein schlimmes Problem, das sich verheerend auch auf die Familienstrukturen auswirkt: 80 Prozent der Frauen ziehen ihre Kinder allein auf (auch, weil die Männer sich nicht kümmern wollen). Überall trifft man AIDS-Waisen, die sich als Straßenkinder durch­schlagen müssen.

Ein paar Zahlen, um vielleicht ein Gefühl für die völlig unterschiedliche Situation zu bekommen:
Tansania ist von der Fläche her 3 x so groß wie Deutschland. Bei uns leben 82 Millionen, dort 38 Millio­nen Menschen (mit einer starken Wachstumsrate). Die Wirtschaftskraft (als Bruttoinlandprodukt, gemessen am Wert der verkauften Güter und Dienstleistungen) betrug in Deutschland 2007 40.415 Dollar pro Einwohner im Jahr, in Tansania waren es 415 – das ist ein Hundertstel des deutschen Wertes und bedeutet, dass jeder Tansa­nier im Durchschnitt jeden Tag 1 Dollar zur Verfügung hat. Der Vergleich stimmt nicht ganz, weil in Tansania viele Tätigkeiten der Selbstversorgung dienen und nicht in der Statistik auftauchen. Der Anteil der Bevölkerung, der in der Landwirtschaft tätig ist (um die eigene Familie zu ernähren), beträgt 80% (in Deutschland sind es 2%). Der Hauptenergieträger in Tansania (und für die meisten Menschen der einzige verfügbare Energieträger) ist – Feuerholz; mit einem Anteil am gesamten Energie­verbrauch von über 90%. Wetter und Klima sind tropisch. Das heißt zum einen, dass tagsüber (bei überraschen­derweise meist bedecktem Himmel) die Temperaturen deutlich über 30 Grad liegen, es nachts aber in der Hoch­ebene empfindlich kühl sein kann (unter 10 Grad). Es gibt eine Regenzeit (in manchen Regionen zwei) über drei bis vier Monate, dazwischen liegt eine lange Trockenzeit.
Grob gezählt leben in Tansania heute etwa 120 verschie­dene Stämme. Sie haben alle ihre eigenen Sprachen, ihre eigenen Traditionen, Kultur und Lebensweise. Offi­zielle Landessprache ist (Ki)Suaheli, das praktisch alle als erste Fremdsprache lernen (könnten). Noch eine Ebene weiter lernt man dann in der Sekundarschule auch Englisch. Bei so vielen verschiedenen Traditionen kann man auf der einen Seite dankbar sein, dass das Zusam­menleben in Tansania bisher erstaunlich friedlich gelingt. Aber wir haben auf unserer Reise auch spüren können, dass daraus Konflikte erwachsen. In einem Land, in dem es immer mehr Menschen gibt, treten Probleme auf, wenn sich verschiedene Lebensweisen begegnen, wenn Ackerbauern neues Land suchen und dabei in die Jagd­gebiete von Stämmen eindringen, die noch als Jäger und Sammler leben, oder wenn die Ziegen viehtreibender Nomaden in die Bananengärten sesshafter Stämme ein­fallen.

 

Unterwegs – Begegnungen am Straßenrand

Wir haben vieles (nur) durch Autoscheiben gesehen. Zu elft – Fahrer inklusive – quetschten wir uns in einen Toyota Land Cruiser, oben auf dem Dach war das ge­samte Gepäck festgezurrt (die Tragfähigkeit des Ge­päckträgers war mit 60 kg angegeben, wir hatten mehr als 200!), und machten große Augen (wenn der überall hereindringende Staub nicht übermäßig nervte).
Die Landschaft war von den drei- bis sechstausend Meter hohen Bergriesen und weiten offenen Ebenen geprägt. Die Vegetation wechselte zwischen üppigem Grün in der Umgebung des Kilimanjaro, an dem auch in der Trocken­zeit viele Wolken ihr Wasser abladen, und staubig-trockenen Steppen, schütter mit einzelnen blätterlosen Bäumen und stachelbewehrten Büschen durchwachsen. Selten und immer wieder beeindruckend waren die oft mehrere Meter dicken Affenbrotbäume, auch Palmen machten sich rar. Erstaunlich wenige Tiere waren zu hö­ren (z.B. Vögel) oder zu sehen (z.B. Schmetterlinge), da hatte ich mehr erhofft, aber dann trafen wir doch mal eine Gruppe von drei Zebras, oder eine Giraffe stolzierte drü­ben im Busch, ohne uns eines Blickes zu würdigen. Auch Affen betrieben manchmal öffentlich Fellpflege.

Die Straßen waren gewöhnungsbedürftig. Zwar haben „die Chinesen“ (so wurde uns gesagt; warum eigentlich die Chinesen?) in den letzten Jahren ein paar Rennpisten quer durch die Steppe asphaltiert: für die Touristen, die nur einen oder zwei Tage Zeit haben für die tansanischen Nationalparks. Aber meist waren wir auf staubigen, stei­nigen, holprigen Trassen unterwegs, wie sich das Jeep-Fahrer bei uns in Deutschland „off road“ vorstellen (es war aber hier „on road“), und wurden auf den oft mehr­stündigen Fahrten richtig schön dauergeschüttelt. Auf Fernverkehrsstraßen begegneten wir durchaus Über­landbussen, die mit „hundert Sachen“ durch den Staub rasten, aber manchmal lag auch ein umgekippter Laster am Rand, und sein Kadaver wurde mit Hammer und Schraubenschlüssel „ausgeschlachtet“.

Auf den Straßen waren immer Menschen unterwegs, und meist gingen sie zu Fuß, und sie organisierten die le­bensnotwendigen Dinge. Dabei wird fast alles auf dem Kopf balanciert, oft sogar freihändig: 20-Liter-Kanister mit Wasser oder Sonnenblumenöl, schwere Brennholzbün­del, geschnittenes Viehfutter, Eimer, Säcke, auch die Feldhacke oder der Regenschirm. Immer sind es Frauen, die die Last(en) tragen. Nur einmal habe ich einen Mann bewundert, aber der hatte auch ein ganzes Tablett voller Gläser auf dem Kopf – und das war nicht im Zirkus, er fuhr damit in der Stadt auf dem Rad. Doch schon Fahr­räder sind ein seltener Luxus. Autos gab es eigentlich nur in den Städten. Für den Transport über Land setzt man sich in sogenannte Dala-Dalas, Kleinbusse (meist auch von Toyota, die den Markt hier offenbar fest im Griff ha­ben), in die nach mitteleuropäischen Maßstäben vielleicht 10 Leute passen würden. Hier aber „sitzen“ 20 bis 25 Menschen drin, zuzüglich Gepäck und lebende Hühner und was noch so zu befördern ist. Aber es ist bezahlbar.

Am Straßenrand war auch immer „Markt“: Brennholz, Futtergras, liebevoll aufgebaute Pyramiden aus Tomaten oder Orangen, grüne Bananenbündel, Schuhe, Ton­geschirr, alles eben, was der Mensch so braucht. Auf den zentralen Plätzen innerhalb von Ortschaften spielte sich das farbenfrohe Geschehen in der Regel unter ehrwür­digen großen alten Bäumen ab, so eine Art „Dorflinden“, am eindrücklichsten war für mich ein Affenbrotbaum mit mehr als fünf Metern Stammdurchmesser.

 

Wohnen und Leben

Uns sind sehr unterschiedliche Wohnhaus-Typen und Baumaterialien begegnet. Auf dem Lande verwendet man all die Materialien, die in der Nähe verfügbar sind.
Es gibt einfache Hütten, die ganz aus Holzstangen und geflochtenem Stroh gebaut sind. Ein andermal werden die Wände auch aus den Stängeln von Sonnenblumen gefer­tigt. Manchmal werden die Wände auch mit Lehm ver­schmiert. Das Dach besteht dann aus einer Holzab­deckung oder Strohbüscheln oder Bananenblättern oder neuerdings auch Plasteplanen (und wenn man es sich leisten kann: Well­blech).
In einer anderen Bauweise wird ein relativ dichtes Ge­flecht aus Holzstangen errichtet, und die Lücken werden mit Lehm und Stroh verstopft. An der Luft getrocknet er­gibt sich eine erstaunlich feste, aber bröcklige „Fachwerk-Konstruktion“. Manchmal wird die Außenwand auch noch mit einer weiteren Lehmschicht abgedichtet und „ver­putzt“.
Es gibt auch viele Hütten, deren Wände „richtig“ gemau­ert sind. Im einfachsten Fall wird luftgetrockneter Lehm verwendet. Ich habe mir immer wieder sagen lassen, dass es tatsächlich „our soil“ ist, der Ackerboden gleich hinter dem Haus, der abgestochen, zu Ziegeln geformt und getrocknet wird. Daraus kann man feste Wände bauen, aber manche Hütten zeigten, dass eben nicht je­der Lehm für dauerhafte Ziegel geeignet ist, und die nächste Regenzeit die Wände schlicht wegwusch. Die Ziegel lassen sich natürlich auch haltbarer machen. Dafür errichten manche Bauherren einen Stapel aus etwa 2500 luftgetrockneten Ziegeln, der ein bisschen aussieht wie ein Haus, innen Hohlräume hat und unten meist 5 große Öffnungen aufweist. Manchmal wird er draußen noch zur Abdichtung mit Lehm verschmiert. In die Öffnungen wird Brennholz gestopft und dann ein Feuer angezündet, in dessen Hitze die (meisten) Ziegel hart gebrannt werden. Der Brennofen wird dann abgerissen, und manchmal lie­gen die Ziegel auch in kommerziellen Brennereien auf der Wiese zum Verkauf aus.
Und bei reichen Leuten und in der Stadt wird natürlich auch viel mit industriell gefertigten Ziegeln und Beton ge­baut.

Die Orte haben zwar Namen, in der Stadt auch die Stra­ßen. Aber eine POST, die Briefe und ähnliches zu den Leuten bringt, gibt es in der Regel nicht. Alle Menschen, deren Adressen wir uns aufschrieben, gaben eine „P.O.Box …“ (die Nummer eines Schließfaches) an. In der nächsten größeren Stadt steht dann ein Gebäude mit Tausenden Schließfächern, und um dort seine Post ab­zuholen, sind manchmal Wege von 25 Kilometern und mehr erforderlich, was bestenfalls einmal in der Woche zu bewältigen ist.

