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Problemfall:
Recyclingpapier -
für kirchliche Archive nicht geeignet?


A) Eine E-Mail vom 11.1.02 an die AGU-Mitglieder:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich halte ein (gefaltetes A-4-)Faltblatt in der Hand, das die zuständige Kirchenarchivrätin aus meinem Landeskirchenamt mir als aktuelle Information geschickt hat.
Der Verband kirchlicher Archive gibt darin mit Stand vom Februar 2000 "Empfehlungen zum Einsatz von Umweltschutz- und Recyclingpapieren" mit dem Kernsatz
"Umweltschutz- und Recyclingpapiere sind nicht alterungsbeständig und daher nicht archivfähig".
Ich bin etwas erstaunt, das das immer noch so verbreitet und angewiesen wird.

Das Faltblatt gab es in praktisch identischer Form schon im Jahre 1995. Damals hat z.B. Klaus Nagorni gegenüber seinem Oberkirchenrat deutlich kritisch dazu Stellung genommen. Auch ich habe 1995 Korrespondenz mit meinem Landeskirchenamt gehabt und versucht, die aktuelle Situation deutlich zu machen (ich hatte vorher ausführlichen Schriftwechsel mit Papierherstellern und habe Expertisen gesammelt). Danach  war es schon 1995 so, dass nach der gültigen DIN 6738 (Papier und Karton; Lebensdauerklassen) die Haltbarkeit von Papieren unter dem Aspekt der Alterungsbeständigkeit standardisiert sind. Und nach praktischen Prüfungen und Bewertungen nicht nur von Herstellern, sondern auch vom Umweltbundesamt, werden entsprechende Recycling-Papiere die Lebensdauerklasse 12-80 erreichen, was bedeutet, dass sie "nach heutigem Erkenntnisstand bei schonender Behandlung und Lagerung voraussichtlich eine Lebensdauer von einigen 100 Jahren haben".

Die Sache ärgert mich.
Aber wollen, sollen wir etwas unternehmen? Wer?

Mit herzlichen Grüßen !

Joachim Krause


B) Argumente zum Einsatz von Recyclingpapier
zwei Briefe aus den Jahren 1994/95
(der Adressat ist ein Dezernent im Landeskirchenamt in Dresden)
 

BRIEF 1

Joachim Krause, Hauptstr.46, 08393 Schönberg (Tel. Meerane 03764/3140)

Ev.-Luth. Landeskirchenamt
....

Betr.: Verwendung von Recyclingpapier im LKA

Lieber Herr ...,

im Anschluss an unsere Diskussionen zum Einsatz von Recyclingpapier im Synodenausschuss Wirtschaft und Umwelt am 28.10.94 übergebe ich Ihnen folgende "Argumentationshilfe":

1. Das Anliegen besteht darin, dass das Landeskirchenamt für den eigenen Bedarf (und darüber hinaus in den landeskirchlichen Einrichtungen, die direkt dem LKA zugeordnet sind, wo also eine Einflussnahme direkt möglich ist: also z.B. landeskirchliche Werke, Synode) Recyclingpapier einkauft und dort, wo es die technischen Voraussetzungen und der Verwendungszweck zulassen, nur Recyclingpapier eingesetzt wird. Auch bei Vergabe von Druckaufträgen an Fremdeinrichtungen sollte im Normalfall auf die Verwendung von Recyclingpapier geachtet werden.

2. Es geht bei dieser scheinbaren "Nebensache" um Grundsätzliches (wie glaubwürdig ist das Handeln unserer Kirche bei der Bewahrung der Schöpfung?) und um die Möglichkeit, ein sichtbares Zeichen zu setzen (der Hinweis, dass bewusst Recyclingpapier eingesetzt wird, sollte auf dem verwendeten Papier vermerkt werden).

3. Nicht irgendwelche "Umweltpapiere", sondern Recyclingpapiere verwenden!
Alle umweltrelevanten Aspekte wie Frischwasserverbrauch, Abwasserbelastung, Energieverbrauch, Abfallvermeidung und die Schonung von Wäldern (Recyclingpapier besteht zu 100% aus Altpapier) sprechen für die weitgehende Verwendung von Recyclingpapier. Andere Papiere mit "ÖKO-" und "BIO"-Ansprüchen ("chlorfrei gebleicht" usw.) erreichen nicht die Umweltfreundlichkeit von Recycling-Papier oder sind für Bürozwecke nur begrenzt geeignet (z.B. Abrieb bei "richtigem" Umweltschutzpapier).