Tansania hat eine Zeit hinter sich, die mit dem Namen Nyerere verbunden ist (das Bild dieses verehrten Politi­kers, der das Land in die Unabhängigkeit geführt hat, ziert heute noch jede Amtsstube und jedes Geldstück). Damals war mit sozialistischen Ideen experimentiert wor­den, was im Bildungsbereich zu einigen Erfolgen geführt hat, aber in der Wirtschaft ziemlich schief gegangen ist. Vielleicht aus dieser Zeit (vielleicht auch aus viel älteren afrikanischen Traditionen) mag ein verbreitetes Gefühl von „Volkseigentum“ (Allmende?) stammen. Alles – z.B. der Grund und Boden - gehört grundsätzlich allen, steht allen zur Verfügung. Das ist nicht nur ein weit verbreitetes Verständnis, da ist auch rechtlich vieles unklar geordnet. Ich habe in Tansania den Wert von Privateigentum neu schätzen gelernt – weil Besitz eben auch Zuständigkeit und Verantwortung bedeutet. Es gibt in vielen Gebieten bis heute keine klar abgesteckten Gebiets- und Flurgren­zen, es gibt keine Grundstücksämter, keine Flurkarten, keine Zuordnung der Felder zu einzelnen Besitzern. „Das Dorf“ ist der Eigentümer, Privateigentum (für das man Rechte hat, das man kaufen und verkaufen kann) wird erst langsam eingeführt. Wer heute ein vermeintlich „freies“ Stück Land findet, lässt sich dort einfach nieder, und wenn er geht, ist es wieder frei.
Und es gibt ja auch noch ganz andere Freiheiten, mit de­nen sesshafte Bauern in Konflikt geraten können: Die Massai z.B. hatten immer das Recht, mit ihren Herden frei durch das Land zu ziehen und sie sind gewohnt, nicht bestelltes Land als Weide zu betrachten. Aber in einem Land, in dem immer mehr Menschen ernährt werden müssen, immer mehr Felder angelegt werden, bleibt für sie und ihre Herden immer weniger Platz.

 

Wasser

Die Menschen in Tansania sind total vom Regen abhängig, der in der kurzen Regenzeit fällt. Das macht Wasser zu einem kostbaren Gut.

Wir hörten, dass vom schmelzenden Eis des Kilimanjaro vor 50 Jahren noch 300 Flüsse gespeist wurden, heute führen noch 80 Wasser. Wasser muss in den trockenen Gebieten oft weit her geholt werden. Manche Frauen ge­hen jeden Tag 15 Kilometer hin und zurück, um in einem schweren 20-Liter-Kanister das Wasser für ihre Familie herbeizuschaffen. Oft sprudelt es nicht aus klaren Quel­len, sondern wird aus Bächen geschöpft, die auch dem Vieh als Tränke dienen, oder die Gefäße werden in schlammigen Löchern gefüllt. Das Wasser ist fast immer mit Keimen belastet und nach unseren Maßstäben kein Trinkwasser, sondern ein höchst problematisches Le­bensmittel. Daher muss Wasser für Trinkzwecke (eigent­lich) immer abgekocht werden. Für uns reiche Touristen war es verboten, Wasser aus dem Hahn im Hotelzimmer auch nur zum Zähneputzen zu verwenden. Für uns stan­den stets Plasteflaschen bereit, auf denen zum einen zu lesen war, welches Privileg wir genossen, nämlich „Drin­king Water“ in der Hand zu halten. Und noch eines war interessant: Dieses Trinkwasser wurde abgefüllt und ver­kauft vom Weltkonzern CocaCola – Monopol auf ein Le­bensmittel. CocaCola hatte auch den Markt mit „Gas“, das waren die spritzigen süßen Getränke, fest im Griff. Und der Konzern war allgegenwärtig, indem er alle in der Öffentlichkeit sichtbaren Schilder sponserte: Ortsschilder, Ladenschilder, Wegweiser.
Manchmal wurde davon gesprochen, dass man auch Wasser „ernten“ müsse. Trotz seiner Bedeutung haben wir aber relativ wenige Einrichtungen zum Sammeln von Regenwasser gesehen (Dachrinnen, Bassins, Speicher).

 

Essen

Zum Essen gab es immer etwas zu trinken. Oft waren das die Plaste-Wasserflaschen, manchmal, weil wir be­sondere Gäste waren, kriegten auch alle eine richtige Cola. Ein andermal war das Getränk guter starker tansa­nischer Tee, schön kräftig gekocht und meist mit Ingwer gewürzt. Dazu wurde Milch gereicht, immer heiß aus der Thermoskanne – es war Kuhmilch, wodurch man wieder einmal mitbekam, wie Milch-Haut aussieht, und sie musste immer gekocht (sterilisiert) werden, weil praktisch alle Rinder in Tansania mit Tbc (Tuberkulose) infiziert sind. Ich kann mich noch schwach daran erinnern, dass das auch bei und in der DDR in den 1950er Jahren noch so war: Wenn an einem Stall das Schild „Tuberkulose­freier Rinderbestand“ aufgehängt werden durfte, hatte das Seltenheitswert.

Leider wurde viel zu oft das gekocht und serviert, wovon man meinte, dass ein Europäer das eben so erwartet. Ich habe gern die seltenen Gelegenheiten genutzt und orts­übliche Gerichte probiert.
Da gab es Klopse aus Maismehl. Die schmeckten schlicht nach nichts, eben Maismehl und Wasser gequollen. Es gab Reis (der in Tansania als Trockenreis angebaut wird). Zum ersten Mittagessen bekamen wir einen Teller, auf dem längliche Früchte und rote Bohnen lagen. Die letzteren waren frisch geröstete Erdnüsse, und die Früchte, die wie Bananen aussahen, waren auch Bana­nen, aber in diesem Fall grün geerntet und frittiert. Sie schmeckten nicht süß, sondern etwa wie Kartoffeln (auch beim Kauen), waren sättigend und stopfend. Bananen gab es auch gekocht (mit ähnlichem Geschmack) und es gab natürlich auch ganz normal ausgereifte süße Früchte. In den Herbergen, in denen wir verpflegt wurden, standen in der Regel fünf und mehr Schüsseln und Töpfe, aus de­nen man sich der Reihe nach bediente, da gab es z.B. Nudeln, Reis, Kartoffeln, immer Fleisch (ich hatte nach zwei Wochen eine leichte Hähnchen-Flügel-Allergie), Gemüse, Soße (oder Suppe) und Melonenscheiben oder Banane zum Dessert. Ich war überrascht, dass die Spei­sen nie stark gewürzt waren.

Wenn wir dabei waren, hatten auch alle anwesenden Tansanier volle Teller. Irritiert hat mich bei einem Semi­nar, dass zwar alle ihre Teller vollgepackt hatten, dass aber nach der Mahlzeit auf fast allen Tellern erhebliche Reste übrig blieben. Nur zwei Mal habe ich ein bisschen gemerkt, wie wirklicher Hunger aussieht. Einmal bei einer Rast in der Steppe hatten wir einem Massaikind, das dort mit seinen Ziegen stand, eine Banane geschenkt. Die wurde sofort gegessen, gleich mit der Schale. Ein ander­mal hatten wir in einem Straßenrestaurant Mittag geges­sen. Bei einigen von uns waren– weil die Verdauung manchmal auf Durchgang lief – einige Speisereste auf den Tellern liegen geblieben. Als wir die Tische verließen, stürzte von der Straße eine Frau herein, raffte Reis und Fischgräten und Melonenschalen mit beiden Händen zu­sammen und stopfte sich alles in den Mund.

Bei den Massai ist übrigens auch Zucker – aus der Tüte - ein wichtiger Kalorienlieferant

 

Hauptenergieträger Holz

Auch im tropischen Tansania braucht man Energie. Dabei ist nicht an elektrischen Strom zu denken. Der ist für normale Menschen unbezahlbar, wenn überhaupt eine Leitung zu ihrer Hütte führen sollte. Und das Netz ist nicht stabil, sodass eine andere Erfahrung aus den 1950er Jahren noch einmal Realität wurde: „Stromsperre“, nicht als kurzer Blackout, sondern gleich die ganze Nacht lang. Und für die meisten Menschen sind auch Benzin, Diesel oder Kerosin (z.B. als Lampenöl) unerreichbar, weil un­bezahlbar. 1 Liter dieser kostbaren Flüssigkeiten kostete etwa 1,30 Euro, zu messen ist das am täglichen Durch­schnittseinkommen von 70 Cent.

Wenn man dennoch Wasser kochen will (und es nur so keimfrei machen kann) oder Nahrungsmittel genießbar werden sollen, bleibt als einzige Möglichkeit, Holz oder Holzkohle zu verbrennen. Immer ist jemand aus der Fa­milie mit der Machete unterwegs, um – eventuell einige Kilometer von zu Hause entfernt – im Busch Holz zu schlagen. Inzwischen gibt es in weiten Gebieten kaum noch größere Bäume. Auf der einen Seite gehören die Bäume niemandem richtig und stehen daher allen zur Verfügung. Auf der anderen Seite ist das Schlagen illegal, durch Gesetze verboten, weil die Entwaldung längst dra­matische Ausmaße angenommen hat. Wo auf den nähr­stoffarmen tropischen Böden erst einmal die Bäume feh­len, können die Wurzeln den Boden nicht mehr halten und kein Wasser mehr speichern. Die Böden trocknen aus, der Starkregen spült die dünne fruchtbare Boden­schicht weg und hinterlässt tiefe Erosionsrinnen. Da wird wohl nie mehr Wald wachsen.
Aber was sollen die Menschen machen, wenn Holz der einzige greifbare Energieträger ist? Ich habe mit einer Familie gesprochen, die Späne von einem gefällten Stamm schlug. Da standen die vielleicht 45-jährige Mutter (ihr Mann war schon lange an AIDS gestorben), der 23 jährige Sohn, nun Oberhaupt der Familie (er erzählte mir auf Englisch, dass er die Sekundarschule hatte abbre­chen müssen, um sich um die Ernährung der Familie zu kümmern), seine noch blutjunge Frau mit dem 4-jährigen Kind und sein jüngerer Bruder – sie alle mühten sich hier stundenlang, nur um Holz für einen Tag zu gewinnen, morgen würden sie wieder hier stehen. In einem unserer Seminare stand bei der Diskussion über das Brennholz­problem ein Mann auf und sagte: Wenn ich das Schulgeld für meinen Sohn für das nächste Jahr bezahlen will – und ich will, dass er auf die Schule geht -, dann muss ich da­für einen Baum fällen und das Holz verkaufen.

Und so gibt es einen regen illegalen Handel mit Holz (der Preis ist in wenigen Jahren auf das 4-fache gestiegen). Es wird am Rand der Hauptstraßen für Auto fahrende (und damit zahlungskräftige) Städter angeboten, genauso wie Holzkohle in Säcken, die ein Stück von der Straße weg in Meilern erzeugt wird. Wo die Stämme größerer Bäume mit der Machete nicht zu durchschlagen sind, wird mit Feuer gerodet: Man macht unten am Stamm ein Feuer, in der Hoffnung, dass nur dort der Stamm brennt und der Baum anschließend gefällt werden kann. An den umgestürzten Kadavern machen sich dann die Sammler zu schaffen.
Das Dilemma war offenkundig: Alle wussten, dass die übermäßige Holznutzung längst zu schweren Umwelt­schäden geführt hat, und immer wieder begegnete uns der Satz: „We need nurserys!“ (Wir müssen uns um Baumschulen kümmern und überall (wieder) Bäume pflanzen!). Der Überlebenskampf im Alltag hat aber eine eigene zerstörerische Dynamik.

In den ländlichen Gebieten ist Tansania nachts einfach dunkel. Wenn die Sonne untergeht – etwa halb sieben – glimmt in manchen Hütten noch das Herdfeuer, aber so etwas wie Beleuchtung gibt es kaum, und erst mit der Morgensonne geht das Leben weiter. In Europa werden in den letzten Jahren immer wieder Pflanzen als nach­wachsende Rohstoffe und besonders als Energieträger ins Gespräch gebracht, z.B. Jatropha. Diese Pflanze stammt ursprünglich aus der Karibik, ist relativ genüg­sam, was den Boden betrifft, und sie hat Nüsse, deren Kerne stark ölhaltig sind. Sie wird in Tansania gern als Grundstückseingrenzung angebaut, auch weil sie giftig ist und deshalb nicht abgefressen wird. Aber als Energie­pflanze war sie bei unseren Gesprächspartnern sehr um­stritten: Ein französischer Farmer hatte vor Jahren damit experimentiert und er riet ab: giftig, benötigt doch viel Wasser, und der Ertrag an Öl lohnt nicht. Andere zeigten sich aufgeschlossener, waren sich aber einig, dass hier noch viel Forschung nötig sei. Wir haben uns die Nüss­chen zeigen lassen. Ein Pfarrer erklärte uns, wie diese Früchte in seiner Kindheit das einzige Licht ins nächtliche Dunkel der Hütte gebracht hatten: Er suchte einen langen Dorn, spießte mehrere der 1 Zentimeter langen Kerne hintereinander darauf und zündete die oberste Frucht an. Ein zartes Flämmchen brannte stabil – das war also eine tansanische „Kerze“ …

Beschwerlich war es, zu sehen, wie mit dem kostbaren und problematischen Energieträger Holz umgegangen wurde. Fast überall wird auf drei Steinen gekocht, das Holz brennt dazwischen, und der Topf steht ohne Deckel darauf, von den Flammen eingehüllt. Uneffektiver kann man mit dem Brennstoff kaum umgehen. Schon ein paar gebogene Bleche als Windschutz würden Wunder bewir­ken, erst recht die Zähmung und Steuerung des Feuers in einem – vielleicht noch zusätzlich ausgemauerten und in einen Schornstein einmündenden – Herd. Wir haben auch so etwas gesehen, aber als seltene Ausnahme, öf­ter waren einstmals vorhandene Herde defekt, und man (Frau) kochte wieder daneben auf drei Steinen auf dem Erdboden, wie es immer gewesen war. In der Regel wird in den Hütten gekocht, in fensterlosen Räumen und ohne Abzug (Schornstein) bedeutet das eine extreme gesund­heitliche Belastung durch Rauchgase.

 

Landwirtschaft

Vier von fünf arbeitsfähigen Menschen sind in der Land­wirtschaft beschäftigt. In der Regel produzieren sie das, was die eigene Familie für Ernährung oder Gewerbe be­nötigt.

Auf den Feldern und in den Gärten wachsen – abhängig von der Höhenlage und der Bewässerungssituation - Mais, Reis, Hirse, Sorghum, Bohnen, Sonnenblumen, Bananen, Kartoffeln, Süßkartoffeln, Erdnüsse, Kürbisse …

In den meisten Regionen muss das, was in der kurzen Periode rings um die Regenzeit gesät wird, wächst und geerntet wird, für den Rest des Jahres mit reichen. Aber oft verkaufen die Männer (denen formell das Land und die Tiere und die Ernte gehören) das Gewachsene gleich nach der Ernte um des kurzfristigen Gewinns willen, und dann muss die Frau (die die Felder bestellt hat) ihm erklä­ren, warum es in den nächsten Monaten nicht für die Kin­der reicht. Es gibt kaum (noch) Vorratswirtschaft. Techni­ken wie Trocknen, Pökeln usw. sind schlicht „vergessen“ worden. Das Bewusstsein dafür und das Erlernen von Techniken müsste neu in den Schulunterricht aufgenom­men werden, damit wenigstens die nächste Generation es wieder beherrscht, sagte man uns resigniert. Die Gär­ten und Felder werden fast ausschließlich von Hand mit der Hacke bearbeitet. Auch die Machete kommt zum Ein­satz. Pflüge, die z.B. von Rindern gezogen werden, habe ich kaum gesehen. Und Traktoren sind einfach uner­reichbar. Am Sitz des lutherischen Bischofs in Singida lief ein interessantes „Experiment“ an. Die Kirche hatte drei neue Traktoren (und ein paar Geräte dazu) gekauft. Noch standen sie blitzend im Hof und Techniker machten sich mit ihnen vertraut. Geplant war, diese Technik zu günsti­gen Konditionen an arme Bauern auszuleihen, um ihnen die Feldbestellung zu erleichtern. So etwas wie eine „Maschinen-Ausleih-Station“ (MAS) – auch das kannte ich noch aus der Frühzeit der DDR. Vielleicht klappts hier besser – mich würde brennend interessieren, wo die Traktoren in drei Jahren stehen und ob sie noch funktio­nieren.

Manchmal kommen sich die unterschiedlichen Lebens­weisen der Stämme in Tansania in die Quere. Der – schon vorhandene und sich verschärfende – Konflikt zwi­schen sesshaften Ackerbauern (z.B. den Chagga, die auf dem grünen Saum rund um den Kilimanjaro siedeln) und nomadisierenden Viehzüchtern wurde immer wieder deutlich. Eine Szene macht vielleicht deutlich, worum es geht. Wir waren in einem Tagungszentrum, nach euro­päischen Standards gebaut, gelegen in einer gut bewäs­serten Lage unterhalb eines Gebirgszuges. Daher gab es auch einen Bananengarten. Bananenstauden wachsen in neun Monaten zur vollen Größe von drei bis vier Metern heran, blühen in dieser Zeit und bringen Frucht, sie tun das nur einmal, sodass immer neue Pflanzen kultiviert werden müssen. Im Garten vor mir geschah das auch: Ein zartes junges Pflänzchen war schon 20 Zentimeter hoch aufge­wachsen. Da kam eine kleine dicke Ziege des Wegs, knabberte hier und da, und dann verfrühstückte sie die junge Bananenpflanze mit ein paar schnellen Bissen. Zwar schrie die Köchin, die das beobachtete, jagte auch die Ziege schimpfend aus dem Garten, aber: 10 Minuten später war die Ziege wieder da. Ich bekam Wut. Ich hätte mir das, wenn es meine Ziege und meine Bananen ge­wesen wären, vielleicht zwei drei Mal angesehen, aber dann hätte die Ziege einen Strick um den Hals gehabt und wäre angepflockt gewesen, oder ich hätte einen Zaun gebaut – entweder um die Ziege oder um den Gar­ten! Es ging ja auch anders, wie die Viehställe der Farmer am Kilimanjaro zeigten, wo das Futter zu den (eingesperrten) Tieren ge­bracht wurde. Aber im großen Maßstab fehlen Spiel­regeln und Zäune, um die Interessen unterschiedlicher Kulturen klar abzugrenzen. Als wir Massai fragten, warum sie dort unten in der Steppe an ihrem harten Lebensstil festhielten, meinten sie, dass Gott sie eben hier hin ge­stellt hätte, vor allem aber, weil sie und ihre Tiere nur so Freiheit hätten, das höchste Gut. Aber wenn meine Frei­heit anderen schadet ?

Es wurden nicht nur Nahrungsmittel angebaut, wer es sich leisten kann, kultiviert noch zusätzlich „cash-crops“, Produkte, die sich verkaufen lassen. Das ist z.B. Kaffee, der am Kilimanjaro in vielen Gärten unter Bäumen oder Bananenstauden wächst. Manche der Stauden sind über hundert Jahre alt. Einige blühen leuchtend weiß, andere tragen gleichzeitig Früchte (Beeren), 200 Gramm pro Strauch im Jahr. Es gibt auch große Plantagen, die in der Regel aber ausländischen Investoren gehören, und da wird – der besseren technischen Bearbeitung zuliebe – schon mal der Wald komplett abgeholzt.

Wir haben auch eine Blumenfarm besichtigt, betrieben von einem Franzosen, hochmodern, 7 Hektar Rosen un­ter Glas, künstlich bewässert, intensiv gedüngt und che­misch von Schädlingen befreit. Dazu Kühlhaus und Plasteverpackung und Transport per Flugzeug ins ferne Europa, wo man die Rosen im Zehnerpack z.B. bei LIDL als „fair trade“ kaufen kann. Wir haben gelernt, dass die­ses Siegel lediglich bedeutet, dass bestimmte soziale Mindestnormen eingehalten werden, z.B. ein Frauenanteil von mindestens 85 % bei den Beschäftigten und ein mo­natlicher Mindestlohn von 80 Dollar. Versichert sind die Frauen dabei nicht. Immerhin können „seine“ Frauen, die von dem Lohn allein nicht leben könnten, verbilligt Mais kaufen, den er ebenfalls auf der Farm anbaut.

 

Technik

Technik war ein Bereich, in dem viel Kreatives geschah. Hier nur ein Beispiel.