4. Bei Massen-Papieren anfangen : Recycling-Papiere für Briefumschläge aller Art, Massendrucke und Kopien in Großauflage (weit verteilte Informationsschreiben; Diskussionspapiere als Tischvorlagen, die oft nach einmaligem Gebrauch Makulatur sind), Notizpapiere, Vordrucke, Formulare, Computerdruckpapiere;
dass eine Verwendung in großem Umfang möglich und anderswo in Verwaltungen längst selbstverständlicher Standard ist, zeigt eine Erhebung in den Bonner Bundesministerien, wo 1993 in nahezu allen Ressorts der Anteil von Recyclingpapier bei 90 und mehr Prozent lag s. Anlage 1.
In der Kirchenprovinz Sachsen wird schon seit längerem auch das Amtsblatt auf Recycling-Papier gedruckt.

5. Immer wieder gebrachte Einwände stimmen nicht (mehr):
5.1. Einwand: "Es gibt Schwierigkeiten beim Einsatz von Recyclingpapier für Kopier- und Druckgeräte (z.B. erhöhter Abrieb)."
Antwort: Durch die Umweltbeauftragten der EKD-Gliedkirchen wurde eine Umfrage durchgeführt. Dabei bestätigten alle führenden Gerätehersteller, dass die Verwendung von Recyclingpapier keine derartigen Probleme aufwirft. Allerdings muss das Recycling-Papier der DIN-Norm 19309 entsprechen (also nicht irgendein "Umweltpapier" verwenden, sondern eingeführte Marken wie "Recyconomic Copy", "Fortuna 100 UF Copy", "100 RC Copy"), und die Geräte müssen vom Wartungsdienst auf die verwendete Papiersorte genau eingestellt werden (das gilt aber grundsätzlich und nicht nur für Recycling-Papier: es sollte an einem Gerät immer nur die gleiche Papiersorte verwendet werden; ständig wechselnde Papiersorten und immer neue Bedien-Personen machen die Geräte kaputt!).
5.2. Einwand: „Recyclingpapiere haben eine geringe Haltbarkeit und sind für Archivzwecke nicht geeignet!“
Antwort: Unabhängige Gutachten liegen vor, die eine "voraussichtliche Lebensdauer von einigen hundert Jahren" für getestete Recycling-Papiersorten attestieren - s. Anlage 2.
5.3. Einwand: „Recycling-Papiere sind teurer als Normalpapiere!“
Antwort: Derzeit kommt Billigholz zu Dumpingpreisen aus Russland usw. für die Papierherstellung nach Deutschland; damit ist manchmal wirklich Papier aus Frischholz-Zellulose billiger als Recyclingpapier aus Altpapier. Unter normalen Bedingungen ist Recycling-Papier deutlich billiger. Aber: wenn wir als Kirche das Billig-Papier kaufen, unterstützen wir den Raubbau an den russischen Wäldern. Und: man sollte auch einmal nüchtern ausrechnen, wie hoch denn der Zusatzaufwand bei Verwendung von Recyclingpapier insgesamt wirklich ist, und ob wir nicht auch dann die teurere Variante wählen sollten, wenn wir überzeugt sind, dass sie umweltverträglicher ist.
5.4. Einwand: „Die (übermäßige) Verwendung von Altpapier für die Herstellung von Recycling-Papier führt dazu, dass Holz in den deutschen Wäldern nicht genutzt wird (Sauberhalten der Wälder, Absatz der Forstwirtschaft)!“
Antwort: Etwa sechsmal so viel Holz, wie aus deutschen Wäldern zur Herstellung von Papier entnommen werden könnte, kommt derzeit als Holz-Billigimport aus anderen Ländern. Dort liegt das Problem und die Konkurrenz für einheimisches Holz, nicht bei der sinnvollen Wiederverarbeitung von Altpapier.
5.5. Das Umweltbundesamt in Berlin als unabhängige staatliche Behörde empfiehlt unter Berücksichtigung aller Bedenken uneingeschränkt die Nutzung von Recyclingpapier.

Joachim Krause
 
 

BRIEF 2

Joachim Krause, Hauptstr.46, 08393 Schönberg
(10. Januar 1995)

Herrn....

Betr.: Streit um Recyclingpapier

Lieber Herr ...,

zur bisher nicht befriedigend geklärten Frage der Archivierbarkeit von Recyclingpapier (über ausreichend lange Zeiträume) habe ich noch einmal in meinen Unterlagen geblättert.