Einmal stoppte unser Fahrer Steven das Auto am „Markt“ von Dareda. Wir waren beim „Dorfschmied“. Steven wollte ein Teil an der Motorhaube schweißen lassen, die „ausgeleiert“ war und sich nicht mehr richtig verriegeln ließ. Wenige Worte, ein kurzer Blick, und dann wurde das Elektro-Schweißgerät eingerichtet. Vom Stromnetz ent­lang der Straße führte ein Abzweig zur Werkstatt, und von dort eine Leitung zum Schweißtransformator. Von da ging ein Kabel hin zu einem Metallgerüst, das auf dem Boden lag (das sah eigentlich mehr wie ein Schrotthaufen aus, Hauptbestandteil war ein eisernes Bettgestell). Zwi­schen dieser „Erde“ und dem Metallrahmen unseres Au­tos wurde nun ein Eisenstab eingeklemmt, der eine lei­tende Verbindung herstellen sollte.

Um zu prüfen, ob das funktionierte, wurde durch Berühren mit dem Gegenpol des Schweißgerätes ein Kurzschluss provoziert. Weil aber keine Funken sprühten, wurde der Metallstab kur­zerhand an Autorahmen und Bodengitter fest ange­schweißt. Nun war noch eine weitere leitende Verbindung nötig, diesmal in Gestalt eines gebogenen Eisenstabes, der einerseits am Autorahmen und andererseits an einem Eisenträger im Motorraum fest angeschweißt wurde. Nun konnte es losgehen: ein Nagel war schnell zur Hand, der das wacklige Teil verstärken sollte, die Funken sprühten … Das Ergebnis war, dass die Motor­haube sich nun gar nicht schließen ließ. Eine Dreiviertel­stunde lang wurden weitere Versuche unternommen, Kor­rekturen mit dem Vorschlaghammer brachten auch nichts. Zwischendurch wurde schnell mal hier und da an anderen Stellen geschweißt und geklopft (es gab viele Risse und Rostlöcher). Aber die Klappe des Motorraumes ging immer noch nicht zu. Ich habe dann verschämt einen Strick aus meinem Rucksack hervorgekramt, den ich aus Deutschland für Notfälle mitgebracht hatte. Letztlich konnte sich Steven damit doch anfreunden, und die Mo­torhaube wurde für die Heimfahrt erst einmal mit dem Strick festgezurrt.

 

Kinder und Schule

Ein gutes Überbleibsel aus den „sozialistischen“ Zeiten Nyereres ist ein flächendeckend ausgebautes Bildungs­system. Eigentlich müssten alle Kinder wenigstens die primary school über 7 Jahre absolvieren. Vor einiger Zeit sind Schulgebühren eingeführt worden. Und in Tansania müssen die Eltern auch für Schulbücher und Schul-Essen und Schuluniform aufkommen. In der Grö­ßenordnung handelt es sich um einen Betrag von etwa 5000 Schillingen pro Jahr und Kind. Diese 5 Dollar kön­nen manche Eltern aber schlicht nicht aufbringen, sodass sie immer öfter ihre Kinder von der Schule nehmen.

Wer es will und es sich leisten kann, besucht auch noch die secon­dary school bis zum Abitur (und lernt dort z.B. auch Eng­lisch). Wir haben sehr unterschiedliche Schulen erlebt. Manche waren baulich in einem erbarmungswürdigen Zustand, das Holz der Bänke war gesplittert, manchmal saßen die Schüler auf dem blanken Boden - andere Schulen hatten frisch gestrichene Wände und Blumen­rabatten. Die Lehrer sind schlecht bezahlt (sie streikten gerade), und die Klassen sind überfüllt - 70 Schüler in ei­nem Jahrgang sind normal. Unterrichtsmaterialien sind knapp. Mangels gedruckter Zahlentafeln können sich die Schüler z.B. draußen am Schulgebäude an der Wand in­formieren, wie man einen Kegelschnitt berechnet oder wie das dritte Keplersche Gesetz lautet – ordentlich in großen Tabellen wetterfest angemalt. Beim Blättern in Lehrbüchern wurde deutlich, dass die Lernziele hoch ge­steckt werden. Zum einen fragt man sich besorgt, was ein Schüler, der erfolgreich seine Prüfungen bestanden hat, dann damit im konkreten Leben anfangen kann, da die Berufsperspektiven eher düster sind. Und manche Afrika­ner meinten auch, dass das Niveau vielleicht doch etwas zu abstrakt sei, gemessen an den wirklichen Anforderun­gen, die das (Über-)Leben in Tansania stellt. Die Kinder sollten viel mehr Lebenspraktisches erlernen. Schule ist Ganztagsschule. Das bedeutet, dass die Kinder, die in der Nähe wohnen, mittags zu Hause essen. Für die aber, die von weiter her kommen (zu Fuß, bis zu 7 Kilometer weit), muss die Schule auch noch Essen kochen. In ei­nem Fall lagen zwei große Flüsse zwischen der Schule und den Hütten mancher Schüler. In der Trockenzeit ist das kein Problem, aber bei Regen sind die breiten Ströme manchmal für Wochen eine unüberwindliche Bar­riere.

 

In der Massai-Steppe

Der Kontrast war unwirklich: Wir kamen aus der – auch jetzt am Ende der Trockenzeit - grünen Hochebene rund um den Mount Meru, der 50 Kilometer westlich des Kili­manjaro steht und auch viereinhalbtausend Meter hoch ist. Üppig wuchernde Vegetation, Wasserbäche am Stra­ßenrand, fruchtbare Gärten. Wir waren nur ein paar Kilo­meter weit nach Westen gefahren, hinunter ins Tal, und da war Steppe, die „Massai-Steppe“.

Gelb-grau-staubig-trist, Dornengestrüpp und kahle Bäume - nach Leben sah es hier überhaupt nicht aus. In dicken Staubwolken trab­ten Viehherden dahin, ein paar Rinder, ein paar Schafe, ein paar Ziegen. Und immer mit dabei: grell-leuchtende Farbtupfer. Massai! Die gab es also nicht nur im Film, die standen hier am Straßenrand! Hochaufragende Gestal­ten, charakteristische Kopfform, große Schmuckgehänge an den Ohren und um den Hals, in rot-blau-leuchtende Stoffbahnen gehüllt und als Symbol immer einen Hirten­stab in den Händen, so standen sie da, stolz und unnah­bar. Wir fuhren zu einem Gottesdienst. Mitten im Dornen­staub stand die bescheidene Kirche, aus der exotische Gesänge herüberwehten – der „Kirchenchor“ übte. Wir erlebten einen langen Gottesdienst in einem kontrast­reichen Wechsel zwischen europäisch geprägter ordent­lich „absolvierter“ Liturgie und getanzten Liedern der Massai. Zwischendurch wehte ein Staubsturm die Plasteblumen vom Altar und zwang uns, Türen und Fenster zu schließen. Mit dem letzten Lied zogen alle singend aus der Kirche, und draußen spielten erst drei von uns was auf der Posaune, wir sangen mehrstimmig einen Choral, dann tanzten die Massai zum Dank noch einmal. Wir wurden eingeladen zu (starkem, süßem) Tee mit fetter Milch (heiß aus der Thermoskanne). Ich ging noch ein Stück weit in die vermeintliche Wüste hinein – und da standen die ersten Hütten, nicht weit weg eine weitere Gruppe. Die Männer haben ein eigenes „Haus“ für sich allein, rundum stehen dann mehrere Hütten, in denen jeweils eine ihrer Frauen – sie haben in der Regel mehrere – mit ihren Kindern lebt. Rund um die Hütten bewegen sich die jüngeren Tiere, die noch nicht draußen geweidet werden können, und weiter außen steht ein fester Zaun aus Holzstangen und Dornengestrüpp, der wilde Tiere fernhält.
Verrückte Welt: Einige der Massai trugen an den Füßen „Sandalen“, die aus alten Autoreifen gefertigt waren – und 50 Meter weiter stand der Sendemast für´s Handy-Netz, und manche Massai hatten auch eins in der Hand!

 

Zu Besuch bei Jägern und Sammlern

Die Hadzabe sind das letzte Jäger- und Sammlervolk in Tansania. Derzeit leben noch etwa 800 Stammesangehö­rige auf einem Gebiet von 1500 Quadratkilometern (etwa 40 x 40 km). Das Buschland ist sehr trocken und von ge­ringer Fruchtbarkeit. Hier konnte sich die altsteinzeitliche Lebensweise der Hadzabe weitgehend erhalten. Sie betreiben keine Landwirtschaft und halten kein Vieh, son­dern sammeln Beeren, Wurzeln, Knollen und Honig, und sie erlegen mit Pfeil und Bogen wilde Tiere. Auch die zum Leben notwendigen Dinge wie Pfeil und Bogen, Hausrat und die für die Behausungen benutzten Baumaterialien werden ausschließlich aus Produkten gefertigt, die das natürliche Umfeld liefert. Die Hadzabe leben in Gruppen von höchstens 50 Erwachsenen mit den dazugehörigen Kindern. Es gibt keine Anführer oder Häuptlinge, Frauen und Männer haben jedoch unterschiedliche Aufgaben. Während es die Männer sind, die auf die Jagd nach Ga­zellen, Antilopen, Perlhühnern und Büffeln gehen, pflü­cken die Frauen Beeren von den Sträuchern, sammeln die Früchte der Affenbrotbäume und graben Wurzeln und Knollen aus. Die Frauen sind zudem zuständig für die Er­richtung der Grashütten.

Soweit ein paar Informationen, die ich mir erst nach unse­rem Besuch angelesen habe.

Mike (siehe unten unter „Hoffnungsträger“) war an die­sem Tag unser Guide. Er hatte ein paar Kartons mit Nah­rungskonzentrat auf das Dach des Toyota geladen. Nachdem wir die letzte „richtige“ Straße verlassen hatten, quälte sich das Auto noch ein paar Kilometer durch den Busch. Dort loderten vereinzelt Feuer: Brandrodung! Auch mehrere große Vieherden kreuzten unseren Weg. Dann ein Platz mit einigen einfachen „Holzbänken“, zu­nächst war niemand zu sehen. Aber schon nach zwei Mi­nuten stand ein Junge da, der uns lächelnd aufforderte, mit Pfeil und Bogen zu schießen, die er uns hinhielt. Ich „spielte“ mit, aber mir wurde schnell klar, dass hier vor mir ein Mann stand, ein Jäger, und dass er uns seine wert­vollen Jagdwaffen überließ. Wir gingen aber zunächst weiter zu einigen Hütten, die locker unter den Bäumen verstreut waren. Holzstangen, Schilfgras als Wand- und Dachverkleidung.

Ein älterer Mann gewährte uns Einlass in seine halbkugelförmige Behausung von etwa zweiein­halb Metern im Durchmesser. Männer wohnen bei die­sem Stamm allein. Von innen zeigte sich, dass die ge­flochtenen Wände ziemlich große Löcher aufwiesen. Der Mann hockte auf seiner Lagerstatt (etwa 1,40 m lang), unter der Decke hingen einige Kleidungsfetzen, neben ihm standen der Jagdbogen und einige Pfeile, da lag eine Kürbiskalebasse für Trinkwasser, dazu eine beschädigte fellbespannte Trommel. So zwischen 10 und 20 Haushaltsgegenstände mögen ihm gehört haben. Die Nachbarhütte war eine für Frau und Kinder. Sie hatte eine verriegelbare Eingangstür – zum Schutz von kleinen Kin­dern gegen wilde Tiere. Hier war die Lagerstatt, die sich mehrere Bewohner teilen, etwas breiter. Davor räucherte auf dem Fußboden die offene Drei-Stein-Kochstelle, Hühner liefen herum. Auch hier waren nur sehr wenige Gebrauchs- und Besitzgegenstände zu entdecken. Vor den Hütten war ein großer flacher Stein (ziemlich rund, etwa 1,50 Meter). Darauf lagen einige faustgroße kugel­förmige Steine und aufgeschlagene Fruchtkörper des Af­fenbrotbaumes. Wir lernten, dass wir vor einer „Mühle“ standen: Die nussartigen Früchte wurden hier zwischen den Steinen zu Mehl verrieben. In den Bäumen hingen „Bienenstöcke“, hohle Baumstämme, in denen Bienen gehalten werden. Irgendwo zeigte uns Mike auch ein kleines Stück Land, das Ackerfurchen aufwies – hier ver­suchte er, den Jägern den Ackerbau schmackhaft zu ma­chen. Auf dem „Dorfplatz“ hatten sich inzwischen etwa 20 Frauen und noch mehr Kinder eingefunden (die Männer und größeren Jungen waren zur Jagd unterwegs). Reges Geschnatter. Die Kinder begannen zur Radiomusik aus dem Auto zu tanzen. Wir verteilten die Beutel aus den Nahrungskartons. Dabei ging es sehr diszipliniert zu. Luftballons und Kalender bekamen die Hadzabe auch – ich hatte dabei wie immer kein richtig gutes Gefühl. Da wir uns nicht verständigen konnten – selbst „unsere“ Tan­sanier verstehen diesen Dialekt nicht -, sangen wir ein deut­sches Volkslied. Zum Dank stimmte der älteste Mann ei­nen Gesang an, in den einige ältere Frauen mit schriller Stimme einfielen, und sie führten dazu einen ziemlich bewegten Tanz auf.

Bis heute haben sich die Hadzabe bewusst und konse­quent geweigert, ihre Lebensweise umzustellen. Aber es wird immer schwieriger für sie. Jagd und Sammeln ernäh­ren nur einen Menschen pro Quadratkilometer. Nun aber sind nicht nur die jagdbaren Wildtiere verschwunden (notgedrungen werden jetzt auch Affen gegessen), von allen Seiten wandern andere Stämme in das Hadzabe-Gebiet ein, roden den Wald, um Äcker anzulegen, oder sie treiben ihr Vieh durch den Busch. Es geht ums nackte Überleben! Eigentlich haben die Hadzabe nur drei schlechte Möglichkeiten: 1. Sie beharren auf der ange­stammten Lebensweise – dann werden sie in kurzer Zeit schlicht nichts mehr zu essen finden. Die gespendeten Nahrungsmittelpakte, die Mike ihnen regelmäßig bringt, können das Problem nicht auf Dauer lösen. 2. Der Staat Tansania (oder die Weltgemeinschaft in Gestalt der UNESCO) beschließen, den Hadzabe ein Reservat zu schaffen, wie das auch für die Wildtiere in der Serengeti und anderswo geschieht, die auch nur noch in diesen großen Freiland-Zoos überleben – die Hadzabe quasi zum Beschauen, als Weltkulturerbe … 3. Oder die Had­zabe sind bereit, sich total in die moderne Welt zu integ­rieren, in wenigen Jahren im Büro zu arbeiten oder Ackerbauern zu sein – ein wohl nicht zu leistender Kraft­akt! Ich habe sie noch sehen dürfen, aber ich bin mit sehr gemischten Gefühlen wieder ins Auto gestiegen.

 

Bei den Goldsuchern

Einen Tag vorher waren wir schon einmal im Gebiet der Hadzabe, da war uns das aber noch nicht bewusst. Der Bischof der Singida-Region hatte uns zunächst in sein Heimat­dorf gefahren. Unterwegs erzählte er, dass rechts und links der Fahrtstrecke noch vor wenigen Jahren dichter Wald gestanden hatte, und dass er nachts immer einmal Leoparden begegnet war. In seinem Dorf befindet sich eine Ausbildungsstätte für Kindergärtnerinnen. Das Wohnheim war gerade neu errichtet worden. Die jungen Frauen leben in 4- bis 6-Bett-Zimmern, schmale Doppel­stockbetten, jede hat einen Nachttisch und eine ver­schließbare Holzkiste (80 x 40 x 15 cm) als Aufbewah­rungsort für die gesamte persönlich Habe.

Dann fuhren wir weiter – er müsse uns etwas Interes­santes und Beunruhigendes zeigen (er selbst war auch noch nie dort gewesen). Ein zweites Fahrzeug mit orts­kundigen Führern (Wege gab es nun nicht mehr) lotste uns über Stock und Stein vielleicht zehn Kilometer weit in den Busch. Die Farbe der Erdbodens wandelte sich von tiefschwarz (nährstoff- und humusreich) über rot zu san­digem unfruchtbarem Grau-Gelb. Wir querten einen Fluss durch eine Furt, dort tranken Rinder und Ziegen, daneben schöpften Frauen Wasser, um es nach Hause zu tragen (und man erklärte uns: dort hinein flossen weiter oben auch die chemisch belasteten Abwässer der Goldgräber-Sied­lung, die wir noch sehen sollten). Wir kamen an speziel­len Gesteinsformationen vorbei, dunklen Steinspitzen, die steil aus dem Boden ragten. „Signs of god“ (Gottes-Zei­chen) werden sie genannt, weil ihr Hervortreten den Geologen anzeigt, dass es hier lohnen könnte, nach Gold zu graben. Hinter einer Biegung tauchten plötzlich Hütten auf, schief und krumm, schnell errichtet, aus allem, was gerade verfügbar war, Holzstangen und Bretter und Stroh und Sonnenblumenstängel und Plasteplanen. In wenigen Monaten war hier eine Kleinstadt entstanden, mit „Sa­loons“ und „Hotels“ (das stand wirklich auf Schildern), Gedränge auf der „Hauptstraße“, Männer in den Kneipen, auch Frauen und Kinder liefen herum, alles etwas ge­spenstisch, wie in einem hundert Jahre alten Film. Wir fuhren weiter auf den gegenüberliegenden Hügel und sa­hen uns um. Hier war die ganze Landschaft umgegraben worden. Es gab flache Löcher von Probeschürfungen, weggeworfenes Gestein auf Halden. Dort standen Män­ner, die das Geröll noch einmal mit großen Schürfmulden in die Luft warfen, in der Hoffnung, dass der Wind den Dreck wegtrug und das schwerere goldhaltige Gestein in der Nähe zu Boden fiel. Ein Dieselmotor dröhnte und ver­sorgte den einzigen Presslufthammer mit Druckluft. An einigen Stellen waren in Handarbeit tiefere Löcher (Schächte) in das feste Gestein getrieben worden. Es hat etwa vier Monate gedauert, um 15 Meter nach unten zu kommen. Darüber befanden sich quietschende Seil­winden, mit denen die Männer nach unten und das Ge­stein nach oben befördert werden konnten. Wir hatten zunächst ziemlich fröhlich fotografiert und gar nicht be­merkt, dass nun von allen Seiten Goldgräber heran­strömten, 14-jährige Jungen und 60-jährige Männer, zu Dutzenden, staubverkrustet und mit finsterem Blick. Erst einmal schnell: Fotoapparate weg. Der Menschen-Ring schloss sich immer enger, und wir wurden in eine Hütte gedrängt. Das war, wie wir später erfuhren, das „Office“. Einer, der offensichtlich der Anführer war, fragte uns auf Englisch, was wir hier zu suchen hätten. Zum Glück lag – wie in jedem „Büro“ überall in Tansania – auch hier ein Gästebuch auf dem Tisch. Einer von uns fing an, sich einzutragen. Dieser Akt verbesserte die Stimmung etwas. Uns wurde erklärt, dass Ende Mai des Jahres 2008 hier die ersten 23 Männer angefangen hatten, nach Gold zu suchen. Diese Gründergruppe betrachtete sich als Besit­zer und Betreiber des Unternehmens. Uns wurden sie – soweit anwesend – als „Direktoren“ vorgestellt, mit Hand­schlag reihum. Inzwischen arbeiten auf der Goldmine etwa eintausend Menschen ständig, und weitere tausend sind immer nur für einige Tagen und Wochen da und ver­schwinden, weil es nicht genug zu holen gibt oder sie den harten Bedingungen nicht standhalten. Wenn ich recht verstanden habe, beträgt die „Ausbeute“ an Gold (für alle zusammen) in der Woche (oder sogar in einem Monat!?) 2 Kilogramm – da Gold sehr schwer ist, kann man sich eine Kugel von der Größe einer Apfelsine vorstellen. Langsam wurden wir miteinander „warm“, und dann be­kamen wir sogar eine richtige „Betriebsführung“. Der Boss war, so erzählte er mir, früher Lehrer gewesen, und da ich sagte, dass ich auch so etwas Ähnliches sei, war ich sein Freund. Das goldhöffige Gestein wird in Kugel­mühlen zu Staub zerkleinert. Dieser wird mit Wasser auf­geschlämmt und läuft eine schiefe Ebene hinunter, die mit Kartoffelsäcken belegt ist. Tatsächlich haben wir ei­nige Goldstäubchen gesehen, die dort hängen blieben. Der Schlamm, der unten ankommt, wird in Eimern erneut mit Wasser aufgerührt, und man hofft, dass sich dann unten am Boden weiteres Gold findet. Eine dritte Me­thode bestand darin, den goldhaltigen Staub mit Queck­silber durchzukneten. Dabei müsste das Gold im Queck­silber physikalisch gelöst und angereichert werden. Ich hatte befürchtet, dass man nun das Quecksilber ver­dampft (eine höchst giftige Angelegenheit) und das Gold übrig bleibt. Das wurde uns nicht vorgeführt, sondern man zeigte uns stolz, wie man das Amalgam durch feinen Stoff presste in der (wohl trügerischen) Hoffung, das Gold bleibe im Säckchen hängen … Es gab weitere staunens­werte technische Kreationen. Ich fragte den „Häuptling“ gegen Ende unseres Besuches, wo wir hier eigentlich seien. Achselzucken, Beratung mit anderen „Direktoren“, und dann schrieb er in mein Notizbuch als Ortsnamen „Mpambaa“ – vielleicht habe ich Pate gestanden bei der Benennung! Noch ein Gruppenfoto, Adressenaustausch, und dann war ich froh, heil wieder wegzukommen – ich hatte zwischendurch richtig Angst gehabt.