Zunächst ein paar Vorbemerkungen:
Wer der Verwendung von Recyclingpapier so kritisch gegenübersteht, sollte folgende Fragen beantworten können:
a). Ist für die derzeit im LKA eingesetzten "weißen" Papiersorten auch so kritisch eine Expertise eingeholt worden, die die nun vom Recyclingpapier geforderte Haltbarkeitsdauer bescheinigt und nachweist?
b). Für welche Art von Dokumenten und für welche Zeiträume ist eine extrem lange Archivierung wirklich nötig? -
(da es Ihnen und mir ja nicht um eine "100-Prozent-Lösung" gehen muss, wäre ja schon eine Grundsatzentscheidung sinnvoll, dass für den normalen Alltagsgebrauch im Büro, d.h. für die 90 oder 95 % Papiere, die nach wenigen Wochen, Jahren oder Jahrzehnten bedeutungslos sind, grundsätzlich Recyclingpapier verwendet wird, und dass für die wertvollen Stücke, die für die Ewigkeit aufbewahrt werden müssen, eben im Einzelfall als Ausnahme die Verwendung von Edel-Papieren nach den Vorstellungen der Archivare jeweils ausdrücklich verlangt werden muss)

Zu den Sachargumenten:
1. In den letzten Jahren sind Archivare sehr erschrocken über den Zustand von Papiererzeugnissen jüngeren Datums. Seit etwa Mitte des vorigen Jahrhunderts wurden Papiere nach neuen Technologien und Rezepturen hergestellt (besonders wichtig: saure Leimung), die für relativ schnellen Zerfall mit verantwortlich gemacht werden (aber auch die Lagerbedingungen in den Bibliotheken und Archiven und die Zunahme von Luftverunreinigungen spielen hier eine Rolle).

2. Seit 1992 ist die DIN-Norm 6738 ("Papier und Karton; Lebensdauerklassen") verbindlich für die technische Prüfung von Papieren auf ihre voraussichtliche Haltbarkeit. Hier sind Mindesteigenschaften und deren tolerierbare Veränderungen unter den Testbedingungen künstlicher Alterung formuliert. Manche Archivare sind aber - wegen der schlechten Erfahrungen der letzten hundert Jahre - weiter extrem misstrauisch und stellen vorsichtshalber Maximalforderungen, die über die DIN-Norm hinausgehen (die Einhaltung dieser Forderungen wäre dann aber sinnvollerweise begrenzt auf Papiere, die wirklich extrem lange aufbewahrt werden sollen). Es ist mehr ein Glaubenskrieg, der hier stattfindet - man traut neueren technischen Entwicklungen in der Papierproduktion wie der Prüftechnik nicht.
Ich verweise zu diesem Streit auf die Anlagen 1 und 2, in denen der Standpunkt des Umweltbundesamtes Berlin deutlich wird; s. besonders auch das Votum des Umweltministeriums in Bonn (in Anlage 2) zu der kritischen Sicht der Archivare.

3. Die Steinbeis Temming Papier GmbH ist in Deutschland der führende Hersteller von Recyclingpapieren. Die Firma stellt in ihren Publikationen (s. Anlagen 3 und 4) dar, dass nach 1989 eine grundlegende Produktionsumstellung auch für Recyclingpapiere erfolgt ist: sie werden seitdem nicht mehr "sauer", sondern (wie von den Archivaren gefordert) pH-neutral hergestellt. Erfolgte Prüfungen nach DIN 6738 lassen nun "mit Sicherheit davon ausgehen, dass die Papiere mindestens in die Lebensdauerklasse 'über hundert Jahre' einzuordnen sind". Darauf bezieht sich auch das "Zertifikat" (Anlage 5, das Sie bereits kennen), in dem nach der DIN-Norm geprüft wurde. Mehr als ein solches Gutachten von einem fachlich zugelassenen Prüfinstitut wird auch kein anderer Papierhersteller für die Haltbarkeit seiner Papiere vorweisen können (wenn er nicht die Rezepturen von 1800 verwendet).
In einem 1991er Bericht meines Kollegen aus der Lippischen Landeskirche (Anlage 6) wird eine Untersuchung der Bundesanstalt für Materialforschung erwähnt, der zufolge "Recyclingpapier nicht schlechter haltbar ist als normales weißes Neupapier..."
Das Umweltbundesamt geht in einem Buch von 1994 auf einige Argumente ein, die immer wieder gegen die Verwendung von Recyclingpapier vorgebracht werden, und benennt gleichfalls als Prüfergebnis eine voraussichtliche Haltbarkeit von "einigen hundert Jahren" (Anlage 7).
 
 

zusammengestellt von Joachim Krause, Hauptstr. 46, 08393 Schönberg