 

Kirche in Tansania

In Tansania kommen nicht nur die 120 verschiedenen Stämme miteinander klar, auch die Religionen tolerieren einander. Und so plärrte in den Städten um 5 Uhr in der Frühe der Gesang des Muezzins das erste Mal per Laut­sprecher von der Moschee her, um 6 Uhr läuteten die Kirchenglocken, und am Straßenrand sahen wir das eine Mal einen Sikh-Tempel und ein andermal einen hinduisti­schen Tempel. Geschätzte 35 % der Bevölkerung sind Muslime, fast 40 % gehören christlichen Kirchen an (vor allem Katholiken). Unsere christlichen Gesprächspartner sagten mehrfach, dass sie wissen, dass ihre Mitglieder „tagsüber beten, und nachts gehen sie den alten afrikani­schen Kulten nach“. Der stellvertretende lutherische Bi­schof in Singida erzählte uns, dass er früher Muslim war. Das Zusammenleben von Christen und Muslimen gelingt bisher offenkundig ganz gut, bis hin zu gemeinsamen Projekten, z.B. im Kampf gegen AIDS. Manche Gefahren wurden auch benannt, die vor allem durch das Wirken von „Extremisten“ hervorgerufen werden – in diesem Zu­sammenhang wurden sowohl aggressiv missionierende christliche Kirchen aus den USA erwähnt wie auch fun­damentalistische Muslime, die Zulauf hätten (auf einer Hauptstraße in Singida hing ein großes farbiges Ge­mälde, auf dem Osama bin Laden zu sehen war).

Als unser afrikanischer Fahrer Benjamin uns 400 Kilo­meter weit durch das tansanische Buschland kutschierte, war er sichtlich nervös. Er hatte hinter der Windschutz­scheibe ein großes Holzkreuz aufgestellt – von außen nicht zu übersehen. Ddas hatte eine Schutz­funktion und sollte etwa signalisieren: „Hier reisen gute Christen.“; und als magisches Zeichen konnte es ohnehin nicht schaden. Hundert Kilometer vor dem Reiseziel be­gegnete uns am Straßenrand eine Gruppe von muslimi­schen Männern, kenntlich an der Kopfbedeckung. An die­ser Stelle verschwand das Kreuz blitzschnell im Hand­schuhfach. Als ich fragte, meinte Benjamin, dass ab hier die Bevölkerung fast durchweg muslimisch sei, und da könnte ein Kreuz eher schaden.

Wir haben ganz unterschiedliche Kirchen gesehen. Der schlichteste Versammlungsort war eine sogenannte „Baumkirche“ in einer armen Massai-Siedlung. Ein Baum, an einer Astverzweigung angenagelt ein metergroßes einfaches Holzkreuz, am Nachbarbaum eine rostige Ei­senfelge von einem LKW, die mit einem Eisenrohr „ge­läutet“ wird, davor der Versammlungsplatz - so einfach kann Kirche aussehen.
Andere Kirchen waren Baracken, ein paar Holz­bänke, Alter mit farbigen Plaste-Blumen, alles sehr schlicht. In den Städten waren die Kirchen teilweise rich­tige Kirchen, wie zu Hause. Sie waren in gutem bauli­chem Zustand und sie waren geschmückt (farbenfrohe Wandbemalung, mehrere große Uhren an den Wänden, farbige Stoffwimpel, gestickte Decken, liturgisches Weiß-Grün). Zu den Gottesdiensten waren sie mit einigen hun­dert Menschen immer gut gefüllt. In der Regel fanden sonntags zwei oder manchmal auch drei Gottesdienste nacheinander statt. Es herrschte eine klare Trennung der Geschlechter: im linken Teil des Kirchenschiffs saßen die Männer, auf der anderen Seite des Mittelganges Frauen und Kinder. Sie saßen sehr geduldig. Denn ein Gottes­dienst in Tansania dauert immer zwei bis drei Stunden. Dazu trägt eine sehr ausführliche Liturgie bei. Aber auch die Abkündigungen ziehen sich hin: Über 20 Minuten und mehr (gestoppte, nicht gefühlte Zeit) liest ein Kirchvorste­her 18 Tagesordnungspunkte vor (die Zahl ist ebenfalls echt), von denen einer z.B. der Haushaltsplan der Kirch­gemeinde ist, mit entsprechend vielen Unterpunkten na­türlich. Zwischendurch wird viel gesungen. Selten haben wir echte afrikanische Klänge gehört, meist sangen wir Lieder auf deutsche Melodien (Weihnachtslieder und ähnliches, was die deutschen Missionare vor hundert Jahren mitgebracht haben), die Texte in Kisuaheli, aber das Tempo der Lieder war noch einmal auf die Hälfte herun­tergesetzt, sehr getragen eben. Ich hätte mehr Leben, af­rikanisches Temperament, Spontaneität erwartet – die Af­rikaner saßen ihren Gottesdienst sehr geduldig ab. Zwi­schendurch wurden zwei Kollekten gesammelt. Teils als Dankopfer für diesen Gottesdienst, teils aber war es auch ein Teil des Kirchgeldes, das die Mitglieder im Laufe des Jahres zahlen müssen. Da ein Tansanier nie genug Geld hat, um solche Pflichten durch eine Einmalzahlung zu erledigen, tut er es in „kleiner Münze“ von Gottesdienst zu Gottesdienst. Die Münzen werden in einem Briefum­schlag - mit Namen versehen – in die Sammelbüchse ge­geben, und später beim Nachzählen ordentlich in ein Buch eingetragen. Manche Leute legten auch Keks­packungen oder Hühnereier in den Kollekten-Korb. Beim letzten Lied kam Bewegung in den Gottesdienst. Alle standen auf und zogen singend aus der Kirche. Draußen blieben alle in einem großen Kreis auf dem Vorplatz stehen. Hier lüftete sich das Geheimnis der Hühnereier. Zum tansanischen Gottesdienst gehört immer eine Versteigerung, die prak­tisch eine dritte Kollektensammlung darstellt. Wer nämlich kein Bargeld hat, bringt als Spende Naturalien mit. Die werden dann nach dem Gottesdienst an die Besucher versteigert, und der Erlös wird dem Spender gutgeschrie­ben. Und so hält dann der eine Kirchvorsteher ein leben­des Huhn hoch, der nächste preist Zuckerrohrstangen aus, es gibt Milch und Joghurt in Flaschen und in Kanis­tern, auch Sonneblumenöl, Eier, Tomaten, Paprika – und natürlich Bananen-Bündel, grüne und gelbe. Erst wenn alles einen Besitzer gefunden hat, treten die Besucher den Heimweg an.

Die Kirchen in Tansania verstehen die sozialen und öko­logischen Probleme ihres Landes als wichtige Aufgaben. Sie betreiben eigene Gesundheitsprojekte (Krankenhäu­ser, ambulante medizinische Versorgung). Soziale Pro­jekte werden initiiert (Unterstützung und Förderung von Frauen, z.B. Nähkurse oder Unterweisung im Gartenbau). Kirche ist ein ganz wichtiger Ort für Bildung und Aufklä­rung, sie betreibt in eigener Trägerschaft Kindergärten und Schulen. Auch eine eigene Ausbildungseinrichtung für Lehrerinnen wurde geschaffen. Herausgefordert durch die rasch fortschreitende Umweltzerstörung im eigenen Lande, die durch den globalen Klimawandel noch ver­stärkt wird, sind in den letzten Jahren viele Aktivitäten zur „Bewahrung der Schöpfung“ gestartet worden. Ein Pfarrer fasste das bei einem Seminar so zusammen: „Wir haben auch bei uns Probleme. Wir können nicht warten, bis an­derswo, bei denen in Europa, etwas geschieht, wir müs­sen unsere eigenen Probleme hier und jetzt angehen. Noch ist es nicht zu spät, etwas zu tun, um die Schäden zu mindern. Umweltschutz ist ein Gebot von Gott.“ Und in der praktischen Konsequenz heißt das z.B., dass jeder Junge und jedes Mädchen, die im nächsten Jahr konfir­miert werden möchten, bis dahin mindestens 10 Bäume gepflanzt haben müssen (und auch dafür verantwortlich sind, dass diese die nächsten Jahre überstehen). Die Kirchgemeinde betreibt eine kleine Baumschule, in der die Setzlinge heranwachsen (der Kauf von Bäumchen in einer kommerziellen Gärtnerei kostet 200 Schillinge = 15 Eurocent pro Baum, was für die meisten Menschen uner­schwinglich ist). Kirchen wollen Vorbild sein, auch weil ihre Stimme und ihr Handeln in der Öffentlichkeit deutlich wahrgenommen werden. Wir waren dabei, als sich in ei­nem von der Ortskirche organisierten Seminar etwa 50 Menschen zusammenfanden, Lehrer und Schüler, Staatsangestellte und Hausfrauen, Landwirte und Tech­niker, Pfarrer und Nichtchristen, um sich über den Ernst der Lage auszutauschen, gemeinsam nach Lösungsmög­lichkeiten zu suchen und die nächsten konkreten Schritte zu vereinbaren. Ein Teilnehmer meinte, als die Rede wie­der einmal auf das fehlende Geld kam, trotzig und selbst­bewusst: „Ich bin nicht arm, ich habe Wissen, ich kann denken, ich kann selbst etwas tun – das hängt nicht zu­erst vom Geld ab; ich nutze mein Gehirn und mein Ge­bet.“

In Dareda besichtigten wir ein Landwirtschaftsprojekt, das Anfang der 1990er Jahre mit Unterstützung von „Brot für die Welt“ eingerichtet wurde. Dort werden Farmer in ei­nem Crash-Kurs zwei Wochen lang „trainiert“, lernen et­was über Wasser-„Sammeln“ und Teichwirtschaft ( mit Fischzucht), Kleintierhaltung (Enten und Kaninchen für die eigene Weiterzucht können sie anschließend mit nach Hause nehmen – meine „Lieblingsfeinde“, die Ziegen, zum Glück nicht, diese Tiere sind zu teuer). Sie lernen integrierten Ackerbau kennen, bauen Gemüse an. Wenn sie nach Hause gehen, geht die Ausbildung noch eine Weile als „Fernstudium“ weiter, und es wird erwartet, dass die Teilnehmer später selbst als „Lehrer“ tätig sind, ihre Erfahrungen weiter vermitteln. Es gibt in diesem Projekt auch eine Biogasanlage. Dort werden die Fäka­lien von drei Rindern verwertet. Das Gas geht, so sagte man uns, zum Kochen in die Küche. Aha, das sehen wir uns mal an … Die Frauen in der Küche wussten davon nichts. Der Gaskocher war zwar vorhanden, er funktio­nierte auch – aber die Frauen kochten doch lieber so wie immer auf dem gefegten Boden vor dem Küchengebäude auf zwei Drei-Steine-Kochstellen mit Holz. In Moshi hat die dortige lutherische Kirche eine eigene kleine Haus­bank gegründet, bei der z.B. Kleinstkredite für Kirchge­meinden oder Farmer vergeben werden.

Die deutschen Missionare, die seit 1893 in der Region gearbeitet haben, werden bis heute als „unsere Väter“ verehrt, wir wurden an gepflegte Gräber geführt, und überall entdeckten wir vergilbte alte Fotos.

 

Hoffnungsträger

Immer wieder haben wir in Tansania Menschen getroffen, die in der schwierigen Lage nicht gefangen sind oder re­signieren, sondern etwas tun.

 

Wir machten eine Exkursion in ein idyllisches Tal, in dem der ursprüngliche Tropenwald noch weitgehend erhalten ist, ein Wasserfall stürzt zwischen mächtigen Baumriesen zu Tal. Es gibt eine örtliche Umweltgruppe (Name: „Mit­leid mit der Umwelt“), die in eigener Initiative diesen Le­bensraum unter Schutz gestellt hat und bewahren möchte. Ein Lehrpfad wurde angelegt, vor allem aber ist es wichtig, den Bewohnern der unmittelbar angrenzenden Siedlungen deutlich zu machen, welches Kleinod sie hier haben, und es nicht durch Abholzung und Viehtrieb zu gefährden.

 

Wir trafen Nkya, Kirchvorsteher, er hatte vor Zeiten in Odessa in der Sowjetunion Ökonomie studiert, und jetzt stellte er sich uns als „Koordinator“ vor. Er hatte einen „Workshop“ zum Thema „Umweltzerstörung - und wir?“ organisiert, und wir waren neugierig. Einige Dutzend Menschen strömten zusammen. Dann saßen wir in der Dorf-Kirche, 40 Tansanier auf der einen Seite, fünf Deut­sche (und Übersetzer) auf der anderen. Schon vorbereitet waren Poster mit Fragen, Programmpunkten usw. - vorn an einer Tafel angepinnt. Systematisch, geordnet, diszip­liniert – Begriffe, die wir eigentlich als Deutsche meinten gepachtet zu haben – das erlebten wir in beeindrucken­der Weise. Unser „Koordinator“ koordinerte souverän. Anwesend waren Vertreter aus neun Kirchgemeinden (daraus drei Pfarrer und eine Pfarrerin sowie weitere Kirchvorsteher), Lehrerinnen, Vertreter von Umweltgrup­pen, Wald- und Landwirtschaftsexperten - und sogar ei­nige Schüler. Es wurde die ganze Zeit über (insgesamt sechs Stunden lang mit knappen Pausen dazwischen) konzentriert gearbeitet, informiert und diskutiert. Dabei kamen auch Frauen und Schüler ganz selbstverständlich zu Wort. Im Mittelpunkt standen die Auswirkungen menschlicher Tätigkeit auf die Umwelt. Das Seminar be­gann mit einer Betrachtung zum zweiten Kapitel der Bibel über den Auftrag Gottes an den Menschen, den Garten, in den er gesetzt ist, als gute Schöpfung zu hüten und zu schützen. Schon hier wurde deutlich betont, dass das eine wichtige Aufgabe ist, die jetzt angegangen werden muss, und eine Aufgabe ganz besonders auch für die Kirchgemeinden. Der Mensch soll als Gottes Ebenbild sorgsam Herrschaft ausüben, und unsere Aufgabe sollte es nach diesem Tag sein, diese Botschaft als „Umwelt-Missionare“ weiter zu verbreiten.

Dann gingen wir gemeinsam an die Abarbeitung der klar strukturierten und umfangreichen Tagesordnung. Eine Protokollantin wurde ernannt; die Ergebnisse der Tagung werden später in einem Reader den Teilnehmern und an­deren Interessenten zugänglich gemacht. Auch ein „Zeit­nehmer“ wurde eingesetzt: Bei der Gefahr von Verzöge­rungen im straffen Zeitregime gab er mahnende Klopfzei­chen.
Schnell ging es um die konkreten Erfahrungen und Pro­bleme in der Region hier unterhalb des Kilimanjaro. Schwerpunkte waren die Auswirkungen von Abholzungen (grosser Bäume) und die Vernichtung von Busch- und Grasland durch die Gewinnung von Tierfutter bzw. über­mäßige Abweidung. Die ohnehin nur dünne Schicht fruchtbaren Bodens in den Tropen verarmt immer mehr an Nährstoffen, weil die Erntereste (Blätter und Stämme von Bananenstauden, Maisstängel, Gras) als Futter ver­wendet werden und dem Boden nicht mehr zur Humus­bildung zur Verfügung stehen, und er ist der Vertrock­nung und Erosion ausgesetzt, weil bodendeckende Zwi­schenfrüchte zu selten angebaut werden. Auch der Ein­satz von organischem Dünger, z.B. von den Kühen, die jede Familie besitzt, ist nicht allgemein üblich. Monokultu­ren bringen weitere Gefahren (es wird viel Kaffee ange­baut, weil der bis vor einigen Jahren gute Erlöse brachte; nährstoffzehrender Mais war noch vor wenigen Jahren unbekannt und ist heute allgegenwärtig; Bananen werden als ein Grundnahrungsmittel überall kultiviert). Die hohen Bäume werden in dramatischem Ausmaß abgeholzt, in­zwischen auch an steilen Hängen und an Flussläufen. Sie dienen direkt oder als Holzkohle der Verbrennung in den Haushalten (Kochstellen aus drei Steinen mit Topf darauf – die Frage nach effektiveren Ofenstellen kam auf, erfuhr aber keine Antwort). Ein Mann sagte, dass er, um seinem Sohn den Schulbesuch finanzieren zu können, keine an­dere Wahl habe, als dafür einen Baum zu schlagen und das Holz zu verkaufen. Ein Sonderproblem stellt sehr of­fensichtlich die Konkurrenz zwischen sesshaften Acker­bauern (im Wald) und den Nomaden dar, den Massai mit ihren Herden („die fressen unsere Felder kahl, und kein Gesetz hindert sie daran“).

Was ist zu tun? Immer wieder wurde deutlich, wie wichtig Bildung ist, zu verstehen als Aufklärung über z.T. ele­mentare Zusammenhänge. Unwissenheit ist wohl ein Riesenproblem, manchmal fehlen auch Gesetze – oder sie werden nicht konsequent angewandt. Und wir wurden an etwas erinnert, das wir auch von zu Hause kannten: Die Menschen sind träge (auch hier), in alten Traditionen und Gewohnheiten verhaftet, sie wollen ihre Lebensweise nicht ändern. Aber damit wollten sich die Teilnehmer nicht zufrieden geben: „Die Zerstörung der Umwelt ist in den meisten anderen Ländern durch die Industrialisierung verursacht. Aber: Wir können nicht warten, bis sich dort (anderswo, bei denen in Europa) etwas verändert, wir müssen unsere eigenen Probleme hier und jetzt ange­hen. Noch ist es nicht zu spät, etwas zu tun, die Schäden zu mindern. Umweltschutz ist ein Gebot von Gott!“ Es werden immer wieder die Problem-Fälle eingebracht, die das Leben der Leute hier im Alltag beschwert, und ge­meinsam wird nach Lösungen gesucht. Dann wird zu­sammengefasst, und immer wieder wird laut gefragt: Haben wir die Kraft? Und alle schwören sich ein:
mit einem lauten JA!
Wir „Touristen“ waren staunende Zuhörer, und es war ein richtig produktiver und lehrreicher Stress.

Ein andermal lernten wir Mike kennen, einen massigen Afrikaner im besten Mannesalter, so ein richtiger Häuptlingstyp, drei Handys in der Brusttasche (für jedes Netz eines). Zunächst eine Zufallsbegegnung beim Mittagessen, aber er kam ziemlich schnell offensiv auf uns zu. Mike ist ei­gentlich Tierarzt, seine Familie lebt in der Großstadt. Aber vor einigen Jahren besuchte er wieder einmal sein Hei­matdorf, und er stellte betroffen fest, dass die Hälfte sei­ner Klassenkameraden nicht mehr lebten (verunreinigtes Wasser, Aids). Seitdem versucht er, etwas zu tun gegen soziale Not und Umwelt­zerstörung. Er arbeitet formell für eine private Entwick­lungshilfeorganisation in den USA, für die er Projekte vor Ort organisiert. Inwieweit diese "Fernsteuerung" aus Amerika das Bild verzerrt, war für mich anfangs nicht klar erkennbar. Immerhin sagte der Bischof von Singida, der ihn und seine Arbeit kannte, dass er wohl erfreulich auto­nom arbeiten könne und insgesamt recht erfolgreich tätig sei: „Was die anfangen, bringen sie auch zu Ende.“ Mike hatte einen überzeugenden Ansatz für seine Arbeit und er konnte uns Interessantes zeigen. Er war der erste Junge aus seinem Dorf gewesen, der die „Secondary School“ (bis zum Abitur) absolvieren durfte, studierte dann. Nun aber war er in „sein“ Dorf zurückge­kehrt. Dort redete er zunächst mit den Ältesten: Was sind die Fragen, die Euch am meisten bedrängen? Es ging an erster Stelle um die Versorgung mit trinkbarem Wasser (bisher gab es viele Erkrankungs- und Todes-Fälle durch Keime), dann um bessere Bildungschancen für die Kinder und an dritter Stelle wurden Verbesserungen in der Ver­sorgung mit und der Produktion von landwirtschaftlichen Produkten benannt. Und das wurden – in der Reihen­folge, die den Leuten hier vor Ort wichtig war! - die Prio­ritäten für ein Entwicklungs-Programm. An 58 Stellen wurde in der Region nach Wasser gebohrt, eine (staatlich verwaltete) Sekundarschule wurde gegründet und durch die Hilfsorganisation mit Materialien unterstützt, den Far­mern wurde dürreresistentes Saatgut zur Verfügung ge­stellt und sie wurden geschult, um neue Methoden des Gemüseanbaus und der Tierhaltung kennenzulernen. Für die bessere medizinische Versorgung wurde ein "Portable Doc" eingerichtet: Der Arzt kommt zu den Leuten, sie müssen nicht mehr zum Krankenhaus in die weit ent­fernte Stadt gehen, Kinder und schwangere Frauen wer­den geimpft (Tbc, Windpocken, Masern). Mike legte viel Wert darauf, dass wir von seinen Projekten nicht nur (theoretisch) etwas hörten, son­dern dass wir uns das auch ansahen, er wollte Kritik hö­ren (natürlich auch Lob) und was lernen. Und so wurde ein paar Tage später die Route einer ohnehin geplanten Exkursion so verändert, dass wir auch „sein“ Dorf ken­nenlernten. Wir hatten ja schon einige Schulen besichtigt, hier fiel auf, dass rund um die Gebäude überall Bäume wuchsen. Eine „Spielregel“ besagt nämlich, dass jeder Schüler in jedem Jahr einen Baum pflanzen muss – hier an der Schule oder zu Hause. Er muss den Baum auch weiter pflegen (so eine Art Patenschaft), und für den Baum, der am Ende des Jahres am besten aussieht, hat Mike einen Preis ausgelobt. Gleich nebenan befand sich eine kleine „Baumschule“, durch einen festen Zaun vor gefräßigen Ziegen geschützt, in der Setzlinge für die nächsten Pflanzaktionen heranwachsen (Mike verschenkt auch kleine Bäumchen an die Dorfbewohner). Es gab ein großes Gartengelände. Hier konnten die Schüler prak­tisch erleben und erproben, dass auch in der Trockenzeit Tomaten und Spinat üppig wachsen und reichen Ertrag bringen können, dank sinnreicher künstlicher Bewässe­rung (z.B. über Tropfschläuche). Dreihundert Meter ent­fernt stand ein kleines Häuschen, in dem sich die Was­serpumpe befand. Angetrieben wird die Pumpe durch ein kleines Windrad und einige Solarzellen auf dem Dach des Gebäudes. Das Wasser wird durch dosierte Zugabe von Chlor gleich noch keimfrei gemacht, ehe es zur Wasser­versorgung für Schule und Garten zur Verfügung steht. In weiteren Projekten lernen die Schüler etwas über Tier­haltung. Es gibt Ziegen, aber die laufen hier nicht im Freien herum, sondern werden im Stall gehalten und dort von den Schülern gefüttert. Eine Ziege gibt bis zu 4 Liter Milch am Tag, wovon eine Familie gut leben kann. Der größte „Renner“, so berichtete Mike, sei aber der „Kanin­chenverleih“ geworden: Die Schüler halten Kaninchen. Diese Tiere waren in Tansania bisher kaum als Haustiere bekannt. Familien im Dorf bekamen kostenlos zwei ge­schenkt, ein Männchen und ein Weibchen. Die Vermeh­rung funktioniert bei Kaninchen ja sehr gut, und es wurde nur erwartet, dass nach einem Jahr zwei Tiere an die Schule zurückgegeben wurden, um diese dann erneut auszuleihen …

Mike hatte auch ein Projekt in der Stadt Singida. Hier soll für zunächst 250, später 500 (von etwa 700) Straßenkin­dern in der Stadt – meist Aids-Waisen - die Essens­versorgung organisiert werden. Mittagessen findet für Schul-Kinder in der zweistündigen Mittagspause statt, und in der Stadt gehen sie dazu nach Hause. Die Stra­ßenkinder können zwar in der Regel bei Verwandten schlafen, aber das Essen können diese nicht bezahlen. Für diese Kinder wurde jetzt ein Extra-Gebäude für die Schulspeisung errichtet – und es war gerade fertig­gestellt, gekocht wurde schon. Unter dem Gebäude be­findet sich ein großer Tank (15 x 10 x 3 Meter), in dem in der Regenzeit Regenwasser vom Dach über Dachrinnen gesammelt wird; in den 9 Monaten der Trockenzeit kommt Wasser aus dem Netz der Stadt, das aber nicht ausreicht. Durch den Strom aus Solarzellen wird Salz­lösung elektrolysiert, und das Chlor dient zur Desinfektion des Wassers, das dann Trinkwasserqualität haben soll. In einem Lager besichtigten wir Riesenstapel von Kartons mit Nahrungskonzentrat (Getreideprodukte, Vitamine, Mi­neralstoffe usw.). Die Nahrungsspenden kommen aus den USA. Ein Karton enthält etwa 20 Tüten, und eine Tüte reicht jeweils für sechs Kinder für eine Mahlzeit. Sie werden mit Wasser angerührt und auf zwei Herdstellen zubereitet, die für tansanische Verhältnisse sehr fortschrittlich sind: Stahl­kessel, mit Lehm ausgemauert (viel energieeffizienter als die üblichen Drei-Stein-Kochstellen), holzkohlegeheizt und mit Rauchgasabführung über einen Schornstein. In Zukunft soll die Nahrung vielleicht auch in Tansania her­gestellt werden (zur Zeit ist das wegen der hygienischen Anforderungen schwierig). Es gab (wenige) ordentliche Toiletten, viele Wasserhähne für die Kinder - hoffentlich funktioniert das alles in einigen Jahren noch so, wies ge­dacht ist …
Ein paar Kinder des Kindergartens – der auch zum Pro­jekt gehört - sangen (nicht nur für uns) "Gott segne Tan­sania"!

 

Auf Safari

Ein bisschen Klischee-Tourismus haben wir auch erlebt.
Wir waren im Ngorongroro-Krater am Rande der Seren­geti: Eine wahrlich „schöne runde Sache“!
Vor einigen Millionen Jahren hat hier in Ostafrika ein gi­gantischer Vulkan Lava gespuckt, und als das Spektakel zu Ende war, stürzte der gewaltige Krater ein. Zurück blieb ein fast kreisrunder Wall, den 600 Meter hohe steile bewaldete Wände bilden, und der etwa 20 Kilometer Durchmesser hat. Ein (fast) abgeschlossener Lebens­raum, dort unten gibt es Seen mit Süßwasser und Salz­wasser, weite hügelige Graslandschaften, kleine Wäld­chen, Buschgruppen und auch einen richtigen Tropen­wald mit hohen Bäumen. Ein kleines Paradies. Und dort leben (außer Giraffen) praktisch alle Tiere, die man mit „AFRIKA“ assoziiert, in einer ausbalancierten Lebensge­meinschaft.
Wir mieteten ein Auto mit aufklappbarem Dach, fuhren durch feinen roten Staub erst einmal von außen zum Kraterrand hoch (600 Meter Höhenunterschied steil bergan, das ist so, als ob ich auf 2 Kilometern Luftlinie von meinem heimatlichen Schönberg auf den Erzgebirgs­kamm hinauf möchte), dann kopfüber auf der anderen Seite in den Kessel hinunter. Dann kamen fünf Stunden „Augen-Weide“::: Zebras - sie guckten nicht zu uns, son­dern fixierten die Steppe (weil dort Löwen-Köpfe sichtbar waren), zwei Geparden streunten quer durchs Gelände, Hyänen ärgerten Kronenkraniche, Gnus schritten im Gänsemarsch über den Fahrweg, im hohen Steppengras brütete ein Adler, auf dem Kopf eines Nilpferdes balan­cierte graziös ein Reiher, Pelikane fischten im Rudel, an einer Stelle stauten sich die Besucherfahrzeuge: eine Löwin saß oben im Baum (!), eine zweite döste unten an seinem Stamm, wir erlebten eine ganze Straußen­hochzeit mit beeindruckendem „Vorspiel“ und „Wiege-Akt“, ein alter Löwen-Mann räkelte sich 10 Meter neben der Straße in der Sonne, gierige Milane rissen den arg­losen Touristen die Lunch-Brote aus der Hand, Elefanten stapften zur Tränke, Affen streunten durch den Urwald, und Flamingos setzten im Salzsee farbige Tupfer. Ein wirklich traumhaftes Erlebnis, Sonnenstich inklusive. Bei der Rückfahrt machten wir oben am Kraterrand kurz Halt an einem Gedenkstein: der berühmte Professor (Bern­hard) Grzimek hat hier seine Asche verstreuen lassen, sein Sohn Michael ist bei einem Flug hier am Krater ums Le­ben gekommen.
Und die Blumen und Blüten in Afrika lassen sich ohne­hin nicht in Worte fassen.

Alles Schöne und Duftende und Blühende, was bei uns zu Hause mühsam im Zimmer auf dem Fensterbrett kulti­viert wird – all das blüht hier und da und dort, im Freien; nur sind die Pflanzen in der Regel viel größer.

 

…………..

 

 

Nachdenklichkeit und schlechtes Gewissen waren auf der Reise auch immer dabei. Irgendwann habe ich ein nächt­liches Zwischenfazit in meinen Notizblock gekritzelt:

War das wirklich nötig, dass wir zu zehnt, mit dem Flugzeug, mit bunten Kalendern und Bonbons nach Tansania fliegen mussten, um uns persönlich von dem Elend hier zu über­zeugen, wobei doch unser Problem lediglich darin be­steht, dass wir das Elend nicht richtig fotografisch doku­mentieren können …? Ein schlimmer Kontrast: Ich sitze hier, trinke gekühltes Bier, werde dann noch einmal du­schen, und 20 km entfernt leben Menschen in undichten Hütten, in totaler Dunkelheit, die Wasser ausreichend nur zur Regenzeit haben und die meiste Zeit auf der Suche nach Wasser und Brennholz unterwegs sind, um zu überleben …

 

 

Joachim Krause

Hauptstr. 46, 08393 Schönberg, Tel. 03764-3140,

im Dezember 2008